Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Nachruf

Im Gedenken an Fritz Oser

Fritz Oser ist am 5. September im Alter von 83 Jahren gestorben. Oser war von 1981 bis zu seiner Emeritierung 2007 ordentlicher Professor für Pädagogik an der Universität Freiburg. «Das grösste Verdienst von Fritz Oser ist es, dass er die universitäre Lehrerbildung revolutioniert und auf eine wissenschaftliche Basis gestellt hat», sagt Franz Baeriswyl, ehemaliger Direktor der Gymnasiallehrerausbildung an der Uni Freiburg. «Er hat die psychologisch basierte Didaktik als eigentliches Fach aufgebaut.» Oser hat als einer der Ersten Grundlagenforschung bezüglich der Lernprozesse bei der Berufsbildung betrieben. So leitete er das Leading House «Professional Mind», das Margrit Stamm mit den Worten würdigte: «Oser und sein Forschungsteam haben einen bedeutsamen Beitrag zur nachhaltigen Berufsbildungsforschung in der Schweiz geleistet und auch international eine enorme Reputation erfahren.» Eine der Publikationen des Leading House ist «Ohne Kompetenz keine Qualität» (Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013). Anlässlich der Beerdigung von Fritz Oser würdigte Horst Biedermann, Rektor der Pädagogischen Hochschule St.Gallen, den Verstorbenen.


Erinnerungen an einen grossen Wissenschaftler und einzigartigen Menschen, meinen treuen Mentor und engen Freund

Vivat, crescat, floreat – es lebe, wachse, blühe. Mit diesen Worten verabschiedete sich Fritz anlässlich seiner Abschiedsvorlesung am 14. Juni 2007 an der Universität Fribourg.

Es lebe, wachse und blühe – in dieser Perspektive hat sich Fritz bei meinem letzten Besuch im August von mir verabschiedet. Auch wenn ihm seine Krankheit schon stark zugesetzt hatte, so liess er sich in seinem wissenschaftlichen Tatendrang nicht einengen. Wie immer bei unseren Treffen hat er mir Aufgaben und Perspektiven für weitere akademische Arbeiten mitgegeben. Sein Leben war die Wissenschaft, die Erkenntnisgenerierung, der Blick nach vorne. In der Nacht auf den 5. September ist Fritz nach einem reich erfüllten Leben friedlich eingeschlafen.

Ich durfte Fritz vor 30 Jahren als Student kennen lernen. Gespannt lauschten wir Studierenden in unserer ersten Vorlesungsreihe zu Pädagoginnen und Pädagogen des 20. Jahrhunderts seinen Ausführungen. Nach der ersten Veranstaltung war uns allen klar, dass wir die herausragende Pädagogin des 20. Jahrhunderts kennen lernen durften: Maria Montessori. Wir fragten uns, was in den restlichen zehn Sitzungen noch Relevantes geschehen soll. Nach der zweiten Vorlesung kamen wir zur Erkenntnis, dass es neben Montessori noch eine zweite herausragende pädagogische Persönlichkeit im 20. Jahrhundert gab: Janusz Korczak. So ging es Woche für Woche weiter, bis uns langsam dämmerte, dass die uns alle faszinierende Persönlichkeit nicht Gegenstand der Vorlesung war, sondern die referierende Person selbst. Fritz hat seine wissenschaftlichen Inhalte gelebt, seine Themen und Arbeiten waren immer Teil von ihm selbst. Selten habe ich eine Person getroffen, die Menschen für ihre Themen derart einnehmen und begeistern konnte, wie Fritz es in der Lage war. Generationen von Studierenden hat er durch sein authentisches wissenschaftliches Wirken begeistert und geprägt. Eine Schülerin oder ein Schüler von Fritz Oser zu sein stellte immer und stellt noch heute in der Community der Pädagogik und der Pädagogischen Psychologie ein hohes Qualitätszeugnis dar. Wo immer auf diesem Erdball Fritz auftrat, versammelten sich ganze wissenschaftliche Communities, um ihn zu hören und mit ihm zu sprechen.

Seine wissenschaftlichen Leistungen können in der hier angebrachten Kürze nicht gebührend dargelegt werden. Über seine gesamte Schaffenszeit hinweg hat er immer wieder Themen besetzt und substanziell theoretisch und empirisch erweitert oder sogar neu geschaffen, an welchen sich Forschende bis in die heutige Zeit orientieren und weit über seine Zeit hinaus orientieren werden: so z.B. zu den Choreographien des Unterrichts, zum Ethos von Berufspersonen, zu Standards in der Lehrerbildung, zu Just Community Schul-Modellen, zur religiösen Entwicklung, zum politischen Urteil, zum Lernen aus Fehlern und zur Frage des Scheiterns in Start-Ups. Dabei zeichnete er sich nicht nur durch seine wissenschaftliche Fundierung, sondern insbesondere auch durch einen unendlichen Reichtum an Ideen, Fantasie und ungemeiner Schöpferkraft aus, wie es in den deutlich über hundert Schriften zum Ausdruck kommt. Seine wissenschaftlichen Fähigkeiten wurden national und international gesucht und gewürdigt, wie es die Vielzahl an ihn gesprochenen Ehrungen und Preise, die häufigen Einladungen für Gastprofessuren und Lehraufträge sowie die vielfachen Anfragen für Mitarbeiten in wissenschaftlichen Beiräten und Mitgliedschaften in Fachgesellschaften zum Ausdruck bringen.

In den Jahren meiner immer engeren Zusammenarbeit mit Fritz vom Studenten hin zu seinem Doktoranden, Habilitanden und schliesslich Forschungspartner durfte ich aber auch seine private Seite kennen lernen, die ihn mir als sensiblen Menschen und umsorgten Familienmenschen zeigten. Auf unseren vielen gemeinsamen Reisen endeten wir nach anstrengenden Tagen nicht selten bei einem Glas Wein und privaten Gesprächen, wobei ihm seine Liebsten – für welche er zu seinem Bedauern auch immer zu wenig Zeit hatte – am Wichtigsten waren, er aber immer auch Interesse an meiner Familie zeigte.

Bereits bei einer unserer ersten Reisen eröffnete er mir, dass wir am Sonntagvormittag die Wissenschaft für einen Augenblick ruhen lassen sollten, um eine Messe besuchen zu können – ein Ritual, das wir danach über all die Jahre weiterverfolgt haben, egal wo auf diesem Erdball wir uns gerade befunden haben. Bei diesem Gespräch erzählte er mir, dass der Glaube und das Gebet, aber auch die Naturverbundenheit für ihn und seine Familie immer bedeutsam waren. Am 15. Juli 1937 in Hofstetten/Flüh im Kanton Solothurn geboren, verbrachte er trotz der wirtschaftlich schwierigen Kriegsjahre zusammen mit seinen Geschwistern eine schöne und erinnerungsfrohe Kindheit.

Von 1952 bis 1957 absolvierte Fritz das Lehrerseminar Solothurn und 1958 studierte er an der Universität Basel für zwei Semester Philosophie und Pädagogik. Nach dem Diplom als Musiklehrer am Konservatorium Biel studierte er von 1963 bis 1964 an der Sorbonne und am Institut Catholique in Paris Philosophie, französische Literatur und Musikwissenschaft. Dem Diplom als Sekundarlehrer 1964 folgte das Studium der Pädagogischen Psychologie, Entwicklungspsychologie und systematischen Pädagogik sowie Theologie und Philosophie an der Universität Zürich, welches er 1973 mit dem Lizentiat, 1975 mit der Dissertation und 1979 mit der Habilitation abschloss. Seinen akademischen Förderern während all dieser Jahre war er stets eng verbunden und dankbar. Sie dienten ihm als Vorbild für seine eigene Nachwuchsförderung, für dessen Erfolg seine vielen Schülerinnen und Schüler in bedeutsamen akademischen Positionen eindrucksvolles Zeugnis darstellen. Er lehrte und lebte die positive Zumutung, so dass man mit ihm und an ihm wachsen konnte.

In diese Studienjahre fügten sich aber noch viel bedeutsamere Ereignisse ein, wie ich von ihm eines Abends in Madrid erfahren durfte. In einem Restaurant bestellte er einen speziellen Wein, den Jahrgang von Gretl, wie sich später herausstellte – wenn ich mich richtig erinnere, war es ihr Geburtstag. Ich erfuhr, dass sich Fritz und Gretl 1963 an der Sorbonne in Paris kennen gelernt haben und drei Jahre später, am 12. April 1966, in Salzburg ihre Hochzeit feierten.

Deren Glück machten die vier Kinder Sigrid, Ingeborg, Ellen und Wilfried perfekt. Mit strahlenden Augen hat mir Fritz berichtet, wie er und Gretl mit den drei Mädchen anlässlich eines dreijährigen Forschungsaufenthalts in den 1970er-Jahren die USA entdeckten und die Kinder damals in einem unbeaufsichtigten Moment im Haus ihres Gastgebers, dem grossen Larry Kohlberg, die Wohnwand bekritzelt hätten – was Larry dann aber zur Überraschung aller freudig als Kunstwerk bewertet habe. Immer wieder hat mir Fritz über die Entwicklungen und Erfolge seiner Kinder berichtet und gelegentlich haben wir auch unsere Probleme und Sorgen einander anvertraut. Ganz besonders stolz war er auch auf seine Enkelinnen und Enkel Leander, Svea, Leonie und Valerie. Es verging wohl kein Treffen, ohne dass er mir von deren jüngsten Entwicklungen und Streichen erzählt hatte. Und immer hat er auf unseren Reisen auch an kleine Überraschungen für sie gedacht.

1979 wurde Fritz zum Assistenzprofessor für Didaktik und 1981 als ordentlicher Professor und Lehrstuhlinhaber «Pädagogik und Pädagogische Psychologie» an der Universität Fribourg berufen, wodurch auch die Familie ihren Lebensmittelpunkt in Fribourg finden konnte. In den Jahren bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 baute er dabei das Departement für Erziehungswissenschaften zu einer nationalen und internationalen Strahlkraft auf, welches auch von den weiteren akademischen Grössen des Fachbereichs gerne und immer wieder besucht wurde.

Aber auch nach seiner Emeritierung blieb er akademisch äusserst aktiv und schaffensstark. So hat er bis zuletzt erfolgreich Drittmittelprojekte eingeworben und bearbeitet, Lehraufträge angenommen, Kongressaktivitäten betrieben, Themenhefte herausgegeben und Beiträge publiziert. Auch hat er es zeitlebens als seine Aufgabe betrachtet, seine von ihm geförderten Schülerinnen und Schüler für ihre akademische Weiterentwicklung zu animieren. Zuerst mit etwas Staunen und danach mit einer Selbstverständlichkeit hat auch mein Sekretariat jeweils seine Aufgaben des wissenschaftlichen Arbeitens für mich entgegengenommen.

Auch wenn Fritz die letzten Monate gesundheitlich stark angeschlagen war und dadurch in seiner Eigenständigkeit beeinträchtigt wurde, so hat er seinen Glauben an das Gute, seine wissenschaftliche Neugierde und seine Begeisterung für die akademische Weiterentwicklung nie verloren. In dieser Erinnerung und jener an all die vielen gemeinsamen schönen Momente wird er unseren Herzen für immer nah bleiben.

Lieber Fritz, danke für all das, was du für uns getan hast – dein Erbe wird leben, wachsen und blühen.
Ruhe in Frieden.

Horst Biedermann, Schellenberg, 9. September 2020

Zitiervorschlag

Biedermann, H. (2020). Im Gedenken an Fritz Oser. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 5(3).

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