Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Pilotversuch an der EHL Hotelfachschule Passugg

Affective Hospitality: So begegnet man Menschen mit Empathie

Die Bedeutung von Emotionen oder emotionaler Intelligenz rückt immer mehr ins Bewusstsein von Führungspersonen und Ausbildungsanbietern. An der Höheren Fachschule an der EHL Passugg ist vor einem Jahr ein Pilotversuch gestartet, der angewandte emotionale Intelligenz in der Hotellerie und Gastronomie fördert. «Affective Hospitality» bildet ein Kernstück im überarbeiteten Lehrplan der Hotelfachschule. Studierende und Mitarbeitende lernen, wie emotional intelligentes Verhalten und Zusammenarbeiten in der Praxis funktioniert. Das Lernfeld soll über den Lehrplan hinaus Wirkung zeigen.


Für die Erfahrung als Gast spielt es in der Regel keine grosse Rolle, ob ein Teller von links oder von rechts eingesetzt wird.

An jeder Hotelfachschule in der Schweiz werden für die Arbeit im Betrieb fachlich relevante Kompetenzen in den Bereichen Rezeption, Küche, Service, Administration, Finanzen, Marketing, Management, etc. ausgebildet. Für die Erfahrung als Gast in einem Restaurant oder Hotel spielt es in der Regel jedoch keine grosse Rolle, ob ein Teller von links oder von rechts eingesetzt wird oder über welches Buchungsprogramm die Reservationsbestätigung erstellt wird. Viel wichtiger ist für Gäste, wie sie sich während des Aufenthalts fühlen. Wie ist die Atmosphäre? Fühle ich mich willkommen? Ist der Servicemitarbeiter interessiert und zugewandt? Hat die Rezeptionistin bemerkt, wie müde ich von der Reise war? Lächelten mir die Mitarbeitenden aus dem Reinigungsteam auf dem Weg ins Zimmer zu? Das sind die Faktoren, die für eine positive Gästeerfahrung sorgen. Anders gesagt: Die zwischenmenschlichen Komponenten erzeugen angenehme Emotionen. Da können im Betrieb hoch professionell arbeitende Menschen tätig sein – aber wenn die Kompetenz fehlt, den Gästen einen emotional positiven Aufenthalt zu ermöglichen, nützen die fachlichen Fähigkeiten allein nicht viel.

Zu lernen, die eigenen Emotionen und die von anderen bewusst zu erkennen, zu regulieren und mit ihnen umzugehen, ist die zentrale Zielsetzung von Affective Hospitality und ein Schlüssel für persönlichen und beruflichen Erfolg.

Emotionale Intelligenz lässt sich entwickeln

An der EHL Hotelfachschule Passugg werden für die Ausbildung und Weiterentwicklung von Affective Hospitality verschiedene Gefässe genutzt:

1. Affective Hospitality als Lernfeld

Zu erkennen, wozu Emotionen da sind und dass sie immer dann auftauchen, wenn für uns etwas von Relevanz ist, ist die Basis, die im ersten Semester gelegt wird.

Der Ausgangspunkt für die Förderung emotionaler Intelligenz ist im HF-Lehrgang (Hotelier-Gastronom/Hoteliere-Gastronomin HF) an der EHL Passugg seit 2022 das Lernfeld Affective Hospitality. Die Inhalte dieses «Fachs» werden genau wie Marketing, Getränkekunde, Informations- und Kommunikationstechnologie oder Buchhaltung von dafür ausgebildeten Dozierenden unterrichtet. Affective Hospitality erstreckt sich in vier Modulen über alle Semester des HF-Studiums. Die Module bauen aufeinander auf und vermitteln folgende Inhalte:

Emotionen verstehen. Zu erkennen, wozu Emotionen da sind und dass sie immer dann auftauchen, wenn für uns etwas von Relevanz ist, ist die Basis, die im ersten Semester gelegt wird. In diesem Modul wird auch der emotionale Wortschatz erweitert; die Studierenden üben, die feinen Unterschiede der verschiedenen Emotionen zu spüren.

Emotionen regulieren. Im zweiten Semester lernen die Studierenden Möglichkeiten kennen, ihre Verhaltensmuster zu beobachten und die eigenen Emotionen zu regulieren. Das anschliessende Praktikumssemester bietet viele Gelegenheiten, die kognitiven Methoden und Varianten zur Situations- und Reaktionsveränderung und die Achtsamkeitsübungen, welche die Studierenden im Unterricht kennengelernt haben, direkt im Arbeitsalltag anzuwenden.

Emotionen erkennen. Wie man Emotionen bei sich und bei anderen erkennt und wie Emotionen durch Raumgestaltung, Licht, Musik und Kunst bewusst erzeugt werden können, ist der Schwerpunkt im vierten Semester. Die Studierenden lernen, zwischen Interpretation und Wahrnehmung zu unterscheiden und achtsam mit den eigenen (Vor)Urteilen umzugehen.

Mit Emotionen umgehen. Nach einem weiteren Praktikum im fünften Ausbildungssemester geht es im sechsten und letzten Semester um den Umgang mit Emotionen anderer Menschen. Die angehenden Hoteliers und Gastronominnen erhalten ein Verständnis davon, was emotional intelligente Führung von Menschen bedeutet.

2. Affective Hospitality Assessment – ein Test für emotionale Intelligenz

Zu Beginn der Ausbildung durchlaufen die Studierenden das Affective Hospitality Assessment. Der leistungsbasierte Test für emotionale Intelligenz (EI) enthält Fragen, die typische emotionsgeladene Arbeitsplatzszenarien in Hotellerie und Gastronomie beschreiben und eine Auswahl von richtigen und falschen Antworten anbieten. Der Test misst die Fähigkeiten in den vier Kompetenzbereichen:

  1. Emotionsverständnis
  2. Emotionsregulation
  3. Emotionswahrnehmung und
  4. Umgang mit Emotionen

Am Ende des Studiums absolvieren die Studierenden den Test nochmals und erhalten so einen Nachweis zur Entwicklung ihrer emotionalen Kompetenz während des Studiums an der EHL Passugg.

Am Ende des Studiums absolvieren die Studierenden den Test nochmals und erhalten so einen Nachweis zur Entwicklung ihrer emotionalen Kompetenz während des Studiums an der EHL Passugg. Die Daten werden von der Universität Genf (Swiss Center of Affective Sciences, CISA) ausgewertet und der Schule in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt. Damit kann die EHL Passugg auch den Erfolg der Affective Hospitality Ausbildung messen.

3. Das Rollenprofil der HF-Absolventen und Absolventinnen

Hoteliers und Gastronominnen bewegen sich täglich in verschiedenen Rollen als Gastgeber, Kommunikatorinnen, Unternehmer und Netzwerkerinnen. Ähnlich wie Regisseure ein Theaterstück auf einer Bühne inszenieren, sollen auch sie in der Lage sein, die Atmosphäre und das Setting im Betrieb so zu kreieren und zu begleiten, dass die emotionale Erfahrung der Gäste angenehm ist.

Ergänzend zu Affective Hospitality hat die EHL Passugg darum Rollen definiert, in denen emotionale Intelligenz zur Anwendung kommt; sie enthalten gleichzeitig die fachlichen Kompetenzen, welche in den anderen Lernfeldern ausgebildet werden. Am Ende des Studiums sind die Absolventen und Absolventinnen fähig, sich in ihrem Berufsfeld in diesen vier Rollen sicher und professionell zu bewegen:

Host: Die Studierenden lernen im ersten Semester alle Bereiche eines Hotels kennen und werden in die operativen und theoretischen Grundlagen von Küche und Service eingeführt. In den praktischen Lektionen am Mittag machen sie erste Erfahrungen als professionelle und empathische Gastgeberinnen.

Communicator: Im zweiten Semester wird die Kommunikation auf allen Ebenen im Hotelbetrieb zum Schwerpunkt. Die Studierenden lernen, wie man sich wirkungsvoll und wertschätzend ausdrückt, worauf man im interkulturellen Kontext achten muss und welches die klassischen Marketing- und Kommunikationskanäle sind. Rezeption und Hauswirtschaft sind in diesem Semester die praktischen Übungsfelder dafür.

Entrepreneur: Als Unternehmerinnen tauchen die Studierenden ins vierte Semester ein, wo strategische und administrative Themen relevant werden. In der Concept Week kommen die Aspekte aus den Bereichen Planung, Finanzierung oder Personalführung in Anwendung. Emotional intelligentes Verhalten zeigt sich in diesem Semester besonders in Projektarbeiten in gemischten Gruppen.

Networker: Im sechsten Semester werden, nach dem zweiten Praktikum, alle Lernfelder der Ausbildung vernetzt. Als Netzwerker erkennen die Studierenden Zusammenhänge über den eigenen Arbeitsbereich hinaus und sie üben sich darin, Kontakte zu pflegen und Beziehungen aufzubauen, die für die Zusammenarbeit und Weiterentwicklung wichtig sind.

4. Das Lernportfolio für Reflexion und Kompetenznachweis

Mit dem Lernportfolio reflektieren die Studierenden über die gesamte Ausbildung hinweg ihre persönlichen, fachlichen und emotionalen Kompetenzen. Anhand von konkreten Beispielen zeigen sie nachvollziehbar auf, wie sie sich in ihre Berufsrolle hineinentwickeln und wo sie noch Potenzial sehen. Im letzten Semester ziehen sie im Prüfungsportfolio ihr Fazit aus der Ausbildung und präsentieren vor einem Expertengremium ihr Kompetenzprofil als Hotelier-Gastronom/Hoteliere-Gastronomin HF.

Entwicklungsstand des HF-Lehrplans

Die vorgestellten Elemente im HF-Lehrplan der EHL Hotelfachschule Passugg ist noch in der Pilotphase. Derzeit befindet sich die erste Klasse, welche diese neuen Lernfelder besucht, im vierten Semester. Erste Ergebnisse in der Entwicklung der Studierenden sind aber schon sichtbar und wir beobachten gespannt die Fortschritte der jungen Nachwuchskräfte.

Dadurch, dass die EHL Passugg Affective Hospitality parallel auch als Unternehmenskultur integriert, fliesst die emotional intelligente Grundhaltung mehr und mehr auch in alle Lernfelder der Ausbildung mit ein.

Dadurch, dass die EHL Passugg Affective Hospitality parallel auch als Unternehmenskultur integriert, indem Mitarbeiter, Dozentinnen und Management in der Entwicklung ihrer emotionalen Kompetenzen unterstützt werden, fliesst die emotional intelligente Grundhaltung mehr und mehr auch in alle Lernfelder der Ausbildung mit ein. Die parallel laufende Entwicklung in Richtung einer emotional intelligenten Organisation hat einen massgeblichen Einfluss auf den Erfolg von Affective Hospitality. Ganz nach dem Leitsatz von Albert Schweitzer: «Das gute Beispiel ist nicht eine Möglichkeit, andere Menschen zu beeinflussen. Es ist die einzige!»

Angebote zur Einführung von Affective Hospitality in Hotelbetrieben

Dass die Entwicklung emotionaler Kompetenzen auf den beruflichen und persönlichen Erfolg einen Einfluss hat, wird durch immer mehr Studien nachgewiesen. Emotional intelligentes Verhalten verbessert zwischenmenschliche Beziehungen zu Gästen, Mitarbeitenden und Teammitgliedern, was wiederum Auswirkungen auf das Arbeitsklima und eine gute Atmosphäre im Betrieb hat. Das wird auch von den Gästen wahrgenommen. So beeinflusst Affective Hospitality die Zufriedenheit, Gästeloyalität, Fluktuation von Mitarbeitenden, Zusammenarbeit und schlussendlich auch auf den Umsatz im Betrieb positiv.

Die Unterstützung von emotionaler Kompetenz bei den Nachwuchskräften an der Höheren Fachschule ist nur ein Aspekt, auf den die EHL Passugg im Zusammenhang mit Affective Hospitality setzt. Das Affective Hospitality Assessment und die Ausbildungsinhalte zur Entwicklung emotionaler Intelligenz sollen auch den Betrieben in der Hotel- und Gastronomiebranche zur Verfügung stehen. So kann der EI-Test zur Standortbestimmung der emotionalen Kompetenzen im Betrieb genutzt werden, um dann mit begleitenden Massnahmen (Workshops, Trainings) die emotionalen Kompetenzen in Führungsteams und bei Mitarbeitenden weiterzuentwickeln. Auch hier befindet sich die EHL Passugg mitten im Aufbau und gleist die ersten Pilotprojekte in Zusammenarbeit mit interessierten Hotelbetrieben auf.

Wir haben die Vision, dass mit dem Engagement zur Entwicklung von emotionalen Kompetenzen nicht nur ein weiteres Gadget zur Optimierung der Betriebsperformance auf den Markt kommt; vielmehr soll damit ein massgeblicher Beitrag für mehr Lebensqualität und ein konstruktiveres Miteinander über den beruflichen Kontext hinaus geleistet werden.

In einem zweiten Schritt könnten die Module und Assessments auch weiteren Branchen der Dienstleistung und des Gesundheitswesens zugänglich gemacht werden.

Wir wollen die Inhalte der Module unsere Lehrgänge und das Assessment in einem ersten Schritt in der EHL-Gruppe in der Graduate, Undergratute sowie Executive Trainings implementieren. In einem zweiten Schritt könnten die Module und Assessments auch weiteren Branchen der Dienstleistung und des Gesundheitswesens zugänglich gemacht werden. Überall dort, wo Menschen mit und für Menschen arbeiten, bieten die gezeigten Möglichkeiten einen unschätzbaren Mehrwert für den Gast, die Klientin, die Patienten, aber auch für die Mitarbeiterin, das Team und die Führungscrew.

Zitiervorschlag

Schweighauser, B. (2023). Affective Hospitality: So begegnet man Menschen mit Empathie. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(9).

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