Buchpublikation zur Ökonomie der Bildung
So teuer ist uns die Berufsbildung
Im vorliegenden Beitrag werden ökonomische Erkenntnisse zu Fragen vorgestellt, die für die Analyse und Gestaltung der Berufsbildung und der Funktionsweise von Berufsbildungssystemen von zentraler Bedeutung sind: Welchen Beitrag leistet die Berufsbildung zum Wirtschaftswachstum? Wie hoch sind die Kosten der beruflichen Grund- und Weiterbildung und wer finanziert sie? Lohnt sich berufliche Bildung für Einzelpersonen und Unternehmen? Der Beitrag basiert auf einem Buch, das Antworten auf diese Fragen auf der Grundlage von aktuellen Forschungen, Erhebungen und Statistiken liefert.
Der Anteil der Berufsbildung am Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten zehn Jahren mit 0,6% stabil geblieben, der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben für die Berufsbildung im genannten Zeitraum jedoch gesunken; er liegt nun bei fast 10%.
Anfang der 1960er-Jahre haben nordamerikanische Ökonomen (u.a. Schultz, 1961) den Beitrag der Bildung zum Wirtschaftswachstum statistisch gemessen. Das Ergebnis war, dass Bildung die Qualifikationen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert, wodurch sich deren Produktivität erhöht und auf makroökonomischer Ebene zu einem Anstieg der nationalen Produktion führt. Diese Erkenntnis war Anlass für die Entstehung der Humankapitaltheorie.
Heute spielt Innovation eine entscheidende Rolle für das Wirtschaftswachstum, und Bildung kann die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft erhöhen. Dabei werden «Innovation und technologische Anpassung zu einem grossen Teil innerhalb des Unternehmens generiert» (Aghion & alii, 2004). Der Bildungsgrad wirkt sich dabei nicht nur unmittelbar auf die Produktivität der ausgebildeten Arbeitnehmerinnen aus; er kann durch Kommunikation und Interaktion (Externalität) auch einen Einfluss auf andere Personen haben.
Die Entstehung der Humankapitaltheorie war Auslöser für verschiedene Forschungsarbeiten im Bereich der Bildungsökonomie, die die privaten, öffentlichen und sozialen Vorteile von Bildung aufzeigten (beispielsweise Aghion, P. & Howitt, P., 2010; Cattaneo, M. A. & Wolter, S. C., 2018). Während der positive Effekt von Bildung auf das Wirtschaftswachstum nachgewiesen wurde, ist es schwieriger, die Auswirkungen eines bestimmten Bildungswegs (in diesem Fall der Berufsbildung) zu messen.
Ermittlung der für die Berufsbildung aufgewendeten Ressourcen
Anhand von Daten des Bundesamtes für Statistik (BFS) wird in dem hier zusammengefassten Buch (Hanhart, S. & Voirol-Rubido, I., 2023) die Entwicklung der Berufsbildungsausgaben der öffentlichen Hand (Bund, Kantone) in der Schweiz über einen Zeitraum von zehn Jahren analysiert. Die Ausgaben der öffentlichen Gemeinwesen umfassen die Zuschüsse des Bundes und die Ausgaben der Kantone (z.B. im Zusammenhang mit dem Betrieb von Berufsfachschulen) nach Abzug der bundesweiten Leistungen. Es zeigt sich, dass der Anteil der Berufsbildung am Bruttoinlandsprodukt mit 0,6% stabil geblieben ist, der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben für die Berufsbildung im genannten Zeitraum jedoch gesunken ist; er liegt nun bei fast 10%.
In der Schweiz sind die Unternehmen stark in die Ausbildung von Lernenden eingebunden.[1] Eine 2016-2017 durchgeführte Erhebung (Gehret, A. & alii, 2019) ergab, dass die Unternehmen geschätzt etwas mehr als fünf Milliarden Franken für die Ausbildung von Lernenden ausgegeben haben (ohne Abzug des Werts der produktiven Leistung der Lernenden).
Unternehmensausgaben für berufliche Weiterbildung
2015 betrugen die jährlichen Durchschnittskosten pro Person in Ausbildung in der Schweiz 1’632 Franken (in der EU 2’728 Franken).
In Bezug auf die berufliche Weiterbildung gibt es in der Schweiz keine aktuellen Daten zu den öffentlichen und privaten Ausgaben. Eine Umfrage aus dem Jahr 2007 ergab Ausgaben von rund 5,3 Milliarden Franken (Messer, D. & Wolter, S. C., 2009).
Das Buch stellt eine Typologie der Kosten für die berufliche Weiterbildung von Unternehmen vor, die interne und externe Anbieter, Beiträge zu öffentlichen und privaten Bildungsfonds und nicht zuletzt den Verdienstausfall der in der Weiterbildung befindlichen Personen einschliesst. 2015 betrugen die jährlichen Durchschnittskosten pro Person in Ausbildung in der Schweiz 1’632 Franken (in der EU 2’728 Franken, OECD, 2020). Diese Kosten variieren je nach Unternehmensgrösse. Weitere Daten zeigen, dass die Unternehmen in der Schweiz im Jahr 2015 durchschnittlich 0,8% ihrer gesamten Lohnsumme für Weiterbildung ausgaben; in der EU lag dieser Anteil bei 1,7%. Auch hier ergab eine Umfrage der EU, dass die Prozentsätze je nach Grösse und Branche variieren (CEDEFOP, 2019).
Finanzierung der Berufsbildung
Die Feststellung, dass die Berufsbildung zum wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand beiträgt, legitimiert private und öffentliche Finanzierung (Hanhart, S., Falter, J.-M. & Pasche, C., 2006). Die Beteiligung der öffentlichen Hand an der Finanzierung der beruflichen Bildung ist aus verschiedenen Gründen wirtschaftlich sinnvoll: Fehlen von Informationen über die Bildungssysteme, Unmöglichkeit der Finanzierung von Bildung aus privaten Mitteln für bestimmte benachteiligte Gruppen, Wille der Behörden, die Nachfrage zu stimulieren und für einen gerechten Zugang zur Bildung zu sorgen (Voirol-Rubido, I., 2017). Die Beteiligung der öffentlichen Hand an der Finanzierung der Berufsbildung in der Schweiz variiert je nach betrachtetem Bildungssegment (Ausbildungstyp, z.B. berufliche Grundbildung) und den angestrebten Zielen. 2019 belief sich die öffentliche Finanzierung der Berufsbildung auf 3,6 Milliarden Franken, wovon drei Viertel von den Kantonen und Gemeinden getragen wurden.
Was speziell die berufsorientierte Weiterbildung betrifft, kam eine Studie (Messer, D. & Wolter, S. C., 2009) zu dem Schluss, dass die Privatwirtschaft im Jahr 2006 5,3 Milliarden Franken beigesteuert hat.
Auswirkungen der Berufsbildung auf die Beschäftigung und das Lohnniveau
Hervorzuheben ist, dass etwas weniger als die Hälfte der Inhaberinnen und Inhaber eines Fähigkeitszeugnisses fünf Jahre nach dem Abschluss im erlernten Beruf geblieben ist.
Bildung bringt private Vorteile mit sich, für die ausgebildeten Personen und für die Unternehmen. Für erstere ist der Nutzen bei der beruflichen Eingliederung (insbesondere der schnellere Zugang zu einem Arbeitsplatz), die Verringerung des Risikos der Arbeitslosigkeit, bessere Aussichten auf eine berufliche Entwicklung und ein höheres Lohnniveau zu nennen. Für die Unternehmen sorgt Bildung dafür, dass ihnen qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Daten des BFS (2020a) zeigen hinsichtlich der beruflichen Grundbildung, dass 2017 über 90% der Männer und über 80% der Frauen eineinhalb Jahre nach Erhalt eines Fähigkeitszeugnisses in den Arbeitsmarkt eingegliedert waren. Ein Jahr nach Abschluss einer Fachhochschule (FH) sind über 90% der Absolventen und 75% der Absolventinnen berufstätig. Die in der Schweiz durchgeführten Studien bestätigen eine hohe Berufseinstiegsquote nach dem Abschluss, sowohl für Inhaberinnen und Inhaber eines Abschlusses der beruflichen Grundbildung als auch für Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen. Ähnliche Feststellungen wurden auch in anderen europäischen Ländern gemacht.
Die Vorteile beruflicher Bildung in Bezug auf die berufliche Eingliederung lassen sich nicht nur an der Geschwindigkeit, in der diese erfolgt, messen, sondern auch daran, inwieweit die erworbenen Kompetenzen den Qualifikationsanforderungen der Arbeitgeber entsprechen. Man könnte erwarten, dass die spezifische Art der im Zuge der Berufsbildung entwickelten Kompetenzen die berufliche Mobilität verringert. Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Berufsbildung in der Schweiz die berufliche Mobilität nicht einschränkt (Eymann, A. & alii, 2011). Hervorzuheben ist, dass etwas weniger als die Hälfte der Inhaberinnen und Inhaber eines Fähigkeitszeugnisses fünf Jahre nach dem Abschluss im erlernten Beruf geblieben ist.
Das Bildungsniveau ist nur einer der Faktoren, die Einfluss auf das Lohnniveau haben. Studien, die in Deutschland und Frankreich durchgeführt wurden (Brébion, 2019), kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Dennoch lässt sich ein Trend feststellen: Die Lohnaussichten sind für eine Person umso günstiger, je höher ihr Bildungsgrad ist (Brébion 2019; BFS 2020b). In der Schweiz hat eine Erhebung der Lohnstruktur im Jahr 2018 gezeigt, dass sich sowohl der Grad als auch das Profil der Ausbildung auf die Höhe der Vergütung auswirken (BFS, 2020b). Generell gilt, dass Berufsbildungen zu niedrigeren Medianlöhnen führen als allgemeinbildende Ausbildungen.
Die Rentabilität der Berufsbildung für Einzelpersonen und Unternehmen
Wie sehr sich eine Ausbildung für eine Einzelperson rentiert, wird durch das Verhältnis zwischen den in der Ausbildungszeit übernommenen Kosten und dem Nettoeinkommen (nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben) bestimmt. In der Regel beziehen sich individuelle Rentabilitätsanalysen auf einen Abschluss einer bestimmten Bildungsstufe (Sekundarstufe II, Tertiärstufe). Im internationalen Vergleich (OECD-Länder) ist der finanzielle Nutzen für einen Mann resp. eine Frau mit einem Abschluss der gesamten Sekundarstufe II in der Schweiz hoch, nämlich 508’460 bzw. 394’300 Franken (OECD, 2020, 120-121).
Wie rentabel ist es für Unternehmen, Lernende auszubilden? Wie hoch sind also die Kosten (für Betreuungspersonen, Lohn der Lernenden, Materialkosten) in Relation mit dem Nutzen (monetäre Schätzung der produktiven Leistung der Lernenden)? Verschiedene Untersuchungen, die seit Ende der 1990er-Jahre in der Schweiz durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass sich die Ausbildung von Lernenden für die ausbildenden Betriebe meist lohnt. Eine der jüngsten Studien (Gehret & coll., 2019) kommt zum Schluss, dass die Lehrbetriebe bei einer dreijährigen Lehre einen Reingewinn von zwischen 7’550 und 13’310 Franken erwirtschafteten.
[1] Es gibt keine umfassenden, aktuellen Daten über die Anzahl der Unternehmen, die Lernende ausbilden. Im Jahr 2008 war laut Zahlen des BFS etwa eins von fünf Unternehmen ein Lehrbetrieb.Literatur
- Aghion, P. & Cohen, E. avec la collab. De Dubois, E. & Vandenbussche, J., 2004. Education et croissance. Paris, La Documentation française.
- Aghion, P. & Howitt, P. 2010, L’économie de la croissance. Paris, Economica.
- Banque Mondiale, 2024, Facteur de conversion PPA, PIB (Unités de devises locales par $ international) – Switzerland.
- Brébion, C., 2019, « L’apprentissage, un meilleur ‘rendement’ professionnel en France qu’en Allemagne », Formation emploi, 142(2), 101-127.
- Cattaneo, M. A. & Wolter, S. C. 2018, « La formation, un investissement rentable ? » La vie économique, 3, 42-43.
- CEDEFOP, 2019, Continuing vocational training in EU enterprises: developments and challenges ahead. Research Paper no 280, Luxembourg, Publications Office of the European Union.
- Eymann, E., Muller, B.& Schweri, J., 2011, « Souplesse sur le marché du travail et formation professionnelle », La Vie économique, 81(12), 67-70.
- Gehret, A. & alii, 2019, Formation des apprenti.e.s : Quels intérêts pour les entreprises ? Résultats de la quatrième étude coût/bénéfice. Lausanne, Institut fédéral des hautes études en formation professionnelle.
- Hanhart, S. Falter J.-M. & Pasche, C., 2006, Formation professionnelle générale et continue et croissance économique. Etat de la question et propositions de pistes de recherche en Suisse. Genève : Université de Genève.
- Hanhart, S. & Voirol-Rubido, I., 2023, Peut-on faire l’économie de la formation professionnelle ? Étude sur la formation professionnelle en Suisse. Louvain-la-Neuve, Editions Academia.
- Messer, D. & Wolter, S. C., 2009, « Les dépenses pour la formation continue en Suisse : une estimation ». La Vie économique, 6-2009, 41-44.
- OCDE, 2020, Regards sur l’éducation 2020. Les indicateurs de l’éducation. Paris, OCDE.
- OFS, 2020a, Intégration sur le marché du travail 2018. Chiffres clés, Berne.
- OFS, 2020b, Enquête sur la structure des salaires 2018. Neuchâtel,
- Schulz, T. W., 1961, « Investment in Human Capital ». The American Economic Review, 51(1), 1-17.
- SEFRI, 2021, La formation professionnelle en Suisse. Faits et chiffres 2021. Berne.
- Voirol-Rubido, I., 2017, Le financement de la formation continue. Le potentiel du cofinancement orienté vers l’usager. Saarbrücken, Editions universitaires européennes.
Zitiervorschlag
Hanhart, S., & Voirol-Rubido, I. (2024). So teuer ist uns die Berufsbildung. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(13).