Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Studie der Universität Bern

Berufswahl: Eltern beraten die Kinder nicht immer genderneutral

Niemand nimmt so viel Einfluss auf die Berufswahl von Kindern wie die Eltern. Leider tun sie das nicht immer geschlechtsneutral, wie ein Forschungsprojekt zeigt. Während Mädchen durchaus auch für Männerberufe geeignet erscheinen, empfehlen die Eltern den Söhnen häufiger typische Männerberufe.


Prof. Dr. Stefan C. Wolter ist Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung SKBF und Titularprofessor für Bildungsökonomie an der Universität Bern. Er ist Leiter des alle vier Jahre erscheinenden Bildungsberichts.

Stefan Wolter, wieviele junge Frauen wählen einen Beruf mit über 75% Frauenanteil, wieviele Männer einen Männerberuf?

2022 ist rund jedes fünfte Mädchen in einen solchen Beruf eingetreten und gut jeder dritte Junge. Es wählen also mehr Männer einen Männerberuf als Frauen einen Frauenberuf. Viel wichtiger als die Wahl geschlechterstereotypischer Berufe ist der Umstand, dass je mathematischer das Profil eines Berufs ist, desto weniger Mädchen diesen wählen. Deutlich zeigt sich das in Berufen wie Informatiker, Elektroinstallateur oder Automatiker mit Männerquoten von über 90%.

Hat sich dieses Bild in den letzten Jahren verändert?

Kaum. Bei den Mädchen steigt der Anteil der Mädchen in Frauenberufen sogar. Auffällig ist, dass auch neue Berufe dieser Geschlechtersegregation unterliegen – Informatikerinnen etwa oder Fachangestellte Gesundheit, obwohl sicher niemand diese Berufe als geschlechtsspezifische Berufe konzipiert hatte.

Dann sind die Kampagnen, die Mädchen in technische oder naturwissenschaftliche Berufe bewegen wollten, gescheitert?

Jein. Die weit über 700 Programme der letzten zwanzig Jahre sind vielleicht insofern gescheitert, als die Penetrationsquote von jungen Frauen in reinen Männerberufen limitiert blieb. Aber in den Köpfen hat sich etwas verändert, wie unsere jüngste Untersuchung zeigt.

Erzählen Sie!

Wir haben rund 6000 Erwachsene mit der Frage konfrontiert, welchen von zwei in den Ansprüchen gleichwertige Berufen sie ihrem Sohn oder ihrer Tochter empfehlen würden, wenn sie ihr Vater oder ihre Mutter wären. Ergebnis: Den Töchtern wurde genauso häufig zu Frauen- wie Männerberufen geraten – wohl dank der Kampagnen. Den Söhnen wurde in 60% der Fälle ein Männerberuf empfohlen. Insbesondere Väter und akademisch gebildete Personen präferieren Männerberufe, auch bei ihren Töchtern. Personen mit einem berufsbildenden Abschluss beraten ihre Töchter recht neutral, ihre Söhne hingegen in fast zwei Dritteln der Fälle in Richtung Männerberuf.

Gibt es denn gute Gründe, eher zu Männerberufen zu raten?

Persönlich denke ich, dass viele Eltern wohl noch immer Mühe haben, zu akzeptieren oder anderen zu erzählen, dass ihr Sohn einen «weiblichen» Beruf erlernt.

Es ist zwar so, dass Berufe mit hohen Mathematikanforderungen auch höhere Löhne versprechen, aber dies scheint nicht die Erklärung für die Präferenz für Männerberufe zu sein. Der Lohn ist zwar für die Wahl des Berufes durchaus relevant, aber es müssen andere Gründe sein, die Eltern dazu bringen, für Söhne Männerberufe vorzuziehen. In der vorliegenden Forschung können wir potenzielle Ursachen für dieses Verhalten zwar ausschliessen, aber bei den Gründen dafür nur Hypothesen aufstellen. Persönlich denke ich, dass viele Eltern wohl noch immer Mühe haben, zu akzeptieren oder anderen zu erzählen, dass ihr Sohn einen «weiblichen» Beruf erlernt.

Welche Rolle haben Eltern bei der Berufswahl der Kinder überhaupt?

Sie sind die wichtigsten Bezugspersonen. Das gilt implizit, denn viele Kinder haben ein gutes Gespür, was ihre Eltern von ihnen erwarten, aber auch explizit, wenn Eltern Ratschläge geben oder während der Berufswahl auch einmal ein Veto einlegen.

Sie schrieben vor einiger Zeit, dass sich die Berufswahl von Mädchen und Jungen auch deshalb unterscheidet, weil sie unterschiedliche Interessen haben. Relativieren die jüngsten Ergebnisse diese These?

Nein. Im damaligen Projekt haben wir gezeigt, dass die Zahl der in einem Beruf tätigen Frauen grösser wird, je ausgeprägter er soziale Anforderungen stellt. Umgekehrt wächst die Zahl der Männer, wenn es sich bei der Arbeit mehrheitlich um den Umgang mit Dingen wie Maschinen, Computern oder Werkzeugen geht. Steigt der Anteil an Arbeiten mit Dingen zu Lasten der Arbeit mit Menschen, nimmt die Zahl der Männer im entsprechenden Beruf zu; das legt nahe, dass die Präferenzen von Männern und Frauen für bestimmte Formen der Arbeitstätigkeit unterschiedlich sein müssen. Um Ihre Frage aufzunehmen: Die beiden Forschungen ergänzen sich. Sie zeigen: Wenn Frauen Männerberufe meiden, dann nicht wegen ihren Eltern, sondern ihren eigenen Präferenzen.

Könnte man nicht damit leben, dass es Männer- und Frauenberufe gibt?

Sicher, aber aus individueller und wirtschaftlicher Sicht ist eine optimale Talentallokation anzustreben. Wir sollten also vermeiden, dass Jugendliche einen Beruf, für den sie eigentlich geeignet sind, nur deshalb nicht wählen, weil dieser mehrheitlich vom anderen Geschlecht gewählt wird. Aber wenn an sich talentierte Mädchen keinen MINT-Beruf anstreben, weil sie sich dafür nicht interessieren oder keine Lust haben, in einem männerdominierten Feld zu arbeiten, können wir sie nicht dazu zwingen. Wichtiger scheint mir, dass die Berufswahl in einem Umfeld stattfindet, in dem Männer und Frauen gewisse Berufsfelder nicht von vornerein ausschliessen.

Verschärft eine gegenderte Berufswahl die sozialen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen?

Um soziale Ungleichheiten insgesamt zu erklären, sind andere Faktoren wie Erwerbsunterbruch, Karriereaspirationen oder Beschäftigungsgrad wohl entscheidender als die Berufswahl.

Wir haben im Bildungsbericht 2023 die Löhne der Lehrabgänger/innen der PISA-Kohorte 2012 analysiert. Wir finden einen Lohnunterschied von rund 5% zwischen Männern und Frauen, der sich vollständig dadurch erklären lässt, dass Mädchen Berufe mit ausgeprägten Mathe-Anforderungen meiden. Aber um soziale Ungleichheiten insgesamt zu erklären, sind andere Faktoren wie Erwerbsunterbruch, Karriereaspirationen oder Beschäftigungsgrad wohl entscheidender als die Berufswahl.

Wo würden Sie bei weiteren Genderkampagnen ansetzen?

Wenn man eine bessere Talentallokation erzielen will, müssen sich alle bewegen. Nur, wenn sich die Jungs auch für typische Frauenberufe interessieren, werden auch die Mädchen vermehrt in Männerberufe vordringen. Anders als früher sollte man den Fokus von Kampagnen auf beide Geschlechter richten.

Die in Englisch verfasste Studie ist auf der Website des IZA, Institute of Labor Economics zu finden. Dieser Beitrag erschien zuerst in «Alpha», Tages-Anzeiger.

Zitiervorschlag

Fleischmann, D. (2024). Berufswahl: Eltern beraten die Kinder nicht immer genderneutral. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(9).

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