Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Erhebung bei Lernenden FaBe und FaGe

Emotionale Intelligenz ist wichtig für den Lernerfolg

Eine Sichtung der Literatur zeigt, dass in Europa im Rahmen der Berufsbildung relativ wenige Programme zur Bildung von sozial-emotionalen Kompetenzen existieren. Auch wissenschaftliche Veröffentlichungen zu diesem Thema gibt es kaum. Der vorliegende Artikel berichtet über die Ergebnisse einer Studie zur Rolle der emotionalen Intelligenz (EI) in der beruflichen Grundbildung. Sie bestätigen den positiven Zusammenhang zwischen EI und Schulerfolg bei Fachkräften Betreuung (FaBe) sowie Fachkräften Gesundheit (FaGe). Insbesondere zeigte sich, dass sich EI als Fertigkeit stärker auf den kognitiven und theoretischen Teil der Ausbildung auswirkt, während EI als Persönlichkeitsmerkmal im praktischen Teil der Ausbildung zum Tragen kommt.


Sozial-emotionale Kompetenzen gelten als Teil der Kompetenzen, die im 21. Jahrhundert für den beruflichen Erfolg und allgemein für den Erfolg im Leben relevant sind.

Zu den meist gewählten Ausbildungen in der Schweiz zählen Fachfrau Betreuung (FaBe) und Fachmann Gesundheit (FaGe). Beide rangieren in den Top 10 der beruflichen Grundbildungen im Jahr 2022 (Platz 2 FaGe und Platz 4 FaBe, SBFI, 2022). Es ist daher naheliegend, sich näher mit den spezifischen Kompetenzen zu beschäftigen, die für einen erfolgreichen Abschluss der beiden Ausbildungen erforderlich sind.

In den Verordnungen zu den beiden Berufen heisst es, dass die angehenden Fachkräfte unter anderem in der Lage sein müssen, angemessen zu kommunizieren, an der Bewältigung von Konflikten mitzuarbeiten[1] und Beziehungen zu Klientinnen und Klienten sowie deren Umfeld professionell zu gestalten[2]. Diese Berufe verlangen also eindeutig sozial-emotionale Kompetenzen und – spezifischer – emotionale Intelligenz (EI). Dennoch wird diesen Formen der Intelligenz in den beruflichen Grundbildungsprogrammen nicht der nötige Stellenwert eingeräumt. Auch in den schulischen Lehrplänen wird auf sie kaum eingegangen.

Sozial-emotionale Kompetenzen gelten als Teil der Kompetenzen, die im 21. Jahrhundert für den beruflichen Erfolg und allgemein für den Erfolg im Leben relevant sind (Bughin et al., 2018). Unter diesen Kompetenzen spielt die emotionale Intelligenz (EI) eine grundlegende Rolle – also die Fähigkeit, die eigenen emotionalen Reaktionen und die anderer Menschen zu erkennen, auszudrücken, tiefgreifend zu verstehen und dieses Verständnis als Grundlage für das Handeln zu nutzen.

Es ist erwiesen, dass sich ein hohes Mass an EI günstig auf den Schulerfolg auswirkt (MacCann et al., 2020). Tatsächlich weisen Schülerinnen und Schüler mit einem höheren EI-Niveau ein besseres Konflikt- und Emotionsmanagement, eine niedrigere Schulabbrecherquote sowie eine höhere Leistungsfähigkeit in der Schule auf (Dowling et al., 2019; Nathanson et al., 2016). EI wirkt sich ganz allgemein auch positiv auf die Resilienz aus und wird mit der Beschäftigungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit und der Fähigkeit zur Entscheidungsfindung junger Erwachsener in Verbindung gebracht (Di Fabio & Kenny, 2015). Die wissenschaftliche Literatur berichtet über die wichtige Rolle der EI insbesondere im Gesundheitssektor (Vlachou et al., 2016), und zwar speziell bei der Bewältigung von Stress und Angst sowie beim Erfolg in den medizinischen, zahnmedizinischen und Pflegeberufen (Lewis et al., 2017; Singh et al., 2020).

Dennoch und trotz der umfangreichen Literatur, die den positiven Zusammenhang zwischen EI und Bildungserfolg – insbesondere im Sozial- und Gesundheitssektor – thematisiert, wurde dieses Thema im Zusammenhang mit der beruflichen Grundbildung bisher noch nicht bearbeitet.

Grundlagen der vorliegenden Studie

Seit mehreren Jahrzehnten wird in der Literatur zur emotionalen Intelligenz darüber diskutiert, ob EI als Fertigkeit, d.h. als (mithilfe von Tests messbare) kognitive Fähigkeit zur kognitiven Verarbeitung von Emotionen betrachtet werden soll oder als Persönlichkeitsmerkmal – also als Eigenwahrnehmung der emotionalen Selbstwirksamkeit einer Person, die dann mithilfe selbst ausgefüllter Fragebögen gemessen wird.

Es schien uns zweckmässig, in unserer Studie beide Ansätze einzubeziehen. In der Tat besteht die Besonderheit der Ausbildungen zum Fachmann Betreuung und zum Fachfrau Gesundheit darin, dass sie sowohl Fähigkeiten zur Erkennung und Bewältigung von Emotionen erfordern, für die tendenziell EI als Fertigkeit nötig ist, als auch persönliche Eigenschaften, für die es eher EI als Persönlichkeitsmerkmal braucht.

Unser Hauptziel war es, zu untersuchen, ob Lernende mit einer hohen emotionalen Intelligenz bessere Prüfungsergebnisse erzielen, eine höhere Lebensqualität haben und einen besseren Schulerfolg aufweisen.

In der vorliegenden Studie mit Lernenden im letzten Ausbildungsjahr im Gesundheits- und Sozialbereich untersuchten wir den Einfluss der beiden Arten von EI auf den Erfolg in der beruflichen Grundbildung. Die theoretische Basis bilden Arbeiten Mayer et al., (2008) sowie Neubauer & Freudenthaler (2005). Um einen Überblick über die für den schulischen und beruflichen Erfolg relevanten Fähigkeiten zu erhalten, haben wir zudem auch die kognitiven Fähigkeiten, das Engagement in der Schule und die Lebensqualität der Lernenden gemessen – weitere Faktoren, die den Bildungserfolg beeinflussen. Unser Hauptziel war es, zu untersuchen, ob Lernende mit einer hohen emotionalen Intelligenz bessere Prüfungsergebnisse erzielen, eine höhere Lebensqualität haben und einen besseren Schulerfolg aufweisen.

Einige Ergebnisse

92 Lernende der Berufe Berufe FaBe und FaGe im letzten Lehrjahr nahmen auf freiwilliger Basis an unserer Studie teil und füllten einen Online-Fragebogen aus. Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten positiven Einfluss der EI auf die Noten bei den Prüfungen am Ende des Schuljahres. Wir beobachten, dass Lernende mit einer hohen EI als Fertigkeit bessere Noten erhielten als Lernende mit einer niedrigeren EI (5,1 rsp. 4,8). Darüber hinaus deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass EI als Persönlichkeitsmerkmal den Schulerfolg in Bezug auf die eher praktischen Aspekte der beruflichen Grundbildung wie praktisches Wissen beeinflusst (5,33 rsp. 4,96). Demgegenüber wirkt sich EI als Fertigkeit auf die eher theoretischen Aspekte wie Allgemeinbildung oder berufliches Wissen aus (4,64 rsp. 4,33). Erwähnenswert ist auch, dass Lernende mit einer hohen EI als Persönlichkeitsmerkmal ihr Engagement in der Schule als stärker bewerteten als Lernende mit niedriger EI. Ausserdem waren diese Lernenden der Meinung, dass sie eine bessere Lebensqualität hatten. Anhand dieser Studie, deren Ziel es war, den positiven Einfluss der EI auf den Erfolg in der beruflichen Grundbildung zu untersuchen, konnte die unterschiedliche Rolle der beiden EI-Typen – als Persönlichkeitsmerkmal und als Fertigkeit – ausführlicher dargestellt werden.

Überlegungen

Sozial-emotionale Kompetenzen gelten in der wissenschaftlichen Literatur als nicht statisch und damit trainierbar.

Sozial-emotionale Kompetenzen gelten in der wissenschaftlichen Literatur als nicht statisch und damit trainierbar. Diese Annahme wird durch die Tatsache bestätigt, dass spezielle Programme zur Vermittlung von sozial-emotionalen Kompetenzen wie das RULER-Programm (Recognizing, Understanding, Labeling, Expressing, and Regulating) existieren (Reyes et al., 2019). Solche Programme könnten somit in die Lehrpläne der beruflichen Grundbildung in den Bereichen Gesundheit und Soziales integriert werden.

Zudem motivieren die vorliegenden, ersten Beobachtungen dazu, andere Bereiche zu erforschen. Obwohl beispielsweise sozial-emotionale Kompetenzen etwa in der Baubranche nicht von wesentlicher Bedeutung zu sein scheinen, sind Stressbewältigung oder auch Konfliktmanagement Fähigkeiten, die in allen Berufen zum Tragen kommen. In diesem Sinne böte sich eine systematischere Betrachtung der EI an.

Zusammenfassung

Unter den sich neu abzeichnenden Kompetenzen gewinnen sozial-emotionale Kompetenzen und insbesondere die emotionale Intelligenz an Bedeutung. Dies erklärt sich durch ihren in der Literatur belegten, positiven Einfluss auf Stress, Konfliktlösung und ganz allgemein auf den schulischen und beruflichen Erfolg. Wir haben die Rolle der emotionalen Intelligenz in Hinblick auf den Schulerfolg bei Lernenden der Berufe FaBe und FaGe untersucht. 92 Teilnehmerinnen und Teilnehmer füllten unseren Online-Fragebogen aus. Die Ergebnisse bestätigten den positiven Einfluss der emotionalen Intelligenz auf den Schulerfolg im Kontext der Berufsbildung. Im Detail machen unsere Ergebnisse deutlich, dass sich emotionale Intelligenz als Persönlichkeitsmerkmal signifikant auf die praktische Seite der Berufsbildung auswirkt, während emotionale Intelligenz als Fertigkeit einen signifikanten Einfluss auf die eher theoretischen Aspekte hat. Diese neuen Daten ergänzen die neuere Literatur zur Rolle emotionaler Kompetenzen in der Berufsbildung und bestätigen damit die Bedeutung der EI und ganz allgemein der sozial-emotionalen Kompetenzen in der Berufsbildung.

[1] Fedlex 412.101.220.14
[2] Fedlex 412.101.220.96

Literatur

Zitiervorschlag

Tremonte-Freydefont, L., Wenger, M., & Fiori, M. (2023). Emotionale Intelligenz ist wichtig für den Lernerfolg. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(3).

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