Berufsbildung in Forschung und Praxis
Herausgeberin SGAB Logo

Wirkungsanalyse PiBS durch econcept AG

Was der «Praxisintegrierte Bachelorstudiengang» gegen den Fachkräftemangel im MINT-Bereich ausrichtet

Mit dem Praxisintegrierten Bachelorstudiengang (PiBS) lässt der Bund seit 2015 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ohne vorgängiges Praktikumsjahr zu einem Fachhochschulstudium im MINT-Bereich zu. Es handelt sich um ein Pilotprojekt im Rahmen der Fachkräfteinitiative 2014. Die Wirkungsanalyse von PiBS untersuchte 2023, wie es um Angebot und Nachfrage des neuen Studienmodells steht und welche Wirkungen bei PiBS-Absolvierenden und Unternehmen sowie auf systemischer Ebene resultierten. Sie zeigt, dass zum einen der Beitrag von PiBS zur Minderung des Fachkräftemangels im MINT-Bereich differenziert betrachtet werden muss. Zum anderen sind die befürchteten negativen Auswirkungen von PiBS auf die Bildungssystematik nicht eingetreten.


Anstelle der Arbeitswelterfahrung (AWE) wird die Praxiserfahrung während des Studiums erworben.

Mit PiBS schuf der Bund die Möglichkeit, dass Absolventinnen und Absolventen einer gymnasialen Maturität (GM) oder einer Berufsmaturität (BM) mit fachfremder Studienrichtung ein FH-Studium im MINT-Bereich aufnehmen dürfen, ohne zuvor eine einjährige Arbeitswelterfahrung (AWE) absolviert zu haben. Anstelle der AWE wird die Praxiserfahrung während des Studiums erworben, wobei die Dauer von Studium und Praxiserfahrung im Vergleich zur Zulassung mit AWE insgesamt unverändert bei vier Jahren liegt. Für die Studierenden ist ein PiBS-Studium an die Bedingung geknüpft, dass sie vor Studienbeginn einen Ausbildungsvertrag mit einem Unternehmen abschliessen.

Bei PiBS handelt es sich um eine rechtliche Ausnahme für den MINT-Bereich. PiBS wurde als befristetes Pilotprojekt gestartet und mit einer Evaluationspflicht versehen. Eine 2017 durchgeführte Vorprüfung und eine Schlussevaluation von 2019 kamen zum Schluss, dass PiBS im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben umgesetzt wurde, keine negativen Auswirkungen auf die Bildungssystematik beobachtet werden konnten, und dass die Nachfrage nach PiBS trotz hoher Zufriedenheit seitens Unternehmen, FH und Studierenden klein blieb.

Mit Blick auf den Abschluss der Pilotphase beauftragte das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) econcept AG, eine Wirkungsanalyse zu PiBS durchzuführen. Im Fokus standen die Fragen, welche Wirkungen PiBS bei PiBS-Absolventinnen und -Absolventen sowie Unternehmen hatte, inwieweit PiBS einen Beitrag zur Minderung des Fachkräftemangels im MINT-Bereich leisten konnte und wie sich PiBS auf die Bildungssystematik auswirkte. Die Wirkungsanalyse von econcept AG basierte auf einem multimethodischen Ansatz und umfasste im Wesentlichen Dokumenten- und Datenanalysen, Online-Befragungen von aktuellen PiBS-Studentinnen, PiBS-Absolventen und in PiBS involvierten Unternehmen sowie Fokusgruppen mit Studiengangleitenden der FH mit PiBS-Angebot und Unternehmensvertretungen.[1]

Angebot und Nachfrage vorhanden, jedoch selektionieren Unternehmen

Das Interesse an PiBS hat gemäss der Wirkungsanalyse seit dem Start im Jahr 2015 stetig zugenommen. In der Zwischenzeit führen alle FH ein PiBS-Angebot.

Das Interesse an PiBS hat gemäss der Wirkungsanalyse seit dem Start im Jahr 2015 stetig zugenommen. In der Zwischenzeit führen alle FH ein PiBS-Angebot. Dabei bieten die FH sowohl Teilzeit- als auch Vollzeitmodelle für PiBS an, wobei eine leichte Tendenz in Richtung Teilzeitmodelle erkennbar ist. In Teilzeitmodellen arbeiten die Studierenden kontinuierlich über die vier Jahre in einem Pensum von mindestens 40 Prozent in einem Partnerunternehmen. In Vollzeitmodellen werden hingegen in der Regel neben einem dreijährigen Vollzeitstudium zusätzlich ein ganzjähriges Praktikum (z.B. im zweiten oder dritten Jahr) und einzelne kürzere Praktika absolviert.

Seit 2015 starteten mehr als 500 Personen ein PiBS-Studium (Stand: August 2023, ohne Eintritte 2023). 2015 wurden 32 PiBS-Eintritte verzeichnet, 2022 waren es 128. Die PiBS-Eintritte sind im Vergleich zu den FH-Eintritten generell jedoch weiterhin auf tiefem Niveau. Von 2019 bis 2022 schlossen pro Jahr rund 20-30 Studierende ein PiBS-Studium ab. Aufgrund der steigenden Eintrittszahlen wird die Anzahl Abschlüsse künftig steigen.

Im Vergleich zu den MINT-Studiengängen im Allgemeinen ist der Frauenanteil in PiBS-Modellen erhöht. Ebenfalls zeigten die Analysen der PiBS-Kohorten, dass der Anteil an Personen, welche bereits ein Studium an einer ETH oder Universität begonnen und abgebrochen haben, hoch ist. PiBS entspricht demnach ihren Bedürfnissen, vielleicht weil sie ohne vorgängige AWE in ein FH-Studium einsteigen können.

Gemäss FH ist die Nachfrage nach Studienplätzen so gross, dass nicht alle Interessierten einen PiBS-Ausbildungsplatz finden. Der Flaschenhals sind dabei die Unternehmen: Sie wählen die Kandidierenden gezielt entlang ihrer Bedürfnisse aus. Ohne Ausbildungsvertrag erhalten Interessierte keinen PiBS-Studienplatz. Somit wird die Anzahl PiBS-Eintritte primär durch den Bedarf der Wirtschaft gesteuert.

Gestärkte Praxisorientierung und vergleichbare Kompetenzen beim Abschluss

Die Wirkungsanalyse zeigte weiter, dass die praktischen Kompetenzen der PiBS-Studierenden zu Beginn des Studiums tendenziell schlechter sind als jene von Studierenden mit Eidg. Fähigkeitszeugnis (EFZ) und BM. Die PiBS-Studierenden können allerdings gut damit umgehen: Erstens sind sie in der Regel motivierte, leistungsbereite Studierende. Zweitens verfügen sie mit der gymnasialen Maturität über sehr gute Vorkenntnisse in den Grundlagenfächern Mathematik und/oder Naturwissenschaften. Dadurch haben sie Kapazitäten, um Defizite in anderen Fächern aufzuholen.

Die hohe Praxisorientierung von PiBS, insbesondere in den Teilzeitmodellen, ermöglicht es den Studierenden, im Verlauf des Studiums gute praktische Kompetenzen zu erwerben.

Die hohe Praxisorientierung von PiBS, insbesondere in den Teilzeitmodellen, ermöglicht es den Studierenden, im Verlauf des Studiums gute praktische Kompetenzen zu erwerben. Spätestens beim Abschluss haben sie die anfänglich existierenden Praxisdefizite aufgeholt. Damit sind die Kompetenzen von Studierenden mit unterschiedlichen Vorbildungen und Zulassungsausweisen am Ende des Studiums vergleichbar. Aufgrund der hohen Praxisorientierung im PiBS-Studium sind die Karrierechancen von PiBS-Absolventinnen und -Absolventen sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Partnerunternehmen hoch. Entsprechend sehen befragte PiBS-Studenten und -Absolventinnen wie auch befragte Unternehmen und Studiengangleitende PiBS gegenüber einem FH-Studium mit vorgängiger AWE im Vorteil.

Keine substanzielle makroökonomische Wirkung, jedoch Beitrag für einzelne Unternehmen

Der Grossteil der insgesamt geringen Anzahl an PiBS-Studenten und -Absolventinnen hätte gemäss eigener Aussage auch unabhängig von PiBS ein MINT-Studium in Angriff genommen. Entsprechend ist die quantitative und makroökonomische Wirkung von PiBS mit Blick auf die Minderung des Fachkräftemangels als gering einzuschätzen. PiBS hat bisher die Anzahl MINT-Fachkräfte nicht substanziell erhöht und wird dies voraussichtlich auch künftig nicht tun.

Dennoch leistet PiBS auf mikroökonomischer Ebene einen Beitrag zur Minderung des Fachkräftemangels. So etablierte sich PiBS für einzelne Unternehmen als wertvolle Massnahme, um gezielt Fachkräfte für eine vierjährige Ausbildungszeit zu rekrutieren. Auch konnten die Partnerunternehmen in der Vergangenheit eine beachtliche Anzahl an PiBS-Absolvierenden weiterbeschäftigen. Damit konnten sie Arbeitnehmende für sich gewinnen, die das Unternehmen, seine Arbeitsprozesse und die Kundschaft bereits kennen. Die gute Bindung der Studierenden ans Unternehmen zahlt sich somit für gewisse Unternehmen über den Studienabschluss hinaus aus. Schliesslich zeigte die Wirkungsanalyse, dass auch der Grossteil der PiBS-Absolventinnen und -Absolventen, die nicht bei ihrem Partnerunternehmen geblieben sind, weiter im MINT-Bereich beschäftigt sind.

Befürchtete negative Auswirkungen auf die Bildungssystematik ausgeblieben

Der Anteil der PiBS-Eintritte an den FH-Eintritten insgesamt ist gering und bleibt dies gemäss Potenzialabschätzung auch in den kommenden Jahren, wobei der Anteil für den Fachbereich Technik und IT tendenziell steigt. Damit bleibt der Königsweg an die FH über EFZ mit BM erhalten und sind die BM-Absolvierenden an den FH im MINT-Bereich weiterhin in der klaren Mehrheit.

Darüber hinaus zeigte sich aufgrund von PiBS weder eine Tendenz zum Abbau von Lehrstellen noch eine Veränderung des Niveaus der Lehrveranstaltungen an den FH.

Darüber hinaus zeigte sich aufgrund von PiBS weder eine Tendenz zum Abbau von Lehrstellen noch eine Veränderung des Niveaus der Lehrveranstaltungen an den FH. Damit sind die Befürchtungen von negativen Auswirkungen auf die Bildungssystematik nicht eingetreten. PiBS bietet neben dem Weg über die AWE einen zusätzlichen Zugang an die FH für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, bei dem fehlende Praxiserfahrung aufgeholt werden kann. Ebenso stellt PiBS für Unternehmen aufgrund der Bindung der Studierenden über vier Jahre eine finanziell attraktive Alternative gegenüber der AWE dar.

[1] Projektteam: Flavia Amann, Marco Lügstenmann, Anna Hotz, Nicole Kaiser; in Zusammenarbeit mit Barbara Haering, Barbara Haering GmbH

Wie geht es mit PiBS weiter?

Der Hochschulrat entschied Anfang 2024, PiBS zu verstetigen. Das Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz wird nun entsprechend angepasst. Am 4. September 2024 eröffnete das SBFI das Vernehmlassungsverfahren diesbezüglich.

Literatur

  • Verordnung des WBF über den Zugang zu Fachhochschulstudiengängen mit integrierter Praxis vom 1. Dezember 2021 (Stand am 1. Januar 2022); SR 414.715.
  • Schlussbericht der Wirkungsanalyse PiBS
  • Medienmitteilung des Bundesrats
Zitiervorschlag

Amann, F., Lügstenmann, M., & Kaiser, N. (2024). Was der «Praxisintegrierte Bachelorstudiengang» gegen den Fachkräftemangel im MINT-Bereich ausrichtet. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(12).

Das vorliegende Werk ist urheberrechtlich geschützt. Erlaubt ist jegliche Nutzung ausser die kommerzielle Nutzung. Die Weitergabe unter der gleichen Lizenz ist möglich; sie erfordert die Nennung des Urhebers.