Das EHB wird zur Hochschule: Interview mit Direktorin Barbara Fontanellaz
An der Schwelle in eine neue Ära
Das EHB wird erwachsen: Mit diesem Bild beschreibt EHB-Direktorin Barbara Fontanellaz den Wechsel vom Hochschulinstitut zur Hochschule, der am 1. August 2021 rechtskräftig geworden ist. Allerdings ist es wie bei 18-Jährigen auch: Ganz handfest zu greifen sind die Veränderungen noch nicht. Weiter zu Diskussionen Anlass gibt die Eigenheit der EHB als nationale Einrichtung mit regionaler Verankerung.
Von Daniel Fleischmann
Barbara Fontanellaz, seit dem 1. August ist das EHB eine Hochschule – jetzt heisst es die EHB, nicht mehr das EHB. Feiern Sie?
Wir wollen intern feiern, wenn möglich noch im Sommer. Nächstes Jahr dann werden wir 50. Wir planen dafür diverse Veranstaltungen und eine Jubiläumsschrift.
Die EHB, eine Hochschule: Was bringt dieser neue Status?
Das ist nicht so leicht zu greifen. Vielleicht kann man es so ausdrücken: Als Hochschule wird unser Haus erwachsen. Dies ist als Metapher zu verstehen, die eng mit Fragen der weiteren Entwicklungen und Identitätsbildung verbunden ist. Die EHB gehört zwar weiter dem Bund und unterliegt den Beschlüssen im Rahmen der BFI-Botschaften. Aber sie hat ein eigenes Gesetz erhalten, das ihre Rolle im Kontext der Berufsbildung und im Hochschulraum klärt und festigt.
Barbara Fontanellaz
Dr. Barbara Fontanellaz ist seit 1. März 2020 Direktorin der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung EHB. Sie promovierte 2008 an der Universität Zürich zum Thema «Auf der Suche nach Befreiung – Politik und Lebensgefühl innerhalb der kommunistischen Linken. Eine sozialwissenschaftliche Analyse zum Phänomen des ‚Linksextremismus‘ in der Schweiz» und leitete von 2014 bis Anfang 2020 den Fachbereich Soziale Arbeit der Fachhochschule St. Gallen. Barbara Fontanellaz war Mitglied des Stiftungsrats des Schweizerischen Nationalfonds und präsidierte bis 2020 die Fachkonferenz Soziale Arbeit der Fachhochschulen Schweiz.
Wie gross sind die Erwartungen an den Wechsel?
Sehr gross, sowohl innerhalb der EHB als auch ausserhalb. Im eigenen Haus müssen wir Klarheit darüber finden, wie sich unsere Identität weiter festigen lässt, wie wir uns künftig zwischen Hochschul- und Berufsbildungskultur positionieren. Auch die Erwartungen von aussen sind hoch: An die EHB als Dienstleisterin für die Organisationen der Arbeitswelt, als Impulsgeberin für die Entwicklung der Berufsbildung und als Begleiterin der Berufsfachschulen etwa in Fragen der Digitalisierung.
Warum wollte das EHB eine Hochschule werden?
Um im Hochschulraum die Anliegen der Berufsbildung angemessen vertreten zu können. Es war deshalb der Wille der Politik, die Expertiseorganisation der Berufsbildung als Hochschule zu etablieren. Auch um die Akkreditierung gemäss Hochschulförderungsgesetz (HFKG) zu ermöglichen, schuf man das EHB-Gesetz.
Was leistet dieses neue Gesetz?
Es regelt die Zusammenarbeit zwischen der EHB, den Organisationen der Arbeitswelt und den Kantonen, die Vergabe von Lehrdiplomen und weiteren Titeln, Fragen von Organisation, Personalrecht, Finanzierung, Bundesaufsicht, Umgang mit Personendaten und vieles mehr. Es verpflichtet uns u.a. dazu, eine neue Personalverordnung zu schaffen, ein Organisationsreglement zu entwickeln oder eine Mitwirkungsverordnung zu erarbeiten. Zentrale inhaltliche Dokumente bilden darüber hinaus die strategischen Ziele des Bundesrates und die strategischen Leitlinien für die EHB 2021-2028. Letztere werden von der Hochschulleitung unter Einbezug der Mitarbeitenden und einer Reihe von externen, wichtigen Akteuren (z.B. TBBK und SBBK) erarbeitet. Auf den aufgeführten Grundlagen werden wir unsere Tätigkeit in den nächsten acht Jahren ausrichten, im Dialog mit externen und internen Akteuren.
Eine Hochschule zu sein bedeutet nicht, dass wir uns neu erfinden müssen. Aber wir müssen uns klarer positionieren.
Das Organigramm wird nicht verändert?
Die EHB entwickelt sich organisational weiter; dies geschieht jedoch unabhängig vom formalen Statuswechsel. Weiter verlangt das Gesetz, dass wir mit den Kantonen, den Organisationen der Arbeitswelt und weiteren Partnern in der Berufsbildung zusammenarbeiten. Derzeit arbeiten wir die bereits bestehenden Beziehungen systematisch auf: Mit wem kooperieren wir, wo haben wir Lücken, welche Beziehungen sollten wir stärken? Das ist nicht neu, aber wir tun es systematischer. Eine Hochschule zu sein bedeutet nicht, dass wir uns neu erfinden müssen. Aber wir müssen uns klarer positionieren. Die aktuelle Situation umfassend zu analysieren, hilft uns dabei, um uns für die Zukunft zu entwickeln, unsere Identität zu festigen.
Sie erwähnten die Stichworte Hochschulkultur und Berufsbildungskultur. Warum diese Gegenüberstellung?
Ich höre in Diskussionen die Befürchtung, die EHB könnte sich «verakademisieren». Ich selber mag den Begriff nicht, doch das Thema nehme ich sehr ernst. Wir sind eine Hochschule mit vierfachem Leistungsauftrag und es gilt, eine Kultur der Zusammenarbeit zu etablieren, intern und extern. Unsere zentrale Aufgabe bleibt dabei, die Praxis der Berufsbildung in den Schulen, den Betrieben und den Organisationen der Arbeitswelt in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Hinsichtlich «Akademisierung» gilt es zum Beispiel sprachliche Aspekte zu berücksichtigen. Das heisst: Wie gelingt es uns, Anliegen aus der Praxis in Forschungsfragen zu überführen oder umgekehrt, Forschungsergebnisse nachvollziehbar und verständlich in die Sprache der Praxis zu übersetzen und dort umzusetzen?
Das war schon in der Vergangenheit eine Aufgabe.
Das ist richtig, aber sie akzentuiert sich jetzt. Und dies gerade vor dem Hintergrund des Statuswechsels und der Befürchtung einer zu starken «Verwissenschaftlichung».
Wichtig in dieser Phase ist es, Orientierung zu geben, Konstanz zu gewährleisten, verlässlich zu sein.
In den letzten Jahren litt das Institut unter zahlreichen Personalwechseln und Fällen von innerer Migration. Erwarten Sie vom neuen Status auch innerhalb der EHB eine Konsolidierung?
Wichtig in dieser Phase ist es, Orientierung zu geben, Konstanz zu gewährleisten, verlässlich zu sein. Dies sind zentrale Aufgaben für die Führung und das Management der gesamten Hochschule, ebenso wie in den einzelnen Abteilungen und Teams. Denn mit dem Statuswechsel sind auch intern Erwartungen verbunden und Unsicherheiten spürbar. Wichtig sind deshalb auch Offenheit, die Bereitschaft, Anliegen aufzunehmen, die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen und Kontinuität in der Umsetzung. Es gilt auch, dass wir Schritt für Schritt vorgehen und die Zukunft gemeinsam mit den Mitarbeitenden gestalten. Die Mitarbeitenden müssen als erste verstehen, was es mit dem Hochschulstatus auf sich hat, und diesen massgeblich mitprägen.
Wie setzen Sie das um?
Wir planen regelmässige Austausche mit den Mitarbeitenden an allen drei Standorten, je einer im Frühling und im Herbst. Corona verhinderte bisher weitgehend den direkten Austausch. Dazu kommt regelmässige Information. Schliesslich werden wichtige Hochschulentwicklungsprojekte partizipativ durchgeführt. Die Erarbeitung der neuen Mitwirkungsverordnung ist ein solches Beispiel. Dieses wird durch die Mitarbeitenden aus allen Bereichen erarbeitet, unter Leitung der Verantwortlichen für die Hochschulentwicklung.
Der Bund möchte, dass sich die EHB als Pädagogische Hochschule akkreditiert. Teilen Sie diesen Wunsch?
Das HFKG erlaubt Akkreditierungen vom Typ Pädagogische Hochschule, Fachhochschule oder Fachhochschulinstitut sowie universitäre Hochschule. Ich sehe die EHB als «Typ Pädagogische Hochschule», weil unser Kernauftrag darin besteht, Lehrpersonen auszubilden. In diesem Sinne sind wir weder eine Fachhochschule, dazu fehlt uns die Breite an verschiedenen Fachbereichen, noch ein Fachhochschulinstitut oder eine Universität.
Wir sind keine Pädagogische Hochschule. Wir sind gemäss EHB-Gesetz die «Hochschule für Berufsbildung», die sich vom Typ her als Pädagogische Hochschule akkreditieren lassen möchte.
… obwohl im SBB-Fahrplan Ihr Standort mit «Zollikofen, EHB (Universität)» angegeben wird. Ärgert es Sie, dass die EHB zwar eine Pädagogische Hochschule sein wird, der Bund sie aber ausdrücklich auf die Berufsbildung einschränkt?
Wie gesagt: Wir sind keine Pädagogische Hochschule. Wir sind gemäss EHB-Gesetz die «Hochschule für Berufsbildung», die sich vom Typ her als Pädagogische Hochschule akkreditieren lassen möchte. Die Fokussierung auf die Berufsbildung finde ich überhaupt nicht ärgerlich, sondern richtig und von grosser gesellschaftlicher Bedeutung. Denn es gibt kein umfassenderes Bildungssystem in der Schweiz als die Berufsbildung mit 240 Lehrberufen und der Höheren Berufsbildung mit gut 500 Abschlüssen.
Aber mit der Beschränkung fehlen Ihnen Schnittstellen in die Volksschule, in die Gymnasien und die Hochschulbildung, wie andere Pädagogische Hochschulen sie besitzen.
Die Schnittstelle zur Sekundarstufe I bewirtschaften wir im Rahmen unserer Forschungen, ebenso die Schnittstelle zur Sekundarstufe II in Richtung Arbeitsmarkt und zu den weiterführenden Abschlüssen (z.B. Übertritt in Fachhochschulen via Berufsmaturität). Zudem bilden wir im Unterschied zu den anderen Pädagogischen Hochschulen sämtliche für die Berufsbildung relevanten pädagogischen Funktionen aus: Berufskundliche und allgemeinbildende Lehrerinnen, Instruktoren in den überbetrieblichen Kursen, Prüfungsexpertinnen, Schulleitungsmitglieder und weitere Funktionen etwa im Bereich Bildungsmanagement (Bachelor und Master in Berufsbildung). Weiter beraten wir die Organisationen der Arbeitswelt im Rahmen der Berufsentwicklung und beschäftigen uns in einer hohen Intensität in drei Forschungsbereichen mit der gesamten Berufsbildung (Lehren und Lernen in der Berufsbildung, Integration in die Berufsbildung und den Arbeitsmarkt, Steuerung der Berufsbildung). Bei all diesen Aufgaben unterliegen wir nicht, wie andere Pädagogische Hochschulen, regionalen Einschränkungen. Wir sind eine Hochschule mit nationaler und zunehmend auch internationaler Ausrichtung. Der Fokus auf die Berufsbildung ist keine Schwächung, sondern die Stärke der EHB.
Paradox bleibt, dass die EHB national gesteuert ist und gleichzeitig wie eine Pädagogische Hochschule Lehrpersonen ausbildet. Dabei tritt das EHB in die Gärten der regional verankerten Hochschulen etwa in Zürich.
Die EHB besitzt einen nationalen Auftrag mit regionaler Verankerung. Wir haben die Aufgabe, den gesamten Bereich der Berufsbildung – also auch die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen – zu betreiben, unter Berücksichtigung regionaler Spezifika, sei es in der Deutschschweiz, in der Romandie oder dem Tessin. Entsprechend kooperieren wir intensiv mit den Pädagogischen Hochschulen in allen Landesteilen.
Wir haben einen nationalen Auftrag, keinen nationalen Auftrag minus Zürich.
In Zürich ärgert man sich seit Jahren über die örtlichen Bildungsangebote der EHB.
Wir haben einen nationalen Auftrag, keinen nationalen Auftrag minus Zürich. Da mag eine gewisse Konkurrenz im Ausbildungsbereich bestehen, aber man kann das auch als belebend einstufen und als Wahlmöglichkeit für die Studierenden. Ich räume ein, dass die Kritik an den tiefen Gebühren des EHB zutraf; das haben wir mit der neuen Gebührenverordnung korrigiert, rechtsgültig ab Studienjahr 2023. Das weiss man in Zürich.
Das neue Gesetz verlangt aber ausdrücklich, dass die EHB ihr Bildungsangebot mit den kantonalen Pädagogischen Hochschulen koordiniert.
Das tun wir schon heute und verstärken dies auch in Zukunft gerne, aber dazu braucht es stets zwei Partner. In dem Punkt manifestiert sich letztlich eine Herausforderung der föderalistischen Governance, nämlich die Frage der Zuständigkeiten von Bund und Kantonen. Sie wird politisch immer wieder diskutiert und muss immer wieder neu beantwortet werden. Für den Bereich der Berufsbildung gilt, dass diese gemäss Art. 63 der Bundesverfassung eine Kompetenz des Bundes ist.
Als nationale Organisation obliegt der EHB eine gewisse Führungsaufgabe im Bereich der Forschung und Entwicklung. Wie interpretieren Sie diese Aufgabe künftig?
Das Gesetz definiert uns als «Kompetenzzentrum, das durch Lehre und Forschung sowie Dienstleistungen zur Entwicklung der Berufspädagogik und der Berufsbildung in der Schweiz beiträgt.» Daraus erwachsen zentrale Aufgaben, die wir vielfach in Kooperation mit anderen Hochschulen erfüllen. Ein Beispiel ist das von swissuniversities geförderte Leading House Berufsfelddidaktik der EHB, bei dem wir mit den Pädagogischen Hochschulen in Zürich, Luzern und St.Gallen sowie der Universität Zürich kooperieren. In anderen gemeinsamen Projekten haben andere Träger den Lead, Luzern etwa im ebenfalls von swissuniversitities finanzierten Projekt zur Qualifizierung von Dozierenden von Berufsbildungsverantwortlichen an Pädagogischen Hochschulen. Wir müssen nicht immer vorne stehen; aber wir sind das einzige Haus, das in der Berufsbildung einer gesamtschweizerischen Perspektive verpflichtet ist.
Forschung ist heute kaum mehr möglich und sinnvoll ohne Kooperation.
Wollen Sie solche Kooperationen verstärken?
Ich will das nicht quantifizieren. Ich kann aber sagen, dass Forschung heute kaum mehr möglich und sinnvoll ist ohne Kooperation. Viele Projekte werden nur noch an Konsortien vergeben, die Flagship-Initiative von Innosuisse etwa oder zahlreiche Projekte, die swissuniversities fördert.
Treten Sie in die Fachhochschul-Vereinbarung ein, die die Kostenübernahme zwischen den Kantonen regelt?
Wenn ich das richtig sehe, stellt sich diese Frage nicht, weil wir vom Bund finanziert werden und einen nationalen Auftrag haben. Von daher kann es keine kantonalen Ausgleichszahlungen für Studierende aus anderen Kantonen geben. Die im Rahmen der BFI-Botschaft zur Verfügung stehenden Gelder fliessen nicht reichlicher, wenn wir mehr Studierende aufnehmen.
Dann ist es ein Verlustgeschäft, wenn Zürcher zum Studium nach Zollikofen kommen.
Wenn Zürcher Studierende zu uns kommen, ist das immer ein Gewinn …
… das ist jetzt schön gesagt. Ich sprach von Geld.
(Lacht) Ist schon klar. Eine hohe Anzahl an Studierenden steigert zwar unsere Gebühreneinnahmen, aber nicht linear zu den dafür entstehenden Kosten. Diese müssen anderweitig kompensiert werden.
Den 1. August haben wir eben gefeiert: Spüren Sie – bei sich, den Mitarbeitenden – Lust auf den neuen Status?
Ich spüre ein unglaublich hohes Engagement in meinem Umfeld, ein hohes Commitment in der Hochschule. Gleichzeitig erschwert die Pandemie es aber, das weitere regionale Umfeld, etwa in Lausanne und Lugano, in ausreichendem Masse wahrzunehmen. Ich hoffe, die kommenden Monate werden entspannter. Ich selbst freue mich sehr auf die nächsten Jahre!
Kurzprofil der EHB
1972 wurde am Standort Zollikofen das SIBP (Schweizerisches Institut für Berufspädagogik) gegründet, 1975 wurde ein zweiter Standort in Lausanne, 1991 ein dritter in Lugano eröffnet. 2007 wurde aus dem SIBP das EHB (Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung). Genauere Angaben zur Geschichte sind auf der Website der EHB zu finden.
2020 absolvierten über 16’000 Personen eine Aus- oder Weiterbildung am EHB. Das EHB war an 58 Forschungsprojekten beteiligt und führte insgesamt 242 – zum Teil branchenübergreifende – Projekte im Bereich Berufsentwicklung durch. International blieb das EHB mit (digitalen) Veranstaltungen und dem Abschluss von Partnerschaften aktiv. Die Jahresrechnung 2020 schloss bei einem Ertrag von 48,478 Millionen und einem Gesamtaufwand von 49,274 Millionen mit einem Minus von 0,796 Millionen Franken ab.