Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Wie junge Männer und Frauen sich ihre berufliche Zukunft nach der Familiengründung vorstellen

Bleibt alles anders?

Wie stellen sich 30jährige Schweizerinnen und Schweizer ihre berufliche Zukunft vor und welche Bedeutung kommt dabei einer eigenen Familie zu? Ein Basler Forschungsteam zeigt im Rahmen eines Nationalfonds-Projektes, dass die Familienvorstellungen bei beiden Geschlechtern sehr bedeutsam für die berufliche Zukunft sind, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Obwohl den meisten Frauen ihr Beruf viel bedeutet, ist ihnen häufig unklar, wie ihre Berufslaufbahn weitergehen wird, wenn sie Mutter sind. Junge Männer wünschen sich, als Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können. Dazu würden sie gerne ihr Pensum reduzieren (80%), sind aber unsicher, wie stark sie das von Arbeitgebenden fordern können. Je nach Berufsbranche gestalten sich die Bedingungen, Berufs- und Familienpläne zu vereinbaren, unterschiedlich.


Was bewegt 30jährige Schweizerinnen und Schweizer heute bezüglich Beruf und Familie? Wie stellen sie sich ihre berufliche Zukunft als Eltern vor, was ist ihnen wichtig, welche Befürchtungen haben sie? Diesen und weiteren Fragen sind wir in einer vom Nationalfonds geförderten Studie am Zentrum Gender Studies der Universität Basel empirisch nachgegangen.1 Dazu konnten wir auf die national und sprachregional repräsentative Längsschnittstudie TREE (Transition von der Erstausbildung ins Erwerbsleben) zurückgreifen. TREE erhebt seit dem Jahr 2000 die Berufsverläufe junger Erwachsener in der Schweiz. Im Anschluss an die PISA-Studie wurden über 6000 Jugendliche nahezu jährlich zu ihren Ausbildungsverläufen und Erwerbserfahrungen befragt. Aus dieser Stichprobe konnten wir 47 Interviewpartner/innen2 auswählen, die – gegenwärtig etwa dreissigjährig – in sogenannten geschlechtstypischen3, geschlechtsneutralen oder geschlechtsuntypischen Berufen tätig sind. Mit ihnen haben wir persönliche Interviews geführt und sie zu ihren beruflichen Erfahrungen, ihre Zukunftsvorstellungen und -visionen, sowie zu ihren Vorstellungen von einer zukünftigen Familie befragt.

Mit der Mutterschaft kommt die berufliche Ungewissheit

Die befragten Frauen tun sich schwer mit der Ungewissheit bzw. fürchten den Verlust ihrer Berufsarbeit, in die sie lange Ausbildungsjahre investiert haben und die in ihrem bisherigen Leben und für ihr Selbstverständnis inzwischen eine so wichtige Rolle spielt.

Für die meisten unserer Befragten steht das Thema eigene Familiengründung unmittelbar an. In den nächsten Monaten oder doch in den nächsten zwei bis fünf Jahren wollen viele von ihnen Mutter oder Vater werden. Elternschaft wird in den Interviews mit Frauen und Männern jedoch unterschiedlich thematisiert.

So zeigten die Interviews mit den Frauen, dass sie überwiegend gerne berufstätig sind und im Alter von 30 inzwischen eine hohe Berufsidentität entwickelt haben. Dies gilt sowohl für Frauen in frauentypischen, als auch neutralen und -untypischen Berufen. Für die meisten von ihnen bedeutet der antizipierte Übergang zur Mutterschaft eine grosse Ungewissheit – und vor allem ein Dilemma: Mutterschaft wird von den jungen Frauen als eine sehr wichtige Aufgabe gesehen. Sie sehen die Zuständigkeit für das Wohlbefinden und gesunde Aufwachsen eines Kindes grösstenteils bei sich. Gleichzeitig befürchten sie, dass diese Zuständigkeit unabsehbare Konsequenzen für ihre weitere Berufslaufbahn mit sich bringen wird. Weil sie als noch Kinderlose noch nicht genau wissen können, wie das Leben mit einem Kind sein wird, wollen sie in ihren Zukunftsplänen möglichst offen bleiben, um flexibel auf die Bedürfnisse des Kindes reagieren zu können: «Es kommt vielleicht auch ein bisschen auf das Kind drauf an», sagt zum Beispiel Senna Häbiger4, Buchhalterin.
Dabei steht den jungen Frauen klar vor Augen, dass es heute auch für Frauen erforderlich ist, eine eigene Berufslaufbahn aufrecht zu erhalten. Oder wie Anna Lüthi (KV, im Marketing tätig) sagt: «im Lebenslauf muss einfach immer etwas stehen.» Ein Dasein als nicht erwerbstätige Hausfrau und Mutter erscheint nicht mehr opportun und wird von den meisten auch nicht gewollt.

Viele Interviewpartnerinnen stellen sich als Mütter ein Teilzeitpensum vor, das sich zwischen 20 und 60 Prozent bewegt. Wann sie tatsächlich wieder in den Beruf einzusteigen vorhaben, ist dabei von vielen Faktoren abhängig. Wie sehen die Möglichkeiten am Arbeitsplatz aus, das gewünschte Teilzeitpensum realisieren zu können? Welchen Zeithorizont stellt der Arbeitgeber in Aussicht, bis wann sie auf wie viel Prozent zurückkommen können? Ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit existiert in der Schweiz nicht. Dies bringt die zukünftigen Mütter in die Defensive. Exemplarisch formuliert Anna Lüthi: «Also ich weiss, wir werden ein Baby bekommen, dann hoffe ich, dass ich vielleicht trotzdem noch dort bleiben darf, zu einem reduzierten Pensum.»
Hinzu kommt die Frage der Kinderbetreuung. Die meisten der interviewten Deutschschweizer Männer und Frauen präferieren eindeutig eine private Betreuung der eigenen Kinder – am liebsten durch die Eltern selbst (und damit vor allem durch die Mütter) oder durch die Grosseltern (bzw. Grossmütter) oder andere (weibliche) Verwandte. Institutionelle familienergänzende Betreuung wird eher skeptisch gesehen, kommt oft allenfalls für ein bis maximal drei Tage in Frage. Hinzu kommen hier (kantonal unterschiedlich ausfallende) finanzielle Aspekte, inwiefern sich die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Frau «lohnt», wenn die Kinderbetreuung entsprechend teuer ist.
Schwierig ist auch, dass der berufliche Wiedereinstieg vielfach zeitlich unstrukturiert ist bzw. nicht zu den antizipierten Bedürfnissen des Kindes passt. Eine Rückkehr nach 14 Wochen Mutterschaftsurlaub können sich jedenfalls nur wenige vorstellen – und wenn, dann oft nicht im gleichen Stellenpensum wie zuvor.

Die befragten Frauen tun sich schwer mit der Ungewissheit bzw. fürchten den Verlust ihrer Berufsarbeit, in die sie lange Ausbildungsjahre investiert haben und die in ihrem bisherigen Leben und für ihr Selbstverständnis inzwischen eine so wichtige Rolle spielt. Das kann durch die Mutterrolle nicht einfach ersetzt werden. Vielmehr formulieren Frauen noch immer den Zwang, sich entscheiden zu müssen – wenn auch nicht mehr grundsätzlich zwischen Berufsarbeit und Familie, so doch zwischen Familie und vollzeitnaher, ökonomisch einträglicher Erwerbsarbeit. Ein rentables berufliches Engagement, eine durch Fortbildung gestützte berufliche Weiterentwicklungen und Kinder zu haben – dies schliesst sich in der Vorstellung der Frauen geradezu aus, wie Eva Bolliger (Pflegefachfrau) konstatiert: «Und dann finde ich, muss man sich vielleicht auch gezwungenermassen, wenn man eine Karriere machen will, vielleicht halt dann gegen Kinder entscheiden», bzw. umgekehrt: «Also es gibt gewisse Karriereleitern, die ich nicht erklimmen werde, weil ich mein privates Glück und meinen Kinderwunsch eben höher gewichte.»

Väter wollen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen

Betrachtet man den gegenwärtigen Anteil von Vätern in Teilzeit (gemäss Daten des Bundesamts für Statistik zehn Prozent), muss man konstatieren: Der Wunsch wird bisher in vielen Fällen nicht Wirklichkeit, die Männer suchen in zahlreichen Berufsfeldern nach wie vor vergeblich nach Vorbildern.

Zugleich zeigen unsere Interviews, dass das Thema Familie auch einen grossen Einfluss auf die Berufsvorstellungen und -wünsche von Männern hat – wenn auch gewissermassen spiegelverkehrt zu den Frauen. Bei den Männern steht die Fortsetzung der Berufslaufbahn nicht in Frage. Für sie geht es vielmehr darum, als Väter mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen zu können und nicht «nur» Familienernährer zu sein. So kamen alle unseren männlichen Befragten von sich aus auf das Thema Teilzeit zu sprechen, als sie danach gefragt wurden, wie sie sich selbst als Väter vorstellen. Der Übertritt zur Elternschaft ist also auch für sie mit dem Wunsch nach einer Reduktion des Erwerbspensums verknüpft. Je nach Berufsbranche unterscheiden sie sich aber stark darin, wie realistisch ihnen ihr Wunsch angesichts der jeweiligen vorherrschenden Berufskultur erscheint. Im Lehrerberuf ist Teilzeit üblich und im Wesentlichen eine Frage des Stundenplans: Claus Hunziker ist Lehrer und schätzt die Möglichkeiten, als Vater 60 oder 80 Prozent zu arbeiten als unproblematisch ein: «Ich möchte dann auch runterschrauben und das geht ja beim Lehrerberuf noch relativ gut. Man könnte ja auch 100 Prozent arbeiten und nur vier Tage, wenn das mit dem Stundenplan gut geht, aber ganz sicherlich möchte ich dann auch ein oder vielleicht sogar zwei Tage frei haben.» In männertypischen Berufen wie z.B. in der Finanzbranche stellt sich der Wunsch nach Teilzeit dagegen als schwieriger bis unmöglich dar. Überlegungen der zukünftigen Väter sind hier der Übertritt in die Selbständigkeit oder ein Arbeitgeberwechsel. Beat Hungerbühler, derzeit bei einem grossen internationalen Finanzdienstleister tätig, betont auf die Frage nach Teilzeitmöglichkeiten in seinem Beruf: «Ja, in meinem jetzigen [Anstellungsverhältnis] würde ich mal sagen eher schlecht oder wird einfach nicht so gemacht. Aber ich denke da habe ich jetzt keine Angst, dass ich diesen Plan nicht umsetzen könnte. Das wäre für mich jetzt auch dann ein Grund, die Arbeit zu wechseln, wenn das nicht möglich wäre.» In Branchen mit sehr hohen Wochenarbeitszeiten hingegen erscheint bereits ein geregeltes Vollzeitpensum als Fortschritt in Punkto Vereinbarkeit mit Familie. Einige Interviewpartner überlegen sich auch, sehr früh am Morgen zu beginnen und so bereits um 15 Uhr nach Hause gehen zu können. Die Männer bauen darauf, individuelle Arrangements mit ihren Vorgesetzen und Kollegen finden zu können und schwanken dabei zwischen Hoffen und Bangen, was möglich sein wird. Dabei geht es ihnen explizit darum, ihre Karriereambitionen aufrechterhalten zu können und trotzdem genügend Zeit mit ihren Kindern zu haben. Reto Imboden, Steuerfachmann, antwortet auf die Frage, was sich ändern müsste, damit er seine Zukunftsvorstellungen umsetzen könnte: «Dass man auch, wenn man weniger als 100 Prozent arbeitet, die gleiche Karrieremöglichkeit hat. Dass man auch eigentlich aufsteigen kann, und auch leitende Positionen übernehmen kann, mit einem kleineren Pensum.»

Betrachtet man den gegenwärtigen Anteil von Vätern in Teilzeit (gemäss Daten des Bundesamts für Statistik zehn Prozent), muss man konstatieren: Der Wunsch wird bisher in vielen Fällen nicht Wirklichkeit, die Männer suchen in zahlreichen Berufsfeldern nach wie vor vergeblich nach Vorbildern und es steht in Frage, wie es um die strukturellen Bedingungen steht und damit um ihre Chancen, ihre Wünsche auch umsetzen zu können.

Teilen Männer und Frauen als kinderlose junge Erwachsene im Berufsleben  inzwischen vielfach die Erfahrung von gleichen Lebensbedingungen, ist Elternschaft in der Schweiz noch immer der zentrale biographische Punkt, an dem das Leben in zwei nach Geschlecht getrennte Berufs- und Lebensverläufe auseinanderdriftet und für Frauen folgenreiche finanzielle Abhängigkeiten und Ungleichheiten ihr Leben zu prägen beginnen. Dies entspricht in diesem aktuellen Ausmass weder den Wünschen der Frauen noch denen der Männer. Die jungen Frauen wollen den hohen (Selbst-) Ansprüchen an Mutterschaft genügen und zugleich weiter im Beruf bleiben. Hier braucht es daher klare, auch zeitliche Perspektiven seitens der Arbeitgebenden für den Wiedereinstieg am Arbeitsplatz. Nur so kann garantiert werden, dass der Wiedereinstieg nicht ausschliesslich entsprechend der Entwicklung des Kindes geplant wird und sich so im Zweifel für Arbeitnehmerin und Betriebe wenig planen lässt. Zudem gibt es inzwischen ein klares Bedürfnis junger Männer als Väter in Teilzeit weiterarbeiten zu können und dennoch an einer Karriereplanung festhalten zu können. Teilzeit-Regelungen und entsprechende betriebsinterne Policies sollten sich daher ausdrücklich auch an Männer adressieren. Wo Teilzeit üblich und unproblematisch realisiert werden kann, wird sie – bei ausreichendem Verdienst – auch von Männern in Anspruch genommen. Vor allem in den männerdominierten Berufsbranchen fehlt es derzeit noch explizit an  Teilzeitmöglichkeiten.

Junge Frauen auch als Mütter in ihrer Berufsidentität weiter zu fördern und junge Männer auch als Väter in den Blick zu nehmen und beiden entsprechende flexible Teilzeitangebote sowie Berufskarrieren möglich zu machen, wäre so ein wichtiger Schritt seitens des Schweizerischen Berufssystems sowohl auf die Bedürfnisse von heutigen Arbeitnehmenden einzugehen und zugleich zu verhindern, dass sich mit der Familiengründung immer wieder traditionelle Ungleichheiten zwischen Frauen und Männer reproduzieren, die ihren Lebensvorstellungen nicht mehr entsprechen.

1 Forschungsprojekt „Antizipierte Elternschaft und Berufstätigkeit. Zur Wechselbeziehung von Familien- und Berufsvorstellungen junger Erwachsener“ , Leitung: Prof. Dr. Andrea Maihofer.
2 36 aus der Deutschschweiz, 11 aus der französischsprachigen Schweiz.
3 «Geschlechtstypisch» ist ein Beruf, wenn mehr als 70% der darin Tätigen dem selben Geschlecht angehören.
4 Alle Personennamen sind Pseudonyme.

Literatur

  • Baumgarten D., Wehner N., Maihofer A., Schwiter K. (erscheint Ende 2016) «Wenn Vater, dann will ich Teilzeit arbeiten». Die Verknüpfungen  von Berufs- und Familienvorstellungen bei 30jährigen Männern aus der deutschsprachigen Schweiz. GENDER, Sonderheft 4
  • Baumgarten D., Luterbach M., Maihofer A. (erscheint 2017). «Auf meiner Stelle ist jeder ersetzbar, das ist man als Mutter nicht». Bedeutung  von Erwerbsarbeit und Mutterschaft bei 30jährigen Frauen in der Schweiz. Freiburger Zeitschrift für GeschlechterStudien (fzg), 23/1.
Zitiervorschlag

Wehner, N., Baumgarten, D., Luterbach, M., & Maihofer, K. A. (2016). Bleibt alles anders?. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 1(2).

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