Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Empower Peers 4 Careers – ein Präventionsprojekt in der beruflichen Orientierung

So können sich Schülerinnen und Schüler bei der Berufswahl helfen

Die Kameradinnen und Kameraden in der Schule sind eine wichtige Quelle beim Aufbau von überfachlichen Kompetenzen. Diese Quelle kann im Rahmen von Gruppengesprächen erschlossen werden, wie ein Projekt der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik zeigt. Das ist zum Beispiel bei der Bewältigung der Berufswahl von grossem Nutzen. So zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Einschätzung der Wichtigkeit der Berufswahl. Aber auch das Klassenklima, des Gemeinschaftsgefühl oder die erlebten Integration profitierten.


Ausgangslage

Ziel des Projektes mit dem Titel «Empower Peers 4 Careers» war, durch den regelmässigen Einsatz von Peer-Gruppentreffen im Unterricht soziale und emotionale Kompetenzen aufzubauen.

Der Berufswahlprozess und seine Bewältigung hängen eng mit dem Erleben und Verhalten von Jugendlichen und ihren Kompetenzen zusammen (Leebens & Williamson, 2017). Gemeint sind damit neben schulischen auch soziale und emotionale Kompetenzen (Sabatella & von Wyl, 2018) – darunter solche im zwischenmenschlichen Bereich (z.B. Empathie, Kommunikationsfähigkeit), aber auch personale Kompetenzen wie eine gute Selbstwahrnehmung und Selbstregulierung. Es ist sinnvoll, solche «Lebenskompetenzen» (WHO) oder «überfachlichen Kompetenzen» (Lehrplan 21) in der Schule zu stärken. Defizite sind allerdings nicht selten; das zeigen Auffälligkeiten im sozialen und emotionalen Entwicklungsbereich, ungefähr 20 Prozent der Jugendlichen sind davon betroffen (Klipker et al., 2018).

Im deutschen Sprachraum wurden mehrere Programme für die Schule entwickelt, die auf die Förderung von sozialem und emotionalem Lernen (SEL) ausgerichtet sind (Casale et al., 2014). Beispiele für die Sekundarstufe I sind «Fit for Life» (Jugert et al., 2017) oder «Stressbewältigung im Jugendalter» (Beyer & Lohaus, 2018).

Förderprogramme zum Aufbau von überfachlichen Kompetenzen nutzen Peer-Ansätze jedoch erst wenig. Dabei können Peers eine wertvolle Quelle sein (Opp & Teichmann, 2008). In der Adoleszenz spielen sie als soziale Unterstützung und als «Übungsraum» für den Aufbau von sozio-emotionalen Kompetenzen eine wichtige Rolle. An der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) wurde darum eine Peer-to-Peer Intervention entwickelt, die auf dem theoretisch fundierten Konzept von «Positive Peer Culture, PPC» basiert (Steinebach et al., 2018) und an vielen Schulen getestet wurde. Ziel des Projektes mit dem Titel «Empower Peers 4 Careers» war, durch den regelmässigen Einsatz von Peer-Gruppentreffen im Unterricht soziale und emotionale Kompetenzen aufzubauen, Berufswahlkompetenzen zu verbessern und das Klassenklima zu stärken.

Positive Peer Culture (PPC)

Das Konzept der PPC entstand in den 1970er-Jahren in Nordamerika und wurde auch in Deutschland in verschiedenen Schulen umgesetzt (Opp & Teichmann, 2008). Grundlage ist die Theorie der sozialen Identität (Tajfel & Turner, 1986), die die besondere Bedeutung der Gruppe für die Entwicklung einer positiven Identität aufzeigt. So nimmt die Gruppe Einfluss auf den Einzelnen, indem sie Optionen für Handlungen und Entwicklungen schafft oder Verhaltensweisen vermittelt (Modelllernen).

Im Rahmen von PPC befinden sich Jugendliche in einem Übungsraum; hier wird

  • das Miteinander anhand von Gesprächsregeln gestaltet,
  • Verantwortung übernommen,
  • gemeinsam nach Lösungen und dabei auch immer wieder Einigung gesucht,
  • gemeinsam etwas geplant und
  • letztlich beim Treffen selbst oder auch zwischen den Treffen umgesetzt.

Indem die Treffen all dies einfordern, bieten sie einen Übungsraum zur Entwicklung und Festigung von überfachlichen Kompetenzen in ihren unterschiedlichen Facetten.

Ihre konkrete Umsetzung findet die Methode in regelmässigen Gruppengesprächen, bei denen sich Jugendliche gegenseitig unterstützen. Die Gespräche laufen dabei nach einem festen Schema ab und folgen acht Schritten.

Ihre konkrete Umsetzung findet die Methode in regelmässigen Gruppengesprächen, bei denen sich Jugendliche gegenseitig unterstützen. Die Gespräche laufen dabei nach einem festen Schema ab und folgen acht Schritten mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben (vgl. Abbildung 1). Bei jedem der Schritte werden überfachliche Kompetenzen gefördert. Erwachsene Moderatorinnen begleiten die Gruppe und nehmen dabei vorwiegend eine Beobachterrolle ein. Sie achten darauf, dass die Treffen geregelt und erfolgreich ablaufen, aber sie überlassen den Jugendlichen die Verwantwortung für das Treffen und seinem Verlauf.

Das an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik von 2020 bis 2024 durchgeführte Projekt[1] hat den Ansatz von PPC für den Berufswahlunterricht auf Sekundarstufe I adaptiert (Schellenberg et al., 2022). Im Zentrum der einzelnen Schritte standen dabei insbesondere Herausforderungen rund um den Berufswahlprozess. Bei der Durchführung zeigte sich, dass das Thema Berufswahl häufig als «Eisbrecher» geschätzt wurde, da es ein für alle relevantes, aber nicht zu persönliches Thema ist. Oft fand dann eine Öffnung für weitere Themen statt.

Abbildung 1: Ablauf der Gruppensitzung (in Anlehnung an Steinebach et al., 2018).

Im Folgenden sind die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Durchführung der Peer-Gruppen aufgeführt:

Zielgruppe: Sekundarstufe I, 8. und 9. Klasse, Regel- und Sonderschulen

Gruppen: Durchführung mit der ganzen Klasse, Halbklassen oder Kleingruppen möglich (ideale Gruppengrösse: 6 bis 12 Schülerinnen)

Moderation: Klassenlehrperson, Fachkräfte der schulischen Heilpädagogik, Schulsozialarbeit, Sozialpädagogik

Durchführung: Empfohlen wird die Durchführung alle zwei Wochen à 45 bis 90 Minuten während ein bis zwei Schuljahren (8. und 9. Klasse). Die Frequenz kann angepasst werden; es ist bspw. auch wöchentlich oder einmal monatlich möglich. Die Gruppengespräche können z.B. im Fach berufliche Orientierung, Lebenskunde, Projektunterricht, u.a. stattfinden.

Ablauf der Gruppentreffen: Die Schüler sitzen im Stuhlkreis und führen möglichst selbständig eine Gesprächsrunde mit den acht Schritten durch. Der Ablauf und die einzelnen Schritte werden vorgängig besprochen und mit den Moderatoren geklärt. Ausserdem werden Gruppenregeln festgelegt (z.B. bezüglich Vertraulichkeit, gegenseitigen Respekt, Gesprächsregeln). Wenn Schritte nicht eingehalten oder Gruppenregeln verletzt werden, interveniert die beobachtende Moderatorin.

Durchführung der Peer-Intervention

Die Schülerinnen und Schüler profitierten in verschiedenen Bereichen: So zeigen sich signifikante Verbesserungen des Klassenklimas, des Gemeinschaftsgefühls oder der erlebten Integration.

Im Rahmen des Projektes wurden 21 Moderatorinnen (Lehrer, schulische Heilpädagoginnen, Fachkräfte der Schulsozialarbeit und Sozialpädagogik) in einer zweitägigen Weiterbildung mit anschliessender Supervision geschult. Die PPC-Intervention wurde danach in insgesamt 19 Schulklassen mit 253 Jugendlichen in verschiedenen deutschschweizer Kantonen während ein bis zwei Schuljahren umgesetzt. Zudem wurden verschiedene quantitative sowie qualitative Befragungen durchgeführt. Von 153 Jugendlichen sowie 18 Moderatoren liegen ausführliche quantitative Einschätzungen zur Peer-Intervention vor. Bei ausgewählten Moderatorinnen (n=3) und Schülern (n=22) wurden zusätzlich qualitative Befragungen durchgeführt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der Moderatoren die PPC-Methode gemäss Selbsteinschätzung mehrheitlich erfolgreich umsetzen konnte. Die Schülerinnen profitierten in verschiedenen Bereichen: So zeigen sich signifikante Verbesserungen des Klassenklimas, des Gemeinschaftsgefühls oder der erlebten Integration (FRKJ; Lohaus & Nussbeck, 2016; LFSK; Eder & Mayr, 2000). Profitiert hat auch die Berufswahlbereitschaft (CRK; Marciniak et al., 2021). So zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Einschätzung der Wichtigkeit der Berufswahl (Beispielitem: «Arbeit sehe ich als einen wichtigen Teil des Lebens»).

Als Herausforderung nannten die Moderatorinnen das Einnehmen einer Hintergrundrolle, die Durchführung der Intervention in grossen und herausfordernden Gruppen sowie die Einbettung in den regulären Stundenplan. Zudem wurde berichtet, dass die Umsetzung der Methode für gewisse Jugendliche (bspw. für Jugendliche mit sprachlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen) anspruchsvoll sei. Gemäss Einschätzungen der Jugendlichen gelang es ihnen mehrheitlich gut, die PPC-Gespräche durchzuführen und einander zu unterstützen. Mündliche Rückmeldungen der Jugendlichen waren grundsätzlich positiv; die Intervention habe zur gegenseitigen Hilfsbereitschaft beigetragen – gerade bei Themen der Berufswahl. Die Rückmeldungen der schriftlichen Erhebung zeigen aber auch, dass die Intervention einem Teil der Jugendlichen eher weniger gefallen hat. In diesem Zusammenhang wurde auch das Thema einer freiwilligen Teilnahme unter den Jugendlichen ambivalent diskutiert.

Schlussfolgerungen

Als Herausforderung nannten die Moderatorinnen das Einnehmen einer Hintergrundrolle, die Durchführung der Intervention in grossen und herausfordernden Gruppen sowie die Einbettung in den regulären Stundenplan.

Aufgrund der Ergebnisse werden verschiedene Empfehlungen zur Durchführung von Peer-Gruppen gegeben. So wird grundsätzlich empfohlen, sich an den Ablauf der Intervention zu halten (Methodentreue), wobei es manchmal auch Anpassungen an die spezifischen Charakteristiken der jeweiligen Gruppe braucht. Es wird zudem empfohlen, die Klassendynamiken zu beachten und mit kleineren Gruppen zu starten (z.B. Durchführung in Halbklassen). Weitere Erfolgsfaktoren sind der Besuch einer Weiterbildung, der Austausch mit anderen Moderatoren (im Schulhausteam), sowie genügend Raum, Zeit und Durchhaltewillen, um die Intervention umzusetzen.

Als Beitrag für eine gelingende Durchführung der PPC-Intervention wird bis Herbst 2025 ein Leitfaden für pädagogische Fachkräfte entwickelt (Transfer wird darüber berichten). Ausserdem werden an der HfH regelmässig Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte zum Peer-Ansatz angeboten.

Zusammenfassung/Fazit

Im Projekt konnte der Ansatz von «Positive Peer Culture» erfolgreich auf das Fach «Berufliche Orientierung» adaptiert werden. Die Jugendlichen haben bei verschiedenen Schritten im Berufswahlprozess profitiert (z.B. Erkennen von Schwierigkeiten, Nutzen von Ressourcen in der Klasse). Die Projektergebnisse zeigen auch, dass die Themenwahl für die Gesprächsrunden geöffnet und verschiedene Herausforderungen im Jugendalter besprochen werden können. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung deuten darauf hin, dass der Ansatz soziale und emotionale Kompetenzen von Jugendlichen fördert und unterstützt.

[1] Mitfinanziert von: Beisheim Stiftung, Gesundheitsförderung Schweiz, Bildungsdirektion Kanton Zürich, Sophie und Karl Binding Stiftung, Minerva Stiftung und Migros Kulturprozent.

Literaturverzeichnis

  • Beyer, A. & Lohaus, A. (2006). Stressbewältigung im Jugendalter. Ein Trainingsprogramm. Göttingen: Hogrefe.
  • Casale, G., Hennemann, T. & Hövel, D. (2014). Systematischer Überblick über deutschsprachige schulbasierte Maßnahmen zur Prävention von Verhaltensstörungen in der Sekundarstufe I. Empirische Sonderpädagogik 6(1), 33-58.
  • Eder, F., & Mayr, J. (2000). Linzer Fragebogen zum Schul- und Klassenklima für die 4. – 8. Klasse (LFSK 4 – 8). Hogrefe.
  • Jugert, G., Rehder, A., Notz, P. & Petermann, F. (2011). Fit for Life – Module und Arbeitsblätter zum Training sozialer Kompetenz für Jugendliche (9., überarb. u. erw. Aufl.). Weinheim: Juventa.
  • Klipker, K., Baumgarten, F., Göbel, K., Lampert, T. & Hölling, H. (2018). Psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. Journal of Health Monitoring, 3(3), 37-45.
  • Leebens, P. K., & Williamson, E. D. (2017). Developmental Psychopathology. Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America, 26(2), 143–156.
  • Lohaus, A., & Nussbeck, F. W. (Hrsg.). (2016). Fragebogen zu Ressourcen im Kindes- und Jugendalter. Hogrefe.
  • Marciniak, J., Hirschi, A., Johnston, C. S., & Haenggli, M. (2021). Measuring Career Preparedness Among Adolescents: Development and Validation of the Career Resources Questionnaire—Adolescent Version. Journal of Career Assessment, 29(1), 164–180.
  • Opp, G., & Teichmann, J. (Hrsg.). (2008). Positive Peerkultur: Best practices in Deutschland. Klinkhardt.
  • Sabatella, F. & von Wyl, A. (2018). Jugendliche im Übergang zwischen Schule und Beruf. Psychische Belastungen und Ressourcen. Berlin: Springer.
  • Schellenberg, C., Steinebach, C., & Krauss, A. (2022). Empower Peers 4 Careers: Positive Peer Culture to Prepare Adolescents’ Career Choices. Frontiers in Psychology, 13. Empower Peers 4 Careers: Positive Peer Culture to Prepare Adolescents’ Career Choices.
  • Steinebach, C., Schrenk, A., Steinebach, U. & Brendtro, L. K. (2018). Positive Peer Culture ein Manual für starke Gruppengespräche: Beltz Juventa.
  • Tajfel, H. & Turner, J. C. (1986). The social identity theory of intergroup behavior. In S. Worchel & W. G. Austin (Hrsg.), Psychology of Intergroup Relations (S. 7-24). Chicago: Nelson-Hall.
Zitiervorschlag

Schellenberg, C., Röösli, P., & Krauss, A. (2025). So können sich Schülerinnen und Schüler bei der Berufswahl helfen. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 10(6).

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