Interface untersuchte Instrumente zur Abklärung mangelnder Grundkompetenzen
Förderung der Grundkompetenzen – noch ist vieles offen
Wer schlecht lesen, schreiben oder rechnen kann, dem fehlen grundlegende Kompetenzen. So einfach das klingt, so schwierig ist es in der Beratungspraxis, entsprechende Lücken festzustellen und Fördermassnahmen zu empfehlen. Das macht das Forschungsprojekt «Triage» im Auftrag der EDK deutlich. Triage zeigt, dass die Zielgruppe ebenso heterogen wie die Akteurslandschaft ist, welche Betroffene fördert. Diese Akteure haben unterschiedliche Aufträge – Arbeitsmarktintegration, wirtschaftliche Unterstützung, gesellschaftliche Integration – und benötigen dafür eine Vielzahl von Instrumenten, um situationsabhängig das Kompetenzniveau der Betroffenen einzuschätzen. Die Studie schlägt sechs Massnahmen zur Verbesserung der Situation vor – darunter eine bessere Verankerung des Themas in der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung.
Die vorliegende Studie macht deutlich, dass der Begriff der Grundkompetenzen zu unklar definiert und je nach Kanton, Kontext und Beratungsperson unterschiedlich ausgelegt wird.
Grundkompetenzen sind – so die Definition – eine Voraussetzung dafür, dass Erwachsene ihren Alltag bewältigen, in der Arbeitswelt bestehen und an Bildung teilnehmen können. Der Bund setzt sich gemeinsam mit den Kantonen dafür ein, dass Erwachsene bestehende Grundkompetenzen erhalten und fehlende erwerben können – möglichst anhand alltagsrelevanter gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Themen. Eine Grundlage für die Förderung bildet unter anderem das Bundesgesetz über die Weiterbildung (WeBiG), das Finanzhilfen an die Kantone vorsieht (Artikel 16). Gemäss Gesetz umfassen die Grundkompetenzen grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten in den folgenden Bereichen (Artikel 13).
- Lesen, Schreiben und mündliche Ausdrucksfähigkeit in einer Landessprache
- Grundkenntnisse der Mathematik
- Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien
Das vorliegende Projekt «Triage – Instrumente zur Abklärung und Beratung im Bereich Grundkompetenzförderung» im Auftrag der Interkantonalen Konferenz für Weiterbildung (IKW) der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) besteht aus zwei Phasen: In der ersten Phase wurde eine systematische Übersicht von Instrumenten und Erfahrungen (nationale und international) im Bereich der Abklärung von Grundkompetenzen erstellt. Zudem wurde der spezifische Bedarf bei den Projektpartnern und den betroffenen Stellen erhoben. In dieser Phase wurde untersucht,
- welche Akteure Beratungen zur Förderung von Grundkompetenzen vornehmen,
- welche Instrumente zur Abklärung von Grundkompetenzen zur Verfügung stehen und
- welchen Unterstützungsbedarf Beratungspersonen haben.
Interface Politikstudien Luzern durfte diese erste Projektphase durchführen und Mitte des Jahres 2022 abschliessen.
Die Umsetzung der zweiten Projektphase (2022-2024) ist von der IKW skizziert, aber im Detail noch nicht geplant. Sie zielt darauf, Beratungspersonen in unterschiedlichen Kontexten professionelle und praxisnahe Abklärungsinstrumente und -methoden an die Hand zu geben, um das Kompetenzniveau ihrer Beratungsklientel besser ermitteln und daraus individuelle Bildungswege ableiten zu können.
Die in der ersten Projektphase erarbeitete Datenbasis besteht aus einer internationalen Literaturrecherche, Interviews mit Schlüsselpersonen und Betroffenen sowie einer Online-Befragung von Beratungspersonen in der Weiterbildung, der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB), der Arbeitsintegration, der sozialen Integration und der Sozialhilfe. An der Befragung haben 189 Personen teilgenommen. Der grösste Teil (55%) stammt aus der deutschsprachigen Schweiz und arbeitet im Bereich der Weiterbildung (34%). Rund 20% sind in der sozialen Integration oder Arbeitsintegration tätig, 15% kommen aus der BSLB und 7% aus der Sozialberatung.
Zielgruppe der Grundkompetenzförderung
Die gesetzliche Grundlage der Grundkompetenzförderung ist komplex, teilweise Zielgruppen überschneidend und gespickt mit verschiedenen Finanzierungsansätzen.
Weiterbildungsangebote für Erwachsene zur Förderung der Grundkompetenzen richten sich an Personen, die aufgrund unzureichender Grundkompetenzen keine Aus- oder Weiterbildungen absolvieren oder diesen nur mit Mühe folgen können. Bei der Finanzierung über das WeBiG ist zu beachten, dass gewisse Angebote über andere Gesetzgebungen gefördert werden. Dies ist insbesondere bei den folgenden Zielgruppen der Fall:
- Vorläufig aufgenommene Personen und anerkannte Flüchtlinge im Rahmen der Erstintegration (bis Sprachniveau A2);
- Arbeitslose oder von unmittelbarer Arbeitslosigkeit bedrohte Personen;
- Personen, die eine Berufsbildung absolvieren oder Massnahmen zur Vorbereitung auf eine Berufsbildung in Anspruch nehmen;
- Personen mit Behinderung, die Leistungen im Rahmen der IV beanspruchen können.
Eine genauere Übersicht über die zuständigen Ämter beziehungsweise deren Spezialgesetzgebung und anvisierte Zielgruppe liefert Tabelle 1.
Tabelle 1 zeigt, dass die gesetzliche Grundlage der Grundkompetenzförderung komplex, teilweise Zielgruppen überschneidend und gespickt mit verschiedenen Finanzierungsansätzen ist; zu diesen zählen etwa die auf Personen zugeschnittene (subjektorientierte) Finanzierung und objektorientiert finanzierte arbeitsmarktliche Massnahmen. Das Potenzial besteht, dass Lücken in der Finanzierung vorhanden sind. Dies kann dann der Fall sein, wenn sich die Situation der betroffenen Person ändert, indem sie etwa wieder Arbeit findet. In diesem Fall stellt sich die Frage, welche Verwaltungsstelle den Kurs weiter finanziert oder ob die betroffene Person die Kurskosten selbst tragen resp. den Kurs abbrechen muss.
Heterogene Akteurslandschaft und Instrumente
Triage zeigt, dass eine ausgeprägt heterogene Akteurslandschaft mit der Förderung von Grundkompetenzen betraut ist. Diese Akteure haben unterschiedliche Aufträge; um das Kompetenzniveau der betroffenen Zielgruppe zu ermitteln und daraus individuelle Bildungswege abzuleiten, benötigen sie zudem unterschiedliche Abklärungsinstrumente (Tabelle 2). Ihre Herausforderung besteht darin, das passende Instrument zu finden und es zielgruppengerecht anzuwenden.
Der Bedarf an geeigneten Instrumenten ist vor allem in der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung und in der Arbeitsintegration hoch. Von den Betroffenen selbst werden unter anderem Selbsttests bevorzugt, die online durchgeführt werden können. Selbsttests können anonym, zum bestmöglichen Zeitpunkt und im eigenen Tempo absolviert und nach Bedarf abgebrochen werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die Betroffenen über minimale Kompetenzen im Bereich IKT verfügen. Gemäss der Befragten brechen sie einen Test dann ab, wenn sie an eine Prüfungssituation erinnert werden oder sich überfordert fühlen. Am häufigsten abgeklärt werden sprachliche Kompetenzen im Bereich Lesen und Schreiben; in diesem Förderbereich sind auch am meisten Instrumente vorhanden.
Die Aufgabe der Abklärung von Grundkompetenzen wird in allen Settings mehrheitlich nicht als expliziter Auftrag wahrgenommen: Nur ein Drittel der Befragten unterliegen entsprechenden Verpflichtungen (Grafik 1), dies vor allem in der (Arbeits-)Integration und Weiterbildung. In der BSLB ist das Abklären von Grundkompetenzen zwar am häufigsten eine Aufgabe, zugleich aber gibt es in diesem Setting meist keinen expliziten Auftrag dafür. Das zeigt, dass vor allem in der BSLB und der Sozialberatung die Förderung von Grundkompetenzen strukturell noch wenig verankert ist.
Eine Mehrheit der Befragten würde die Nutzung von Synergien und eine gewisse Einheitlichkeit über verschiedene Settings hinweg sinnvoll finden.
Eine Mehrheit der Befragten würde die Nutzung von Synergien und eine gewisse Einheitlichkeit über verschiedene Settings hinweg sinnvoll finden. Das zeigen insbesondere die Ergebnisse der parallel zur Triage-Studie erfolgten Studie «Förderung der Grundkompetenzen – Schnittstellen und Qualität». Diese weist nach, dass ein Bedürfnis nach einer besseren Vernetzung der involvierten Akteure zwischen den kantonalen Verwaltungsstellen selbst, den kantonalen Verwaltungsstellen und den Weiterbildungsanbietern sowie zwischen den Kantonen und dem Bund besteht. Damit könnte vermutlich auch das Verständnis, wie Grundkompetenzen definiert und abgeklärt werden, geschärft werden. Ebenso besteht ein Bedarf nach weiteren zielgruppenspezifischen Instrumenten – etwa in Form von Selbsttests zur Abklärung von Grundkompetenzen in allen Förderbereichen.
Fazit
Es gilt, neue Analyseinstrumente in den Bereichen Lesen und Schreiben, IKT und Alltagsmathematik zu entwickeln oder bestehende Instrumente zu adaptieren.
Die vorliegende Studie erhebt zum ersten Mal in systematischer Weise, welche Verwaltungsstellen, Institutionen der Bildung und sozialen sowie arbeitsmarktlichen Integration das Fehlen von Grundkompetenzen erheben und Bildungsmassnahmen verfügen. Sie gibt den Blick frei auf eine heterogene Akteurslandschaft und eine Vielfalt von Erhebungsmethoden. Sie macht zudem deutlich, dass der Begriff der Grundkompetenzen zu unklar definiert und je nach Kanton, Kontext und Beratungsperson unterschiedlich ausgelegt wird.
Aus diesen Ergebnissen lassen sich sechs zentrale Empfehlungen ableiten:
- Um die vorhandenen Analyseinstrumente noch gezielter einsetzen zu können, sollte eine Übersicht nach Art und Funktion der bestehenden Dienstleistungen, Beratungsangebote und Abklärungsinstrumente erarbeitet werden. Aus der Übersicht sollte ersichtlich sein, welche Instrumente zur Abklärung der Grundkompetenzen in welchem Kontext und für welche bestimmte Zielgruppe geeignet ist.
- Es gilt, neue Analyseinstrumente in den Bereichen Lesen und Schreiben, IKT und Alltagsmathematik zu entwickeln oder bestehende Instrumente zu adaptieren. Dazu bedarf es in einem ersten Schritt in Ergänzung zur vorliegenden Triage-Studie einer qualitativen Evaluation der vorhandenen Analyseinstrumente.
- Selbsttests stellen eine gute Methode zur Abklärung von Grundkompetenzen dar; die Entwicklung solcher – speziell im Bereich Alltagsmathematik und IKT – sowie die Weiterentwicklung der bestehenden Selbsttests in den anderen Bereich wird empfohlen.
- In Ergänzung zur Empfehlung 1 schlagen wir vor, eine Übersicht über bestehende Dienstleistungen und Beratungsangebote sowohl auf Bundesebene als auch auf Kantonsebene zu erarbeiten.
- Da die Soll-Ist-Differenz zwischen konzeptioneller Grundlage und effektiver Umsetzung zur Abklärung von Grundkompetenzen vor allem in der Berufs-, Studien und Laufbahnberatung gross ist, wird empfohlen, darauf hinzuarbeiten, dass das Abklären von Grundkompetenzen in diesem beruflichen Setting auch strukturell verankert wird.
- Auf kantonaler wie auf nationaler Ebene sind verwaltungsübergreifende Austauschgefässe zu schaffen, in denen Personen, die sich in unterschiedlichen Zusammenhängen mit der Förderung von Grundkompetenzen befassen, über ihre Erfahrungen berichten und sich austauschen können. Für die inhaltliche Organisation solcher Austausche besteht – zumindest auf kantonaler Ebene – der Bedarf nach einer Definition gemeinsamer Qualitätsvorgaben für Angebote im Rahmen der Grundkompetenzförderung. Die Entwicklung interkantonaler Qualitätsstandards könnten vermutlich förderlich sein und den Qualitätsdialog begünstigen.
Drei Studien zur Förderung der Grundkompetenzen
Die vorliegende Studie «Triage – Instrumente zur Abklärung und Beratung im Bereich Grundkompetenzförderung» bildet eine von drei angewandten Forschungsprojekten zum Thema Grundkompetenzen.
Im Rahmen des Projektes «Dialog Digitale Inklusion» wurde der Bestand an Aktivitäten, Massnahmen und Zielegruppen der digitalen Inklusion in der Schweiz erhoben. Die Ergebnisse dieser Untersuchung dienten als Anstoss für den schweizweiten «Dialog Digitale Inklusion». Federführend ist die Interkantonale Kommission für Weiterbildung IKW in Kooperation mit Partnern wie der Post, eHealth Swiss und dem Dachverband Lesen und Schreiben (DVLS).
Das Projekt «Förderung der Grundkompetenzen: Schnittstellen und Qualität» beleuchtet die Förderung der Grundkompetenzen anhand einer quantitativen Umfrage auf kantonaler Ebene und anhand von fünf Fallstudien (BE, FR, GL, TI, ZH). Es thematisiert insbesondere Schnittstellen- und Qualitätsfragen. Das Projekt wurde vom Steuerungsgremium der nationalen IIZ (interinstitutionelle Zusammenarbeit) lanciert. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) sowie das Staatssekretariat für Migration (SEM) sind mit der Projektleitung beauftragt. Die von der Projektleitung in Auftrag gegebene Studie wird im Dezember 2022 abgeschlossen und anschliessend in Transfer vorgestellt.
Zitiervorschlag
Feller, R., Büchel, K., & Lussi, I. (2022). Förderung der Grundkompetenzen – noch ist vieles offen. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 7(3).