Projekt der PH Luzern
So tasten sich die Berufsfachschulen an die Nutzung von KI heran
Die digitale Transformation beeinflusst Gesellschaft, Wirtschaft und Bildung in fundamentaler Weise – auch die Berufsbildung steht vor der Herausforderung, sich diesen Veränderungen anzupassen. Ein zentraler Treiber dieser Transformation ist die Generative Künstliche Intelligenz (KI). Sie hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir lehren und lernen, grundlegend zu verändern. In welchem Masse dies geschieht, ist Gegenstand eines Forschungsprojekts der PH Luzern. Die Beobachtungen lassen auf Potenziale und Entwicklungsfelder schliessen.
Generative Künstliche Intelligenz ermöglicht nicht nur die Erstellung von Inhalten, sondern bietet auch innovative Ansätze für individualisiertes Lernen, Kreativitätsförderung und Effizienzsteigerung. Mit diesen Möglichkeiten gehen jedoch auch Fragen einher: Wie lässt sich KI sinnvoll und nachhaltig in den Schulalltag integrieren? Welche Kompetenzen benötigen Lehrpersonen und Lernende, um die Potenziale von KI effektiv zu nutzen? Und welche Risiken oder unerwünschten Entwicklungen gilt es dabei zu beachten?
Diesen Fragen widmet sich eine Untersuchung der Pädagogischen Hochschule Luzern, die im Rahmen eines gemeinsamen Projekts der pädagogischen Ausbildungsinstitutionen Luzern, St. Gallen, Zürich und EHB durchgeführt wurde (Ries & Thompson, 2024). Ziel der Untersuchung war es, die aktuelle Nutzung von KI in der beruflichen Grundbildung zu analysieren und daraus Potenziale sowie Entwicklungsfelder abzuleiten. Hierfür wurden die Lernorte der beruflichen Grundbildung an zehn Halbtagen besucht. Ergänzt wurden die Beobachtungen durch halbstrukturierte Interviews mit zehn Lehrpersonen sowie Kurzinterviews mit 126 Lernenden, um ein möglichst umfassendes Bild der KI-Nutzung zu gewinnen. Die gesammelten Daten geben Einblicke in die Entwicklungen und zeigen Stärken und Schwachstellen bei der Integration von KI in den schulischen Alltag auf. Sie liefern eine Grundlage, um Massnahmen für die Lehrerausbildung und die Unterrichtsgestaltung zu entwickeln.
Ergebnisse der Untersuchung
1. Lehrpersonen und KI: Effiziente Planung und didaktische Herausforderungen
Die beobachteten und befragten Lehrpersonen nutzen KI hauptsächlich zur Planung und Organisation, etwa zur Erstellung von differenziertem Material oder zur Generierung kreativer Ideen.
Die beobachteten und befragten Lehrpersonen nutzen KI hauptsächlich zur Planung und Organisation, etwa zur Erstellung von differenziertem Material oder zur Generierung kreativer Ideen. Dabei wird die Zeitersparnis als grosser Vorteil wahrgenommen. Die Integration von KI in den Unterricht selbst erfolgt selten. Vielen Lehrpersonen fehlen didaktische Ansätze, um KI sinnvoll in Lernprozesse einzubinden. Eine Lehrperson beschreibt:
«Ich frage mich oft, wie ich KI so in den Unterricht integrieren kann, dass die Lernenden aktiv profitieren und es nicht nur Zeit frisst.»
Viele Lehrpersonen heben hervor, dass KI die pädagogische Beziehung ergänzen und stärken, jedoch nicht ersetzen sollte. Gleichzeitig äussern sie den Wunsch nach Fortbildungen, die praxisnahe Ansätze vermitteln, um KI gezielt für einen kompetenzorientierten Unterricht einzusetzen.
2. Lernende und KI: Zwischen praktischer Hilfe und fehlender Reflexion
Lernende nutzen KI vor allem, um schulische Aufgaben effizienter zu erledigen. Besonders beliebt ist dabei das Tool MyAI von Snapchat, das aufgrund seiner Benutzerfreundlichkeit geschätzt wird. Aus Sicht der Lernenden bietet es schnelle und verständliche Antworten und erweist sich dadurch als praktische Unterstützung im schulischen Alltag.
Allerdings wird KI häufig heimlich und ohne kritische Auseinandersetzung mit den generierten Inhalten genutzt.
Allerdings wird KI häufig heimlich und ohne kritische Auseinandersetzung mit den generierten Inhalten genutzt. Die Mehrheit der Lernenden hinterfragt weder die Qualität noch die Verlässlichkeit der Ergebnisse. Dies birgt die Gefahr, dass Lernprozesse oberflächlich bleiben und das Lernen auf reine Effizienz reduziert wird.
Die Haltung der Lernenden zur KI-Nutzung variiert je nach Kontext stark. Viele greifen auf KI-Tools zurück, um uninteressante Aufgaben möglichst schnell abzuschliessen. Ein Lernender fasst dies wie folgt zusammen:
«Ich nutze KI-Tools für Hausaufgaben, die mich nicht interessieren, um schneller fertig zu sein. Interessiert mich das Thema, nutze ich KI, um mehr darüber zu erfahren.»
Nur eine kleine Minderheit der Lernenden hat ein ausgeprägtes Verständnis dafür entwickelt, wie KI reflektiert und zielgerichtet eingesetzt werden kann. Diese Lernenden verwenden die Technologie bewusst – beispielsweise zur Vertiefung ihres Wissens oder zur Unterstützung kreativer Aufgaben. Häufig war in solchen Fällen eine Lehrperson involviert, die den gezielten Einsatz von KI angeleitet hat. Der Grossteil der Lernenden hat jedoch Schwierigkeiten, KI-Inhalte kritisch zu bewerten oder sinnvoll in den Lernprozess zu integrieren.
Diese Beobachtungen verdeutlichen, wie wichtig es ist, digitale Kompetenzen systematisch zu fördern. Um die Chancen der KI im Bildungsbereich nachhaltig zu nutzen, müssen die Jugendlichen lernen, verantwortungsvoll und reflektiert mit der Technologie umzugehen. Ein Ansatz, der digitale Reflexionsfähigkeiten in den Mittelpunkt stellt, ist entscheidend, damit KI zu einer wertvollen Unterstützung im Lernprozess werden kann.
3. Offener Umgang und reflektierter Einsatz von KI
Lernende wünschen sich einen offenen Umgang mit KI im Unterricht, um die Technologie nicht mehr heimlich nutzen zu müssen. Viele empfinden die aktuelle Unsicherheit, ob KI-Tools erlaubt sind oder nicht, als hinderlich. Einige Lernende sehen ein ungenutztes Potenzial, wenn sie die neuen Technologien nicht gemeinsam mit ihren Lehrpersonen anwenden können. Eine Lernende bringt es folgendermassen auf den Punkt:
«Es ist viel besser, wenn wir KI offen im Unterricht ausprobieren können, anstatt sie heimlich zu nutzen. So habe ich schon viel gelernt darüber, wie ich sie möglichst gut einsetzen kann.»
Ein offener Ansatz ermöglicht es den Lernenden nicht nur, die Vorteile von KI besser zu nutzen, sondern auch, ihre Kompetenzen im reflektierten und effektiven Umgang mit der Technologie weiterzuentwickeln.
Lehrpersonen betonen, wie wichtig ein reflektierter Umgang mit KI seitens der Lernenden ist. Sie sehen die Gefahr, dass KI als schnelle Lösung genutzt wird, ohne die Qualität und Verlässlichkeit der Inhalte kritisch zu hinterfragen. Aus ihrer Sicht sollte ein reflektierter Einsatz über das Verständnis der Funktionen der Tools hinausgehen: Lernende müssen auch deren Grenzen, mögliche Fehler und Risiken erkennen können. Eine Lehrperson sagt:
«KI sollte im Unterricht nicht nur genutzt werden, um Aufgaben schneller zu erledigen. Es geht darum, dass Lernende lernen, die Technologie kritisch zu hinterfragen und gezielt einzusetzen.»
Lehrpersonen wünschen sich klare Rahmenbedingungen und Leitlinien, die den sinnvollen Einsatz von KI im Unterricht fördern.
Um dies zu ermöglichen, wünschen sich Lehrpersonen klare Rahmenbedingungen und Leitlinien, die den sinnvollen Einsatz von KI im Unterricht fördern. Viele sehen in der Integration von KI nicht nur eine Chance für die Lernenden, sondern auch für sich selbst, den Unterricht innovativer und abwechslungsreicher zu gestalten. Ein gemeinsamer Dialog zwischen Lehrpersonen und Lernenden wird dabei als zentral angesehen.
4. Ethische Fragen und Datenschutz: Vertrauen in KI schaffen
Ein weiteres Thema ist der Umgang mit ethischen Fragen und Datenschutz. Lehrpersonen sind oft unsicher, wie sie KI-Tools datenschutzkonform einsetzen können, insbesondere im Hinblick auf die Verarbeitung personenbezogener Daten der Lernenden. Zudem bestehen Bedenken hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit und Transparenz der generierten Inhalte, da KI-Modelle häufig als «Black Box» agieren. Dies verstärkt das Misstrauen gegenüber der Technologie, insbesondere wenn Lernende die Inhalte unkritisch übernehmen. Eine Lehrperson meint:
«Ich frage mich oft, ob die Daten meiner Lernenden bei der Nutzung solcher Tools wirklich sicher sind.»
Auch ethische Fragestellungen wie mögliche Vorurteile in KI-generierten Inhalten werfen Fragen auf. Lehrpersonen sehen die Notwendigkeit, Lernende für diese Themen zu sensibilisieren, wünschen sich jedoch Unterstützung in Form von Schulungen und Leitlinien.
5. Das Potenzial von KI: Warum transformative Ansätze fehlen
Das SAMR-Modell (Puentedura, 2006) bietet einen hilfreichen Rahmen, um die Integration von Technologien wie KI im Unterricht zu analysieren. Es unterscheidet vier Ebenen:
- Substitution (S): Die Technologie ersetzt eine herkömmliche Methode, ohne dabei eine funktionale Verbesserung zu bieten.
- Augmentation (A): Die Technologie ersetzt eine herkömmliche Methode und führt gleichzeitig zu einer funktionalen Verbesserung.
- Modification (M): Der Einsatz von Technologie führt zu signifikanten Veränderungen in der Lehrmethode.
- Redefinition (R): Die Technologie ermöglicht völlig neue, zuvor unmögliche Lehr- und Lernmethoden.
Transformative Ansätze auf den Ebenen Modification und Redefinition – wie die Gestaltung personalisierter Lernpfade – kamen in den beobachteten Lektionen bislang nicht zur Anwendung.
In den Unterrichtseinheiten zeigte sich, dass der Einsatz von KI nur auf die ersten beiden Ebenen des SAMR-Modells beschränkt war. Technologien wurden hauptsächlich genutzt, um bestehende Werkzeuge zu ersetzen oder zu ergänzen, beispielsweise bei der Erstellung von Unterrichtsmaterialien oder als Brainstorming-Partner. Transformative Ansätze auf den Ebenen Modification und Redefinition – wie die Gestaltung personalisierter Lernpfade – kamen in den beobachteten Lektionen bislang nicht zur Anwendung.
Dabei wird die Notwendigkeit verdeutlicht, nicht nur Prozesse zu optimieren, sondern auch völlig neue didaktische Möglichkeiten zu schaffen. Um dies zu erreichen, ist ein reflektierter Einsatz von KI erforderlich, der über die reine Verbesserung bestehender Prozesse hinausgeht. Es ist jedoch nachvollziehbar, dass sich der beobachtete Unterricht derzeit in einer Phase der Annäherung an KI befindet.
Fazit und Schlussfolgerungen
Die Untersuchung zeigt, dass Generative Künstliche Intelligenz in der Berufsbildung vielseitig genutzt wird, ihr Potenzial jedoch noch nicht voll ausgeschöpft ist. Lehrpersonen nutzen KI vor allem zur Organisation und Materialerstellung, während Lernende die Technologie oft unreflektiert für schnelle Lösungen verwenden. Um KI wirkungsvoll in den Unterricht zu integrieren, sind konkrete Massnahmen erforderlich:
- Über, mit und von KI lernen
Lehrpersonen und Lernende sollten gleichermassen die Möglichkeit erhalten, sich umfassend mit KI auseinanderzusetzen. Das Lernen über KI umfasst ein grundlegendes Verständnis ihrer Funktionsweise, ihrer Stärken, Schwächen und ethischen Implikationen. Das Lernen mit KI fördert die praktische Anwendung, sei es zur Unterstützung von Lernprozessen oder zur kreativen Problemlösung. Schliesslich ermöglicht das Lernen von KI eine kritische Auseinandersetzung mit den generierten Inhalten, ihren Grenzen und ihrer Zuverlässigkeit. Dieser dreifache Ansatz unterstützt eine reflektierte Nutzung der Technologie und fördert die gemeinsame Weiterentwicklung von didaktischen Konzepten. - Offene Kommunikation und Zusammenarbeit auf allen Ebenen
Die Integration von KI in die Berufsbildung erfordert einen offenen Dialog zwischen Lehrpersonen, Lernenden und Schulleitungen. Da der Einsatz von KI für alle Beteiligten ein neues Feld ist, sollten Erfahrungen, Herausforderungen und Erfolge transparent geteilt werden. Diese Offenheit fördert gegenseitiges Verständnis und erleichtert die schrittweise Weiterentwicklung von Einsatzmöglichkeiten. - Innovationsfreudige Schulen als Vorbilder
Es braucht Schulen, die bereit sind, neue Wege zu gehen und traditionelle Strukturen zu durchbrechen. Solche Vorreiterschulen können innovative Ansätze erproben und ihre Erkenntnisse mit anderen teilen. Dabei kann es um Themen wie kollaborative Projekte, kreative Aufgaben oder adaptive Lernumgebungen gehen, die zeigen, wie KI gewinnbringend eingesetzt werden kann. - Kritische Reflexion und ethische Standards
Lehrpersonen und Lernende sollten lernen, KI-gestützte Inhalte kritisch zu hinterfragen und die Grenzen der Technologie zu erkennen. Ergänzend dazu braucht es klare Leitlinien, die Fragen zu Datenschutz, Transparenz und verantwortungsvollem Einsatz der Technologie regeln. Solche Standards schaffen Orientierung und fördern einen bewussten Umgang mit KI.
Informationen zum Projekt
Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen des Projekts PgB-11 «doppeltes Kompetenzprofil» durchgeführt, das von swissuniversities gefördert wird. Es zielt darauf ab, die Qualität der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen und schulischem Personal an Pädagogischen Hochschulen sowie am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) sicherzustellen. Das Projekt legt besonderen Fokus auf die Professionalisierung von Dozierenden und die Nachwuchsförderung in der Berufsbildung, um sicherzustellen, dass Lernende optimal auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts vorbereitet werden. Ein erster Beitrag (Lehrreiche Einblicke in die Wirklichkeit der beruflichen Bildung) aus diesem Projekt ist hier zu finden.
Literatur
- Puentedura, R. R. (2006). Transformation, Technology, and Education.
- Ries, S., & Thompson, J. (2024). Bericht «Lehren und Lernen mit KI in der Berufsbildung: Einblicke in die aktuelle Praxis und Erkenntnisse zum Potential».
Zitiervorschlag
Ries, S., & Thompson, J. (2024). So tasten sich die Berufsfachschulen an die Nutzung von KI heran. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(1).