Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Dank Movetia verbringen Logistik-Lernende drei Wochen in Deutschland

«Jever ist mein Lotto-Sechser»

Während der Lehre ins Ausland gehen – diesen Traum hat die Logistikerin Marina Schmid vor gut zwei Jahren verwirklichen können. Mit anderen Lernenden des Berufsbildungszentrums IDM in Thun reiste sie für drei Wochen nach Jever und arbeitete dort als Lernende weiter. Dank der Corona-Lockerungen will die Schule dieses Jahr wieder an die Zusammenarbeit mit der deutschen Partnerschule anknüpfen. Anfang April informiert Movetia gleich an zwei Veranstaltungen, wie auch andere Schulen solche Programme durchführen können.


Bei der ersten Begegnung einige Monate später umarmte ihn der damalige Rektor Jan Zimmermann, der ihn dann vier Tage lang Schule, Betriebe und touristische Hotspots zeigte.

«Wenn wir nur Schule geben, fehlt etwas. Schule soll auch Erlebnisse bieten», sagt Boris Seiler. Er ist Abteilungsleiter Technik & Logistik am Berufsbildungszentrum IDM in Thun und gerne bereit, sich auch mal für Gottes Lohn zu engagieren. Vor gut vier Jahren suchte er nach Möglichkeiten für den Austausch von Lernenden und wurde über Umwege im deutschen Jever fündig. «Ich hatte kaum Ahnung, wo das liegt.», erinnert er sich. Seiler schickte eine Anfrage in die dortige Berufsbildende Schule BBS, die keine 24 Stunden später antwortete: Wann man ihn am Bahnhof abholen dürfe, welches Hotel er wünsche. Bei der ersten Begegnung einige Monate später umarmte ihn der damalige Rektor Jan Zimmermann, der ihn dann vier Tage lang Schule, Betriebe und touristische Hotspots zeigte. «So sind die Leute dort oben», sagt Seiler. «Jever, das ist mein Lotto-Sechser.»

Marina Schmid: Etwas viel Routinearbeit

Etwa zwei Jahre später sassen fünf Lernende der IDM zusammen mit zwei Lehrern im Zug nach Jever. Zehn Stunden dauerte die Fahrt, Jever ist ein letzter Chrachen im Land und dennoch weltoffen. Mit dabei war auch Marina Schmid, die im dritten Lehrjahr Logistikerin lernte. Drei Wochen in einer unbekannten Umgebung lagen vor ihr, aber genau das war es, was sie motivierte, mitzufahren. «Ich interessierte mich für andere Arbeitsformen, für andere Menschen», blickt sie zurück. «Am liebsten würde ich gleich wieder wegfahren, nach Kanada zum Beispiel.»

Untergebracht waren die fünf Lernenden in einem Ferienhaus, der Wochenplan war ähnlich wie zuhause: Vier Tage Arbeit in einem Betrieb, ein Tag Schule. Marina wurde dem Naturfarbenhersteller Biopin zugeteilt, wo sie schon nach wenigen Stunden selbständige Arbeiten ausführen konnte. «Zur Hauptsache kommissionierte ich Aufträge», erzählt sie, «das war allerdings weniger interessant als die Arbeiten der anderen Lernenden.» Einer von ihnen kam in einem Flugzeugwerk zum Einsatz, ein anderer in einem Tiefkühllager. «Dieser Lernende war so engagiert, dass er noch während des Austauschs ein Stellenangebot erhielt», erzählt Boris Seiler.

Auch für Marina spannend waren aber die Tage in der Berufsschule. Hier kamen die Lernenden in Kontakt mit Themen, die ihr noch nicht vertraut waren, Marketing zum Beispiel. Die BBS Jever besitzt zudem eigene Produktionshallen für bauhandwerkliche Berufe. Den Warenfluss dieser Hallen organisieren die Lernenden der Logistik – «damit sind sie voll in der Handlungsorientierung», wie Boris Seiler sagt. Zudem verfüge die Schule über ein virtuelles Firmenzentrum mit allem, was dazugehört – Einkauf, Kundendienst, Expedition. «Die Deutschen sind in Sachen Logistik weiter als wir», sagt Marina Schmid. Sehr gerne erinnert sie sich zudem an die beiden Wochenenden, an denen sie unter Leitung ihrer beiden Lehrer in Wilhelmshaven unterwegs waren und die Insel Langeoog besuchten. Eindruck machten ihr auch die Arbeitszeiten in Deutschland: Um acht Uhr erst gings los, und Schluss war schon um halb vier, mit zwei halbstündigen Pausen. Man rechne!

Die Ziele des Austausches

«Es ist unsere Aufgabe, die jungen Leute aus unseren Ländern zusammenzubringen. Sie müssen lernen, aufeinander zuzugehen; nur so verhindern wir, dass sie sich wieder die Köpfe einschlagen.» Jan Zimmermann

Das Berufsbildungszentrum IDM hat wegen Corona in den letzten zwei Jahren keine Mobilitätsaktivitäten durchführen können, plant aber für dieses Jahr wieder einen Austausch von Lernenden. Dazu gehört natürlich auch die Organisation des Gegenbesuchs, dem man bisher als Erstes den Niessen zeigte, den Thuner Hausberg, auf den neben einer Bahn auch die mit 11’674 Stufen die längste Treppe der Welt führt. «Wer will, darf da zu Fuss hoch», lacht Boris Seiler. Maximal sechs Lernende, die von ihrer Einstellung und den Leistungen her dafür in Frage kommen, dürfen am Austausch teilnehmen. «Sie müssen während drei Wochen dem Unterricht von ferne folgen», begründet Boris Seiler die Selektion. «Und natürlich müssen die Lehrbetriebe einverstanden sein, dass sie drei Wochen lang fehlen.» Aber zum Glück sei das bisher kein Problem gewesen: «Es gibt genügend Betriebe, die aufgeschlossen denken und ihren Lernenden etwas bieten wollen. Zudem ist für sie der Organisationsaufwand gleich null.»

Schliesslich haben die Lernenden die Aufgabe, nach ihrer Rückkehr ihre persönlichen Erlebnisse zu präsentieren. «Hier höre ich dann auch, worauf es beim Austausch ankommt: Eine andere Kultur kennenzulernen, die Schweizer Perspektive zu erweitern und in einer fremden Umgebung zurechtzukommen», sagt Boris Seiler. Und noch etwas sei wichtig, fährt Seiler fort und erzählt, wie der damalige Rektor der Schule in Jever, Jan Zimmermann, bei ihrer ersten Begegnung sichtlich bewegt gesagt habe: «Es ist unsere Aufgabe, die jungen Leute aus unseren Ländern zusammenzubringen. Sie müssen lernen, aufeinander zuzugehen; nur so verhindern wir, dass sie sich wieder die Köpfe einschlagen.» Heute ist Jan Zimmermann pensioniert, aber seine Vision lebt.

So fördert Movetia die Mobilität in der Berufsbildung

Die Internationalisierung des Schweizer Berufsbildungssystems bringt einen deutlichen Mehrwert für alle Beteiligten.

  • Lernende und Lehrabgänger/innen steigern durch die Mobilität ihre persönlichen, sozialen, interkulturellen, sprachlichen und fachlichen Kompetenzen und somit ihre Arbeitsmarktfähigkeit.
  • Lehrbetriebe und Berufsfachschulen positionieren sich als innovative und attraktive Lehrwerkstätte, tragen zur Stärkung der Schweizer Berufsbildung bei, wirken dem Fachkräftemangel entgegen und erweitern ihre internationale Vernetzung.
  • Berufsverbände engagieren sich für eine zukunftsorientierte Berufsbildung mit dem Fokus weltoffene junge Berufsleute auszubilden.
  • Bildungsinstitutionen können über transnationale, europäische Kooperationen (Schweizer und europäische Akteure) gemeinsam innovative Ergebnisse erarbeiten, bewährte Verfahren austauschen oder Qualifikationen für Berufsprofile eines Berufssektors weiterentwickeln.

Movetia finanziert bestimmte Kosten der europäischen Mobilitätsprojekte durch Pauschalbeträge sowie die Kosten der Assoziierung von Schweizer Akteuren der Berufsbildung an Kooperationspartnerschaften mit europäischen Akteuren. Grundsätzlich sollen die Projekte der internationalen Vernetzung und der Entwicklung des Schweizer Bildungssystems beitragen.

Welche Arten von Projekten werden in der Berufsbildung finanziell unterstützt?

  • Mobilitätsprojekte für Lernende, Lehrabgänger/innen: Thematische Projektarbeit oder Berufspraktikum, mit und ohne Sprachvorbereitung. Für Personal im Bereich der Berufsbildung (schulisch und beruflich organisiert): Austausch über Aus- und Weiterbildungsfragen, Jobshadowing, Lehrtätigkeit, Netzwerkarbeit, strukturierte Weiterbildungen.
  • Kooperationspartnerschaftenermöglichen die länderübergreifende Zusammenarbeit von Institutionen im Bereich der Berufsbildung für die Förderung von Innovation und zum Austausch von bewährten Verfahren.
  • Innovationsallianzen werden unterstützt, um die strategische Zusammenarbeit zwischen Akteuren der Hochschul- und Berufsbildung mit ihrem breiteren sozioökonomischen Umfeld zu stärken. Dabei sollen Kompetenzen und Wissen ermittelt und bereitgestellt werden, die für die Entwicklungen des Arbeitsmarkts, der Innovation und Nachhaltigkeit in der allgemeinen und beruflichen Bildung benötigt werden.
  • Zentren der beruflichen Exzellenz werden unterstützt, um die Entwicklung von Internationalisierungsstrategien sowie von internationaler und intersektorieller Zusammenarbeit zu fördern. Im Fokus dieses Projektformats steht die «bottom up» gerichtete und nachhaltige Konvergenz der Exzellenz in der Berufsbildung, die sowohl den Menschen als auch die Organisation berücksichtigt.
  • Vorbereitende Besuche Akteure, die in der Berufsbildung tätig sind und die entweder ein Mobilitätsprojekt oder eine Kooperationspartnerschaften planen, können vor der Projekteingabe die künftige/n Partnerorganisation/en besuchen. Dafür können Reise- und Aufenthaltspauschalen beantragt werden. Ziel ist der Aufbau einer stabilen Partnerschaft sowie Planung des Projekts. Weitere Informationen finden Sie hier.

Unterstützungsmassnahmen Institutionen der Berufsbildung, die sich für den internationalen Austausch und internationale Mobilität engagieren oder dies künftig tun möchten, haben die Möglichkeit, in verschiedenen Bereichen (z. B. Kommunikation, Organisation von Veranstaltungen, Netzwerke) zusätzliche finanzielle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Diese Förderbeiträge werden in Form von Pauschalen ausgerichtet und werden auch für Mobilitätsprojekte gewährt, die nicht im Rahmen eines Programms von Movetia unterstützt werden.

Zitiervorschlag

Fleischmann, D. (2022). «Jever ist mein Lotto-Sechser». Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 7(2).

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