Fachkundige individuelle Begleitung (FiB), hep Verlag
Ein Auffangnetz, das wirklich hält
Fachkundige individuelle Begleitung (FiB) unterstützt Lernende mit beruflichen, schulischen oder sozialen Problemen in der beruflichen Grundbildung, um sie erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. In den letzten 20 Jahren ist die FiB vor allem für Lernende in einer beruflichen Grundbildung mit Eidgenössischem Berufsattest (EBA) zu einem wichtigen Unterstützungsinstrument geworden. Die Umsetzung von FiB ist kantonal unterschiedlich geregelt, sie setzt aber allgemein bei den individuellen Bedürfnissen der Lernenden an. Ein neues Buch im hep Verlag stellt Gelingensfaktoren einer erfolgreichen FiB vor.
Was ist Fachkundige individuelle Begleitung (FiB)?
FiB ist demnach ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht nur schulische Komponenten, sondern alle Aspekte, die den Ausbildungserfolg beeinflussen, berücksichtigt.
Fachkundige individuelle Begleitung (FiB) unterstützt Lernende mit Lernschwierigkeiten oder psychosozialen Problemen innerhalb der beruflichen Grundbildung entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen, um einen Ausbildungsabbruch, wenn möglich, zu verhindern (SBFI, 2018). FiB setzt, vereinfacht gesagt, dort an, wo die begleitenden Massnahmen von Berufsfachschule und Betrieb nicht ausreichen. «Schwachen» Lernenden, meist Lernenden mit eidgenössischem Berufsattest (EBA),[1] kann eine coachende Person, eine sogenannte «FiB-Person», bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden (Müller & Fischer, 2024).
Eine FiB-Person begleitet die lernende Person fachkundig und individuell während der Dauer der beruflichen Grundbildung und coacht sie zu psychosozialen (z.B. Belastungen innerhalb der Klasse) und persönlichen Themen (z.B. fehlende Lernmotivation) sowie in den Bereichen der Problemlösungsstrategien (z.B. eigenständigem Arbeiten) und allgemeinen Lernstrategien (z.B. Vorbereitung auf das Qualifikationsverfahren) (SBFI, 2018). FiB ist demnach ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht nur schulische Komponenten, sondern alle Aspekte, die den Ausbildungserfolg beeinflussen, berücksichtigt. Kernthemen von FiB-Studiengängen, in denen FiB-Personen ausgebildet werden, sind u.a. Verhaltensauffälligkeiten in der Adoleszenz, Lernen mit ADHS und ADS, Binnendifferenzierung, Lerncoaching, Förderdiagnostik sowie Selbstmanagement.
FiB-Personen müssen über Kompetenzen in den Bereichen Kommunikation, Coaching und Beratung, Multikulturalität und Lernpsychologie verfügen (Wolfensberger, 2008). Überdies sollten sie in der Lage sein, sich ein gutes Netzwerk zu schulischen Ämtern und Diensten aufzubauen, das sie im Umgang mit FiB-Lernenden stark entlasten kann. Häufig sind FiB-Personen Lehrpersonen, die in der zweijährigen Grundbildung unterrichten.
Wann wurde FiB eingeführt?
Mit der Einführung des neuen Berufsbildungsgesetzes (nBBG) wurde ein neuer, eigenständiger Bildungsabschluss, das Eidgenössische Berufsattest (EBA), geschaffen. Dieser bietet leistungsschwachen Lernenden innerhalb des formalen Bildungssystems erstmals einen Anschluss an das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ). Auch hier gilt der Grundsatz: «Kein Abschluss ohne Anschluss!»
Die berufliche Grundbildung mit EBA soll den individuellen Voraussetzungen der Lernenden Rechnung tragen (nBBG, Art. 17). Gleichzeitig fanden auch die unterschiedlichen Leistungsniveaus in der beruflichen Grundbildung erstmalig Berücksichtigung, indem «besondere Bestimmungen über die fachkundige individuelle Begleitung» erlassen wurden (nBBG, Art. 18,2). Den individuellen Erfordernissen der Lernenden soll darüber hinaus mit einem spezifischen Lernangebot und einer angepassten Didaktik Rechnung getragen werden (BBV, Art 10,1). EBA und FiB sollen dazu beitragen, dass – wie Bund, Kantone und Organisationen der Arbeit es anstreben – mindestens 95% der 25-Jährigen in der Schweiz über einen Bildungsabschluss auf Sekundarstufe II verfügen (BFS, o.J.).
Wie wird FiB umgesetzt?
Grundsätzlich entscheidet nach Anhörung der Lernenden sowie des jeweiligen Bildungsanbieters bei Gefährdung des Bildungserfolges eine kantonale Stelle über die Aufnahme der Lernenden in eine FiB.
Die Umsetzung der FiB ist je nach Kanton verschieden geregelt und wird an den Schulen und/oder kantonalen Stellen sehr unterschiedlich umgesetzt. Grundsätzlich entscheidet nach Anhörung der Lernenden sowie des jeweiligen Bildungsanbieters bei Gefährdung des Bildungserfolges eine kantonale Stelle über die Aufnahme der Lernenden in eine FiB (BBV, Art 10, 4; s. Müller & Fischer, 2024). Hierbei wird zwischen drei Umsetzungsmodellen unterschieden, die sich nach kantonaler und/oder schulischer FiB-Einbindung differenzieren lassen (SBFI, 2018):
- Kantone, in denen FiB kantonal umgesetzt wird (JU, SH, TI, VD, VS),
- Kantone, die FiB an Schulen delegieren (AG, AR, BS, BL, FR, GL, GR, SO, TG, ZH) sowie
- Kantone, die FiB gemeinsam mit den Schulen umsetzen (BE, GE, LU, NE, NW, OW, SG, SZ, UR, ZG)
Im Modell der kantonalen FiB-Umsetzung erfolgt die Einzelberatung in kantonaler Regie durch kantonale oder externe FiB-Personen.
In den Modellen der schulischen Implementierung kann FiB z.B. vollständig in den Regelunterricht integriert und somit für alle Lernenden obligatorisch sein (Modell A). In diesem Modell sind die Lehrpersonen auch die FiB-Personen. FiB-Unterricht wird aber auch in Form einer Zusatzlektion im Stundenplan angeboten; sie ist damit nur z.T. obligatorisch (Modell B) Die FiB-Person ist hier meist die Klassenlehrperson. FiB kann schliesslich in Form einer Einzelberatung obligatorisch in Form von Standortgesprächen oder fakultativ in Form von Sprechstunden nach Bedarf für alle EBA-Lernenden an Schulen angeboten werden (Modell C). Die FiB-Person ist hier meist eine Lehr- oder Fachperson (s. SBFI, 2018).
In der Realität finden sich häufig Mischformen dieser Umsetzungsmodelle (Modelle A bis C). Im Kanton Luzern wird FiB beispielsweise in die folgenden drei Bereiche unterteilt:
- Schulische Begleitung (SB)
- die zusätzliche schulische Begleitung (SB Plus) und
- die individuelle Begleitung (IB).
Die SB ist ein Einzelcoaching, das während der verpflichtenden Unterrichtszeit stattfindet, während die SB Plus auf der SB aufbaut und sich an Lernende mit einem intensiveren Betreuungsbedarf ausserhalb des obligatorischen Unterrichts richtet. Die IB schliesslich bietet beispielsweise Unterstützung bei psychosozialen Belastungen, zur Bewältigung von psychischen Problemen/Störungen, zur Persönlichkeitsentwicklung oder der Überwindung von Problemen im Ausbildungsbetrieb, zur Verbesserung der Selbst- und Sozialkompetenzen, der Behebung von Teilleistungsstörungen, bei sprachlichen Defiziten etc.
FiB ist oft mit anderen kantonale Unterstützungsangeboten und Angeboten externer Fachstellen verbunden, wie beispielsweise Case Management Berufsbildung, Coaching, psychologische Beratung, Suchtberatung.
Erfolgsfaktoren von FiB
Den FiB-Personen sollten zudem ausreichend zeitliche und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, die möglichst flexibel eingesetzt werden können, um optimal genutzt zu werden.
Die Evaluation (SBFI, 2018) verschiedener FiB-Konzepte von Kantonen und Schulen zeigt, dass FiB einen bedeutenden Beitrag zum Lernerfolg von Lernenden in der beruflichen Grundbildung mit EBA leistet und Ausbildungsabbrüche ohne geeignete Anschlusslösung verhindert. Für das Gelingen von FiB wurden verschiedene Erfolgsfaktoren identifiziert (vgl. SBFI, 2018). Demnach ist es wichtig, ein Konzept einzuführen, dass nicht auf Freiwilligkeit beruht, sondern Verbindlichkeit etwa in Form von FiB-Lektionen oder Standortgesprächen herstellt. Es sollte bei Bedarf auch eine Einzelbegleitung durch ausgebildete FiB-Personen sichergestellt werden, da nicht alle Themen im Klassenverband besprochen werden können. FiB sollte möglichst frühzeitig eingesetzt werden. Von daher sollte sichergestellt werden, dass mit den Lernenden in Kontakt stehende Personen für FiB sensibilisiert sind. FiB ist anspruchsvoll, weshalb die Coaches aus- und kontinuierlich weitergebildet werden sollten. Ansprüche an ihre Tätigkeit sollten klar definiert werden. Den FiB-Personen sollten zudem ausreichend zeitliche und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, die möglichst flexibel eingesetzt werden können, um optimal genutzt zu werden. Schliesslich ist ein enger Austausch zwischen Schulen, Kantonen und anderen bildungsrelevanten Akteuren notwendig, um Probleme frühzeitig zu erkennen.
Das Buch thematisiert neben den Gelingensbedingungen einer erfolgreichen FiB Inhalte und Kompetenzen, die FiB-Personen in ihrer täglichen Arbeit mit lernschwachen Lernenden unterstützen sollen.
[1] Es können auch Lernende in einer beruflichen Grundbildung mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) durch FiB unterstützt werden.Literatur
- Bundesamt für Statistik (BFS) (o. J.). Sekundarstufe II. Abschlussquote.
- Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) (2018). Fachkundige individuelle Begleitung in beruflichen Grundbildungen mit EBA. Begriffsklärung, Umsetzungsformen und Empfehlungen für die Praxis. SBFI: Bern.
- Wolfensberger, R. (2008). «Überzeugt, dass wir den Lernenden wirklich helfen.» Folio, 1, 15–17.
- Müller, R., & Fischer, S. (2024). Fachkundige individuelle Begleitung (FiB). Eine herausfordernde Notwendigkeit! In Fischer, S. (Hrsg.), Fachkundige individuelle Begleitung (FiB). Gelingensfaktoren in der beruflichen Grundbildung, 16-24. Bern: hep.
Zitiervorschlag
Fischer, S. (2025). Ein Auffangnetz, das wirklich hält. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 10(2).