Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Thesen und Reflexionen

Die Berufsmaturitätsquote zwischen Volatilität und Stabilität – eine bildungspolitische Herausforderung

Die Berufsmaturität (BM) hat sich seit der Reform der BM-Verordnung 1993 positiv entwickelt. Etwa jeder siebte Lernende, der eine berufliche Grundbildung absolviert, erwirbt auch einen BM-Abschluss. Dennoch konnten nicht alle mit der Reform verbunden Ziele erreicht werden. So laden die interkantonale Volatilität der BM-Quoten, ihre Einflussfaktoren sowie die Reaktion politischer Akteure auf die Schwankungen zum Diskurs ein. Die Autoren des vorliegenden Beitrags plädieren dafür, anstelle von Image-Kampagnen Fragen zur Organisation der BM zu stellen.


Die Berufsmaturität (BM) ist eine Erfolgsgeschichte der Schweizer Berufsbildungspolitik. Sie richtet sich an junge, schulisch leistungsstarke Berufsleute, die eine erweiterte Allgemeinbildung anstreben, und sie erhöht die Chance der Absolvierenden, sich beruflich weiterzuentwickeln. Seit ihrer Einführung zu Beginn der 1990er-Jahre hat sie sich erfolgreich etabliert. Mehr als ein Drittel aller Maturitätszeugnisse in der Schweiz sind inzwischen Berufsmaturitäten. 25 Jahre nachdem der Schweizer Wissenschaftsrat eine Verdoppelung der Maturandenquote von 15% auf 30% forderte, wurde dieses Ziel erreicht. Damit ist die BM jene Bildungsreform – neben der gleichzeitigen Einführung der Fachhochschulen –, welche die grössten Veränderungen in den Bildungslaufbahnen junger Erwachsener bewirkt hat. Angesichts dessen kann die Bedeutung der BM für das Bildungssystem fast nicht überschätzt werden.

25 Jahre nachdem der Schweizer Wissenschaftsrat eine Verdoppelung der Maturandenquote von 15% auf 30% forderte, wurde dieses Ziel erreicht.

Mit der Etablierung der BM waren in der Schweizer Bildungslandschaft grosse Hoffnungen verbunden. Die BM sollte namentlich dazu beitragen, die Durchlässigkeit im Bildungssystem zu erhöhen und den Fachkräftemangel sowie soziale Ungleichheiten im Bildungserfolg zu reduzieren. Weiter sollte sie zur höheren Qualifizierung von Frauen beitragen und die Schweizerische Berufsbildung international anschlussfähiger machen. Trotz des quantitativen Erfolgs der BM und ihres grossen Ansehens schweizweit, konnten diese Hoffnungen bei Weitem nicht alle erfüllt werden: So wird auch 20 Jahre nach der Einführung der BM immer noch der mangelnde Nachwuchs an Fachkräften im Allgemeinen und von MINT-Fachkräften im Besonderen betont. Ebenso hat sich die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Angeboten auf Tertiärstufe zwar massiv verbessert, aber sie wird von Frauen und Personen aus sozial benachteiligten Milieus weiterhin weniger stark genutzt. Analysen zeigen, dass das Ziel, mit der Schaffung der BM die soziale Ungleichheit im Bildungserfolg zu reduzieren, noch in weiter Ferne ist. Personen aus bescheidenen sozioökonomischen Verhältnissen und Frauen qualifizieren sich zwar höher als vor 25 Jahren, sie bleiben aber an der BM und später an Fachhochschulen massiv untervertreten. 70% aller BM-Absolventen und nur gerade 45% aller BM-Absolventinnen beginnen ein Fachhochschulstudium (total 58% aller BM-Absolvierenden).

Drei aktuelle Herausforderungen der Berufsmaturität

Mit Blick auf die aktuelle Situation der BM lassen sich drei für die weitere Entwicklung bedeutsame Problemfelder eruieren.

(1)  Die aktuellen Absolventenzahlen der einzelnen BM-Profile zeigen, dass trotz einer starken Marktorientierung der beruflichen Grundbildung und damit auch der BM in gewissen Branchen der Fachkräftebedarf kaum gedeckt werden kann. Offensichtlich entfalten die bestehenden Bildungswege, über die junge Arbeitskräfte zu gefragten Fachkräften werden (und hierzu gehört auch die BM), noch nicht ihr Potenzial. Es stellt sich die Frage, ob die Marktmechanismen – im Sinne einer Selbstregulation von Nachfrage an Arbeitskräften und Ausbildungsbereitschaft von Betrieben und Investitionsbereitschaft von Kantonen – tatsächlich wirken.

Die Finanzierung der BM (I und II) und die Verteilung der Kosten auf die unterschiedlichen Akteure (Individuen, Betriebe, Kantone resp. Bund) muss kritisch hinterfragt werden.

(2) Aktuelle Entwicklungen der Absolventenzahlen verweisen auf eine Stagnation und in gewissen Kantonen auf einen Rückgang bei der ausbildungsbegleitenden Berufsmatura (BM I) bei gleichzeitiger Zunahme der Berufsmatura im Anschluss an die berufliche Grundbildung (BM II). In diesem Zusammenhang muss die Finanzierung der BM (I und II) und die Verteilung der Kosten auf die unterschiedlichen Akteure (Individuen, Betriebe, Kantone resp. Bund) kritisch hinterfragt werden. Während bei der BM I die Kosten auf das Individuum (Engagement und Freizeitverlust), den Betrieb (Absenz der Lernenden im Betrieb und Unterstützung) und den Staat (Investitionskosten für Schulen) verteilt sind, bleiben die Aufwendungen bei der BM II beim Individuum (Lohnausfall) und dem Staat. Damit beteiligen sich Betriebe insgesamt, strukturell gesehen, weniger an den Ausbildungskosten.

(3) Eine (wenn nicht die grösste) Herausforderung der BM liegt in den massiven kantonalen und regionalen Unterschieden der BM-Quoten (prozentualer Anteil der Personen mit BM an der ständigen 21-jährigen Wohnbevölkerung). Diese Unterschiede betreffen – analog zu den gymnasialen Maturitätsabschlüssen – die Höhe und Entwicklung der Quote. Zwischen den Kantonen bestehen im Maximum Unterschiede mit dem Faktor 2.1 (Basel-Stadt 9.8% vs. Tessin 20.8%) in der Höhe der Absolventenquote. Dabei schwanken die Quoten von Jahr zu Jahr in den grossen Kantonen deutlich weniger als in den kleinen. Diese Hinweise auf regionale Unterschiede in der quantitativen Bedeutsamkeit der BM bedeuten letztlich, dass Jugendliche einzelner Kantone eine höhere Wahrscheinlichkeit haben als andere, den begehrten Bildungstitel zu erreichen. Die Diskussion der Quotenunterschiede zielt damit nicht zuletzt auf die allgegenwärtige Herausforderung der Bildungspolitik, der Verwaltung und der Wissenschaft, Antworten auf Fragen potenziell mangelnder Chancengerechtigkeit des Bildungssystems zu liefern. Nachfolgend werden diese Unterschiede näher beleuchtet.

Stabilität und Volatilität in den BM-Quoten

Auch wenn die gesamte Quote der Absolventinnen und Absolventen der Berufsmaturität in den letzten Jahren stieg, unterscheiden sich die unterschiedlichen Profile in ihren Entwicklungen erheblich (siehe Tabelle). Zwischen 2005 und 2015 stieg die Zahl der Absolventinnen und Absolventen am stärksten im gesundheitlich-sozialen Profil (+443%), gefolgt vom naturwissenschaftlichen (+35%), dem gewerblichen (+30%), dem gestalterischen (+30%) und dem kaufmännischen (+22%) Profil. Im selben Zeitraum legte das technische Profil nur gerade um drei Prozent zu. Letzteres war jedoch jenes Profil, welches 1993 als erstes eingeführt wurde und nach dem kaufmännischen heute das zweitstärkste Profil darstellt. Über alle Profile sind im genannten Zeitraum die Abschlusszahlen um 30% gewachsen. Das Wachstum ist stark auf die Entwicklung der BM II zurückzuführen. In den Profilen bestehen zudem deutliche Geschlechtsunterschiede.

Die zwei meist absolvierten Profile im Jahr 2015 sind bei den Männern das technische und das kaufmännische (45% resp. 42% aller Abschlüsse) und bei den Frauen das kaufmännische und das gesundheitlich-soziale Profil (57% resp. 26% aller Abschlüsse). Innerhalb derselben Richtung verteilen sich die Geschlechter relativ ähnlich auf BM I und BM II.

Mit Blick auf einzelne Kantone ist die Entwicklung der BM-Quote volatil. Im schweizweiten Vergleich haben die Kantone Neuenburg, Zug und Tessin über längere Zeit eine hohe BM-Quote, während die Kantone Basel-Stadt, Genf und Waadt die tiefsten Quoten aufweisen. Gleichzeitig weisen 2015 Basel-Stadt und Genf die höchsten gymnasialen Maturitätsquoten auf (gM, prozentualer Anteil der Personen mit gymnasialer Matura an der ständigen 19-jährigen Wohnbevölkerung). Der Umkehrschluss, dass die Kantone mit hohen BM-Quoten eine tiefe gM-Quote aufweisen, ist jedoch nicht zulässig. Der Kanton Tessin beispielsweise hat neben einer hohen Beteiligung an der BM (20.8%) auch eine hohe gymnasiale Maturitätsquote (27.5%). Gleiches gilt für den Kanton Neuenburg. Die Differenz der schweizweit tiefsten zur höchsten kantonalen BM-Quote hat sich zwischen 1999 (Spannweite 2.1% bis 12%) und 2015 (9.8% bis 20.8%) verkleinert.

Die Entwicklung der BM-Quote unterscheidet sich auch bei einzelnen Kantonen derselben Grossregion stark, wie dies der Vergleich der Kantone Luzern und Zug verdeutlicht. Hier entwickeln sich die Abschlüsse in die je kontrastive Richtung. Seit dem Jahr 2009 liegt die BM-Quote im Kanton Zug fast durchgehend rund zwei Prozentpunkte über dem Schweizer Durchschnitt, während jene des Kantons Luzern nah beim Schweizer Durchschnitt oder darunter liegt. In beiden Kantonen verweisen die Kurven auf eine massive Volatilität der Quoten, wenn auch auf deutlich unterschiedlich hohem Niveau. Detailanalysen der Schwankungen mit Daten des Bundesamtes für Statistik zeigen, dass diese teilweise auf Rückgänge in einzelnen BM-Profilen zurückzuführen sind. So ist der Anstieg im Kanton Zug von 2012 bis 2013 massgeblich auf Veränderungen im gesundheitlichen und sozialen Profil zurückzuführen, während der Einbruch im selben Zeitraum in Luzern nahezu ausschliesslich vom kaufmännischen Profil ausgeht. Da die unterschiedlichen Profile (mit Ausnahme des kaufmännischen) geschlechtlich selektiv

BM-Quote in Prozent in den Kantonen Zug, Luzern und der Schweiz 2005-2015.

besucht werden, führen Schwankungen in einem einzelnen Profil meist zu deutlichen Veränderungen in der Zusammensetzung der kantonalen BM-Quote nach Geschlechtern. Der oben genannte Anstieg im Kanton Zug führt beispielsweise zu einer deutlichen Änderung in der kantonalen Absolventinnenquote der Berufsmatura.

Insbesondere kleine Kantone zeichnen sich durch teilweise erhebliche Schwankungen in den Abschlusszahlen der Berufsmatura aus.

Mögliche Einflussfaktoren auf die Entwicklung der BM-Quoten

Mediale und politische Berichterstattungen legen bei der Erklärung dieser Entwicklungen einen starken Fokus auf die individuellen Entscheidungskalküle der Lernenden. Sie gehen also davon aus, dass Schwankungen sehr stark mit dem Interesse der Jugendlichen und dem Grad ihrer Informiertheit über Bildungsangebote zu tun hat. Zudem wird teilweise eine bestimmte kantonale Quote als etwas mehr oder weniger natürlich Gewachsenes dargestellt. Solche Darstellungen sind deutlich unterkomplex. Sie unterschlagen, dass die Höhe der Abschlusszahlen eines Bildungsgangs und ihre Entwicklung über die Zeit einem komplexen Zusammenwirken vielfältiger, bewusst und teilweise unbewusst gesteuerter Mechanismen unterliegt.

Zuvorderst sind die Höhe und die Entwicklung der Quote eines Bildungsgangs von der Angebotsstruktur oder Opportunitätsstruktur eines Kantons abhängig. Kantone – und in grossen Kantonen auch die Regionen – unterscheiden sich darin, welche Schul- und Ausbildungstypen angeboten werden und wie die Zulassung zu ihnen geregelt ist. Die BM betrifft dies insofern, als dass beispielsweise Handels- und Fachmittelschulen interessante Alternativen für schulisch interessierte und leistungsstarke Jugendliche zu einer Lehre mit BM darstellen. Aber auch die Motive für die Wahl einer BM I unterscheiden sich möglicherweise stark von jenen für eine BM II. Die Selektion für die BM I wird in vielen Kantonen neben dem Betrieb auch durch Aufnahmeprüfungen oder Empfehlungen der abgebenden Schulen der Sekundarstufe I geregelt. Das bedeutet, dass hier bisherige schulische Leistungen den Ausschlag geben, während bei der BM II die Aufnahmeverfahren gewisser Kantone ausschliesslich auf die Motivation der Interessenten zielt (z.B. über Motivationsschreiben). Dies zeigt, dass die Auswahl der BM I-Absolvierenden stärker auf Fremdselektion basiert und jene für die BM II stärker auf Selbstselektion. Bisher ist unerforscht, inwiefern sich Veränderungen der Leistungsverträge der Kantone mit Bildungsanbietern für die BM auf die Quote auswirken. Gleiches gilt für die interkantonale Mobilität von BM-Absolvierenden resp. Effekte des demografischen Wandels.

Wie reagieren die Bildungsverwaltung und die Bildungspolitik auf Quotenschwankungen?

Insbesondere auf kantonaler Ebene führen Veränderungen der Absolventinnen- und Absolventenzahlen zu Reaktionen der Medien und oft auch der kantonalen Bildungsverwaltung und -politik. Vielerorts lassen sich im Anschluss an erste Reaktionen auch mehr oder weniger konkrete Massnahmen beobachten, welche die Quotenreduktion stoppen resp. die Zahlen wieder steigern sollen. Die Massnahmen unterschieden sich dabei einerseits in ihrer Problemdiagnose, also den angeführten mutmasslichen Gründen für die Veränderung der Quoten und der Spezifität der Massnahmen. In den meisten Kantonen sind die Massnahmen breit angelegt und verstehen sich als Kampagnen zur Stärkung der beruflichen Grundbildung und der Attraktivität der Berufsmaturität. Einige Kampagnen sollen hier exemplarisch kurz erläutert werden.

Auch wenn es für die kantonale Standortpolitik reizvoll sein mag, eine Zielquote der Berufsmaturitäten anzugeben, erscheint dies wenig sinnvoll. Soll Einfluss auf die Absolventenzahlen genommen werden, müssen strukturelle Fragen diskutiert werden.

Die Dachkampagne des Bundes zur Förderung der Schweizer Berufsbildung fokussiert nicht ausschliesslich die BM, sondern die gesamte Berufsbildung. Mit Slogans wie «Lerne Obstfachmann, werde Lebensmitteltechnologe» werden aber explizit Bildungswege angesprochen, für die eine BM mit anschliessendem Fachhochschulstudium Voraussetzung sind. Ziel der Kampagne ist die Stärkung der Berufsbildung sowie deren Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft sichtbar und die Durchlässigkeit prominenter zu machen. Auf diese Grundidee baut die Kampagne von Berufsbildungplus.ch, welche in erster Linie zukünftige Lernende sowie die interessierte Öffentlichkeit in den Blick nimmt.

Konkrete Kampagnen zur Stärkung der BM sind bisher auf kantonaler Ebene angesiedelt und reagieren dabei oft auf Quotenschwankungen resp. Veränderungen der kantonalen Quote im Verhältnis zum Schweizerischen Durchschnitt. Die beiden Halbkantone Basel-Stadt und Basel-Land haben beispielsweise 2012 die Imagekampagne «Berufslehre plus Berufsmaturität. Zwei Abschlüsse – alle Möglichkeiten» gestartet. Ziel der Kampagne war es laut Regierungsrat, den Schweizer Durchschnitt der BM-Quote zu übertreffen (damals 12,8%). Die Kampagne wurde sowohl von den Berufsbildungsämtern beider Halbkantone als auch von diversen OdAs (Organisationen der Arbeitswelt) getragen. Aus den Dokumentationen der Kampagne wird deutlich, dass das Ziel in erster Linie eine verbesserte Information der interessierten Schülerinnen und Schüler war. Obwohl der Regierungsrat gezielt Berufsbildner und Betriebe für die Förderung der BM sensibilisieren wollte, spielte die betriebliche Seite der BM nur eine marginale Rolle. Auf einer ähnlichen Ebene ist die Kampagne des Kantons Zürich zu verorten, welche mit dem Slogan  «Berufsmaturität – ein Mehrwert für alle: Absolventinnen und Absolventen, Unternehmen und Wirtschaft» wirbt. Auch hier werden in erster Linie die interessierten Schülerinnen und Schüler angesprochen. Zudem wurden in diesem Zusammenhang auch vereinzelt strukturelle Fragen, wie z.B. der Zeitpunkt des Zulassungsverfahrens zur BM diskutiert.

Eine etwas andere Richtung schlägt die Kampagne des Kantons Luzern ein. Luzern verfolgt das langfristige Ziel, eine BM-Quote von 15% zu erreichen. Dazu wurde im Jahre 2013 eine Kampagne unter dem Slogan «Berufsmatura öffnet Türen» gestartet. Eine integrierte Kommunikation und gezielte Partnerschaften mit Verbänden und Unternehmen (mit einem «Letter of Intent» die BM zu unterstützen) sollen helfen, die BM besser zu positionieren und den Bekanntheitsgrad zu steigern. Zudem wurde ein Jahr nach Kampagnenstart ein Beirat zur Förderung der Berufsmaturität eingesetzt. Der Projektverantwortliche sagte bereits ein Jahr nach der Lancierung, dass der Abwärtstrend der Neuanmeldungen gestoppt werden konnte.

Interessant an diesen Beispielen ist, dass die Auslöser für die Quotenveränderungen in jedem Kanton unterschiedlich sind. Die Strategien, welche in den Kampagnen zum Ausdruck kommen, scheinen aber relativ ähnlich und sehr allgemein gehalten zu sein. Im Kanton Luzern beispielsweise ist die Quotensenkung (2012-2013) hochgradig branchenspezifisch. Die Reduktion ist nahezu ausschliesslich auf Veränderungen im kaufmännischen Profil zurückzuführen. Der Kanton reagiert jedoch mit einer recht unspezifischen Imagekampagne. Die unterschiedlichen Reaktionen auf Schwankungen zeigen, dass die Kantone offensichtlich einen gewissen Profilierungsdruck haben. Basel-Land und Basel-Stadt haben sich das Ziel gesetzt, eine BM-Quote zu erreichen, die über dem Schweizer Durchschnitt liegt, was durchaus als Ausdruck einer Standortpolitik verstanden werden kann. Interessant ist zudem, dass sehr oft von einer Stärkung der Verbundpartnerschaft gesprochen wird, die Kampagnen jedoch vorrangig potenzielle Berufsmaturadinnen und Berufsmaturanden ansprechen. Aus Luzern ist bekannt, dass zusätzlich Workshops mit Branchenverbänden und Betrieben zur Thematik der BM-Förderung durchgeführt und die Entwicklung der Anmeldezahlen durch einen Beirat verfolgt werden.

Anregungen

Auch wenn es für die kantonale Standortpolitik reizvoll sein mag, eine Zielquote der Berufsmaturitäten anzugeben, erscheint dies wenig sinnvoll. Soll Einfluss auf die Absolventenzahlen genommen werden, müssen strukturelle Fragen diskutiert werden, wie zum Beispiel die Zulassungsbedingungen zu Berufsmaturitätsschulen, das verfügbare Budget für die BM, alternative Modelle für die Organisation der BM I oder Anreize für Unternehmen Lehrstellen explizit für BM-Interessierte anzubieten. Imagekampagnen mögen in diesem Zusammenhang ein Puzzleteil darstellen – eine grosse Wirkung ist von ihnen aber nicht zu erwarten, weil sie meist nur eine Seite (BM-interessierte Jugendliche und deren Eltern) fokussieren und wenig Verbindlichkeit bei der Umsetzung von BM-Fördermassnahmen besteht. Eingedenk der Komplexität der kantonalen Bildungssysteme sind Kampagnen in ihrer kurz- und mittelfristigen Wirkung kaum überprüfbar. So kommt auch der Schlussbericht zur Stärkung der BM des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) zum Schluss, dass Kantone erst über einen Zeitraum von rund zehn Jahren in der Lage sind, Kennzahlen und Entwicklungen der BM zu beeinflussen.

In der Diskussion, wie viele BM-Absolventinnen und Absolventen benötigt werden, spiegelt sich nicht zuletzt ein grosses Spannungsfeld der (Berufs-)Bildungspolitik, nämlich jenes zwischen der aktiven Steuerung und der marktförmigen Organisation des kantonalen Bildungsangebots. Mit Fokus auf die Berufsmaturität scheint es sinnvoll, wenn sich Kantone an der Nachfrage an ihrem Standort orientieren, d.h. daran, ob sie dem wirtschaftlichen Bedürfnis entsprechend genügend Fachkräfte ausbilden, und nicht daran, ob sie mehr oder weniger Leute ausbilden als andere Kantone.

Die Kantone steuern die Berufsmaturität einerseits über die Zulassungsbedingungen zu BM I und II. Andererseits beeinflussen sie die Entwicklung der Quote mit ihrer Bereitschaft, finanzielle Ressourcen für die Infrastruktur und die Anstellung von Lehrpersonen für die BM zur Verfügung zu stellen. Die OdAs könnten Betriebe für die Gewinnung von Lernenden mit BM sensibilisieren und motivieren. Gleichzeitig wären sie für die Kantone Verhandlungspartner bei der Entwicklung von Anreizen zur Steigerung der Ausbildungsbereitschaft ihrer Betriebe. Die Betriebe, welche ihrem Bedarf entsprechend Lernende ausbilden und ihnen den Besuch der BM ermöglichen, sind der zentrale dritte Pfeiler bei der Förderung der Berufsmaturität.

Solche Hinweise sind nicht neu in der Schweizer Berufsbildung, aber mancherorts unpopulär. Sie verweisen darauf, dass Änderungen der Absolventenzahlen potenziell nur mit Reformen zu erreichen sind, die deutlich weiter gehen als das Unterzeichnen einer Interessenbekundung zur Förderung der Berufsmaturität. Solange strukturelle Fragen wie Zulassungsbedingungen zur BM, alternative Modelle der BM I, deren Finanzierung oder auch Anreize für Betriebe nicht in den Fokus der Diskussion gelangen, bleiben die bestehenden Imagekampagnien zahnlose Tiger. Wenn die Bildungspolitik und -verwaltung – bei gleichbleibenden Reform(un)willen – auf volatile BM-Quoten reagieren will, dann am besten mit Gelassenheit und analytischem Interesse für die möglichen Gründe der Schwankungen. Alle potenziell wirkungsvollen Alternativen scheinen mit beträchtlichen Reformen einherzugehen.

1 Literaturhinweise und solche auf vertiefende Literatur wurden zugunsten der Lesbarkeit entfernt und können bei den Autoren angefragt werden. Die Analysen basieren auf Daten, die das Bundesamt für Statistik den Forschenden zur Verfügung gestellt hat. Die grosse Mehrheit der Analysen ist mit folgendem Datensatz replizierbar: Maturitätsquote nach Maturitätstyp, Kanton und Geschlecht, Bundesamt für Statistik.
Zitiervorschlag

Kost, J., Lüthi, F., & Fischer, J. (2017). Die Berufsmaturitätsquote zwischen Volatilität und Stabilität – eine bildungspolitische Herausforderung. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 2(1).

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