Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Folge des Bevölkerungswachstums

Wie der Kanton Zürich 7’400 neue Lehrstellen schaffen möchte

Gesamtschweizerisch fehlen rund 40’000 Lehrstellen, im Kanton Zürich sind es 7’400. Das zwingt die Kantone zu reagieren. Mit der Kampagne «Zukunft Zürich» möchte der Kanton alte und neue Betriebe erreichen – darunter auch Firmen mit ausländischem Management, die die Berufsbildung oft gar nicht kennen.


Niklaus Schatzmann ist Leiter des Mittelschul- und Berufsbildungsamts im Kanton Zürich.

Der Kanton Zürich hat im Frühling die Kampagne «Zukunft Zürich» lanciert. Warum?

Laut den Prognosen des Kantons Zürich wächst die Bevölkerung in den nächsten Jahren stark – und damit auch die Anzahl an Lernenden. Bis 2038 werden fast 7’400 zusätzliche Ausbildungsplätze benötigt. Mit dem Projekt «Zukunft Zürich» reagieren wir darauf: Wir möchten die Ausbildungsbereitschaft der Lehrbetriebe hoch halten und neue Lehrbetriebe erreichen. Dafür steht bis Ende 2025 eine Million Franken zur Verfügung. Davon können hauptsächlich innovative Projekte profitieren, die nachweislich einen positiven Einfluss auf das Lehrstellenangebot , etwa die Plattform «Zukunft Zürich» Zudem nehmen uns selber in die Pflicht: Die Zahl der kantonalen Lehrstellen soll steigen. Alle diese Projekte ergänzen die breite Zahl an schon laufenden Aktivitäten, die wir etwa über den Berufsbildungsfonds finanzieren. Dazu gehören die Förderung der neun Berufsbildungsforen, die wir nun mit neuen Angeboten stärken.

Wozu dient die Plattform «Zukunft Zürich»?

Wir haben im Kanton Zürich ein breites und derzeit ausreichendes Lehrstellenangebot. Aber wir wollen die Unternehmen noch besser entlasten, die Jugendliche ausbilden. Die neue Plattform dient dazu. Hier finden die Lehrbetriebe Informationen und Hilfestellungen rund um die Berufsbildung. Und wir stärken die Berufsbildenden mit Kursen, Betriebscoaches sowie Möglichkeiten zum Austausch.

Sie fördern «innovative Projekte». Was ist das?

Das sind Projekte, die einen positiven Einfluss auf das Lehrstellenangebot im Kanton Zürich haben. Eine Organisation der Arbeitswelt (OdA) plant z.B. eine zentrale Anlaufstelle für Lehrbetriebe und Unternehmen mit Fragen rund um die Ausbildung. Damit könnten vor allem Berufsbildner rasch beraten werden. Ein anderes Projekt einer OdA und einer Berufsfachschule umfasst die Prüfung und den allfälligen Aufbau eines neuen Schulstandorts für einen Beruf. Bei neuen Berufen, die schweizweit nur wenige Schulstandorte haben, ist es wichtig, dass auch eine Zürcher Schule mit von der Partie ist.

In welchen Bereichen orten Sie besonders gute Chancen, neue Lehrbetriebe zu gewinnen?

Prognosen gehen davon aus, dass die Branchen Gesundheit, Soziales und ICT den höchsten Anstieg an Lehrstellen haben werden.

Richten Sie Ihr Engagement auf diese Branchen aus?

Natürlich beobachten wir diese Branchen besonders gut. Aber wir wollen nicht nur in den beliebten Berufsfeldern Lehrstellen schaffen, sondern auch den weniger gefragten Berufen Sorge tragen. Die Berufsbildung ist auch darum so attraktiv, weil wir in der Schweiz allen Jugendlichen eine passende Ausbildung anbieten können. Mit rund 250 Berufen hat es wirklich für alle etwas dabei!

Was hindert ausbildungsfähige Betriebe am häufigsten, in die Berufsbildung einzusteigen?

Viele Firmen bilden keine Lernenden aus, weil sie den zusätzlichen Aufwand fürchten. Aber diese Angst ist unberechtigt.

Der zusätzliche Aufwand. Mit Informationen und Begleitung können wir dagegenhalten. Jugendliche sind das grösste Eigenkapital, das Unternehmen haben können und eine Investition in die Zukunft. Studien belegen, dass die Produktivität von Lernenden über die gesamte Ausbildungszeit grösser ist als die Kosten, die sie dem Unternehmen verursachen. Definitiv zum Mehrwert werden sie, wenn sie als ausgelernte Fachkräfte dem Betrieb erhalten bleiben und so die gesamte Branche stärken.

Firmen mit ausländischem Management bilden weniger Lernende aus. Gibt es Mittel dagegen?

Die Plattform «Zukunft Zürich» mit ihren umfassenden Informationen und Hilfestellungen richtet sich gerade an Betriebe (und Führungspersonen), die mit dem dualen Berufsbildungssystem noch wenig Erfahrung haben. Zudem suchen wir die Zusammenarbeit mit den OdA und den Wirtschaftsverbänden, um Unternehmen mit Ausbildungspotential über die Berufsbildung zu informieren.

Für spezialisierte Firmen wären Ausbildungsverbünde eine Möglichkeit, Lernende auszubilden. Welche Rolle könnten sie künftig spielen?

Die 31 Lehrbetriebsverbunde im Kanton Zürich (seit Januar 2023 drei neue Verbunde) mit rund 4500 Lernenden nehmen eine wichtige Rolle in der beruflichen Grundbildung ein. Aber da ist noch Luft nach oben. Um kleinere Betriebe zu erreichen, arbeiten wir mit den OdA und den Verbänden zusammen. Sie wissen, wie ihre Branchen aufgestellt sind und wo vielleicht der Schuh drückt. Ihre Rückmeldungen ermöglichen es uns, Organisationen und Betriebe bei der Schaffung oder dem Erhalt von Lehrplätzen zu unterstützen – auch über Ausbildungsverbünde.

Ein Problem der Berufsbildung sind Lernende, die vorzeitig aus einem Lehrvertrag aussteigen oder die Lehrabschlussprüfung nicht bestehen. Gehen Sie im Rahmen der Kampagne auch dieses Problem an?

Nein. Das Projekt Lehrstellenförderung beinhaltet primär den Ausbau und den Erhalt von Ausbildungsplätzen. Aber wir begleiten Lernende bei einer Lehrvertragsauflösung eng, so dass die grosse Mehrheit direkt wieder in eine Lehre einsteigt.

Die erhöhte Nachfrage nach Lehrstellen könnte dazu führen, dass die Qualität der Berufswahl sowie der beruflichen Ausbildung leidet. Sehen Sie das auch so?

Nein. Von der Ausstellung der Bildungsbewilligung bis zum Lehrabschluss steht das MBA im direkten Austausch mit jedem neuen Betrieb und wir setzen gemeinsam die kantonalen Ausbildungsvorgaben um. Zudem haben die Unternehmen und Organisationen der Arbeitswelt mit Zukunft Zürich die Möglichkeit, eigenständig Projekte mit Bezug zur Praxis für die Lehrstellenförderung einzubringen, was die Ausbildungsqualität weiter positiv beeinflusst. An dieser Stelle möchte ich auch betonen, wie dankbar wir für die Leistung der Zürcher Betriebe in der Ausbildung unserer angehenden Fachkräfte sind.

Dieser Beitrag erschien zuerst in «Alpha», Tages-Anzeiger.

Zukunft Zürich
Betriebscoaches
Projektförderung
Berufsbildungsforen

Zitiervorschlag

Fleischmann, D. (2024). Wie der Kanton Zürich 7’400 neue Lehrstellen schaffen möchte. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(13).

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