Berufsbildung in Forschung und Praxis
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«Berufsbildung 2040 – Perspektiven und Visionen»: Der Blick des Branchenverbandes Swissmem

Bildung zwischen Politik und Arbeitsmarkt

Die Berufsbildung orientiert sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Das zeigt sich ganz besonders bei der Überarbeitung von Bildungserlassen, wie sich am Beispiel des Reformprojekts «Futuremem» zeigt. Aber was so einfach klingt, wird immer anspruchsvoller – durch die heterogener werdenden Ansprüche der Betriebe, aber auch durch das wachsende Innovationstempo der Wirtschaft. Hier gerät die auf Interessenausgleich ausgelegte, tripartite Bildungssteuerung an seine Grenzen. Dazu kommen immer mehr politisch und gesellschaftliche Themen, die, so die Forderung, Eingang in die berufliche Grundbildung finden sollen. Aber pauschale Vorgaben wie der Ruf nach mehr lehrbegleitenden Berufsmaturitäten sind nicht hilfreich.


Dass die Wirtschaft die eigentliche treibende Kraft bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung von Berufsprofilen und Bildungsplänen ist, dürfte aber weltweit einzigartig sein.

Als ich vor einigen Jahren meinen beruflichen Fokus von der Energiepolitik auf die Bildung verlagerte, war ich, gewohnt an langwierige energiepolitische Grabenkämpfe, erst einmal positiv überrascht. Denn ich stellte fest: Bei der Berufsbildung sind sich alle einig. Über alle Branchen und das ganze Parteienspektrum hinweg ist die Schweiz stolz auf ihre weltweit einzigartige Berufsbildung.

Nationales System mit globaler Ausstrahlung

Die Schweizer Berufsbildung weckt auch in anderen Ländern Neugier. Regelmässig klopfen Delegationen aus allen Weltregionen bei Swissmem an, um zu erfahren, wie die Schweizer Industrie ihren Nachwuchs auf die Berufswelt von morgen vorbereitet. Als national ausgerichteter Branchenverband und Organisation der Arbeitswelt legt Swissmem den strategischen Schwerpunkt nicht auf die Internationalisierung der Berufsbildung. Doch eine Exportbranche mit einer Exportquote von rund 80% lebt von der internationalen Verflechtung – auch bei der Ausbildung und Entwicklung von Fachkräften.

Allerdings eignet sich die Berufsbildung nur bedingt als Exportprodukt. Denn zum Gedeihen benötigt sie ein fein austariertes Ökosystem, wie es in der Schweiz über Generationen hinweg historisch gewachsen ist. Der Austausch mit internationalen Bildungsfachleuten ist dennoch hilfreich, um die Erfolgsfaktoren der Schweizer Berufsbildung zu reflektieren. Dabei fällt ein Merkmal besonders auf: Die konsequente Steuerung der Berufsentwicklung durch die Organisationen der Arbeitswelt (OdA).

Dass in Ländern mit einem funktionierenden Berufsbildungssystem die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts berücksichtigt werden, ist Standard. Dass die Wirtschaft die eigentliche treibende Kraft bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung von Berufsprofilen und Bildungsplänen ist, dürfte aber weltweit einzigartig sein.

Arbeitsmarktsteuerung als Erfolgsfaktor für die Berufsbildung

Kernaufgabe einer OdA ist die konsequente Orientierung am Kompetenz- und Ausbildungsbedarf der Unternehmen, in denen ihre Berufe zum Einsatz kommen. Dies beinhaltet weit mehr als die am Anfang einer Berufsrevision oder -neuentwicklung durchgeführte Marktanalyse. Die OdA vertritt über den ganzen Berufsentwicklungsprozess hinweg die Werte und Grundanforderungen der Branche, gewissermassen die «Branchen-DNA». In der Tech-Industrie zählt dazu die zentrale Bedeutung von Qualität, Präzision und Innovation – drei Faktoren, die entscheidend für den Unternehmenserfolg im internationalen Wettbewerb sind. Diese Grundwerte müssen nicht nur in den Bildungsplänen, sondern beispielsweise auch in der Ausgestaltung der Qualifikationsverfahren zum Ausdruck kommen. Bei der laufenden Berufsrevision «Futuremem» wird aus diesem Grund die Berufskundeprüfung in den vierjährigen Grundbildungen als Fallnote behandelt (d.h. Note 4 muss zum Bestehen der Prüfung erreicht werden, unabhängig vom Gesamtschnitt).

Was sind persönliche Überzeugungen, und was die Kernanliegen der Unternehmen? Diese Selbstreflexion ist anspruchsvoll und mitunter anstrengend.

Für Swissmem als OdA bedeutet dies: Im Zentrum unserer Arbeit stehen nicht die Interessen der eigenen Organisation, sondern die Bedürfnisse der Branche. Dafür müssen wir die Offenheit haben, uns immer wieder selbst zu hinterfragen: Was sind persönliche Überzeugungen, und was die Kernanliegen der Unternehmen? Diese Selbstreflexion ist anspruchsvoll und mitunter anstrengend. Das gilt nicht zuletzt in einer so grossen und breit gefächerten Branche wie der Tech-Industrie mit rund 330’000 Mitarbeitenden und 20’000 Lernenden, und mit einer riesigen Vielfalt an Technologien, von der Schwerindustrie über die Präzisionsmechanik bis zur Quantentechnologie.

Von der konsequenten Arbeitsmarktorientierung profitieren sowohl die Ausbildungsunternehmen wie auch die Lernenden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Berufsbildung genau jene Kompetenzen vermittelt und fördert, die die Branche mit Blick auf die Zukunft tatsächlich benötigt. Wenn die Unternehmen ihre Lernenden passgenau auf ihre Bedürfnisse ausbilden und schon während der Lehre produktiv einsetzen können, lohnt sich die Investition für die Ausbildung für sie auch ohne zusätzliche finanzielle Anreize. Die jungen Nachwuchskräfte wiederum haben sehr gute Aussichten, nach Abschluss ihrer Ausbildung eine passende Stelle zu finden und ihre erworbenen Kompetenzen direkt anwenden zu können. Die enge Verzahnung von Bildung und Arbeitsmarkt erleichtert den jungen Erwachsenen den Übertritt ins Erwerbsleben und trägt dazu bei, dass die Schweiz eine der tiefsten Jugendarbeitslosenquoten im internationalen Vergleich aufweist.

«One size fits all» gilt nicht für die Berufsbildung

Mit den Bedürfnissen der Wirtschaft im Blick, ist es Aufgabe der OdA, Tendenzen zur politischen Übersteuerung der Berufsbildung kritisch zu hinterfragen. Immer mehr politisch und gesellschaftlich gewünschte Themen sollen Eingang in die berufliche Grundbildung finden. Dies kann durchaus sinnvoll sein. Aber als OdA müssen wir uns stets die Frage stellen: Inwiefern ist das Thema für die Ausbildungsbranche relevant? Und welchen Einfluss hat es auf den zukünftigen beruflichen Verantwortungsbereich der Lernenden? Wird die Berufsbildung zunehmend aufgrund politischer Kriterien statt nach den Anforderungen des Arbeitsmarkts gestaltet, verliert sie ihr wichtigstes Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem allgemeinbildenden Ausbildungsweg?

Wird die Berufsbildung zunehmend aufgrund politischer Kriterien statt nach den Anforderungen des Arbeitsmarkts gestaltet, verliert sie ihr wichtigstes Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem allgemeinbildenden Ausbildungsweg?

Denn so vielfältig wie die Schweizer Wirtschaft sind auch die Ausbildungsbedürfnisse der verschiedenen Branchen. Darin liegt eine der grossen Herausforderungen für die Berufsbildung. Sie muss einen Weg finden, national vergleichbare Abschlüsse mit hohen Qualitätsstandards zu gewährleisten und gleichzeitig den individuellen Branchenbedürfnissen Rechnung zu tragen. Selbstredend ist es für die Kantone nicht zumutbar, in den Berufsfachschulen nach 250 verschiedenen berufsspezifischen Ausbildungskonzepten zu unterrichten. Aber die Berufsbildung muss genügend flexibel sein, um innerhalb des bestehenden Qualitätsrahmens unterschiedliche Branchenbedürfnisse abzubilden. Standardisierungen und pauschale Zielsetzungen sind dabei nur beschränkt hilfreich.

Tertiarisierung ist kein Selbstzweck

Ein solches Pauschalziel ist die BM1-Quote. Ist der Anteil der lehrbegleitend absolvierten Berufsmaturität 1 in der Schweiz zu tief, wie immer wieder behauptet wird? Und welches wäre denn die «richtige», national anzustrebende Quote? Für uns als OdA ist diese Frage falsch gestellt. Denn auch hier gilt: Den Bedarf bestimmt der Arbeitsmarkt. Wenn der BM1-Anteil den Fachkräftebedarf der Branche widerspiegelt, ist er für das jeweilige Berufsfeld genau richtig.

Die BM1-Quote in einem Berufsfeld zu erhöhen, in dem wenig Bedarf nach Fachkräften mit Tertiärabschluss besteht, bringt für die betreffende Branche keinen Mehrwert. Noch weniger Nutzen entsteht, wenn die BM1 zulasten der Höheren Berufsbildung gefördert wird. Je nach Branche und Berufsfeld zeichnet sich ein unterschiedliches Bild. In der Tech-Industrie stellen wir grundsätzlich einen steigenden Bedarf nach tertiär ausgebildeten Mitarbeitenden fest. Gleichzeitig funktioniert die industrielle Produktion im Inland nur dann, wenn gut qualifizierte Fachkräfte an den Maschinen und Anlagen verbleiben und dort ihr Knowhow weiterentwickeln. Wenn hingegen ein Grossteil der Lehrabgänger kurz nach Lehrabschluss in eine Fachhochschule abwandert, während Fachkräfte in der Produktion dringend gesucht sind, verliert die Berufsbildung insbesondere bei KMU an Attraktivität.

Das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) darf sich daher nicht zu einer Zwischenstation auf dem Weg zum Tertiärabschluss entwickeln, sondern muss eine vollwertige, berufsbefähigende Ausbildung bleiben.

Das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) darf sich daher nicht zu einer Zwischenstation auf dem Weg zum Tertiärabschluss entwickeln, sondern muss eine vollwertige, berufsbefähigende Ausbildung bleiben. Entscheidend ist, dass die jungen Berufsleute ihre Kompetenzen im Lauf ihres Berufslebens weiterentwickeln und so mit den sich wandelnden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technologischen Anforderungen Schritt halten. Das Schweizer Bildungssystem mit seiner hohen Durchlässigkeit hält dafür vielfältige Möglichkeiten bereit: Ob der Weg über ein Branchenzertifikat, eine Fachhochschule, eine eidgenössische Prüfung, eine höhere Fachschule, eine universitäre Weiterbildung oder eine individuelle Weiterentwicklung «on the job» ist, ist letztlich nicht entscheidend. Die BM1 ist ein wichtiges Sprungbrett für die berufliche Weiterentwicklung, aber es gibt auch nach Lehrabschluss zahlreiche Alternativen.

Herausforderung Tempo und Innovationsfähigkeit

Die Arbeitswelt im Wandel bildet nicht nur für die Arbeitgeberinnen und Mitarbeitenden eine Herausforderung, sondern auch für die Berufsbildung selbst. In einer technologieorientierten und innovationsgetriebenen Branche wie der Tech-Industrie dreht sich das Rad des Wandels schnell und immer schneller. Wird es uns in Zukunft gelingen, die Berufsprofile und Bildungspläne genügend rasch an die sich wandelnden Anforderungen der Arbeitswelt anzupassen?

Das Schweizer Berufsbildungssystem mit seinen drei Verbundpartnern und Prozessen, die auf einen steten Interessensausgleich zwischen allen Akteuren ausgerichtet sind, bietet eine solide und robuste Basis für die Ausbildung. Aber das System ist nicht auf Tempo ausgelegt.

Der Umsetzungsstart von Futuremem musste mehrmals verschoben und einzelne Elemente der Revision wiederholt neu verhandelt werden. Die Revision ist selbst für einen grossen Verband wie Swissmem schwer zu stemmen.

Ausgleich erfordert Zeit. Das Resultat sind mitunter langwierige und schwerfällige Prozesse in der Berufsentwicklung. Kleinere, wenig komplexe Berufsrevisionen sind in der Regel nicht problematisch. Aber umfassende Revisionsprojekte wie Futuremem, die mehrere Berufe vernetzen und Ausbildungsstrukturen verändern, stossen an die Grenzen des Systems. Der Umsetzungsstart von Futuremem musste mehrmals verschoben und einzelne Elemente der Revision wiederholt neu verhandelt werden. Die Revision ist selbst für einen grossen Verband wie Swissmem schwer zu stemmen.

Diese Entwicklung bereitet mir Sorgen. Die technologischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Tech-Industrie haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Digitalisierung und Automatisierung haben den Bedarf nach Fachkräften in der Branche keineswegs verringert, aber sie verschieben die Kompetenzprofile. Und die Entwicklung der künstlichen Intelligenz hat das Potenzial, nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch das Lernen und Prüfen an sich grundlegend zu verändern. Wenn die Berufsbildung auch in Zukunft in der Schweiz konkurrenzfähig und international ein Vorbild bleiben soll, müssen die Verbundpartner sie nicht verwalten, sondern gemeinsam weiterentwickeln.

Berufsrevision Futuremem

Unter dem Projekttitel «Futuremem» werden derzeit acht technische Berufe (Anlagen- und Apparatebauer/in, Automatiker/in, Automatikmonteur/in, Elektroniker/in, Konstrukteur/in, Mechanikpraktiker/in, Polymechaniker/in und Produktionsmechaniker/in) grundlegend modernisiert. Zudem fliessen neue didaktische Methoden in die Ausbildung ein. Futuremem ist die grösste aktuell laufende Berufsrevision der Schweiz. Ab August 2026 werden die ersten Lernenden nach den neuen Ausbildungsmodellen ausgebildet. Die Bildungserlasse wurden im Frühling 2025 von der zuständigen Berufsentwicklungs- und Qualitätskommission SKOBEQ-MEM bereinigt. Derzeit laufen Umsetzungs-, Informations- und Ausbildungsmassnahmen im Hinblick auf den Lehrstart 2026.

Futuremem wird getragen von den zwei Branchenverbänden Swissmem und Swissmechanic. Als Co-Träger sind sie gemeinsam verantwortlich für die Berufsprofile und Ausbildungsinhalte der acht oben genannten Berufe. Mit der Revision werden die Berufe auf die Anforderungen moderner Produktionsbetriebe in einer digitalen und vernetzten Arbeitswelt ausgerichtet.

Die Ausbildung ist konsequent handlungskompetenzorientiert aufgebaut, was den Lernenden den Einstieg ins Berufsleben erleichtert und den Ausbildungsbetrieben erlaubt, ihre Lernenden rasch produktiv einzusetzen. Zudem können die Betriebe die Ausbildung gezielt auf spezifische Industriesektoren oder technologische Schwerpunkte ausrichten (z.B. Aviatik). Die neue Ausbildungsstruktur und die Vernetzung der acht Berufe erleichtern zukünftige Anpassungen, z.B. an neue Technologien und Produktionsmethoden.

Digitale Tools wie die Lernumgebung techLearn und die Futuremem-Datenbank bieten Lernenden und Ausbildnern zusätzliche Unterstützung bei der Gestaltung der Ausbildung. Zudem wird Swissmem ab 2026 unter der Marke nextecmedia auf die neuen Bildungspläne ausgerichtete Bildungsmedien in digitalen und gedruckten Formaten anbieten.

Einen ausführlichen Beitrag zu Futuremem von Daniel Fleischmann finden Sie hier.

Zitiervorschlag

Studer, S. (2025). Bildung zwischen Politik und Arbeitsmarkt. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 10(9).

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