Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Modulares Ausbildungsprogramm bei Helvetia

Massgeschneidert statt standardisiert

In einer ständig sich wandelnden Arbeitswelt ist es wichtig, die Bedürfnisse und Erwartungen junger Talente zu verstehen, um sie langfristig an das Unternehmen zu binden. Helvetia Versicherungen Schweiz folgt diesem Ansatz und hat ein modulares Ausbildungsprogramm entwickelt, das die Interessen und Individualität von Lernenden in den Vordergrund stellt. So haben diese die Gelegenheit, neben Pflichtmodulen auch Kurse oder Einsätze ihrer Wahl zu belegen. Und wer will, absolviert einen Stage in einer Helvetia-Agentur einer anderen Sprachregion.


Die Ausrichtung auf eine gezielte Förderung der Auszubildenden und ihre langfristige Bindung an das Unternehmen ist ein essenzieller Bestandteil der Ausbildungsstrategie bei Helvetia. Um deren Bedürfnisse und Erwartungen zu verstehen und zu berücksichtigen, führt das Unternehmen regelmässige Befragungen unter den Nachwuchskräften durch. Vor vier Jahren wurde anhand solcher Befragungen erkannt, dass die Möglichkeit zur Mitbestimmung ein entscheidender Faktor für die langfristige Bindung von Arbeitnehmenden an einen Arbeitgeber ist. Die Analyse verschiedener Ausbildungsmetriken wie der Weiterbeschäftigungsrate oder der Abbruchrate zeigte ebenfalls, dass Helvetia zwar viele Nachwuchskräfte ausbildet, ein zu grosser Anteil das Unternehmen nach Abschluss ihrer Ausbildung jedoch wieder verlässt. Diese Erkenntnis diente als Impuls für eine Neubewertung der Ausbildungsstrategie. Es wurde deutlich, dass nicht nur ein attraktives Ausbildungsprogramm, sondern auch klare Werte und Perspektiven notwendig sind, um die Bindung junger Talente zu stärken.

Neue Strategie – flexible Ausbildungspfade

Basierend auf der Unternehmensstrategie und einer Bedarfsplanung wurde ein modulares Ausbildungsprogramm entwickelt, das den insgesamt rund 120 Lernenden ermöglicht, ihr Ausbildungsprogramm individuell zu gestalten und – wo möglich – auf ihre persönlichen Interessen abzustimmen. Ziel ist es, dass alle im Förderprogramm eingebundenen Lernenden langfristig beim Unternehmen bleiben können und möchten. Um das zu erreichen, sind die Lernenden nicht auf einen bestimmten Bereich fixiert, wo sie während ihrer gesamten Ausbildungszeit bleiben. Vielmehr haben sie die Möglichkeit, mitzubestimmen, in welchen Abteilungen sie rotieren möchten. Dabei werden sie durch das Team Next.Generation unterstützt, das den Lernenden in regelmässigen Austauschen potenzielle Ausbildungspfade aufzeigt. Der Fokus liegt nicht nur auf der fachlichen Kompetenzentwicklung, sondern auch auf der Förderung von Softskills. Auf diese Weise sollen die Nachwuchskräfte optimal auf die Anforderungen der Arbeitswelt vorbereitet werden.

Durch Pflicht- und Wahlmodule können die Lernenden ihre Interessen erkunden und umfassende Einblicke gewinnen.

Der modulare Aufbau der Ausbildung bei Helvetia ist ein zentraler Bestandteil dieser Strategie. Durch die Kombination von Pflicht- und Wahlmodulen können alle Auszubildenden ihr Ausbildungsprogramm individuell mitgestalten. Sie haben die Möglichkeit, aus einem breiten Spektrum von Kursangeboten zu wählen und ihre persönlichen Interessen zu entdecken. Zudem erhalten sie die Gelegenheit, umfassende Einblicke in verschiedene Bereiche zu gewinnen. Diese Anpassungsfähigkeit hebt sich von starren Lehrplänen ab und fördert eine dynamische Lernumgebung, die den Bedürfnissen der Lernenden gerecht wird.

Grundlagen legen: Pflichtmodule im modularen Ausbildungsprogramm

Der modulare Aufbau wird über eine interne Plattform abgewickelt. Er setzt sich zum einen aus Pflichtmodulen zusammen, die für alle Lernenden verbindlich sind. Diese stellen sicher, dass die Nachwuchskräfte über ein gemeinsames Grundverständnis und die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, um in ihrer beruflichen Laufbahn erfolgreich zu sein.

Zu den Pflichtmodulen gehört das Einführungslager (StartCamp). Während dieses fünftägigen Camps haben alle Lernenden die Gelegenheit, sich kennenzulernen und relevante Informationen über die Lehre sowie das Arbeitsumfeld bei Helvetia zu erhalten. Zusätzlich zu den informativen Inhalten bietet das StartCamp auch unterhaltsame Aktivitäten wie beispielsweise einen Foxtrail.

Ein weiteres Pflichtmodul ist der eintägige Sozialeinsatz, der die Lernenden dazu ermutigt, sich gemeinsam mit Helvetia für wohltätige Zwecke zu engagieren und gleichzeitig den Gemeinschaftssinn und das kulturelle Verständnis fördert. Ebenfalls Teil der Pflichtmodule ist der Future Day, der den Lernenden Einblicke in mögliche Karrierewege nach Abschluss ihrer Ausbildung bietet und sie dabei unterstützt, ihre Zukunftsplanung zu reflektieren. Auch die Branchenkunde und die Überprüfung der Handlungskompetenzen, die je nach individuellem Bildungsplan variieren, bilden wichtige obligatorische Einheiten der Lehre bei Helvetia.

Selbstorganisiertes Arbeiten im Brilliants-Team

Die Lernenden können (aber müssen nicht) zusätzlich zu den Pflichtmodulen aus einem breiten Angebot Kurse auswählen, die ihr persönliches Interesse wecken. Das Angebot umfasst insgesamt 17 Wahlmodule, die von einem Auslandsjahr über Videokurse bis hin zur Organisation von Events reichen. Durch die Vielfalt der Wahlmodule erhalten die Auszubildenden nicht nur eine fundierte fachliche Ausbildung, sondern auch die Möglichkeit, ihre Interessen zu erkunden und ihre persönlichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Ein Beispiel für ein Wahlmodul ist die Arbeit im Brilliants-Team, einer speziellen Abteilung innerhalb des Service-Centers, die ausschliesslich aus Lernenden besteht und vollständig selbstorganisiert funktioniert.

Ein Beispiel für ein Wahlmodul ist die Arbeit im Brilliants-Team, einer speziellen Abteilung innerhalb des Service-Centers, die ausschliesslich aus Lernenden besteht und vollständig selbstorganisiert funktioniert. Die Lernenden im Brilliants-Team legen ihre eigenen Schichtpläne fest und bestimmen somit eigenständig ihre Arbeitszeiten und Urlaubsphasen. Dabei müssen sie sicherstellen, dass die Erreichbarkeit der Kundenhotline jederzeit gewährleistet ist. Zu diesem Zweck werden die Teammitglieder intensiv auf ihre Rolle im Brilliants-Team vorbereitet. Die Vorbereitungsphase umfasst eine dreimonatige Schulung sowohl in den Versicherungsprodukten als auch in der Telefonie. Im vierten Monat beantworten die Lernenden bereits Kundenanfragen, haben jedoch einen erfahrenen Mitarbeitenden an ihrer Seite. Ab dem fünften Monat arbeiten sie selbstständig. Aufgrund der intensiven Vorbereitung und Einschulung dauert die Teilnahme an diesem Wahlmodul ein ganzes Jahr. Das Wahlmodul Brilliants-Team bietet eine wertvolle Ergänzung zur Ausbildung und erfreut sich daher grosser Beliebtheit unter den Lernenden.

Die Lehre ein Jahr lang unterbrechen und Sprachenvielfalt erleben

Zu den Wahlmodulen gehören auch Stages in einer Helvetia-Agentur in einer anderen Sprachregion, die es den Nachwuchskräften ermöglichen, Einblicke in verschiedene Arbeitsumgebungen und -kulturen zu erhalten. Zusätzlich bietet Helvetia jedes Jahr einer lernenden Person die Möglichkeit, die Lehre zu unterbrechen und ein Auslandsjahr in einem frei wählbaren Land zu absolvieren. Diese Personen erhalten so die Chance, wertvolle interkulturelle Erfahrungen zu sammeln und ihre sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern. Indem sie bei einer Gastfamilie leben und zur Schule gehen, tauchen sie in die Kultur des Gastlandes ein und erweitern ihren Horizont persönlich und beruflich. Diese Option verlängert die Ausbildungszeit auf vier Jahre.

Von Social Media bis Event-Management

Ein weiteres Wahlmodul ist das Erstellen von Videos und anderen Inhalten für Social-Media-Kanäle wie Instagram oder TikTok. Hier haben die Lernenden die Gelegenheit, ihre Kreativität und ihr technisches Geschick unter Beweis zu stellen, während sie gleichzeitig die digitale Präsenz von Helvetia stärken. Ein vielseitiges und lehrreiches Wahlmodul ist auch die Teilorganisation von internen Veranstaltungen. So haben die Lernenden die Verantwortung für einen Barbetrieb mit alkoholfreien Getränken während eines Mitarbeiterfestes übernommen. Dabei waren sie sowohl für die Getränkeauswahl als auch die Einhaltung des Budgets verantwortlich. Ein weiteres Wahlmodul beinhaltet die Leitung einer Community durch jeweils zwei Lernende aus derselben Region, was nachweislich den Austausch unter den Nachwuchskräften fördert.

Anreiz und Wertschätzung

Jedes Pflicht- und Wahlmodul wird entsprechend einer festgelegten Punktzahl bewertet, die den Lernenden nach erfolgreicher Absolvierung eines Kurses gutgeschrieben wird.

Anreiz und Wertschätzung spielen eine entscheidende Rolle im Ausbildungskonzept von Helvetia. Statt auf den herkömmlichen Prozess der Zielvereinbarung und Zielerreichung zu setzen, wird eine motivationsbasierte Herangehensweise verfolgt. Jedes Pflicht- und Wahlmodul wird entsprechend einer festgelegten Punktzahl bewertet, die den Lernenden nach erfolgreicher Absolvierung eines Kurses gutgeschrieben wird. Diese Punktzahl wird anhand der Dauer und Qualität des Moduls festgelegt. Auch für die schulischen Leistungen und die betriebliche Erfahrung werden Punkte vergeben. Lernende, die während ihrer Ausbildung zusätzliche Wahlmodule absolvieren und gute Noten erzielen, erhalten von Helvetia ein grösseres Abschlussgeschenk. Die Einteilung in Bronze, Silber und Gold dient der differenzierten Bewertung und der Schaffung von Anreizen, das breite Kursangebot vollständig zu nutzen und somit in die persönliche Entwicklung zu investieren. Dieser Ansatz bietet den Lernenden mehr Autonomie und Eigenverantwortung, was wiederum ihre Motivation und ihr Engagement fördern soll.

Das modulare Ausbildungskonzept zeichnet sich nicht nur durch seine Flexibilität und Anpassungsfähigkeit aus, sondern integriert sich auch nahtlos in das gesamte Bildungskonzept von Helvetia. Die Pflicht- und Wahlmodule sind sorgfältig in den Lehrplan eingebettet, um eine ausgewogene Mischung aus fachspezifischen Kenntnissen und überfachlichen Kompetenzen zu gewährleisten. Für die Lernenden bedeutet dies, dass sie von einer Ausbildung profitieren, die weit über das Übliche hinausgeht. Sie erhalten nicht nur eine fundierte fachliche Ausbildung, sondern auch die Möglichkeit, ihre individuellen Interessen sowie Stärken zu erkunden und zu entwickeln. Die Vielfalt der angebotenen Module ermöglicht es den Lernenden, sich breit zu orientieren und verschiedene Bereiche kennenzulernen, was ihre persönliche und berufliche Entwicklung bereichert. Gleichzeitig fühlen sich gut ausgebildete und motivierte Nachwuchskräfte oft stärker mit dem Unternehmen verbunden und sind eher bereit, dort langfristig zu arbeiten. Sie bringen nicht nur ihre fachlichen Fähigkeiten ein, sondern auch ihre Begeisterung und Engagement, was sich positiv auf die Arbeitsatmosphäre und den Teamzusammenhalt auswirkt.

Die Einführung des modularen Aufbaus mit Pflicht- und Wahlmodulen im Jahr 2020 erwies sich als bedeutender und erfolgreicher Schritt im Ausbildungskonzept von Helvetia. Obwohl erst ein Jahrgang nach dem neuen System abgeschlossen hat, zeigen sich bereits positive Ergebnisse. Auszubildende schätzen die Vielseitigkeit der angebotenen Module. Umgekehrt profitiert Helvetia von einer gesteigerten Bindung und Motivation der Nachwuchskräfte. Die Ausbildung von Lernenden bei Helvetia erfordert einen erhöhten Aufwand in Bezug auf Ressourcen, Zeit und Engagement sowie eine grosse Offenheit und Flexibilität aber auch Vertrauen seitens der Linie und des Next.Generation Teams. Diese Investition legt jedoch den Grundstein für eine langfristige Bindung und eine erfolgreiche Zukunft sowohl für die Auszubildenden als auch das Unternehmen.

Zitiervorschlag

Schaub, M. (2024). Massgeschneidert statt standardisiert. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(7).

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