Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Buchpublikation «Validierung non-formal und informell erworbener Kompetenzen»

Wie rentabel ist die Validierung von Bildungsleistungen?

Personen ohne formalen Bildungsabschluss können über die Validierung von Bildungsleistungen ihre beruflichen Kompetenzen sichtbar machen und anerkennen lassen. Eine ökonomische Betrachtung des Instruments zeigt, dass es – aus individueller Sicht – weniger monetäre Anreize sind, welche Personen für eine Validierung ihrer Fähigkeiten motivieren, denn erhebliche Lohnanstiege sind nach Abschluss des Verfahrens nicht zu beobachten. Der Validierung kommt stattdessen stärker die Funktion eines Signals auf dem Arbeitsmarkt zu, das bei einem Jobwechsel eine wichtige Rolle spielen und das Risiko einer Erwerbslosigkeit verringern kann. Ein Abschluss auf Sekundarstufe II bringt also Verwirklichungschancen mit sich: neben höherer Mobilität auf dem Arbeitsmarkt auch die Möglichkeit zu Weiterqualifikationen sowie soziale und berufliche Anerkennung.


1. Einleitung

Rund die Hälfte der Sozialhilfe beziehenden Personen in der Schweiz besitzt keinen Abschluss auf Sekundarstufe II (Lehre oder allgemeinbildende Mittelschule.

Die Validierung von Bildungsleistungen wurde im revidierten Berufsbildungsgesetz im Jahr 2004 in der Schweiz eingeführt, damit Personen ohne nachobligatorische Ausbildung ihre Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt sicht- und nutzbar machen können. Die Kandidatinnen und Kandidaten können mittels Portfolio ihre beruflichen Kompetenzen nachweisen und fehlende Kompetenzen in Kursen nachholen. Das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) oder das Eidgenössische Berufsattest (EBA) wird bei Vollständigkeit des Portfolios ohne weitere Prüfung verliehen. Formen des Nachweises sind unter anderem Reflexionsberichte und Prüfungsaufgaben in der Praxis. Daher ist eine Arbeitsstelle erforderlich, um die Kompetenzen des entsprechenden Berufes nachweisen zu können.

Die Validierung von Bildungsleistungen ist eine von vier Möglichkeiten, wie Erwachsene in der Schweiz einen Berufsabschluss erreichen können. Sie wurde unter anderem als Instrument gegen den Fachkräftemangel eingeführt. Zudem definierte das eidgenössische Departement des Innern EDI im Rahmen der Strategie zur Bekämpfung der Armut 2014 bis 2018 (EDI 2018) Berufsabschlüsse für Erwachsene neben früher Förderung und Berufseinstieg als Schwerpunkt. Rund die Hälfte der Sozialhilfe beziehenden Personen in der Schweiz besitzt keinen Abschluss auf Sekundarstufe II (Lehre oder allgemeinbildende Mittelschule, Städteinitiative Sozialpolitik 2022). Ausbildungslosigkeit gilt als eine der grössten Armutsrisiken. Dies veranlasste die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe sowie den Schweizerischen Verband für Weiterbildung, ein Positionspapier «Arbeit durch Bildung» zu verfassen, in welchem neben dem Absolvieren einer beruflichen Grundbildung auch die Förderung von Grundkompetenzen sowie das Erwerben von beruflichen Qualifikationen unterhalb der Schwelle der beruflichen Grundbildung im Zentrum stehen (SKOS & SVEB, 2018).  

Eine ökonomische Perspektive auf die Validierung von Bildungsleistungen ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Erstens wird durch Deckung des Fachkräftebedarfs die Produktivität in der Schweiz gesichert. Zweitens kann der Lebensstandard von Personen gesichert oder sogar gesteigert werden. Im folgenden Beitrag wird untersucht, inwiefern auf individueller und gesellschaftlicher Ebene ökonomische Anreize zur Durchführung einer Validierung eine Rolle spielen.

2. Signal oder Humankapital?

Bildung kann ökonomisch als Signal auf dem Arbeitsmarkt verstanden werden, das eine bestimmte Produktivität verspricht (Spence, 1973). Besitzen Arbeitnehmende einen Bildungsabschluss, der sie zur Ausübung eines bestimmten Berufs befähigt, so können sie bei sonst gleichen Voraussetzungen davon ausgehen, dass sie mit diesem Diplom mehr verdienen als eine Person, die keines besitzt. Ihre Arbeitsstellen haben eine höhere Produktivität als Stellen, für die kein Bildungsabschluss vorausgesetzt wird. Neben dem Bildungsabschluss haben weitere Ressourcen der Person wie Gesundheit, Sprachkenntnisse, soziale Netzwerke und insbesondere die Arbeitserfahrung einen Einfluss auf den zu erwartenden Lohn. Mincer (1974) hat eine Formel entwickelt, die den Lohn einer Person als abhängig von persönlichen Ressourcen sowie unveränderlichen Merkmalen (Jahrgang, Geschlecht, Herkunft) berechnet.[1]

Das der Signaltheorie zugrunde liegende Modell geht davon aus, dass die unterschiedliche Produktivität von Menschen durch das Erwerben von Bildungsabschlüssen sichtbar gemacht wird, wobei Bildungsabschlüsse für produktivere Individuen mit geringeren «signaling costs» verbunden sind, da ihnen das Lernen leichter fällt. Die Validierung von Bildungsleistungen weist insofern den Charakter eines Signals auf, als dass die Kandidierenden nachweisen, dass sie die dem Berufsabschluss entsprechenden Fähigkeiten besitzen. Die betreffende Person weist mit dem Validierungsverfahren nach, dass ihre Produktivität derjenigen einer Arbeitskraft mit Zeugnis oder Attest entspricht.

In der Humankapitaltheorie nach Becker (1964) wird Bildung als Investition verstanden, die in Zukunft Erträge verspricht. Eine Investition in das Humankapital lohnt sich für die Investierenden, also das Individuum, den Ausbildungsbetrieb und die Gesellschaft, wenn ihre Ertragsrate höher ist als diejenige alternativer Investitionsmöglichkeiten. Private und öffentliche Bildungsrenditen von Abschlüssen auf Sekundarstufe II werden von der OECD laufend ländervergleichend veröffentlicht (OECD 2021, indicator A5). Die private Bildungsrendite bezieht sich auf die Lohnsteigerung, die Personen mit einem Bildungsabschluss erreichen (vgl. auch OECD 2022, indicator A4). Die öffentliche Bildungsrendite ergibt sich aus Steuererträgen auf höheren Löhnen und aus geringeren staatlichen Sozialausgaben bei Erwerbslosigkeit.

Bei Berufsabschlüssen, die nach dem üblichen Abschlussalter (bis 25 Jahre) erfolgen, muss für die Berechnung der Renditen berücksichtigt werden, dass die Erträge für eine kürzere Zeitperiode bis zur Pensionierung anfallen. Cunha & Heckman (2007) zeigen, dass später im Lebensverlauf erworbene Kompetenzen einen geringeren Einfluss auf zukünftige Produktivität und Einkommen haben. Sie beschreiben diesen Zusammenhang mit «skills beget skills»: Auf Basis bereits erworbener Kompetenzen können sich weitere Kompetenzen entwickeln. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass Personen mit einem Abschluss auf Sekundarstufe II Zugang zu weiteren (teilweise tertiären) Aus- und Weiterbildungen erlangen. Die im Folgenden dargestellten Berechnungen zur Rentabilität einer Validierung beziehen sich auf Personen ohne nachfolgenden tertiären Bildungsabschluss.

3. Abschlüsse und Potenzial für Validierungen

Im Jahr 2016 haben 554 Personen durch das Validierungsverfahren eine EFZ oder EBA erhalten, im Jahr 2022 waren es 526.

Das Potenzial an Personen, die über eine Validierung einen beruflichen Erstabschluss nachholen könnten, wird auf zwischen 52’000 und 170‘000 Personen geschätzt, was bis zu einem Viertel der ausbildungslosen Personen im Alter von 25 bis 64 Jahren entspricht (Fritschi et al., 2012). Das Validierungsverfahren sowie die direkte Zulassung zur Abschlussprüfung setzen eine 5-jährige Berufspraxis voraus, davon mindestens zwei Jahre im Berufsfeld des angestrebten Abschlusses. Dass dieses Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist, zeigen die Zahlen zu den jährlichen Abschlüssen über ein Validierungsverfahren. Im Jahr 2016 haben 554 Personen durch das Validierungsverfahren eine EFZ oder EBA erhalten (SBFI 2019), im Jahr 2022 waren es 526 (Tabelle).

Lesebeispiel: Im Jahr 2022 haben 1667 Personen im Alter über 25 via verkürzte Berufsbildung (BB) ein EFZ erworben. Das entspricht 3% aller Abschlüsse mit EFZ. Zu beachten: In den Zahlen sind auch Zweitabschlüsse mitgezählt. Von den 486 Validierungen EFZ sind 448 Erstabschlüsse und 38 Zweitabschlüsse, bei den Validierungen EBA handelt es sich ausschliesslich um Erstabschlüsse. Quelle: BFS

Mehr als die Hälfte dieser Abschlüsse von Validierungen wurden von Personen im Alter ab 40 Jahren realisiert. Die Dauer eines Validierungsverfahrens kann je nach Bedarf an ergänzender Bildung etwas mehr als fünf Jahre betragen. Das Validierungsverfahren steht nur in zwölf Berufen zur Verfügung.[2]  Die häufigsten Berufe mit Validierungsabschlüssen waren zu Beginn Fachangestellte Gesundheit, Fachmann Betreuung, Kaufleute und Logistikerin (EFZ). Bis 2021 kamen die Berufe Assistent Gesundheit und Soziales mit eidgenössischem Berufsattest (EBA), Köchin EFZ sowie Produktionsmechaniker EFZ neu hinzu. Berücksichtigt man alle vier Wege, welche Erwachsenen offenstehen, um einen Berufsabschluss zu erlangen, so wurden im Jahr 2016 inklusive Validierungsverfahren 8’593 Berufsabschlüsse an Erwachsene verliehen, 2022 waren es 8999 (SBFI 2019 sowie Tabelle). Damit wurde etwa jeder siebte Berufsbildungsabschluss von einer Person im Alter über 25 erreicht.

4. Private und öffentliche Rendite der Validierung von Bildungsleistungen

Dieser zu erwartende Lohnzuwachs von 6% erscheint als relativ geringer ökonomischer Anreiz, um einen Lernaufwand von einem halben bis zwei Tagen pro Woche während ein bis drei Jahren auf sich zu nehmen.

Ob sich Personen ohne Ausbildung dafür entscheiden, einen Berufsabschluss für Erwachsene zu machen, ist unter anderem von der privaten Bildungsrendite abhängig. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen von Personen mit einem Berufsabschluss für Erwachsene lag 2012 um 9.5% höher als das Bruttoeinkommen von Personen mit Potenzial für einen Berufsabschluss für Erwachsene (Fritschi 2018). Dieser Lohnunterschied ist teilweise auch auf andere Faktoren wie das Geschlecht, den Migrationshintergrund oder die Branche zurückzuführen. Unter Berücksichtigung dieser Einflüsse verbleibt eine Differenz von 2’879 CHF im jährlichen Erwerbseinkommen, die nur auf den Berufsabschluss für Erwachsene zurückzuführen ist. Dieser zu erwartende Lohnzuwachs von 6% erscheint als relativ geringer ökonomischer Anreiz, um einen Lernaufwand von einem halben bis zwei Tagen pro Woche während ein bis drei Jahren auf sich zu nehmen (Fritschi 2023, 125).

Wird das auf 100% Beschäftigungsgrad standardisierte Einkommen betrachtet, so zeigen sich in den acht Jahren nach einem Ausbildungsabschluss auf Sekundarstufe II deutliche Unterschiede zwischen Altersgruppen (Abbildung 1). Personen, die im Alter von unter 30 Jahren einen Berufsbildungsabschluss erreichen, weisen zwar ein deutlich geringeres Bruttoerwerbseinkommen zum Zeitpunkt des Abschlusses auf, hingegen eine starke Steigerung in den Jahren nach dem Abschluss. Für Personen, die den Berufsbildungsabschluss im Alter 30 bis 39 erreichen, steigt das Bruttoerwerbseinkommen in den acht darauffolgenden Jahren leicht an, für Personen mit Abschluss im Alter ab 40 Jahren bleibt es konstant.[3]

Abbildung 1: Einkommensverlauf nach Berufsabschluss, für Alterskategorien. Quelle: SAKE SESAM 2012, 2015 (gepoolt, n= 4’436), OLS Regression, R2 = 0.16, Konfidenzintervalle 95%. Die Grafik zeigt die Lohnentwicklung in den acht Jahren nach Erreichen eines Lehrabschlusses von unterschiedlichen Altersgruppen. Die Gruppe der Personen 40+ erreicht durch einen späten Lehrabschluss keinen Lohnfortschritt mehr.

Abbildung 2 zeigt, dass Personen mit einer Validierung von Bildungsleistungen häufig Teilzeit arbeiten. Dies ist in den Branchen Gesundheits- und Sozialwesen sowie Wirtschaft und Verwaltung typisch, in denen Validierungen am häufigsten vorkommen. Die Personen mit einer verkürzten Lehre oder einer Direktzulassung weisen hingegen ein konstantes (Vollzeit-)Erwerbspensum auf, das nur während der Ausbildung teilweise kurz reduziert wird. Entsprechend steigt bei Personen mit einem Abschluss über die verkürzte Lehre oder Direktzulassung nicht nur das standarisierte, sondern auch das Bruttoeinkommen um rund 20% an.

Abbildung 2: Indikatoren des Erwerbsverlaufs bei Berufsabschlüssen für Erwachsene. Quelle: Fritschi (2018). Datenerhebung Kantone BE und ZG, n = 10, missing = 2. graue Linien = individuelle Fallverläufe, farbige Linien = Durchschnitt nach Ausbildungstyp

Es scheinen nicht primär monetäre Anreize zu sein, welche Personen für einen Berufsabschluss für Erwachsene motivieren, insbesondere für eine Validierung. Aus ökonomischer Sicht kommt einer Validierung daher stärker die Funktion eines Signals auf dem Arbeitsmarkt zu.

Es scheinen nicht primär monetäre Anreize zu sein, welche Personen für einen Berufsabschluss für Erwachsene motivieren, insbesondere für eine Validierung. Aus ökonomischer Sicht kommt einer Validierung daher stärker die Funktion eines Signals auf dem Arbeitsmarkt zu als die Funktion einer Steigerung des Humankapitals. Dieses Signal kann bei einem Jobwechsel eine wichtige Rolle spielen und dabei das Risiko einer Erwerbslosigkeit verringern. Bei gleichbleibender Arbeitsstelle ist jedoch häufig kein grosser Lohnzuwachs zu erwarten. Aus der Perspektive des Befähigungsansatzes (Sen 1999) bringt ein Abschluss auf Sekundarstufe II jedoch auch Verwirklichungschancen mit sich wie z.B. höhere Mobilität auf dem Arbeitsmarkt, durch den Berufsabschluss ermöglichte Weiterqualifikationen sowie soziale und berufliche Anerkennung.

Investitionen in die Berufsbildung von Erwachsenen lohnen sich hingegen aus ökonomischer Sicht für den Staat. Fritschi (2018) berechnet für Berufsabschlüsse für Erwachsene in der Schweiz eine Bildungsrendite der öffentlichen Hand von 2.7 %. Diese liegt tiefer als bei Abschlüssen von jüngeren Personen (4.7%, OECD 2021, indicator A5)[4]. Dies hat insbesondere damit zu tun, dass die Erträge während weniger langer Zeit nach dem Abschluss anfallen. In einem Arbeitsmarkt mit Fachkräftemangel wie in der Schweiz sind Berufsabschlüsse für Erwachsene trotzdem eine lohnende Investition für den Staat, weil sie längerfristig zu Einsparungen von Sozialausgaben führen.

[1] Diese wird auch heute noch verwendet, um Lohngleichheit am Arbeitsmarkt zu messen bzw. mögliches lohndiskriminierendes Verhalten der Arbeitgebenden festzustellen (BFS 2021). Dabei werden produktivitäts-relevante Signale wie Bildungsabschluss und Arbeitserfahrung von nicht produktivitäts-relevanten Merkmalen wie Geschlecht oder Herkunft verzerrt.
[2] Übersicht auf der Website der Berufsberatung.
[3] Ich danke an dieser Stelle ganz herzlich Olivier Lehmann (BFH) für die Berechnungen und Erstellung der Grafik.
[4] Gleichgewichteter Durchschnitt für Frauen (3.3%) und Männer (6.2%) für das Jahr 2018, basierend auf Webtables.

Ausführliche Version dieses Beitrags

Eine ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in: Schmid, M. (Hg.) (2023). Handbuch Validierung non-formal und informell erworbener Kompetenzen. Bielefeld: wbv (open access). Das Handbuch enthält das gesamte Fachwissen über Anerkennungs- und Validierungsverfahren non-formal und informell erworbener Kompetenzen im deutschsprachigen Raum. Renommierte Autorinnen und Autoren präsentieren theoretische und praktische Aspekte, Prozesse und Methoden, disziplinäre Zugänge, Ziele, Zielgruppen sowie Zukunftsperspektiven. Dabei werden auch kritische und kontroverse Positionen zur Lösung dieser bildungspolitischen Herausforderung diskutiert. Ein Interview mit dem Herausgeber Martin Schmid finden Sie hier.

Zitiervorschlag

Fritschi, T. (2023). Wie rentabel ist die Validierung von Bildungsleistungen?. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(7).

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