Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Zweiter Anlass aus der «Themenreihe Berufsbildung» an der PH Zürich

Handlungskompetenzorientierung in der Höheren Berufsbildung

Die aktuelle Diskussion über die Handlungskompetenzorientierung (HKO) konzentriert sich bisher oft auf die berufliche Grundbildung. Dabei wird gerne vergessen, dass auch die abnehmenden Schulen der Höheren Berufsbildung diesem Paradigma unterliegen. An der zweiten Veranstaltung der «Themenreihe Berufsbildung» an der Pädagogischen Hochschule in Zürich wurde auf diese vernachlässigte Perspektive eingegangen. Eine Feststellung: Qualifizierte Dozierende der Höheren Berufsbildung zeichnen sich primär durch ihre fachliche und praxisnahe Expertise aus. Pädagogische Themen haben oft einen schweren Stand.


Komplexe Problemstellungen lassen sich nicht in jeder Branche sinnvoll in einer Prüfung abbilden.

Christina Jacober vom Schweizerischen Verband für Weiterbildung (SVEB) machte in ihrem Einstiegsreferat klar, dass «Etwas können» in der Berufsbildung schon immer Ausgangs- und Endpunkt jeder Lernaktivität gewesen ist. Der SVEB übernimmt dabei mit seinen brachenübergreifenden und kompetenzorientierten Angeboten und mit mehr als 4’000 Abschlüssen pro Jahr eine wichtige Rolle in der Berufsbildung. Christina Jacober weist aber auch auf das Spannungsfeld zwischen formalen Vorgaben und der Ausrichtung an der Handlungskompetenzorientierung (HKO) hin, das sich zum Beispiel beim Prüfen zeige: Im beruflichen Alltag müssen konkrete Probleme gelöst werden, auf welche die Ausbildung vorbereitet. Komplexe Problemstellungen lassen sich aber nicht in jeder Branche sinnvoll in einer Prüfung abbilden.

Master Professional veb.ch in Accounting

Im Anschluss ging Herbert Mattle, Präsident von dualstark und Präsident des Fachverbands im Bereich Rechnungslegung und Controlling auf die Frage ein, welchen Stellenwert die HKO bei eidgenössischen Prüfungen einnimmt.

Herbert Mattle strich die Vorzüge von eidgenössischen Prüfungen heraus: Umfangreiche, landesweite und schulunabhängige Prüfungen sind der einzige verlässliche Massstab für den Arbeitsmarkt, der die Qualität der einzelnen Schulen nicht beurteilen kann. Der enge Austausch mit Wirtschaft und Verwaltung ermöglicht es, die Ausbildung konsequent auf die Praxis auszurichten und schafft so eine hohe Akzeptanz am Arbeitsmarkt. All dies verlangt aber eine starke Organisation der Arbeitswelt (OdA), die den Kontakt zu den Arbeitgebenden pflegt, auf die Angebote der Höheren Berufsbildung aufmerksam macht, die Lernenden schon in der Grundbildung anspricht und sich für das Ansehen der Abschlüsse einsetzt.

Der Diskussion um den «Professional Master» ist der Verband bereits Mitte letzten Jahres mit einer brancheneigenen Lösung begegnet. Herbert Mattle, seines Zeichens eidg. dipl. Experte in Rechnungslegung und Controlling sowie zugelassener Revisionsexperte – oder auf Englisch «Chartered Expert in Financial and Managerial Accounting and Reporting, Advanced Federal Diploma of Higher Education» – heisst nun schlicht «Master Professional veb.ch in Accounting». Diese Lösung lehnt sich an Regelungen in Deutschland und Österreich an.

Die HKO ist für Mattle eine wichtige Denkhaltung, deren formelle Umsetzung allerdings Fleissarbeit erfordere. Die HKO veranschaulicht die konkreten Anforderungen an das Berufsbild, gibt Hinweise, wie sich der Unterricht auszurichten hat und ist Richtlinie für die Gestaltung von fächerübergreifenden Prüfungen. Für den Erfolg an den eidgenössischen Prüfungen leistet sie damit einen wichtigen Beitrag.

Kompetenzentwicklung in der Pflege

Im Anschluss zeigte Kathrin Koch, Dozentin an der Höheren Fachschule am Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen (ZAG) in Winterthur auf, dass praxisnahe und interaktive Lehrmethoden wie das Planspiel, das Gruppenpuzzle und regelmässige Reflexionsrunden die Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen der Studierenden fördern. Dabei spielt auch die Integration der 4K-Kompetenzen eine zentrale Rolle (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken). Konstruktives Feedback und Gefässe, die dem Austausch zu Verpflichtungen der Studierenden ausserhalb der Schule dienen, sind mitentscheidend für die kontinuierliche Entwicklung der Handlungskompetenz.

Podiumsdiskussion

Qualifizierte Dozierende seien schwer zu finden und zeichneten sich primär durch ihre fachliche und praxisnahe Expertise aus, weshalb sie auch in Kleinpensen an den Schulen engagiert würden.

Im darauffolgenden Podium moderierte Markus Maurer (PHZH) das Gespräch mit den Gästen. Es wurde die Frage gestellt, ob Sprachkompetenzen eine Selektionsfunktion in der Höheren Berufsbildung haben. Während Herbert Mattle die Frage verneinte und auf die starke Zahlenorientierung in seiner Branche verwies, bestätigte Kathrin Koch diesen Trend für die Pflege. Die reine Wissensvermittlung würde wegen der heterogenen Sprachkompetenzen schwieriger; man suche nach Lösungen, bei denen die KI eine wichtige Rolle einnehmen könnte. Auch für Christina Jacober sind die nachlassenden schriftlichen Kompetenzen der Studierenden ein Thema, so dass im Unterricht und in Leistungsnachweisen vermehrt auf mündliche Formen ausgewichen wird.

Aus dem Publikum kam die Frage, ob die HKO eine Chance für die Inklusion bietet. Für Christina Jacober ermöglicht die Gestaltung unterschiedlicher HKO-Lernarrangements, auf die verschiedenen Lernpräferenzen der Studierenden Rücksicht zu nehmen; die HKO stellt damit eine Chance dar, mit Heterogenität umzugehen. Der Behauptung, dass die HKO das Fehlen von Fachwissen verberge und somit eine Chance für Schwächere sei, entgegnete Kari Wüest (EB Zürich), dass das HKO-Paradigma es nicht zulasse, fachliche und überfachliche Kompetenzen gegeneinander auszuspielen. Im Mittelpunkt steht deren gegenseitige Integration, mit der sichergestellt werde, dass das gelernt wird, was in der Praxis gebraucht wird. Es geht darum, das berufliche Handeln zu begründen und in neuen Problemsituationen Entscheidungen fällen zu können.

Aus dem Publikum kam die Bemerkung, dass der HKO in der Höheren Berufsbildung ein noch grösserer Stellenwert zukomme als in der Grundbildung, da man von einem soliden Grundwissen ausgehen könne, welches die Bearbeitung komplexerer Fragestellungen auf höheren Taxonomiestufen zulasse. Qualifizierte Dozierende seien aber schwer zu finden und zeichneten sich primär durch ihre fachliche und praxisnahe Expertise aus, weshalb sie auch in Kleinpensen an den Schulen engagiert würden. Pädagogische Themen sind für sie oft marginal. Sie für das Konzept der HKO zu gewinnen sei deshalb schwierig. Christina Jacober empfiehlt in diesem Zusammenhang die SVEB-Weiterbildungen, die auch zeitlich gesteckt absolviert werden können. Kathrin Koch macht in solchen Fällen gute Erfahrungen mit dem kollegialen Unterrichtsbesuch und weist darüber hinaus auf die Angebote der PH Zürich im Bereich HKO hin.

Markus Maurer nahm zum Schluss nochmals das Thema des Professional Bachelor und Master auf und stellte die Frage, ob mit der Einführung der neuen Titel nicht auch ein Akademisierungsdruck entstehe. Herbert Mattle verneinte diese Frage und verwies auf seine Branchenlösung. Demgegenüber ist in der Pflegeausbildung sehr wohl mit einer solchen Dynamik zu rechnen. Bei den stark praxisorientierten HF-Bildungsgängen gibt es noch Nachholbedarf, um auf der theoretischen Seite den Standards zu genügen. Christina Jacober und Rudolf Strahm sehen die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) in der Pflicht, der Akademisierung entgegenzuhalten. Die fachlichen Inhalte in der Höheren Berufsbildung werden von den OdA gesteuert, die sich strikt am Arbeitsmarkt orientieren und somit die Akzeptanz ihrer Abschlüsse sicherstellen sollen. Die OdA haben es somit selbst in der Hand, wie viel Akademisierung sie in ihren Aus- und Weiterbildungen zulassen wollen.

Die Themenreihe Berufsbildung

Die «Themenreihe Berufsbildung» feiert dieses Jahr ihr zehnjähriges Bestehen. Mit jährlich vier Veranstaltungen zu einem Dachthema hat sich das kostenlose Abend-Format, dass die pädagogische Hochschule Zürich (PHZH) in Kooperation mit der Table Ronde berufsbildender Schulen organisiert, gut etabliert und erreicht ein breites Publikum.

Die erste Veranstaltung stand im Zeichen von HKO-Reformumsetzungen in der beruflichen Grundbildung mit Berichten aus der Praxis. Eine Erkenntnis daraus: Die Umsetzungen fallen sehr heterogen aus und können teils auch auf Widerstand bei den Lehrpersonen stossen. Eine ganzheitliche Organisationsentwicklung unterstützt den Prozess allgemein. Transfer berichtete in diesem Beitrag darüber.

Die nächste Veranstaltung zum Thema Handlungskompetenzorientierung findet am 19. September 2024 in Präsenz auf dem Campus der PHZH statt. Thema ist die Lernortkooperation in der HKO. Eine lernortübergreifende Kompetenzentwicklung verlangt einen erhöhten Kooperationsbedarf zwischen den Lernorten auf den unterschiedlichsten Ebenen. Welcher Mehrwert ist zu erwarten und wo liegen die Stolpersteine? Anmeldung hier.

Die Gäste der zweiten Veranstaltung waren:

  • Christina Jacober, Mitglied der Geschäftsleitung, Schweizerischer Verband für Weiterbildung (SVEB)
  • Kathrin Koch-Jaksiewicz, Dozentin Höhere Fachschule, Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen (ZAG), Winterthur
  • Herbert Mattle, Präsident dualstark
  • Moderation: Markus Maurer, Professur Berufspädagogik, PHZH
Zitiervorschlag

Schneebeli, R. (2024). Handlungskompetenzorientierung in der Höheren Berufsbildung. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(10).

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