Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Student Driven Studies – eine innovative Diplomstudiengangvariante an der EHB

Das Studium wird zum Selbststudium

Student Driven Studies (SDS) – wer im Rahmen dieses neuen Studienformats an der EHB studiert, erlebt weder Unterricht im klassischen Sinne noch durchläuft er oder sie vorgegebene Module. Als angehende Spezialisten fürs Lernen gestalten die Studierenden ihre Lerninhalte und den Ablauf ihrer Ausbildung zur «Lehrperson» selbst, indem sie an ihren persönlichen Projekten arbeiten. Dadurch erfahren sie, was selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen bewirken kann. Im SDS wird Kompetenz- und Entwicklungsorientierung in aller Konsequenz gelebt. Ebenso wird dem kooperativen Lernen eine hohe Bedeutung zugeschrieben.


Die EHB bietet mit dem Bildungsformat Student Driven Studies (SDS) ab Sommer 2023 eine neue Diplomstudiengangvariante an, die es ermöglicht, Lernen fundamental anders zu erleben als bisher.

Die «Welt» ist nicht zuletzt durch die Globalisierung und den technologischen Fortschritt in einem permanenten, sich beschleunigenden Veränderungsprozess. Die Menschheit steht vor Herausforderungen, die nur gemeinsam gemeistert werden können. Auch die Berufswelt ist diesem stetigen Wandel unterworfen; Berufe verändern sich, manche fallen ganz weg und neue entstehen. Was den Menschen ausmacht, wie es ihn in der Berufswelt (künftig) braucht, welche Arbeiten Roboter oder künstliche Intelligenzen übernehmen, welche Kompetenzen in dieser schnelllebigen Zeit für den Menschen wichtig sind, damit er auf äussere Veränderungen nicht nur reagieren, sondern aktiv, zukunftsgerichtet und innovativ mitgestalten kann – all diese Fragen rücken immer mehr ins Zentrum.

Bildung soll es jedem Menschen ermöglichen, sein Potenzial zu erforschen, zu entfalten und über die Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt eine eigene Identität zu entwickeln; und sie soll die Menschen befähigen, selbstständig und verantwortungsbewusst am gesellschaftlichen Leben mitzuwirken. Immer wichtiger werden sogenannte Future Skills wie Kommunikationskompetenz, Digitalkompetenz, Lernkompetenz, Innovations- oder Zukunfts- und Gestaltungskompetenzen (Ehlers, 2022). Dies sind alles keine neuen Erkenntnisse – auch nicht die, dass «Schule» sich mit dem Wandel der Zeit mit verändern muss. Schon heute sind viele Schulen auf diese Weise unterwegs.

Auch die EHB will die Veränderungen als Chance annehmen. Sie bietet mit dem Bildungsformat Student Driven Studies (SDS) ab Sommer 2023 eine neue Diplomstudiengangvariante an, die es ermöglicht, Lernen fundamental anders zu erleben als bisher. Denn es sind insbesondere die Lehrpersonen, die Veränderungsprozesse in Schulen aktiv mitgestalten und mittragen. Mit dem SDS schafft die EHB eine Lernumgebung, in der die Studierenden auf der Grundlage ihrer Praxis an ihren eigenen Ausbildungsprojekten selbstgesteuert, selbstorganisiert, kooperativ und kollaborativ lernen. Eine solche Umgebung ermöglicht es, nebst fachlichen auch überfachliche Kompetenzen – eben Future Skills – zu erwerben.

Im SDS sollen die Studierenden selbst erleben, welche Herausforderungen und Chancen darin verborgen liegen, das eigene Lernen sowohl in Bezug zum Prozess als auch den Inhalten selbst zu steuern und dabei zwar individuell, aber auch gemeinsam unterwegs zu sein. Die reflexive Auseinandersetzung mit dem persönlichen Lern- und Entwicklungsprozess soll helfen, diese Erfahrungen für die eigene Weiterentwicklung sowie für das eigene Handeln als Lehrperson zu nutzen. Über ein selbstgewähltes e-Portfolio werden der Lernprozess und die erworbenen Kompetenzen sichtbar gemacht. Auf diese Weise lernen die Studierenden ihr eigenes Lernen besser zu verstehen. Und sie erleben sich als aktive und kompetente Gestalterinnen ihrer beruflichen Entwicklung. Dazu gehört, dass sie als angehende Experten für das Lernen darüber nachdenken, wie eine «Schule» in Zukunft aussehen könnte, welche den lernenden Menschen stärkt und ihn auf die sich stetig verändernde Arbeitswelt vorbereitet.

Damit diese Form des Lernens gelingen kann braucht es von Seiten der Studierenden eine hohe Bereitschaft,

  • fachliche und überfachliche Kompetenzen, die für den erfolgreichen Abschluss des Studiums notwendig sind, selbstgesteuert und selbstorganisiert zu erweitern und dabei immer wieder aus der eigenen Komfortzone zu treten,
  • sich mit sich selbst, ihren subjektiven Theorien, ihrer Praxis, ihren Kompetenzen und ihrem Lernen kritisch auseinanderzusetzen,
  • sich in Lerntandems und anderen Netzwerken mit Berufsbildungsexpertinnen einzubringen,
  • das individuelle und gemeinsame Lernen mitzugestalten.

Die Dozierenden der EHB ihrerseits sind aufgefordert, einen Schritt vom Dozieren weg zu machen hin zum Begleiten, Coachen und Gestalten von Lernumgebungen, die das selbstgesteuerte, selbstorganisierte, sowie das kooperative und kollaborative Lernen ermöglichen. Dies bedeutet insbesondere

  • offen zu sein für die individuellen Wege der Studierenden und sie mit echten und weiterführenden Fragen zu begleiten,
  • als Lernbegleitpersonen Ressourcen, Entwicklungspotentiale, Stärken, Chancen und Möglichkeiten der Studierenden ins Zentrum zu stellen,
  • von der tradierten Haltung, genau zu wissen, was unser Gegenüber wissen und können muss, wegzukommen – ganz im Sinne von «mehr fragen, statt sagen»,
  • die Kompetenz, Lernprozesse in dieser offenen Haltung und medial unterstützt zu initiieren und zu begleiten,
  • einen professionellen Umgang mit Nicht-Wissen zu finden,
  • das eigene Tun und Handeln immer wieder selbstkritisch zu reflektieren und selbst lernend zu bleiben.

Es ist uns bewusst, dass in einem solch offenen Setting nicht nur Lust und Freude, sondern auch Unsicherheiten, Frustration und Überforderung entstehen können.

Es ist uns bewusst, dass in einem solch offenen Setting nicht nur Lust und Freude, sondern auch Unsicherheiten, Frustration und Überforderung entstehen können. Viele von uns haben in herkömmlichen Bildungsbiografien selbst die Erfahrung gemacht, durch eine Ausbildung «geleitet» zu werden und Anweisungen zu erhalten, wann man sich mit welchem Lerngegenstand in welcher Tiefe auseinanderzusetzen hat und wann und in welcher Form der Lernzuwachs überprüft wird. Diese tief in unserem Bildungsverständnis verankerte Vorstellung von Lehren und Lernen vermittelt ein vermeintliches Gefühl von Sicherheit. Wir wollen den Studierenden anbieten, sich davon zu lösen, Neuland zu betreten und selbst Verantwortung für ihre Professionalisierung zu übernehmen. Dieser Prozess wird nicht geradlinig verlaufen. Umso wichtiger wird es sein, diesen im Sinne eines pädagogischen Doppeldeckers in der Studiengruppe achtsam zu begleiten.

An wen richtet sich SDS?

Die SDS-Studienvariante können alle BKU-/HF- und BM-Unterrichtenden wählen, welche das Diplom zur hauptberuflichen Lehrperson erwerben möchten. Neben den regulären Studiengruppen in Zollikofen und Zürich und der Möglichkeit zur Anrechnung vorhandener Kompetenzen (VAE) gibt es damit eine neue dritte Studienvariante. Welche Variante für wen am besten passt, das lässt sich in einem Kurztest und durch das Aufnahmegespräch herausfinden.

Wie werden die Dozierenden auf die veränderten Aufgaben im SDS vorbereitet?

Die Dozierenden der EHB stehen mit dem SDS vor neuen Herausforderungen. Wie im Text erwähnt, brauchen sie vor allem eine hohe Begleit- und Coachingkompetenz, Einsicht und Kenntnisse in verschiedenste Schul-, Berufs- und Ausbildungsrealitäten sowie Erfahrung im Umgang mit dem Erwerb von Handlungskompetenzen und den Mechanismen selbstgesteuerten Lernens/Studierens. Dieser Changeprozess im Professionsverständnis der Dozierenden resp. der Rollenwechsel hin zur künftigen Lernbegleitperson wird seit über einem Jahr systematisch angegangen und auch extern begleitet.

Führt SDS zum gleichen Lehrdiplom wie bisher?

Im SDS wird mit dem gleichen Kompetenzprofil für Berufsbildungsverantwortliche gearbeitet wie in den anderen zwei Studiengängen. Die Studierenden können durch die Setzung persönlicher Ausbildungsprojekte innerhalb dieses Kompetenzprofils selbst Schwerpunkte legen. Die Studierenden arbeiten mit einem selbstgewählten ePortfolio, hier werden die im Laufe des Studiums erarbeiteten Kompetenzen sichtbar gemacht. In welcher Form entscheidet der/die Studierende. Innerhalb der Studiengruppe (Studierende und Dozierende) werden die sichtbar gemachten Kompetenzen gespiegelt und diskutiert und regen so allenfalls für einen weiteren Entwicklungsschritt an. Sind einzelne Kompetenzbündel gesättigt und in der Studiengruppe diskursiv validiert worden, können die qualifizierenden Kompetenznachweise durchlaufen werden. Auch in der qualifizierenden Phase der Kompetenzen werden systematisch Fremd- und Selbstbeurteilungsformen eingesetzt. Damit werden alle drei Studienvarianten an denselben Kriterien und Ansprüchen gemessen, was letztlich zum identischen Diplom führt.

Literatur und weiterführende Links

Zitiervorschlag

Bürgi, V., Grossrieder, G., & Künzi-Minder, R. (2023). Das Studium wird zum Selbststudium. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(5).

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