Forschungsprojekt der ZHAW und emplution
KI trifft persönliche Beratung: Weiterbildungs-Co-Pilot für KMU
KMU haben immer mehr Mühe, aus einem sehr umfangreichen und unübersichtlichen Angebot die passende Weiterbildung für ihre Mitarbeitenden zu finden. Hier helfen Anwendungen der KI und persönliche Beratung weiter. Das vom SBFI geförderte Forschungsprojekt «Co-Pilot für berufliche Entwicklung» geht der Frage nach, wie eine solche hybride Weiterbildungsberatung gestaltet werden könnte. Im vorliegenden Beitrag wird ein branchenübergreifendes Grundlagenkonzept dargestellt, das neben dem zweistufigen Beratungsprozess und dem branchenspezifischen KI-Modell auch Aspekte zum Datenschutz und künftige Trägerschaftsmodelle beinhaltet.
Mitarbeitende zu einer Weiterbildung zu bewegen, konfrontiert KMU mit verschiedenen Schwierigkeiten. Es ist nicht nur das unüberschaubare Angebot, auch zeitliche und finanzielle Ressourcen im Betrieb sorgen dafür, dass KMU-Verantwortliche weniger Weiterbildungen umsetzen als sie eigentlich möchten (Müller et al., 2024). Von technologischer Seite her könnten benutzerfreundliche Weiterbildungsdatenbanken oder die Nutzung von KI Zeit sparen und Unterstützung bei der Weiterbildungssuche bieten. Innovationswettbewerbe wie der deutsche Invite zeigen das Potential und die Vielzahl der Anwendungsmöglichkeiten im deutschsprachigen Raum. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Nutzerinnen und Nutzer der Weiterbildungsberatung eine Präferenz für eine Kombination von digitaler und persönlicher Beratung durch eine Beratungsperson haben (Pölderl et al., 2023).
Als Praxispartner waren zwei Branchenverbände, JardinSuisse und Treuhand Suisse sowie diverse weitere Partner aus der Berufs- und Weiterbildung im Projekt vertreten.
Das vom SBFI geförderte Projekt verfolgt deshalb die Frage, wie diese Art der Beratung gestaltet werden kann und welche technologischen Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. Das Projektteam von ZHAW und emplution entwickelte dazu gemeinsam mit der technischen Partnerin Apps with love ein Grundlagenkonzept für eine hybride Weiterbildungsberatung, den «Co-Pilot für berufliche Entwicklung». Als Praxispartner waren zwei Branchenverbände, JardinSuisse und Treuhand Suisse sowie diverse weitere Partner aus der Berufs- und Weiterbildung im Projekt vertreten.
Phase 1 des Projektes wird mit dem vorliegenden Grundkonzept abgeschlossen. Die zweite Phase, welche bis April 2026 dauert, fokussiert auf der Entwicklung einer Testumgebung, in der das grundlegende Design und die Funktionalität des Co-Piloten branchenspezifisch getestet werden. Mit den Resultaten des vorliegenden Projekts (Phase 1 Grundkonzept, Phase 2 branchenspezifische Evaluationsergebnisse) haben alle Anbieter von Webapplikationen die gleichen Voraussetzungen, um eine Offerte für die Entwicklung eines Produktes für eine bestimmte Branche einzureichen.
Methodisches Vorgehen zur Erarbeitung des Grundlagenkonzepts
Im Zentrum des methodischen Vorgehens stand eine schrittweise Vorgehensweise, die die unterschiedlichen Anspruchsgruppen und potenziellen Benutzerinnen miteinbezog. Es wurden 28 halbstrukturierte Interviews mit Vertretern von Branchenverbänden, Weiterbildungsanbietern aus unterschiedlichen Branchen sowie mit Führungskräften und Mitarbeitenden aus KMUs geführt.
Auf dieser Basis wurden Personas entwickelt – fiktive, aber realitätsnahe Nutzerprofile, die typische Bedürfnisse, Herausforderungen und Erwartungen der Zielgruppen abbilden. Darauf aufbauend wurden Use Cases erarbeitet, also konkrete Anwendungsfelder, die zeigen, wie die Beratungslösung im Alltag eingesetzt werden soll. Des Weiteren wurden Workshops zur Validierung der Personas und Use Cases mit den Branchenverbänden veranstaltet. Zur Validierung des ersten Entwurfs des Grundlagenkonzeptes wurden zehn Expertinnen zu einem ersten Entwurf schriftlich befragt. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass verschiedene Perspektiven und die Bedürfnisse der Nutzenden kontinuierlich berücksichtigt werden und somit die Nachfrageorientierung, Akzeptanz und Wirkung des Co-Piloten für berufliche Entwicklung maximiert werden.
Als Ergebnis der Interviews, Workshops und der schriftlichen Befragung wurde ein branchenübergreifendes Grundlagenkonzept formuliert. Seine Grundbausteine, der hybride Beratungsprozess und das KI-Datenmodell, werden im Folgenden näher beschrieben.
Kernelement hybrider Beratungsprozess
Der Beratungsprozess des Co-Piloten folgt einem zweistufigen Konzept, das KI-basierte und persönliche Beratung kombiniert.
Der Beratungsprozess des Co-Piloten folgt einem zweistufigen Konzept, das KI-basierte und persönliche Beratung kombiniert. Der KI-basierte Chatbot dient als niederschwelliger Einstieg und beantwortet einfache Fragen sofort. Bei komplexeren Anliegen werden die Nutzerinnen an einen qualifizierten Berater weitergeleitet. Dies können Beratende von branchenspezifischen Schulen oder Weiterbildungsanbietern, Branchenverbänden oder aus der Laufbahnberatung sein. Dieser Ansatz ermöglicht eine effiziente und bedarfsgerechte Unterstützung, die sowohl die individuellen Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer als auch die Anforderungen der Betriebe berücksichtigt.
Als primäre Nutzergruppen des Co-Piloten (Personas) wurden Einsteiger, Etablierte und Quereinsteigerinnen identifiziert. Diese Personen bringen unterschiedliche Fragestellungen mit, wie beispielsweise «Welche Weiterbildung benötige ich, damit ich in der Branche Fuss fassen kann?», «Welche Weiterbildung passt zu meinen persönlichen Interessen?» oder Fragen zu den Möglichkeiten einer Anerkennung von Vorqualifikationen. Auf Basis dieser Personas wurden konkrete Anwendungsfelder («Use Cases») definiert, die passgenau auf die Anforderungen der verschiedenen Personas abgestimmt sind. Folgende drei Use Cases wurden herausgearbeitet:
- «Fehlende Information»: Weiterbildungsinteressierte haben Fragen zu einer spezifischen Weiterbildung. Sie möchten fehlende Informationen z.B. zu Kursinhalten, Dauer oder Kosten einholen. Der KI-basierte Chatbot bietet eine erste Orientierung und beantwortet grundlegende Fragen. Bei komplexeren Anfragen wird an eine Beratungsperson weitergeleitet.
- «Zielgerichtete Beratung»: Weiterbildungsinteressierte haben ein konkretes berufliches Ziel und möchten dahingehend beraten werden. Für eine detaillierte Planung und individuelle Beratung werden sie an eine Beratungsperson weitergeleitet.
- «Inspirierender Überblick»: Weiterbildungsinteressierte möchten sich einen Überblick über verschiedene Weiterbildungsangebote in der eigenen Branche verschaffen. Der Chatbot stellt gezielte Fragen zu den beruflichen Interessen und bisherigen Abschlüssen und präsentiert darauf basierend relevante Weiterbildungsangebote. Für eine detaillierte Beratung wird an eine Beratungsperson weitergeleitet.
Jeder Use Case kann potenziell für jede Persona relevant sein, wobei es für die verschiedenen Personas jeweils Tendenzen gibt, welche Use Cases häufiger sind (siehe Abb. 1)
KI-Datenmodell für die branchenspezifische Weiterbildungsberatung
Das herausragende Merkmal des Co-Piloten für berufliche Entwicklung ist neben der Kombination von KI-basierter und persönlicher Beratung die Branchenspezifität des KI-Chatbots.
Das herausragende Merkmal des Co-Piloten für berufliche Entwicklung ist neben der Kombination von KI-basierter und persönlicher Beratung die Branchenspezifität des KI-Chatbots. Für eine qualitativ hochwertige Beratung greift er auf umfassendes Wissen zurück, welches auch die Besonderheiten der jeweiligen Branche (typische Weiterbildungs- und Karrierewege oder gängige Fachbegriffe etwa) beinhaltet. Dies erhöht die Präzision der Antworten sowie die Relevanz der Empfehlungen und verbessert allgemein die Nutzung des Chatbots für die Branchenverbände.
Technisch nutzt der Co-Pilot ein Retrieval-Augmented Generation (RAG)-Modell, das durch KI-Agenten erweitert wird (vgl. Abb. 2).
- Large Language Model (LLM) und Knowledge Graph: Anfragen der Nutzerin werden von einem LLM verarbeitet, das auf einen Knowledge Graph zugreift. Dieser Knowledge Graph ist ein strukturiertes Wissensnetzwerk, das alle relevanten Informationen zu Weiterbildungsangeboten, Voraussetzungen, Karrierepfaden und verwandten Bereichen speichert und verknüpft. Die Daten stammen aus einer zentralen Angebotsdatenbank und aus Beschreibungen von branchenspezifischen Karriere- und Bildungswegen. Durch Fine-Tuning wird das LLM auf branchenspezifische Daten angepasst, um Benutzeranfragen besser zu verstehen und präzise Antworten zu formulieren. Es erkennt logische und fachliche Zusammenhänge und leitet daraus regelbasierte Empfehlungen ab.
- Vektor-Datenbank: Ergänzend zum Knowledge Graph wird eine Vektor-Datenbank eingesetzt. Sie ermöglicht die Identifizierung thematisch ähnlicher Weiterbildungsangebote durch eine semantische Ähnlichkeitssuche. Dies ist besonders hilfreich, wenn Nutzende noch keine konkrete Zielvorstellung haben und eine «entdeckungsorientierte» Beratung wünschen.
- KI-Agenten: Sie optimieren die Nutzerinteraktion, indem sie den Dialog steuern und Aufgaben modular verteilen. Ein zentrales Agentensystem orchestriert die Anfrageverarbeitung, indem es entscheidet, welche Komponenten (Knowledge Graph, Vektor-Datenbank, Verlaufsspeicher) angesteuert werden müssen. KI-Agenten können bei komplexen oder sensiblen Anfragen auch die Kontaktaufnahme mit einer persönlichen Beratungsperson anregen oder als Expertinnen für spezifische Themen agieren, um präzise Empfehlungen zu geben.
Erkenntnisse aus dem Grundlagenkonzept
Die nachfolgenden Erkenntnisse beruhen auf der Entwicklung des Grundlagenkonzepts, das auf einem Austausch mit Vertretern von Branchenverbänden, Weiterbildungsanbietern aus unterschiedlichen Branchen und mit Führungskräften sowie Mitarbeitenden aus KMU basiert. Diese vielfältigen Perspektiven haben die Entwicklung des hybriden Beratungsansatzes geprägt. Es zeigt sich, dass eine Kombination aus KI-gestützter und persönlicher Beratung ein wirkungsvolles Instrument zur Förderung der Weiterbildungsaktivität in KMU sein kann.
Zusammengefasst sind für den Erfolg einer Implementierung des Co-Piloten die folgenden Aspekte zentral:
- Nutzerzentrierung: Der Beratungsprozess orientiert sich konsequent an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer.
- Branchenspezifische Ausrichtung: Die KI wird durch KI-Agenten mit spezifischem Branchenwissen ergänzt, um relevante und präzise Empfehlungen zu ermöglichen.
- Datenqualität und Datenschutz: Die Qualität der Weiterbildungsdaten und der Schutz personenbezogener Daten sind essenziell für Vertrauen und Akzeptanz.
- Technologische Zukunftsfähigkeit: Ein modularer Aufbau und laufende Aktualisierungen sichern die Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft des Co-Piloten.
- Trägerschaftsmodelle: Zwei tragfähige Betriebsmodelle – Integration in Verbandsstrukturen oder Mandatierung eines Technologiepartners – wurden skizziert.
Um das Grundlagenkonzept und die bisherigen Erkenntnisse zu validieren, wird der Co-Pilot in einem nächsten Schritt in branchenspezifischen Pilotumgebungen in der Grünen Branche und in der Treuhandbranche getestet und das Grundlagenkonzept aufgrund der Erfahrungen entsprechend ergänzt.
Fazit
Der Co-Pilot für berufliche Entwicklung beschreibt eine hybride Weiterbildungsberatung, die sowohl auf den Nutzen des Einsatzes von KI als auch auf persönliche Beratung setzt. Der zweistufige Beratungsprozess, der auf definierten Nutzergruppen (Personas) und konkreten Anwendungsfällen (Use Cases) basiert, ist einerseits niederschwellig und effizient, andererseits individuell und qualitativ hochwertig.
Insofern stellt das Konzept des Co-Piloten ein Referenzmodell dar, das von interessierten Branchenverbänden adaptiert und in branchenspezifische Pilotprojekte überführt werden kann.
Insofern stellt das Konzept des Co-Piloten ein Referenzmodell dar, das von interessierten Branchenverbänden adaptiert und in branchenspezifische Pilotprojekte überführt werden kann. Es schafft die Grundlage, um Weiterbildungsaktivitäten zu erhöhen, die Wettbewerbsfähigkeit von KMU zu stärken und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Download Grundkonzept
Weiterführende Literatur
- BFS (2023): Teilnahme an Weiterbildung 2010-2022. SAKE. Neuchâtel: BFS.
- Müller, M., Gollob, S. & Hedinger, F. (2024). Bedeutung und Umsetzung von Weiterbildung in KMU. Zürich: SVEB.
- Pölderl, C., Gerber, M., & Probst, J. (2023). Benötigen KMU Weiterbildungsberatung? Wenn ja, welche? Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(10).
- Reichow, I., Buntins, K., Paaßen, B., Abu-Rasheed, H., Weber, C., & Dornhöfer, M. (2022). Recommendersysteme in der beruflichen Weiterbildung. Grundlagen, Herausforderungen und Handlungsempfehlungen. Ein Dossier im Rahmen des INVITE-Wettbewerbs. Berlin, 26 S.
Zitiervorschlag
Pölderl, C., Gerber, M., Probst, J., & Oswald, O. (2025). KI trifft persönliche Beratung: Weiterbildungs-Co-Pilot für KMU. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 10(9).