Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Dieter Euler

Auf den Spuren von Christo? – Über die sprachliche Verhüllung von Bildungsabschlüssen

Seit Jahren fordern berufsbildende Kreise die Einführung von Titeln wie «Professional Bachelor» und «Professional Master» für die Abschlüsse der höheren Berufsbildung. Nun erarbeitet das SBFI eine Vernehmlassungsvorlage. Aber statt einer Aufwertung der Höheren Berufsbildung bringt das Projekt eine Verwischung ihres Profils. Auch das Angleichungsargument im Hinblick auf internationale Titelbezeichnungen hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. Schliesslich ist das Projekt auch unnötig, weil sich die Höhere Berufsbildung einer stabilen Beteiligung erfreut, und von den Betrieben werden die Absolventinnen und Absolventen unverändert nachgefragt.


Ein gerne bemühter Slogan in der schweizerischen Berufsbildung lautet, dass allgemeine und berufliche Bildung nicht gleichartig, aber gleichwertig sind. Auf der Tertiärstufe konkretisiert sich dies dann in der Form, dass die Höhere Berufsbildung mit ihren Abschlüssen als gleichwertig zu dem akademischen Bachelorabschluss einer Hochschule verstanden wird. Nun ist die Zuschreibung von Gleichwertigkeit nur auf der Grundlage einer Bewertung möglich, insofern stellt sich die Frage, wer diese Bewertung nach welchen Kriterien vornimmt. Eine ähnliche Offenheit zeigt sich bei der Kennzeichnung von (fehlender) Gleichartigkeit, wobei neben den Abschlussbezeichnungen Merkmale wie unterschiedliche Zulassungsvoraussetzungen, Kompetenzprofile oder berufliche Einsatzfelder nach dem Abschluss eine Unterschiedlichkeit der Bildungsgänge gut begründen könnten.

Das Aufwertungsargument erscheint zweischneidig, weil es dem Ziel der eigenständigen Profilierung der Höheren Berufsbildung entgegenwirkt und zudem eine Hierarchisierung zugunsten der Hochschulbildung unterstützt.

Bildhaft gesprochen zeigen sich die beiden Bildungswege auf der Tertiärstufe als verschiedene Produkte in deutlich unterschiedlicher Verpackung. Die Verpackung könnte sich bald ändern. Auf dem jährlichen Spitzentreffen der Berufsbildung im vergangenen November entschieden sich Repräsentanten von Bund, Kantonen und Sozialpartnern für die Erarbeitung einer Vernehmlassungsvorlage, in der u. a. die HF-Diplome und eidgenössischen Berufsprüfungen den Titelzusatz «Professional Bachelor» und die eidgenössischen höheren Fachprüfungen den Titelzusatz «Professional Master» erhalten sollen. Oder um im Bild zu bleiben: Die Verpackung für die Höhere Berufsbildung soll sich derjenigen für die Hochschulabschlüsse annähern, ohne etwas an den Produkten zu verändern.

Nun sind die Versuche, der beruflichen Bildung durch rhetorische Anleihen einen vermeintlichen Attraktivitätsschub zu verleihen, nicht neu. Als Begründung wurde dabei zumeist angeführt, die neuen Titel führten zum einen zu einer Aufwertung der Abschlüsse der Höheren Berufsbildung, zum anderen zu einer Angleichung an ausländische Titelbezeichnungen. Wie tragfähig sind diese Begründungen?

Das Aufwertungsargument erscheint zweischneidig, weil es dem Ziel der eigenständigen Profilierung der Höheren Berufsbildung entgegenwirkt und zudem eine Hierarchisierung zugunsten der Hochschulbildung unterstützt. Mit den Bezeichnungen «Bachelor» bzw. «Master» werden begriffliche Anleihen aus der Hochschulwelt aufgenommen, die nicht die Spezifika bzw. das Profil des eigenen Produkts aus der Berufsbildung hervorheben, sondern auf die Positivausstrahlung eines implizit als attraktiver vermuteten Hochschulabschlusses setzen. Wer die in einem gutbürgerlichen Restaurant zubereitete Suppe als «Gourmet-Delikatesse» auf der Karte ausweist, versucht sich mit der Aura eines Sternekochs zu umgeben – wobei offenbleibt, ob die Gäste dies positiv bewerten oder als Marketing-Gag abtun. Überhaupt: es bleibt offen, wer als Adressat dieser begrifflichen Anpassung auf der Tertiärstufe angesprochen werden soll und ob eine solche Aufwertung überhaupt notwendig ist. Im Hinblick auf die Teilnehmenden in der Höheren Berufsbildung zeigt sich über die vergangenen Jahre eine stabile Beteiligung, und von den Betrieben werden die Absolventinnen und Absolventen unverändert nachgefragt.

Das Angleichungsargument im Hinblick auf internationale Titelbezeichnungen hält einer genauen Analyse nicht stand. In den meisten Ländern der EU wird die Aufstiegsweiterbildung u.a. über «Kurz-Studiengänge» ermöglicht, die einen verbindlichen Anschluss bzw. eine Durchlässigkeit zu Bachelor-Studiengängen besitzen.  Die Bezeichnung und Abschlüsse der jeweiligen Bildungsgänge sind nicht einheitlich (z. B. Associate Degree, Foundation Degree, Higher National Certificate / Diploma, Diplôme). In Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden existieren Professional Bachelor-Programme parallel zum «Bologna-Bachelor», die jedoch beide zur Hochschulbildung zählen. In Deutschland wurden 2020 «Professional Bachelor» bzw. «Professional Master» als Titelzusätze eingeführt, wobei mit den Abschlüssen die Verleihung der allgemeinen Hochschulberechtigung verbunden ist.

Die sprachliche Verhüllung der Höheren Berufsbildung wirkt der Absicht einer Profilbildung und Aufwertung entgegen.

Neue Titel ohne Veränderungen in den Profilen oder Inhalten der Produkte dienen der Bildung von Begriffen, ändern aber nichts an der Bildung der Menschen. In diesem Fall erinnern sie an die Verpackungs- und Verhüllungskünstler Christo und Jeanne-Claude, die in spektakulären Projekten etwa den Berliner Reichstag, den L’Arc de Triomphe in Paris oder Hunderte von Bäumen in Riehen verhüllten und zu einem Kunstobjekt stilisierten. Die sprachliche Verhüllung der Höheren Berufsbildung würde jedoch vermutlich nicht zu einem Kunstwerk avancieren, sondern wirkte ganz im Widerspruch zu dem skizzierten Slogan der Absicht einer Profilbildung und Aufwertung entgegen.

Die Kolumne von Dieter Euler erschien zuerst in «Folio» des BCH.

Zitiervorschlag

Euler, D. (2024). Auf den Spuren von Christo? – Über die sprachliche Verhüllung von Bildungsabschlüssen. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(4).

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