Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Studie der EHB im Rahmen eines Nationalfondsprojekts

Abwechslungsreiche Aufgaben im Lehrbetrieb machen Lernende erfolgreicher

Jugendliche und ihre Eltern müssen sich bei der Lehrstellensuche nicht nur für einen bestimmten Lehrberuf, sondern auch für einen Lehrbetrieb entscheiden. Wie wichtig ist es, einen guten Lehrbetrieb zu finden, und was macht einen solchen aus? Der vorliegende Beitrag erklärt, wie verschiedene Aspekte der Ausbildungsqualität in Lehrbetrieben mit einem erfolgreichen Ausbildungsabschluss zusammenhängen. Zwei Faktoren sind besonders wichtig: Wenn die Lernenden die Möglichkeit haben, eigene Lösungen zu finden; und wenn man ihnen vielfältige Aufgabenstellungen zumutet. Kombiniert würden die beiden Faktoren die Zahl der Ausbildungsmisserfolge um 15 Prozent senken.


Aus der arbeits- und organisationspsychologischen Forschung weiss man, dass bestimmte Arten von Arbeitsaufgaben für Arbeitnehmende besonders motivations- und lernförderlich sind.

Für eine erfolgreiche Berufslaufbahn ist es in der Schweiz fast zwingend, einen Abschluss auf Sekundarstufe II zu erwerben, beispielsweise einen Berufsabschluss mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis EFZ. Eine sorgfältige Wahl des Lehrberufs ist dabei wichtig, um das Risiko einer Lehrvertragsauflösung oder eines Scheiterns in den Abschlussprüfungen, dem sogenannten Qualifikationsverfahren, zu verringern.

Das Gleiche gilt für die Wahl des Lehrbetriebs. Die Lernenden arbeiten mehrere Jahre im Betrieb und erwerben dort die beruflichen Handlungskompetenzen, die sie beherrschen müssen. Welche Rolle spielt also die Wahl des Lehrbetriebs für den erfolgreichen Abschluss der Berufslehre? Welche Bedeutung kommt besonders der Ausbildungsqualität im Lehrbetrieb für den Ausbildungserfolg der Lernenden zu? Die Antworten darauf sind für die Jugendlichen und ihre Eltern wichtig, aber auch für die Bildungspolitik, die unter anderem über Mindestanforderungen an Lehrbetriebe und Lehrmeisterkurse versucht, die Ausbildungsqualität in den Betrieben zu sichern.

Die Ausbildungsqualität in den Lehrbetrieben

Aus Befragungen ist bekannt, dass Lernende überwiegend den Betrieb verantwortlich machen, wenn sie eine Lehrvertragsauflösung erlebt haben (Stalder und Schmid 2016). Befragt man allerdings die Lehrbetriebe, sehen diese die Verantwortung für eine Auflösung häufig bei den Lernenden. In unserer Studie haben wir die Betriebe stattdessen dazu befragt, wie sie die Ausbildung durchführen, um den Einfluss dieser Ausbildungsprozesse auf den Ausbildungserfolg ihrer Lernenden statistisch zu ermitteln.

Aus der arbeits- und organisationspsychologischen Forschung weiss man, dass bestimmte Arten von Arbeitsaufgaben für Arbeitnehmende besonders motivations- und lernförderlich sind. Dieser Ansatz lässt sich auf die Ausbildung von Lernenden übertragen: Negrini et al. (2016) befragten vor einigen Jahren Lernende und Betriebe mit Fragebogen-Items, die aus der psychologischen Forschung hergeleitet wurden. Mit ihnen wird erfasst, wie die Ausbildung im Betrieb durchgeführt wird, zum Beispiel wie viel Autonomie den Lernenden zugestanden wird. Die so gemessene Ausbildungsqualität zeigte gemäss Negrini et al. (2016) in einer Stichprobe von 335 Lehrbetrieben in den Berufen Koch/Köchin und Maler/Malerin einen signifikanten Zusammenhang mit dem Auftreten von Lehrvertragsauflösungen.

Für unsere Studie verwenden wir eine Stichprobe von 3792 Lehrbetrieben aus der Kosten-Nutzen-Erhebung der EHB (Gehret et al. 2019), die zu ihrer Ausbildungsqualität befragt wurden. Diese wurde mit den folgenden sieben Aussagen gemessen, die die Befragten für ihren Betrieb auf einer Skala von eins (trifft gar nicht zu) bis sieben (trifft voll zu) bewerteten. Die Verteilung der Antworten ist in Abbildung 1 dargestellt, allerdings zusammengefasst: Die eher selten gewählten Antwortkategorien von 1 bis 4 in blau («trifft (eher) nicht zu»), die Kategorien 5 und 6 in orange («trifft eher zu») und die Kategorie 7 in grau («trifft voll zu»).

Abbildung 1: Antworten der Betriebe zu ihren Ausbildungsprozessen

Die Mehrheit der Betriebe findet, dass sie die in Abbildung 1 genannten Ausbildungsprozesse ganz oder teilweise umsetzen. Sie schätzen sich also in allen Qualitätsaspekten ihrer Ausbildung recht hoch ein. Einzig das Vorausplanen von Ausbildungseinheiten kommt bei knapp 30 Prozent der Betriebe (eher) nicht vor.

Trotz der insgesamt hohen Selbstbeurteilung zeigen die der Abbildung zugrundeliegenden Daten aber auch, dass sich die Ausbildungsprozesse zwischen den Betrieben unterscheiden. Das bestätigten Negrini et al., indem sie die Einstufungen der Betriebe mit jenen von Lernenden vergleichen: Zwar schätzen sich die Betriebe generell höher ein als ihre Lernenden, aber die Angaben korrelieren stark, das heisst: In Betrieben mit höheren Werten liegen auch die Einschätzungen der Lernenden höher, und umgekehrt.

Der Ausbildungserfolg der Lernenden

In den befragten Lehrbetrieben waren zum Erhebungszeitpunkt im Jahr 2017 9538 Lernende in verschiedenen Lehrjahren und Lehrberufen in Ausbildung. [1] Dank einer Verknüpfung der Angaben der Lehrbetriebe mit Administrativdaten des Bundesamtes für Statistik zu allen Lernenden in der Schweiz konnten wir verfolgen, ob die Lernenden in unserer Stichprobe die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben. Siebzehn Prozent der Lernenden erlebten im Laufe ihrer Lehrzeit eine Lehrvertragsauflösung, weitere fünf Prozent scheiterten beim ersten Anlauf im Qualifikationsverfahren. Die restlichen 78 Prozent haben ihre Berufslehre erfolgreich, das heisst ohne Verzögerung und im ersten Anlauf abgeschlossen.

Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Ausbildungsqualität und Ausbildungserfolg ermitteln?

Wie aber lässt sich sicherstellen, dass ein statistischer Zusammenhang auch einen Wirkungszusammenhang bedeutet?

Das Ziel der statistischen Analyse lautet, den Einfluss der betrieblichen Ausbildungsqualität auf den Ausbildungserfolg der Lernenden zu ermitteln. Wie aber lässt sich sicherstellen, dass ein statistischer Zusammenhang auch einen Wirkungszusammenhang bedeutet? Ein statistischer Zusammenhang kann auch auf andere Weise zustande kommen. Beispielsweise könnten überdurchschnittlich fähige Lehrstellenbewerberinnen und -bewerber gezielt überdurchschnittlich gute Lehrbetriebe auswählen. Ebenso könnten gute Lehrbetriebe geschickt darin sein, die fähigsten Lehrstellenbewerberinnen und -bewerber einzustellen. Beides würde dazu führen, dass in Betrieben mit hoher Ausbildungsqualität fähigere Lernende arbeiten, die ihre Ausbildung sowieso öfter erfolgreich abschliessen – auch unabhängig von der Ausbildungsqualität.

Um solchen Problemen bei der Interpretation der Zusammenhänge zu begegnen, berücksichtigen wir in der Analyse relevante Merkmale von Lernenden und Betrieben. Beispielsweise wissen wir, ob die Lernenden eine Real- oder eine Sekundarschule besucht haben, welche Noten sie dort in den wichtigsten Fächern hatten und ob sie berufsbegleitend die Berufsmaturitätsschule besuchen. Wir finden tatsächlich einen positiven Zusammenhang zwischen «guten» Merkmalen der Lernenden und guten betrieblichen Ausbildungsprozessen, doch sind diese Korrelationen nur schwach ausgeprägt. Die genannten Merkmale der Lernenden fliessen in die multivariaten Regressionsschätzungen ein, ebenso wie Merkmale der Betriebe, beispielsweise die Betriebsgrösse oder ob Betriebe Eignungstests bei der Lehrlingsrekrutierung einsetzen. Auf diese Weise berücksichtigen wir die nicht vollständig zufällige «Paarung» von Lernenden und Betrieben statistisch. Finden wir einen Zusammenhang zwischen betrieblicher Ausbildungsqualität und Ausbildungserfolg, dann kann dieser zum Beispiel nicht mehr dadurch zustande kommen, dass Betriebe mit Eignungstests eher Lernende aus der Sekundarschule rekrutieren.

Resultate zu Ausbildungsqualität und Ausbildungserfolg

Abbildung 2 zeigt, bei welchen Merkmalen der Lehrbetriebe wir aufgrund der wissenschaftlichen Literatur davon ausgegangen sind, dass sie für den Ausbildungserfolg von Lernenden bedeutsam sein könnten. Grün hervorgehobene Merkmale haben sich in unserer Untersuchung tatsächlich auch als statistisch signifikanter Einflussfaktor herausgestellt.

Abbildung 2: Einfluss des Lehrbetriebs auf den Ausbildungserfolg der Lernenden (Darstellung: © F. Pusterla, EHB). Grün eingefärbte Items erhöhen den Ausbildungserfolg laut Studie signifikant, für die grau gesetzten Items konnte, obwohl sie auch zur Ausbildungsqualität beitragen dürften, keine signifikante Wirkung belegt werden.

In den multivariaten Schätzmodellen zeigt sich, dass die sieben Ausbildungsprozess-Items gemeinsam signifikant positiv mit dem Ausbildungserfolg der Lernenden zusammenhängen. Betrachtet man sie einzeln, sind es die Möglichkeit, eigene Lösungen zu finden sowie vielfältige Aufgabenstellungen, die den Ausbildungserfolg statistisch signifikant erhöhen. Beides erhöht den Ausbildungserfolg um rund 10 Prozent, kombiniert sogar um 15 Prozent, wenn ein Betrieb sich darin um eine Standardabweichung verbessert. Eine solche Verbesserung bedeutet – vereinfacht ausgedrückt –, dass er sich von einem durchschnittlichen Betrieb zu einem Betrieb in den Top 20% verbessert.

Unsere Analysen zeigen weiter, dass bessere Ausbildungsprozesse auch mit den Ressourcen der Betriebe für die Ausbildung zusammenhängen. Überdurchschnittlich gute Prozesse weisen Betriebe auf, in denen Ausbildnerinnen und Ausbildner mehr Zeit für die Ausbildung haben, in denen Ausbildungspläne zum Einsatz kommen, die den nationalen Bildungsplan konkretisieren und die die Lernenden intensiver für anspruchsvolle produktive Arbeiten einsetzen statt für einfachere Arbeiten oder unproduktive Übungen. Schliesslich spielen für den Ausbildungserfolg auch externe Faktoren wie die Region, die Grösse oder die Branche des Betriebs eine Rolle, ebenso der Lehrberuf und natürlich die Merkmale der Lernenden (zum Beispiel ihre Noten in der obligatorischen Schule), die in der Abbildung nicht dargestellt sind.

In vertiefenden Analysen haben wir schliesslich herausgefunden, dass sich der höhere Ausbildungserfolg bei besserer Ausbildungsqualität auf zwei Arten manifestiert: Erstens reduzieren gute Ausbildungsprozesse Misserfolge an den Qualifikationsverfahren (Lehrabschlussprüfungen), zweitens reduzieren sie Lehrvertragsauflösungen, die einen Übertritt in eine weniger anspruchsvolle Lehre oder einen längeren Unterbruch der Ausbildung zur Folge hätten. Weitere Schätzvarianten und Sensitivitätsanalysen, die in der Studie beschrieben werden, bestätigen die Hauptresultate.

Fazit

Der robuste Zusammenhang zwischen der betrieblichen Ausbildungsqualität und dem Ausbildungserfolg der Lernenden spricht dafür, dass den Ausbildungsprozessen in den Lehrbetrieben eine wichtige Rolle zukommt.

Der robuste Zusammenhang zwischen der betrieblichen Ausbildungsqualität und dem Ausbildungserfolg der Lernenden spricht dafür, dass den Ausbildungsprozessen in den Lehrbetrieben eine wichtige Rolle zukommt, damit Lernende ihre Ausbildung möglichst erfolgreich abschliessen. Es ist daher zu begrüssen, wenn die Betriebe ihre Ausbildung regelmässig überprüfen und verbessern. Die Berufsbildungsverantwortlichen benötigen genügend Zeit neben ihrer sonstigen Tätigkeit, um gut auszubilden, insbesondere um den Lernenden vielfältige Aufgaben zu übertragen und sie eigene Lösungen finden zu lassen. Die Betriebe sollten die Berufsbildungsverantwortlichen dabei unterstützen, indem sie ihnen genügend Zeit zur Verfügung stellen und Weiterbildungen ermöglichen (Lamamra et al. 2018). Bemühungen um gute Ausbildungsprozesse können weiter von den Organisationen der Arbeitswelt unterstützt werden, beispielsweise mit freiwilligen Initiativen wie TOP Ausbildungsbetriebe. Schliesslich stellt sich auch die Frage, wie intensiv die Kantone die Lehrbetriebe bei der Ausbildung beraten und beaufsichtigen sollten.

Das SNF-Projekt mit Download der Studie finden Sie hier.

[1] In der Kosten-Nutzen-Erhebung wurden die Lehrbetriebe jeweils zu einem bestimmten Lehrberuf befragt, in dem sie ausbilden. In die Untersuchung eingeflossen sind nur jene Lernenden dieser Betriebe, die im ausgewählten Beruf ausgebildet wurden. Zudem wurden nur Lernende in den vierzig häufigsten Berufen eingeschlossen, die bei Lehrbeginn jünger als 25 Jahre alt waren.

Literatur

  • Stalder, B., Schmid, E. (2016). Lehrvertragsauflösung und Ausbildungserfolg – kein Widerspruch. Hep Verlag.
  • Negrini, L., Forsblom, L., Gurtner, J. L., & Schumann, S. (2016). Is there a relationship between training quality and premature contract terminations in VET? Vocations and Learning 9, 361-378.
  • Gehret, A., Aepli, M., Kuhn, A. & Schweri, J. (2019). Lohnt sich die Lehrlingsausbildung für die Betriebe? Resultate der vierten Kosten-Nutzen-Erhebung. Zollikofen: Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB.
  • Lamamra, N., Baumeler, C., Duc, B., & Besozzi, R. (2018). Wichtig, aber oft zu wenig gewürdigt. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 3(3).
Zitiervorschlag

Schweri, J., & Burén, P. a. (2024). Abwechslungsreiche Aufgaben im Lehrbetrieb machen Lernende erfolgreicher. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(12).

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