Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Evaluation BM SEK+

Schon in der dritten Sekundarschule Richtung Berufsmaturität

Seit August 2021 können Lernende der 3. Sekundarklasse im Kanton Luzern einen Tag pro Woche den Berufsmaturitätsunterricht (BM) besuchen. Dass die Lernenden während des letzten Schuljahrs der obligatorischen Schulzeit bereits einen Bildungsgang der Sekundarstufe II besuchen ist schweizweit einzigartig. Nun stehen die ersten Erfahrungswerte zur BM SEK+ zur Verfügung. Sie zeigen hohe Zustimmung aller Beteiligten – auch wenn die Dropoutquote höher ist als sonst in der BM.


Weiterentwicklung des 9. Schuljahres

Die BM SEK+ richtet sich an schulisch leistungsstarke Jugendliche, die eine technische oder handwerkliche berufliche Grundbildung absolvieren möchten.

Die Heterogenität der Klassen im letzten Jahr der Sekundarschule ist gross, nicht nur aus entwicklungspsychologischer Sicht. Der Berufswahlprozess ist für Jugendliche ein bedeutender Schritt im Rahmen ihrer beruflichen Entwicklung, welcher auch über das Gelingen des Eintritts in das Erwerbsleben entscheidet (Herzog et al., 2006). Gerade Jugendliche, die schon vergleichsweise früh eine Entscheidung über ihre berufliche Zukunft getroffen haben, wollen sich möglichst frühzeitig – während des letzten Schuljahres – auf ihren beruflichen Weg vorbereiten. Vor diesem Hintergrund gab der Luzerner Kantonsrat Anfang 2020 dem Bildungs- und Kulturdepartement den Auftrag, Angebote zur Weiterentwicklung des 9. Schuljahres auszuarbeiten und umzusetzen.

Die Dienststellen Volksschulbildung und Berufs- und Weiterbildung im Kanton Luzern haben in der Folge mit der BM SEK+ und dem Wahlfach Praxisplatz zwei Angebote geschaffen. Schulisch wenig motivierte Lernende können im Rahmen des Wahlfach Praxisplatz in der 3. Sekundarklasse jeweils einen halben Tag pro Woche ein Praktikum in einem Betrieb absolvieren. Die BM SEK+ richtet sich hingegen an schulisch leistungsstarke Jugendliche, die eine technische oder handwerkliche berufliche Grundbildung absolvieren möchten. Diese Jugendlichen besuchen anstelle des Wahlpflichtfachunterrichts an der Sekundarschule jeweils am Mittwoch den Berufsmaturitätsunterricht am Berufsbildungszentrum Bau und Gewerbe in Luzern.

BM SEK+: Ein Förderangebot für leistungsstarke Jugendliche

Mit der BM SEK+ bietet der Kanton Luzern Jugendlichen ein Förderangebot in der 3. Sekundarklasse, das diese motiviert, schulisch am Ball zu bleiben und ihnen bereits einen Einblick in die Berufsbildungswelt ermöglicht. Durch das Absolvieren des ersten Jahres der Berufsmaturitätsausbildung vor Eintritt in die Berufslehre soll zudem den intensiven Phasen der Berufslehre – insbesondere die Start- und Schlussphase – die Spitze gebrochen werden.

In den vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) als Pilotprojekt (Art. 32c Berufsmaturitätsverordnung) genehmigten Bildungsgang werden Jugendliche aufgenommen, welche die schulischen Anforderungen für den Übertritt in das Kurzzeitgymnasium erfüllen, sich jedoch für eine technische oder handwerkliche berufliche Grundbildung interessieren. Ein Lehrvertrag muss zum Zeitpunkt der Anmeldung noch nicht vorliegen. Wichtig ist allerdings eine ausgeprägte Fähigkeit der Jugendlichen, selbstorganisiert und eigenverantwortlich zu lernen. Denn wenn in der Sekundarschule am Mittwoch Pflichtfachlektionen verpasst werden, müssen die Lernenden diese selbstständig aufarbeiten.

Da den Jugendlichen beim Eintritt in die BM SEK+ ein Jahr Sekundarschulunterricht fehlt, wurde der Lehrplan der BM SEK+ angepasst. So ist garantiert, dass die Jugendlichen die Lernziele des Lehrplan 21 bei Abschluss der Sekundarschule erfüllen und die Lernziele der Berufsmaturität darauf aufbauend vermittelt werden.

Grosses Interesse an der BM SEK+

Die Anmeldungen für die BM SEK+ lagen für die ersten beiden Jahrgänge mit 28 Anmeldungen in 2021 und 36 Anmeldungen in 2022 – darunter auch Jugendliche mit Wohnsitz im Kanton Obwalden – über den Erwartungen.

Eine 2019 durch das Zentrum Berufsbildung (ZEBE) der Pädagogischen Hochschule Luzern (PH Luzern) bei den Anspruchsgruppen der Jugendlichen, deren Eltern und Erziehungsberechtigten, Lehrpersonen und Schulleitungen der Sekundarschule durchgeführte Bedarfserhebung hatte bereits aufgezeigt, dass das Angebot auf breite Akzeptanz und Interesse stösst. Die Anmeldungen für die BM SEK+ lagen für die ersten beiden Jahrgänge mit 28 Anmeldungen in 2021 und 36 Anmeldungen in 2022 – darunter auch Jugendliche mit Wohnsitz im Kanton Obwalden – über den Erwartungen. Für das Schuljahr 2023/24 haben sich 32 Jugendliche angemeldet.

Erste Erfahrungen stimmen zuversichtlich

Die ersten Klassen, die im August 2021 gestartet sind, wurden durch das ZEBE der PH Luzern mit dem Ziel evaluiert, schnell Verbesserungen zu erwirken (Fischer et al., 2023). Im Fokus standen dabei die Zufriedenheit der Teilnehmenden, die Wirkung der Lehr- und Lernprozesse, der Ausbildungserfolg der Lernenden sowie die Schnittstelle zwischen der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II. Für die Evaluation wurden Onlinebefragungen mit Lehrpersonen der Berufsmaturitätsschule (BM), Lehrpersonen der Sekundarstufe I (Sek. I), Erziehungsberechtigten, Lernenden und Ausbildungsverantwortlichen im Betrieb durchgeführt. Zusätzlich wurden ausgewählte BM- und Sek I-Lehrpersonen sowie Lernende in Einzel- und Gruppeninterviews zu ihren Erfahrungen befragt.

Mehrheit der Teilnehmenden ist zufrieden.

Die Evaluation konnte zeigen, dass die Lernenden und die Erziehungsberechtigten mehrheitlich der Ansicht sind, dass der Entscheid zur Teilnahme am Angebot BM SEK+ richtig war. Darüber hinaus nimmt die Mehrheit der BM- und Sek I-Lehrpersonen das Angebot als Bereicherung für die Berufsbildung wahr. Diese Sichtweise teilen überwiegend auch die Ausbildungsverantwortlichen aus den Betrieben, obwohl die Lernenden aufgrund der BM SEK+ – analog zur regulären Berufsmaturität – weniger Zeit im Betrieb verbringen. Die Betriebe schätzen an der BM SEK+, dass sich die Lernenden im Gegensatz zur regulären BM im letzten Lehrjahr ausschliesslich auf die betriebliche Ausbildung, die Berufsfachschule sowie das Qualifikationsverfahren konzentrieren können.

Optimierungspotenzial in Bezug auf inhaltliche und organisatorische Abstimmung.

Gewisse Herausforderungen zeigen sich in Bezug auf die organisatorische und inhaltliche Abstimmung zwischen dem 9. Schuljahr der Sekundarstufe I und dem ersten Jahr der BM SEK+.

Gewisse Herausforderungen zeigen sich in Bezug auf die organisatorische und inhaltliche Abstimmung zwischen dem 9. Schuljahr der Sekundarstufe I und dem ersten Jahr der BM SEK+. So wurde davon berichtet, dass sich die Koordination von Terminen beider schulischer Angebote teilweise schwierig gestaltete und auch die Abstimmung der Lerninhalte in den einzelnen Fächern teilweise Verbesserungspotential aufweist.

Desweiteren erlebten die Lernenden das höhere Tempo und die fachlichen Anforderungen der BM SEK+ teilweise als Herausforderung. Insbesondere die BM-Lehrpersonen sind denn auch der Ansicht, dass die Lernenden vor allem während des Einstiegs in die BM SEK+ mehr Unterstützung von ihnen benötigt hätten. Trotzdem fühlten sich die befragten Lernenden grösstenteils in der Planung ihres Lernens – vor allem durch die BM-Lehrpersonen – ausreichend unterstützt.

Sowohl auf Seite der BM- als auch auf Seite der Sek I-Lehrpersonen besteht der Wunsch einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen der beiden schulischen Angebote. Sie solle primär auf inhaltlicher Ebene bezüglich der Lerninhalte intensiviert werden. Dies stellt eine vielversprechende Ausgangslage dar, um die genannten Herausforderungen zum Beispiel im Rahmen einer Projektgruppe angehen zu können.

Dropouts

Bei der regulären lehrbegleitenden Berufsmaturität tritt schweizweit rund jede oder jeder vierte oder fünfte Jugendliche frühzeitig aus. Oft sind nicht mangelhafte Leistungen der Grund für den Austritt, sondern die hohe Belastung (Stress) (Trede et al., 2020). Mit einem Austritt fokussieren die Jugendlichen auf das erfolgreiche Abschliessen ihres EFZ. Bei der BM SEK+ traten in den ersten beiden Jahrgängen knapp ein Drittel der Lernenden frühzeitig aus, zumeist ebenfalls aufgrund der hohen Doppelbelastung. Die Evaluation zeigt, dass hier eine parallele Lehrstellensuche besonders ins Gewicht fällt. Vereinzelt stehen die Austritte am Ende des ersten BM SEK+-Jahres auch mit einer alternativen Berufs- oder Ausbildungswahl im Zusammenhang. Basierend auf diesen Umständen und vor dem Hintergrund der Positionierung der BM SEK+ als Förderangebot in der 3. Sekundarklasse wird weiterhin mit einer leicht höheren Dropoutquote gerechnet. Mittelfristig zu beobachten ist, ob die ausgetretenen Jugendlichen einen BM-Lehrgang in einer anderen Ausrichtung oder Modell (z.B. BM nach der Lehre) in Angriff nehmen.

Massnahmen zur Weiterentwicklung der BM SEK+ eingeleitet

Im Rahmen der Evaluation formulierte das ZEBE der PH Luzern verschiedene Handlungsempfehlungen, die nun hinsichtlich ihrer Umsetzung geprüft oder umgesetzt werden. Prioritär sind dabei sind die Etablierung eines engeren Austauschs zwischen den Lehrpersonen über die Nahtstelle I hinweg sowie eine punktuelle Überarbeitung des Lehrplans des ersten BM SEK+-Jahres, um eine Entschleunigung zu Beginn des Bildungsgangs zu erwirken. Von zu treffenden Massnahmen dürfte letztlich nicht nur die BM SEK+, sondern die lehrbegleitende Berufsmaturität im Allgemeinen profitieren.

Erfolgreiche Innovation

Angesichts des Interesses der Jugendlichen und der grossen Zufriedenheit der Beteiligten mit der BM SEK+ darf die Bildungsinnovation im Kanton Luzern als Erfolg gewertet werden.

Angesichts des Interesses der Jugendlichen und der grossen Zufriedenheit der Beteiligten mit der BM SEK+ darf die Bildungsinnovation im Kanton Luzern als Erfolg gewertet werden. Zentrale Gelingensbedingungen waren die enge Zusammenarbeit der Volksschul- und Berufsbildung, der Einbezug der Verbundpartnerschaft, die getätigten gründlichen Vorabklärungen (Machbarkeitsstudie, Bedarfserhebung), und nicht zuletzt eine sehr hohe Innovationsbereitschaft – insbesondere des umsetzenden Berufsbildungszentrums Bau und Gewerbe.

Literatur

  • Fischer, S., Hofstetter, A. & Käslin, F. (2023). Evaluation BM SEK+ im Kanton Luzern. Summary. (04.07.2023).
  • Trede, I., Hänni, M., Leumann, S., Neumann, J., Gehret, A., Schweri, J., & Kriesi, I. (2020). Berufsmaturität. Bildungsverläufe, Herausforderungen und Potenziale. OBS EHB Trendbericht 4. Zollikofen: Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB. (04.07.2023).
  • Walter, H., Neuenschwander, M.P., & Wannack, e. (2006). Berufswahlprozess. Wie sich Jugendliche auf ihren Beruf vorbereiten. Bern: Haupt.
Zitiervorschlag

Gnos, L., Hofstetter, A., Käslin, F., & Fischer, S. (2023). Schon in der dritten Sekundarschule Richtung Berufsmaturität. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(9).

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