Deutlicher Rückgang an Jobs mit automatisierbaren Routinetätigkeiten
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf den Schweizer Arbeitsmarkt aus?
Computer, Roboter und künstliche Intelligenz können immer mehr Arbeitstätigkeiten übernehmen, die bis anhin Menschen ausgeführt haben. Während etwa in den USA in Krisen massenhaft Arbeitskräfte ihre Jobs an digitale Technologien verloren haben, verläuft der durch die Digitalisierung angetriebene Strukturwandel in der Schweiz graduell und weniger schmerzhaft. Dies dürfte insbesondere am beschäftigungsorientierten Schweizer Berufsbildungssystem liegen, das Junge aktiv auf Berufe und die darin benötigten Fähigkeiten vorbereitet. Nichtsdestotrotz haben sich Aufstiegs- sowie Wiedereinstiegschancen von Personen mit tiefer und mittlerer Bildung teils verschlechtert. Eine aktive Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik dürfte immer notwendiger werden, um unerwünschten wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Folgen der zunehmenden Digitalisierung zu begegnen.
Während der technische Fortschritt in der Vergangenheit stets bestimmte Arten von Arbeit verdrängt und andere geschaffen hat, war der Netto-Beschäftigungseffekt im Allgemeinen positiv. In der Gesellschaft ist jedoch die Sorge weit verbreitet, dass es dieses Mal anders sein könnte.
Der technische Fortschritt gilt als Haupttreiber einer stetig wachsenden Wirtschaft. Er brachte zahllose Innovationen hervor, welche unsere Lebensqualität verbessern, etwa im Bereich der Fortbewegung, der Medizin oder der Energiegewinnung. In jüngerer Zeit haben die enorme Steigerung der digitalen Speicherkapazität und das Aufkommen der Internetkommunikation die zunehmende Informatisierung und Automatisierung unserer Volkswirtschaften im Allgemeinen und der Arbeitsmärkte im Besonderen ermöglicht. Sowohl in der Öffentlichkeit als auch der Wissenschaft herrscht eine lebhafte Debatte über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die zukünftige Bedeutung menschlicher Arbeit. Während der technische Fortschritt in der Vergangenheit stets bestimmte Arten von Arbeit verdrängt und andere geschaffen hat, war der Netto-Beschäftigungseffekt im Allgemeinen positiv. In der Gesellschaft ist jedoch die Sorge weit verbreitet, dass es dieses Mal anders sein könnte und Computer, Roboter und Künstliche Intelligenzen die menschliche Arbeitskraft letztendlich ganz verdrängen könnten.
Die Wirtschaftswissenschaften haben zwei vorherrschende Mechanismen ermittelt, welche die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt prägen.
- Einerseits steigern digitale Technologien die Produktivität von und die Nachfrage nach Arbeitskräften mit höherer Bildung – je höher der Bildungsgrad der Arbeitnehmenden, desto eher können sie also in einer sich digitalisierenden Arbeitswelt mit (noch) besseren Löhnen und Beschäftigungsaussichten rechnen (Katz und Murphy 1992).
- Andererseits lassen sich mit digitalen Technologien insbesondere Routinetätigkeiten «automatisieren». Das sind Tätigkeiten, die gemäss klar definierter Anleitungen und Verfahren ausgeführt werden. Dementsprechend würden Arbeitskräfte mit einem hohen Anteil solcher Routinetätigkeiten – z.B. Fabrikarbeiterinnen, die Produkte sortieren und lagern, oder Büroangestellte, die Bilanzen oder Register führen und kontrollieren – an Arbeitsmöglichkeiten einbüssen (Goos et al. 2014). Da solche Routineberufe z.B. in den USA generell ein mittleres Einkommen einbringen und dort seit Anfang der 1990er-Jahren ein deutlicher Rückgang solcher Jobs zu beobachten ist, wird dieser Mechanismus oft mit dem Schwund der Mittelklasse und zunehmender Ungleichheit in Verbindung gebracht.
Deutlicher Rückgang handwerklicher und kognitiver Routinebeschäftigung in der Schweiz
Auch in der Schweiz lässt sich ein Rückgang an Jobs beobachten, die mehrheitlich handwerkliche oder kognitive Routinetätigkeiten beinhalten (Gschwendt 2022). Beispiele handwerklicher Routinetätigkeiten sind der Zusammenbau vorgefertigter Fahrzeugteile zu einem Auto oder das Sortieren von landwirtschaftlichen Produkten. Das Eingeben und Kontrollieren von Daten in Datenbanken oder das Bedienen einer Kasse lassen sich wiederum als eher kognitive Routinetätigkeiten einordnen. Wie Tabelle 1 zeigt, arbeiten in handwerklichen Routinejobs mehrheitlich Männer und Menschen mit mittlerer Bildung sowie verhältnismässig viele Nicht-Schweizer Staatsangehörige, die Löhne sind generell tief. In kognitiven Routinejobs sind hingegen mehr Arbeitskräfte mit höherer Bildung tätig, sie werden fast zu zwei Dritteln von Frauen ausgeübt und bezahlen grundsätzlich bessere, relativ durchschnittliche Löhne.
Demgegenüber arbeiten in der Schweiz immer mehr Menschen in Jobs, die hauptsächlich kognitive Nichtroutinetätigkeiten wie Beratung, Problemlösen oder Programmentwicklung umfassen.
Demgegenüber arbeiten in der Schweiz immer mehr Menschen in Jobs, die hauptsächlich kognitive Nichtroutinetätigkeiten wie Beratung, Problemlösen oder Programmentwicklung umfassen. Die durchschnittlichen Löhne in solchen kognitiven Nichtroutinejobs sind die deutlich höchsten, Frauen und Männer halten sich hier in etwa die Waage und fast zwei von drei Beschäftigten verfügen über einen hohen Bildungsabschluss. In Jobs mit mehrheitlich handwerklichen Nichtroutinetätigkeiten, z.B. Reinigen, Patrouillieren oder Servieren, finden sich überwiegend Männer, viele ausländische Staatsangehörige und die Löhne sind grundsätzlich tief.
Wie in Grafik 1 ersichtlich ist, waren Anfang der 90er-Jahre 20% der Personen zwischen 15 und 65 Jahren in einem kognitiven Routinejob tätig, 2021 waren es lediglich noch 14%. Ebenfalls ersichtlich ist, dass schon vor der Jahrtausendwende nur ein kleiner Anteil der Schweizer Arbeitskräfte in handwerklichen Routinejobs arbeitete, dieser hat sich zwischen 2000 und 2021 von 5% auf 2.5% halbiert. Im Gegensatz dazu stieg der Anteil Beschäftigter in kognitiven Nichtroutinejobs deutlich und beständig von 32% auf knapp 43%; bloss Anfang der 90er-Jahre sowie während der Finanz- und der Coronakrise ging deren Anteil vorübergehend zurück. Knapp jede und jeder Fünfte zwischen 15 und 65 Jahren war 1992 in handwerklichen Nichtroutinejobs tätig, dieser Anteil hat sich in den letzten 30 Jahren nur geringfügig verringert.
Was ist mit den Arbeitskräften in Routinejobs passiert?
Um herauszufinden, wie dieser Rückgang an Routinejobs in der Schweiz auf der Ebene der Arbeitskräfte vonstattenging, untersuche ich die individuellen Wechsel zwischen den vier Beschäftigungstypen sowie Erwerbslosigkeit (Personen auf Arbeitssuche) und Nichterwerbstätigkeit (Personen, die weder arbeiten noch auf Arbeitssuche sind, etwa Hausmänner oder Studentinnen) – und wie sich diese Wechsel in den letzten knapp 30 Jahren entwickelt haben. Haben Arbeitskräfte von Routinejobs in andere Beschäftigungsbereiche, z.B. in kognitive Nicht-Routinejobs, gewechselt? Haben viele von ihnen das Pensionsalter erreicht oder aber sind sie systematisch in der Arbeitslosigkeit gelandet? Studien für die USA zeigen nämlich, dass Arbeitskräfte in Routinejobs in Wirtschaftskrisen massenhaft entlassen werden. Früher kehrten sie nach den Krisen wieder zurück in ihre Routinejobs, seit den 1990er-Jahren finden sie jedoch kaum noch Wiederanstellung, sondern müssen sich oft mit schlechter bezahlten handwerklichen Nichtroutinejobs zufriedengeben, landen vermehrt in der Langzeitarbeitslosigkeit oder fallen ganz aus der Erwerbsbevölkerung (Cortes et al. 2020).
Erstens zeigt meine Analyse, dass Routinearbeitskräfte nicht vermehrt arbeitslos geworden oder in den Ruhestand getreten sind, auch die Anzahl jener, die in andere Beschäftigungsbereiche gewechselt haben, hat sich kaum verändert. Hingegen ist die Anzahl Personen, die in Routinejobs eine Anstellung gefunden haben, seit den 1990er-Jahren schrittweise zurückgegangen. Insbesondere haben Beschäftigte aus handwerklichen Nicht-Routinejobs sowie Nichterwerbstätige deutlich weniger einen Routinejob angetreten: Während in den 1990er-Jahren noch jedes Jahr durchschnittlich knapp 12’000 von eher schlecht bezahlten handwerklichen Nichtroutinejobs in besser bezahlte kognitive Routinejobs «aufsteigen» konnten, waren es in den 2010er-Jahren nur noch knapp 7000. Vor der Jahrtausendwende haben jährlich etwa 43’000 zuvor nichterwerbstätige Personen eine kognitive Nichtroutineanstellung gefunden, in den 2010er-Jahren waren es noch etwa 36’000.
Es könnte durchaus sein, dass es schlicht immer weniger Personen gibt, die gemäss ihrer Bildung, Geschlecht, Alter und anderen sozio-demografischen Charakteristiken früher typischerweise eine Anstellung in einem Routineberuf antraten. Meine Analyse zeigt jedoch, dass dem nicht so ist: Die Anzahl solcher Personen hat sich kaum vermindert. Aber sie neigen heutzutage weniger dazu, einen Routinejob zu beginnen, insbesondere wenn sie einen tiefen Bildungsstand haben. Das bedeutet, dass solche Personen heutzutage entweder bessere Job-Alternativen haben, dass weniger Routinestellen existieren oder dass Bewerbende mit anderen sozio-demografischen Charakteristiken (z.B. höherer Bildung) bei Vakanzen den Vorzug erhalten. Wie Studien mit Firmendaten zeigen, senkt die in Schweizer Firmen zunehmende Nutzung digitaler Technologien die Beschäftigung von gering qualifizierten Angestellten und erhöht jene von hochqualifizierten (Balsmeier und Wörter 2019, Pusterla und Renold 2022). Es ist daher plausibel anzunehmen, dass die gesunkene Neigung «typischer» Routinearbeitskräfte mit eher tiefer Bildung, in eine Routinebeschäftigung einzutreten, eine gesunkene Nachfrage nach Arbeitskräften in Routineberufen widerspiegelt.
Schweizer Berufsbildungssystem als Trumpf
In den USA sind es besonders junge und mittelqualifizierte Arbeitskräfte, die in Wirtschaftskrisen ihre Routinejobs verlieren. In der Schweiz finden vor allem geringqualifizierte Personen und solche im mittleren Alter seltener Anstellung in Routineberufen – der durch die Digitalisierung angetriebene Strukturwandel verlief bisher als deutlich weniger individuell schmerzhaft. Dies dürfte insbesondere damit zusammenhängen, dass das Schweizer Bildungssystem – im Gegensatz etwa zum US-amerikanischen – aktiv versucht, Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger, die eine Berufsbildung wählen, so auszubilden, dass sie die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften und Skills bestmöglich befriedigen.
Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, wie die Politik damit umgehen soll, dass schlechtbezahlte Arbeitskräfte immer weniger direkte Aufstiegsmöglichkeiten und Nichterwerbstätige immer weniger (Wieder-)Einstiegsmöglichkeiten in mittelbezahlte kognitive Routinejobs haben.
Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, wie die Politik damit umgehen soll, dass schlechtbezahlte Arbeitskräfte immer weniger direkte Aufstiegsmöglichkeiten und Nichterwerbstätige immer weniger (Wieder-)Einstiegsmöglichkeiten in mittelbezahlte kognitive Routinejobs haben. Von Letzterem sind primär Frauen mit mittlerer Bildung betroffen, die nach temporärer Nichterwerbstätigkeit, z.B. aufgrund von Mutterschaftspausen, den Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit suchen.
Die Schweizer Arbeitskräfte haben sich bisher als durchaus an die Digitalisierung anpassungsfähig erwiesen. Es bleibt abzuwarten, wie sich der weitere technologische Fortschritt auf die Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft auswirken wird. Insbesondere die aktuellen Entwicklungssprünge im Bereich der künstlichen Intelligenz werden auch viele kognitive Nicht-Routinetätigkeiten automatisierbar machen. Eine aktive Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik dürfte zunehmend notwendig werden, um die wachsende Anzahl Personen, die aufgrund der Digitalisierung an Arbeitsmarktchancen einbüssen, zu unterstützen. In der Schweizer Öffentlichkeit sind die Auswirkungen der Automatisierung von menschlicher Arbeitskraft und mögliche politische Antworten darauf noch kaum ein Thema. Die Untersuchung möglicher Chancen und Risiken von Vorschlägen wie einem bedingungslosen Grundeinkommen, einer Job-Garantie, staatlich finanzierter Umschulungsprogramme oder der Besteuerung digitaler Technologien erhält in den Wirtschaftswissenschaften jedoch immer höhere Aufmerksamkeit (siehe z.B. Abbott und Bogenschneider 2018 oder Jaimovich et al. 2021).
Dier vorliegende Beitrag enthält überarbeitete Teile eines im KOF Bulletin erschienenen Artikels mit dem Titel «Wie die Digitalisierung den Schweizer Arbeitsmarkt umkrempelt».
Literatur
- Abbott, R., & Bogenschneider, B. (2018). Should robots pay taxes: Tax policy in the age of automation. Harv. L. & Pol’y Rev., 12, 145.
- Cortes, G. M., Jaimovich, N., Nekarda, C. J., & Siu, H. E. (2020). The dynamics of disappearing routine jobs: A flows approach. Labour Economics, 65, 101823.
- Gschwendt, C. (2022). Routine job dynamics in the Swiss labor market. Swiss Journal of Economics and Statistics, 158(1), 1-21.
- Goos, M., Manning, A., & Salomons, A. (2014). Explaining job polarization: Routine-biased technological change and offshoring. American economic review, 104(8), 2509-2526.
- Jaimovich, N., Saporta-Eksten, I., Siu, H., & Yedid-Levi, Y. (2021). The macroeconomics of automation: Data, theory, and policy analysis. Journal of Monetary Economics, 122, 1-16.
- Katz, L. F., & Murphy, K. M. (1992). Changes in relative wages, 1963–1987: supply and demand factors. The quarterly journal of economics, 107(1), 35-78.
Zitiervorschlag
Gschwendt, C. (2023). Wie wirkt sich die Digitalisierung auf den Schweizer Arbeitsmarkt aus?. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(4).