Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Arbeitslosigkeit nach der beruflichen Grundbildung

Hohe berufliche Spezifität von Ausbildungsberufen: Vor- und Nachteile

Die Schweiz hat im internationalen Vergleich eine tiefe Jugendarbeitslosigkeit. Dies wird oft darauf zurückgeführt, dass die Mehrheit der Jugendlichen eine berufliche Grundbildung absolviert, die den Übergang in den Arbeitsmarkt erleichtert und vor Arbeitslosigkeit schützt. Trotzdem ist ein Teil der jungen Berufsleute in der frühen Berufslaufbahn von Arbeitslosigkeitsphasen betroffen. Diese erhöhen das Risiko, beim (Wieder-) Einstieg in die Erwerbstätigkeit Lohneinbussen oder einen beruflichen Abstieg zu erleiden. Die Ergebnisse eines Nationalfondsprojektes zeigen, dass sich dieses Risiko zwischen Personen mit unterschiedlichen beruflichen Grundbildungen unterscheidet – abhängig davon, wie viele berufsspezifische respektive allgemeine Fähigkeiten vermittelt werden.


Zudem wird postuliert, dass berufsspezifische Fähigkeiten, die vor allem in einem spezifischen Berufsfeld eingesetzt werden können, stärker von Abwertung betroffen sind als Allgemeinwissen und transversale Fähigkeiten.

Arbeitslosigkeitsphasen können die Berufslaufbahn negativ beeinflussen. Personen, die eine Weile arbeitslos waren, haben verminderte Beschäftigungschancen. Oft müssen sie Lohneinbussen und einen tieferen Berufsstatus in Kauf nehmen, weil sie Schwierigkeiten haben, eine Stelle zu finden, die ihrer Ausbildung entspricht bzw. vergleichbare Anstellungsbedingungen wie die frühere Stelle bietet. Dies gilt insbesondere für junge Berufseinsteigerinnen und -einsteiger, die noch nicht viel Berufserfahrung gesammelt haben (Buchs et al., 2015; Buchs et al., 2017; Helbling & Sacchi, 2014). Weitere Forschungen legen zudem nahe, dass die negativen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit nach dem Ausbildungsabschluss für Personen mit einer beruflichen Grundbildung eher stärker sind als für solche mit einem Abschluss auf Tertiärstufe (Shi & Di Stasio, 2022).

In der Forschung werden drei mögliche Erklärungen für die negativen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit diskutiert.

  1. Arbeitslosigkeitsphasen schmälern die Beschäftigungschancen, wenn sie von Arbeitgebern als Signal für mangelnde Produktivität und Motivation interpretiert werden (Spence, 1973; Van Belle et al., 2018). In Ländern mit tiefer Arbeitslosigkeit und einem starken Berufsbildungssystem, zu denen die Schweiz gehört, ist dieser negative Signaleffekt stärker als in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit (Sacchi & Samuel, 2024; Shi & Wang, 2022).
  1. Arbeitslosigkeitserfahrungen mindern oft das Selbstwertgefühl und die Motivation junger Berufsleute. Dies kann sich negativ auf das Stellensuchverhalten auswirken, so dass arbeitslos gewordene junge Leute mehr Mühe haben, schnell eine neue, passende Stelle zu finden (Helbling & Sacchi, 2014).
  2. Längere Phasen ohne bezahlte Arbeit können dazu führen, dass das berufliche Wissen und die beruflichen Fähigkeiten an Wert verlieren, weil technologische Entwicklungen verpasst werden oder ein Teil des Wissens vergessen wird.

Zudem wird postuliert, dass berufsspezifische Fähigkeiten, die vor allem in einem spezifischen Berufsfeld eingesetzt werden können, stärker von Abwertung betroffen sind als Allgemeinwissen und transversale Fähigkeiten, die in verschiedenen Berufen und Stellen nützlich sind (Becker, 1975). Dazu gehören beispielsweise Problemlösefähigkeiten, Sprachkenntnisse, Kommunikationsfähigkeiten oder grundlegende IT-Kenntnisse, die in vielen Berufen nützlich sind.

Da sich die Ausgestaltung der Lehrberufe in der Schweiz bezüglich der vermittelten Fähigkeiten unterscheidet (siehe Kriesi & Grønning, 2021), sind wir in unserem Forschungsprojekt folgender Frage nachgegangen: Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Anteil berufsspezifischer und allgemeiner Fähigkeiten, die in einem Ausbildungsberuf vermittelt werden, und der Wahrscheinlichkeit von arbeitslosen Berufslehrabgängerinnen und -abgängern,

  • schnell wieder eine Stelle zu finden?
  • einen beruflichen Abstieg zu erfahren und mit einer Stelle vorlieb nehmen zu müssen, deren Berufsstatus tiefer ist als jener der Stelle vor der Arbeitslosigkeit?

Das Arbeitslosigkeitsrisiko unterscheidet sich zwischen Ausbildungsberufen

Wir haben diese Fragen anhand der Arbeitslosigkeitsdaten des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) untersucht, die wir mit den Längsschnittdaten im Bildungsbereich des Bundesamtes für Statistik (LABB) verknüpften. Als Grundgesamtheit haben alle Personen gedient, die zwischen 2011 und 2019 ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) erworben haben (N=516’425) und in den ersten Jahren nach dem Erwerb des EFZ mindestens einmal als arbeitslos registriert waren (N=107’911). Die genannten Zahlen zeigen, dass knapp 21 Prozent der Berufslehrabgängerinnen und -abgänger dieses Zeitraums mindestens einmal in der frühen Berufslaufbahn als arbeitslos registriert waren.

Tabelle 1 zeigt, dass sich das Arbeitslosigkeitsrisiko je nach Ausbildungsberuf deutlich unterscheidet. Dargestellt sind aus Platzgründen nur die 15 Ausbildungsberufe mit der über die Beobachtungsjahre kumulierten höchsten Anzahl an Abschlüssen. Die Tabelle zeigt, dass mehr als ein Drittel der Personen, die Coiffeuse lernten, mindestens einmal als arbeitslos registriert waren. Von den Detailhandelsfachpersonen Beratung waren knapp 30 Prozent betroffen, während von den Landwirten und den Elektroinstallateuren nur gut zwei beziehungsweise sechs Prozent von Arbeitslosigkeit betroffen waren.

Tabelle 1: Anteil mindestens einmal als arbeitslos gemeldeten Absolvierenden der 15 beruflichen Grundbildungen mit den meisten Abschlüssen zwischen 2011 und 2019

Quelle: Eigene Berechnungen anhand der Statistik der beruflichen Grundbildung, Bundesamt für Statistik, ergänzt mit AVAM-Daten zu Arbeitslosigkeit.

Wir haben anhand von Cox’schen proportionalen Hazardmodellen und stückweisen Exponentialmodellen untersucht, ob die Unterschiede zwischen den Ausbildungsberufen in Beziehung stehen zum Verhältnis berufsspezifischer und allgemeiner Fähigkeiten und Kenntnisse, die während der Ausbildung vermittelt worden sind. Datengrundlage waren alle Bildungsverordnungen, die zum Zeitpunkt gültig waren, als die untersuchten Arbeitslosen ihre berufliche Grundbildung durchlaufen haben. Die berufsspezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse messen wir mit dem zeitlichen Anteil, den Lernende im Betrieb und in überbetrieblichen Kursen (üK) verbringen. Die allgemeinen Fähigkeiten beruhen auf drei Indikatoren. Der erste erfasst den Anteil an Allgemeinbildung im Verhältnis zur Zeit im Betrieb und den üK. Die anderen beiden Indikatoren messen den Anteil der Lernziele in den Bildungsverordnungen, die sich auf Kommunikationsfähigkeiten beziehungsweise allgemeine ICT-Fähigkeiten beziehen.

Vor- und Nachteil einer hohen Berufsspezifik

Die Ergebnisse zeigen, dass die Chance von jungen Arbeitslosen mit einer beruflichen Grundbildung, innerhalb von drei Monaten eine neue Stelle zu finden, recht hoch sind.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Chance von jungen Arbeitslosen mit einer beruflichen Grundbildung, innerhalb von drei Monaten eine neue Stelle zu finden, recht hoch sind – gut 60 Prozent der Arbeitslosen finden rasch eine neue Stelle (Abbildung 1). Danach nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Wiedereintritts in den Arbeitsmarkt schnell ab. Gleichzeitig steigt das Risiko, nur noch eine Stelle mit tieferem Berufsstatus zu finden, mit zunehmender Arbeitslosigkeitsdauer rapide an und ist gegen Ende der maximalen Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstützung am grössten. Zu diesem Zeitpunkt sehen sich offenbar viele arbeitslose Berufslehrabgängerinnen und -abgänger gezwungen, eine Stelle mit tieferem Berufsstatus zu akzeptieren.

Abbildung 1: Wiedereinstiegschance und Risiko eines Statusverlusts beim Wiedereinstieg

Lesebeispiel: Einen Monat nach Anmeldung bei der regionalen Arbeitsvermittlung beträgt die Chance eine Stelle zu finden für arbeitssuchende Personen im Durchschnitt 16.5 Prozent. Das Risiko eines Statusverlusts liegt in diesem Monat durchschnittlich bei 4.8 Prozent. Nach zwei Jahren liegt die Chance auf eine neue Stelle für dann noch suchende Personen bei 14 Prozent, wobei ein Risiko von 25 Prozent besteht, dass der Wiedereinstieg mit einem Statusverlust einhergeht. Quelle: eigene Berechnung auf Basis der Verknüpfung von LABB- und AVAM-Daten

Betrachten wir die Wiedereinstiegswahrscheinlichkeit und das Risiko eines beruflichen Abstiegs in Bezug auf das Verhältnis berufsspezifischer und allgemeiner Ausbildungsinhalte, wird das Bild nuancierter (Abbildung 2). Arbeitslose, deren berufliche Grundbildung hohe Anteile an berufsspezifischen Inhalten vermittelt hat, finden innerhalb des ersten halben Jahres schneller wieder eine neue Stelle als Arbeitslose, deren berufliche Grundbildung höhere Anteile an Allgemeinbildung beinhaltet. In Bezug auf das Abstiegsrisiko sieht die Situation gerade umgekehrt aus. Arbeitslose, deren berufliche Grundbildung sehr praxisorientiert und berufsspezifisch ausgerichtet war, sind beim Wiedereinstieg signifikant häufiger von einem beruflichen Abstieg betroffen, und zwar bereits ab Beginn der Arbeitslosigkeitsphase. Hohe Allgemeinbildungsanteile, insbesondere Kommunikations- und ICT-Grundfähigkeiten, mindern hingegen das Risiko, in einer neuen Stelle zu arbeiten, die einen tieferen Berufsstatus bietet. Dies gilt besonders in Zeiten geringer Arbeitsmarktnachfrage, wenn das berufsspezifische Stellenangebot knapp ist.

Abbildung 2: Wiedereinstiegschance und Risiko eines Statusverlusts beim Wiedereinstieg in Abhängigkeit des Praxisanteils des Ausbildungsberufs

Lesebeispiel: Die Chance, wieder in den Arbeitsmarkt einzutreten respektive dabei einen Statusverlust zu erleiden, unterscheidet sich für Arbeitssuchende mit vergleichbaren individuellen und Kontextmerkmalen je nach Praxisanteil des Grundbildungsberufs. Nach fünf Monaten liegt die Wiedereinstiegschance bei Arbeitssuchenden, die eine berufliche Grundbildung mit vergleichsweise geringem Praxisanteil abgeschlossen haben bei knapp 20%, bei Arbeitssuchenden aus einem Beruf mit vergleichsweise hohem Anteil Berufspraxis bei etwa 24%. Quelle: eigene Berechnung auf Basis der Verknüpfung von LABB- und AVAM-Daten

Schlussfolgerungen

Zusammenfassend bestätigen die Ergebnisse, dass Arbeitslosigkeit in der frühen Berufslaufbahn nicht nur zu Einbussen beim Einkommen und der Berufserfahrung führen kann, sondern auch das Risiko erhöht, beruflich abzusteigen und einen Berufsstatusverlust zu erleiden.

Zusammenfassend bestätigen die Ergebnisse, dass Arbeitslosigkeit in der frühen Berufslaufbahn nicht nur zu Einbussen beim Einkommen und der Berufserfahrung führen kann, sondern auch das Risiko erhöht, beruflich abzusteigen und einen Berufsstatusverlust zu erleiden. Arbeitslose Berufseinsteigerinnen und -einsteiger aus Ausbildungsberufen, die sehr berufsspezifisch ausgerichtet sind und viel Berufspraxis, aber vergleichsweise wenige transversale Fähigkeiten vermitteln, finden im Durchschnitt schneller eine Stelle als solche aus Ausbildungsberufen, die höhere Anteile an transversalen Fähigkeiten vermitteln. Erstere sind allerdings auch deutlich häufiger von beruflichem Abstieg betroffen und arbeiten nach der Arbeitslosigkeitsphase häufiger in Stellen mit tieferem Berufsstatus. Aus humankapitaltheoretischer Perspektive kann dies damit erklärt werden, dass berufsspezifische Fähigkeiten schneller als allgemeine Fähigkeiten an Wert verlieren, wenn sie während Arbeitslosigkeit nicht verwendet werden. Zudem werten Arbeitgeber Arbeitslosigkeit oft als negatives Signal und assoziieren damit geringe Motivation und Arbeitsproduktivität. In dieser Situation können Allgemeinwissen, Kommunikations- und allgemeine IT-Fähigkeiten helfen, in einem anderen Berufsfeld eine statusadäquate Stelle zu finden. Diese Fähigkeiten sind weniger an einen spezifischen Beruf gebunden und können überall eingesetzt werden. Sie helfen jungen Berufsleuten, sich an veränderte Erwerbssituationen und Arbeitsmarktbedingungen anzupassen und sollten deshalb auch in der Berufsbildung nicht vernachlässigt werden.

Literatur

Zitiervorschlag

Kriesi, I., & Hänni, M. (2025). Hohe berufliche Spezifität von Ausbildungsberufen: Vor- und Nachteile. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 10(1).

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