Probleme der Positionierung der Höheren Fachschulen
Weichenstellung für die höheren Fachschulen
Über die Verdienste der höheren Fachschulen als Lieferantinnen hochqualifizierter Fachkräfte sind sich alle einig. Wie die höheren Fachschulen faire Chancen auf dem Bildungsmarkt behalten können, ist weit weniger klar. Die Rahmenbedingungen sind zunehmend ungünstig, und auch die Lösungsvorschläge sind kontrovers. Nun hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation entschieden, die Frage der HF im Rahmen des Strategieprozesses «Berufsbildung 2030» zu behandeln. Verbesserungspotenzial besteht bei den Titeln, den Diplomen und der Stellung als Institutionen; aber auch Finanzierung und rechtliche Grundlagen werfen Fragen auf. Eine Auslegeordnung der wichtigsten Probleme.
Ständerat, 6. Juni 2018: Die Motion «Höhere Fachschulen stärken» von Ständerätin Anita Fetz wird mit grosser Mehrheit angenommen. Sie fordert den Bundesrat auf, die rechtlichen Grundlagen so anzupassen, dass die höheren Fachschulen mit eidgenössisch anerkannten Bildungsgängen und ihre Abschlüsse national und international klar als Teil der schweizerischen Berufsbildung positioniert sind. Die Mittel dazu: Einführung eines Bezeichnungsschutzes, eidgenössische Titel, durch den Bund unterzeichnete Diplome sowie die Möglichkeit einer ergänzenden institutionellen Anerkennung. Wenig später beschäftigt sich auch der Nationalrat mit dem Thema: Seine Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur hat eine eigene Motion zu den höheren Fachschulen lanciert. Sie ist gleichlautend mit der Motion Fetz, verzichtet aber auf die Nennung konkreter Massnahmen. Im Frühjahr 2019 nimmt diese Fassung die letzte Hürde im Parlament. Der Bundesrat hat damit offiziell den Auftrag, die höheren Fachschulen klarer zu positionieren.
Die Höhere Berufsbildung verliert zusehends an Marktanteilen auf dem tertiären Bildungsmarkt. Gleichzeitig bieten die Fachhochschulen mehr und mehr verkürzte Bachelor-Studiengänge für HF-Diplomierte an.
Wie aber kam es dazu, dass die Volksvertreterinnen und -vertreter sich mit solchem Elan der Zukunft der höheren Fachschulen annahmen? Wo stehen die höheren Fachschulen und ihre Absolventinnen und Absolventen heute? In anderen Worten: Wo liegt das Problem, das es im Rahmen des parlamentarischen Auftrages zu lösen gilt? Und wie lässt es sich lösen?
Ausgangslage
Wie sich jeder Übersicht zum Bildungssystem entnehmen lässt, stellen die höheren Fachschulen (HF) eine Säule der tertiären Bildung in der Schweiz dar. Zusammen mit den eidgenössischen Prüfungen bilden sie die Höhere Berufsbildung (HBB), die im Bildungssystem den Hochschulen gegenübersteht. Die HF bieten eidgenössisch anerkannte Bildungsgänge an, die mit einem Diplom HF abgeschlossen werden und der formalen Bildung angehören. In vielen Fällen wird dieses Angebot durch Nachdiplomstudien (NDS HF) ergänzt, die ebenfalls eidgenössisch anerkannt sind, jedoch zur Weiterbildung gehören. Im Jahr 2016 wurden 8’470 Diplome HF und 1’391 NDS erlangt. Diese Gesamtzahlen entfielen nahezu ausgeglichen auf Frauen und Männer.1
Zu ihrem Status als Anbieterinnen von derzeit rund 400 eidgenössisch anerkannten Bildungsgängen und Nachdiplomstudien sind die höheren Fachschulen auf ganz unterschiedlichen Wegen gelangt. Ihre Ursprünge gehen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Sie sind Früchte der Eigeninitiative von Wirtschaftsverbänden, Firmen und Institutionen, die durch eigene Weiterbildungsangebote die Verfügbarkeit spezialisierter Fachkräfte sicherstellen oder auch der Bevölkerung aus philanthropischen Motiven nützliche Kenntnisse vermitteln wollten. Im Laufe der Zeit erfuhren die HF eine fortschreitende Institutionalisierung bis hin zu auf Bundesebene definierten und kontrollierten Mindestanforderungen sowie Abschlüssen. Geblieben ist die unmittelbare Ausrichtung auf die Kompetenzen, die der Arbeitsmarkt braucht, aber auch ein Diplom, das als einziger Abschluss der formalen Berufsbildung nicht den Zusatz «eidgenössisch» trägt.
Dass der Bund den Bildungsgängen ein aufwändiges Anerkennungsverfahren auferlegt, dann aber als Qualitätsgarant kaum sichtbar wird, ist für die HF sehr unbefriedigend.
Für die HFs war aber nicht nur diese eigene, relativ graduelle Entwicklung schicksalhaft, sondern gerade auch das, was im restlichen Bildungssystem geschah. Die 1980er- und 1990er-Jahre standen für die Bildung der Schweiz im Zeichen einer internationalen Öffnung mit rapiden Neuerungen, die für die HF von tiefgreifender Bedeutung waren.2 Gegen hundert HF verschmolzen in einer «von oben» koordinierten Hauruckaktion zu sieben europakompatiblen Fachhochschulen.3 Für die verbleibenden HF blieb nur scheinbar alles beim Alten. Die Folgen sind heute spürbarer denn je und haben in der Forschung bereits Anlass zur Warnung gegeben, die HF drohten zum «Mauerblümchen» der tertiären Bildung zu werden.4 Die Bildungsstatistik liefert dazu klare Aussagen: Während die Fachhochschulen auf ein Jahrzehnt rasanten Wachstums bei den Absolventenzahlen zurückblicken, stagnieren die HF. Die Höhere Berufsbildung verliert zusehends an Marktanteilen auf dem tertiären Bildungsmarkt, die Weiterbildungsabschlüsse der Hochschulen wie CAS nicht einmal eingerechnet.5 Gleichzeitig bieten die Fachhochschulen mehr und mehr verkürzte Bachelor-Studiengänge für HF-Diplomierte an. Obwohl die Diplomierten der HF für anspruchsvolle Fach- und Führungsfunktionen aussreichend ausgebildet sind und im Arbeitsmarkt auch entsprechende Einkommen erzielen, verheisst ihnen der Bachelor-Abschluss noch so viel Nutzen, dass sie weitere Mühen und Kosten auf sich nehmen.6
Die Bedingungen, unter denen die HF aktuell operieren (müssen), ist für diese in mehrfacher Weise unbefriedigend. Verbesserungspotenzial besteht bei den Titeln, den Diplomen und der Stellung als Institutionen; aber auch Finanzierung und rechtliche Grundlagen werfen Fragen auf.
Handlungsbedarf
Die Abschluss- bzw. Berufsbezeichnung ist nachweislich ein Schlüsselkriterium bei der Wahl einer Ausbildung.7 Entsprechend wichtig ist dieser Aspekt für die Zukunft der HF. In einer Welt, welche die Tertiärstufe vorwiegend oder sogar ausschliesslich mit den Bachelor- und Masterabschlüssen der Hochschulen gleichsetzt, stellt sich die dringende Frage, wie sich die HF erkennbar und erfolgreich positionieren können.
Eigentlich ist ein Bachelor-Abschluss nicht besonders aussagekräftig. Es gibt viele Abschlüsse vieler Hochschulen in vielen Ländern, deren Gestaltungsfreiheit ist ebenso beträchtlich ist wie ihre Ansprüche auseinanderklaffen. Auch in der Schweiz wird diese Autonomie grossgeschrieben und die Zulassung, auch von Absolventen/-innen anderer einheimischer Hochschulen, entsprechend unabhängig gehandhabt. Trotzdem: Auf den gröbsten, aber gerade deswegen entscheidenden Nenner gebracht, vermitteln die Abschlüsse (irgend-)einer Hochschule für Buchs bis Ulan Bator eine klare Botschaft: Diese Person ist tertiär gebildet. Den höheren Fachschulen, deren Diplome wie der Hochschul-Bachelor auf EQR-Niveau 6 eingeordnet sind, fehlt dieses Gerüst weltweiter Pendants. Das macht für sie einen zunehmend fühlbaren Wettbewerbsnachteil aus. Denn während sich die «top down» erschaffenen Institutionen geschmeidig in den globalen Konsens einfügen, für den sie ja auch konzipiert wurden, wird die Errungenschaft eines direkt aus den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes, also «bottom up» erwachsenen Bildungsangebots gerade in ihrer Besonderheit zum Problem. Sie verlangt Aussenstehenden, ob im Ausland oder in der Schweiz, die Offenheit ab, den Begriff «Diplom HF» oder «Advanced Federal Diploma of Higher Education» im Zweifel wohlwollend einzuordnen oder aber die Geduld aufzubringen, sich auf bildungssystematische Erläuterungen einzulassen. Eine Evaluation der Frage, ob die Titelübersetzungen das im Strategieprojekt Höhere Berufsbildung des SBFI gesetzte Ziel der besseren Verständlichkeit tatsächlich erreicht haben, tut daher dringend not.
Versuche, den Titel eines «Professional Bachelor» einzuführen, sind 2012 sowie 2014 im Bundesparlament gescheitert. Dass in Deutschland nun eine Gesetzesnovelle vorliegt, welche einen Berufsbachelor sowie -master einführt, dürfte die Diskussion neu beleben, denn das (vermeintliche) Tabu, im Bologna-System gebräuchliche Bezeichnungen auch in der berufsbezogenen Tertiärbildung zu verwenden, ist damit von einem der wichtigsten internationalen Berufsbildungs-Mitstreiter bewusst gebrochen worden.
Ein unverwechselbares Profil legt eine unverwechselbare Herkunftsbezeichnung nahe. Auch hier gibt es zu tun, denn «Höhere Fachschule» darf sich jeder nennen.
Allerdings ist bisher selbst die bescheidenere Forderung, das Diplom HF wie alle übrigen formalen Abschlüsse der Berufsbildung mit dem Zusatz «eidgenössisch» auszustatten, beim Bundesrat auf Ablehnung gestossen. Begründung ist, dass der Bund nicht direkt in die Qualifikationsverfahren oder die Aufsicht der Schulen involviert sei. Der Vergleich mit der tatsächlichen Handhabung der anderen Berufsbildungsabschlüsse sowie die Einführung einer periodischen Anerkennungsüberprüfung bei den Bildungsgängen HF legt jedoch nahe, diese Argumentation zu überprüfen.
Verwandt mit dem eidgenössischen Titel ist das Bedürfnis nach einem vom Bund unterzeichneten und in einheitlicher Weise mit Wappenlogo gestalteten Diplomzeugnis. Derzeit werden Diplome direkt von den Schulen ausgestellt, und wie beim Titel ist der Bezug zu Staat oder Berufsbildung nicht unmittelbar erkennbar. Dass der Bund den Bildungsgängen ein aufwändiges Anerkennungsverfahren auferlegt, dann aber als Qualitätsgarant kaum sichtbar wird, ist für die HF sehr unbefriedigend. Zwar sind seit einigen Jahren Diplomzusätze erhältlich, die seitens SBFI unterzeichnet werden, doch bleibt das Diplomzeugnis selbst das entscheidende Dokument, um die eigene Qualifikation auszuweisen – und der zweiteilige Satz von Unterlagen aus verschiedenen Quellen ein weiteres Kuriosum mit Erklärungsbedarf nach aussen.
An globalen Gepflogenheiten gemessen ist nicht weniger kurios, dass die offizielle Anerkennung sich auf die Bildungsgänge, nicht aber auf die HF selbst bezieht. Die Absolventinnen und Absolventen können also nicht darauf verweisen, eine anerkannte Institution besucht zu haben. In diesem Punkt sind sie im Nachteil gegenüber den Hochschulabsolventen und -absolventinnen, aber auch gegenüber den Studierenden von berufsbezogenen, schulischen Teritiäranbietern, die keine anerkannten Bildungsgänge führen, aber auf kantonaler Ebene eine institutionelle Anerkennung erreicht haben, zum Beispiel private Hotelfachschulen in Neuenburg und Luzern. Obwohl die Motion Fetz ausdrücklich eine ergänzende institutionelle Anerkennung vorsah – also eine Anerkennung der Institution zusätzlich zu (und abhängig von) der herkömmlichen Anerkennung der Bildungsgänge – hat diese Forderung erhebliches Misstrauen gegenüber den Absichten der HF geweckt. So drückte unter anderem der Bundesrat die Befürchtung aus, es gehe darum, die Arbeitsmarktorientierung durch eine «akademische Logik» zu ersetzen. Die hochempfindliche Reaktion auf die institutionelle Anerkennung ist nicht zuletzt der Erfahrung geschuldet, wie die aus HF gebildeten Fachhochschulen sich im Zuge der «akademischen Logik» rasch dem direkten Einfluss der Organisationen der Arbeitswelt entzogen. Dies soll sich nicht wiederholen. Dass die mit der und für die Wirtschaft entwickelten Bildungsangebote ein kostbares Alleinstellungsmerkmal darstellen, ist in der Diskussion allerdings von keiner Seite in Frage gestellt worden.
Ein unverwechselbares Profil legt eine unverwechselbare Herkunftsbezeichnung nahe. Auch hier gibt es zu tun, denn «Höhere Fachschule» darf sich jeder nennen. Zwar erscheint die Bezeichnung in jeder offiziellen Darstellung des Bildungssystems und wird generell mit dem Angebot eidgenössischer Bildungsgänge gleichgesetzt, doch ist sie nicht geschützt und tatsächlich auch anderweitig im Gebrauch. Eine verbindliche Definition, wovon eigentlich die Rede ist, wenn es um «die HF» geht, wofür die HF stehen, ist eine so fundamentale Erfordernis, dass man hier – eigentlich – wenig Diskussionsbedarf erwarten sollte.
Horizont
Wie geht es nun weiter, nachdem das Parlament dem Bundesrat den Auftrag erteilt hat, die HF klarer zu positionieren? Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation hat entschieden, die Frage der HF im Rahmen des Strategieprozesses «Berufsbildung 2030» zu behandeln. Dafür ist das Konzept für eine Studie erarbeitet worden, welche die nationale und internationale Positionierung der HF unter Einbezug der verschiedenen Anspruchsgruppen näher ausleuchten soll. Die Ergebnisse sollen bis zum Ende des kommenden Jahres vorliegen und mögliche Handlungsfelder aufzeigen. Erfüllt ist der Auftrag des Parlaments aber erst, wenn den Handlungsfeldern tatsächlich auch Handlungen gefolgt sind. Die HF sind organisch aus den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes gewachsen. Doch wie hier umrissen sind sie gegenüber der Reissbrettschöpfung der grösseren, mit Blick auf das Ausland geformten und auch besser finanzierten Fachhochschulen in verschiedener Hinsicht im Wettbewerbsnachteil. Sie müssen die Möglichkeit haben, weiter mitzuwachsen mit der sich beständig wandelnden Welt, für die sie ihre Absolventinnen und Absolventen ausbilden – auch und gerade, wenn sie sich in ihrem praxisorientierten Auftrag treu bleiben.
2 Criblez, L., Die neue Bildungsverfassung und die Harmonisierung des Bildungswesens, in L. Criblez (Hrsg.), Bildungsraum Schweiz. Historische Entwicklungen und aktuelle Herausforderungen, Bern / Stuttgart / Wien 2008, S. 277-299.
3 Weber, K., Tremel, P., Balthasar, A., Die Fachhochschulen in der Schweiz: Pfadabhängigkeit und Profilbildung, (2010) Swiss Political Science Review 16(4), S. 687–713.
4 Schmid, E., Gonon, P., Die höhere Berufsbildung unter Profilierungsdruck, in: M. Maurer und P. Gonon (Hrsg.), Herausforderungen für die Berufsbildung in der Schweiz: Bestandesaufnahmen und Perspektiven, Bern 2013, S. 147-17.
5 Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF), Bildungsbericht Schweiz 2018, Aarau 2018, S. 274. Immerhin zeigen die Höheren Fachschulen eine Zunahme der Abschlüsse von 7887 Diplomen im Jahr 2012 auf 10165 im Jahr 2017.
6 Cattaneo, M.A.; Wolter, S. C.: Der individuelle Ertrag einer höheren Berufsbildung, Volkswirtschaft 12 (2011), 63-66.
7 Scherer, L., Jordan, D., Bildungsstudie 2011. Studie zur beruflichen Aus- und Weiterbildung in der Deutschschweiz, Zürich 2011.
Literatur
- Bundesamt für Statistik, Tertiärstufe: Höhere Berufsbildung, Entwicklung, 2017, (Zugriff am 2018-05-13).
- Cattaneo, M.A.; Wolter, S. C.: Der individuelle Ertrag einer höheren Berufsbildung, Volkswirtschaft 12 (2011), 63-66.
- Criblez, L., Die neue Bildungsverfassung und die Harmonisierung des Bildungswesens, in L. Criblez (Hrsg.), Bildungsraum Schweiz. Historische Entwicklungen und aktuelle Herausforderungen, Bern / Stuttgart / Wien 2008, S. 277-299.
- Scherer, L., Jordan, D., Bildungsstudie 2011. Studie zur beruflichen Aus- und Weiterbildung in der Deutschschweiz, Zürich 2011.
- Schmid, E., Gonon, P., Die höhere Berufsbildung unter Profilierungsdruck, in: M. Maurer und P. Gonon (Hrsg.), Herausforderungen für die Berufsbildung in der Schweiz: Bestandesaufnahmen und Perspektiven, Bern 2013, S. 147-170.
- Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF), Bildungsbericht Schweiz 2018, Aarau 2018, S. 274.
- Weber, K., Tremel, P., Balthasar, A., Die Fachhochschulen in der Schweiz: Pfadabhängigkeit und Profilbildung, (2010) Swiss Political Science Review 16(4), S. 687–713.
Zitiervorschlag
Shergold, M. (2019). Weichenstellung für die höheren Fachschulen. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 4(2).