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Bestandsaufnahme in der Schweizerischen Sekundarstufe II

Von der Digitalisierung zur digitalen Transformation

Digitale Medien werden in den Schulen der Sekundarstufe II immer noch primär für passive Lernaktivitäten eingesetzt. Aktive, konstruktive und interaktive Lernformen sind eher eine Seltenheit, auch in Berufsfachschulen, in denen digitale Technologien mittlerweile intensiver eingesetzt werden als in anderen Schultypen. Das ist das Hauptergebnis der Studie DigiTraS II («Digitale Transformation der Sekundarstufe II»); Fallstudien geben Aufschluss, warum das so sein könnte.


Digitalisierung als fortlaufender Prozess

Bis heute gibt es wenige belastbare Daten, für welche Lernformen digitale Medien in Berufsfachschulen, Gymnasien und weitere Schulen auf der Sekundarstufee II eingesetzt werden und wie ein anspruchsvoller Einsatz gefördert werden kann.

Digitalisierung ist in Schulen aller Stufen seit bald 20 Jahren ein Dauerthema. Dabei hat sich der Fokus der digitalen Entwicklung in den letzten Jahren verändert (Petko, Doebeli-Honegger & Prasse, 2018). Während in der Pionierphase des digitalen Lernens die Beschaffung von Geräten, Internetanschlüsse und einfache Anwendungskompetenzen im Vordergrund standen, geht es heute um die Qualität des Einsatzes für Lehr- und Lernzwecke und um den Aufbau von überfachlichen und fachlichen Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche Berufstätigkeit und ein Leben in einer digitalisierten Gesellschaft bedeutsam sind. Dabei werden nicht mehr nur die bisherigen schulischen Praktiken «digitalisiert»; diese werden auch infrage gestellt und verändert, d.h. «digital transformiert».

Bis heute gibt es wenige belastbare Daten, für welche Lernformen digitale Medien in Berufsfachschulen, Gymnasien und weitere Schulen auf der Sekundarstufee II eingesetzt werden und wie ein anspruchsvoller Einsatz gefördert werden kann. Hier eine Übersicht zu gewinnen ist auch deshalb schwierig, weil laufend neue Technologien in den Schulen ankommen. Dazu gehören plattformbasierte Lernmanagementsysteme (LMS), Bring-Your-Own-Device (BYOD)-Ansätze für die gesamte Schule und seit neuestem auch generative Künstliche Intelligenz.

Die DigiTraS II Studie bietet eine Bestandsaufnahme

Das Projekt «DigiTraS II» wurde im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 77 lanciert (Petko, Antonietti, Schmitz, Consoli, Gonon & Cattaneo, 2022).[1] Die Kooperation zwischen dem Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich und der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung in Lugano hat das Ziel, den Stand der digitalen Transformation der Sekundarstufe II durch Umfragen und Fallstudien zu erfassen. Im Schuljahr 2021/2022 wurden alle Schweizer Schulen der Sekundarstufe II eingeladen, an der Studie teilzunehmen. Die hier präsentierten Analysen konzentrieren sich auf eine nationale Lehrpersonenstichprobe (N = 2248 aus 112 Schulen). Von ihnen unterrichten 931 an allgemeinbildenden Schulen, 915 an berufsbildenden Schulen und 402 an kombinierten Schulformen (BMS, HMS, IMS). Die Lehrkräfte stammen zu 79,2% aus der Deutschschweiz, zu 9,5% aus der französischsprachigen und zu 11,3% aus der italienischsprachigen Schweiz. Alle Analysen basieren auf gewichteten Daten, die fehlende Werte berücksichtigen und auf die tatsächliche Verteilung von Schultypen und Regionen hochgerechnet werden.

Intensive Nutzung für passive Lernaktivitäten

Allerdings geben Zahlen, wie häufig E-Mail, Internetbrowser, Lernplattformen oder Lernsoftware eingesetzt werden, wenig Aufschluss darüber, wie anspruchsvoll oder wirkungsvoll das Lernen mit solchen Medien ist.

In vielen bisherigen Studien wurde lediglich die Häufigkeit des Einsatzes verschiedener Anwendungen untersucht. Allerdings geben Zahlen, wie häufig E-Mail, Internetbrowser, Lernplattformen oder Lernsoftware eingesetzt werden, wenig Aufschluss darüber, wie anspruchsvoll oder wirkungsvoll das Lernen mit solchen Medien ist. Hierzu wurden deshalb neue Modelle entwickelt. Das ICAP-Modell differenziert vier verschiedene basale Lernaktivitäten:

  1. passiv (d.h. Lernenden wird Wissen vermittelt ohne selbst etwas zu tun)
  2. aktiv (d.h. Lernende tun etwas mit dem Wissen, das ihnen vorgängig vermittelt wurde)
  3. konstruktiv (d.h. Lernende erarbeiten sich ihr Wissen individuell)
  4. interaktiv (d.h. Lernende erarbeiten sich ihr Wissen im sozialen Austausch).

Die Hypothese des ICAP-Modells ist, dass höherstufige Lernaktivitäten für Lehrende und Lernende deutlich herausfordernder sind, aber auch potenziell lehrreicher. Digitale Technologien können für alle vier Lernaktivitäten genutzt werden. Deshalb wurde in der DigiTraS II Studie untersucht, wie sich der Medieneinsatz im Unterricht auf diese Lernformen verteilt (Antonietti et al. 2023). Dabei zeigt sich, dass an Berufsfachschulen nach den Einschätzungen der befragten Lehrpersonen digitale Medien insgesamt zwar häufiger eingesetzt werden als in anderen Schultypen, dass aber auch hier vor allem niedrigstufige, das heisst mehr passive und weniger interaktive Lernformen verbreitetet sind (Abb. 1).

Abbildung 1 Häufigkeit der digitalen Mediennutzung sortiert nach Schultyp
Lesebeispiel: Die anspruchsvollste digitale Mediennutzung (interaktiv) wird am ehesten an dualen Berufsfachschulen genutzt, aber auch hier auf einer Skala von maximal 5 Punkten lediglich zu 2.82 Punkten, das heisst das es gelegentlich genutzt wird, aber doch nicht allzu häufig (Vollzeit: Gymnasien, Fachmittelschulen und Berufsfachschulen; Teilzeit: (duale) Berufsfachschulen).
N=1666 Lehrpersonen, hierbei wurden nur jene Lehrpersonen eingeschlossen, die lediglich an einem Gymnasium, an einer Fachmittelschule oder an einer Berufsfachschule unterrichten.
Skala: 1 fast nie- 5 fast jede Lektion Nutzung.

Was beeinflusst eine höherstufige Mediennutzung?

Auch wenn diese Überblicksergebnisse insgesamt auf den ersten Blick ernüchternd erscheinen, gibt es grosse Unterschiede zwischen Lehrpersonen. Was macht also innovative, bzw. digital affinere oder auch agilere Lehrpersonen aus? Liegt es an den individuellen Eigenschaften? An spezifischen Fächern? Oder aber an bestimmten Schulkulturen?

Ob digitale Technologien im Unterricht anspruchsvoll eingesetzt werden hängt davon ab, ob Lehrpersonen die fachspezifischen Einsatzmöglichkeiten kennen.

Ein erstes Erklärungsmuster, das oft eingesetzt wird, um die Kernfaktoren zu beschreiben, ist das sogenannte «Will-Skill-Tool»-Modell, das im Deutschen oft als «Wissen-Wollen-Werkzeug» übersetzt wird. Dies brauchen Lehrpersonen, um Technologien sinnvoll im Unterricht zu integrieren. Zuletzt wurde das Modell um die Komponente der Pädagogik erweitert (sog. WSTP-Modell; Knezek & Christensen, 2016). Über alle Schultypen ausschlaggebend sind technologiebezogenes, fachdidaktisches Wissen und die positiven Überzeugungen von Lehrpersonen, mit digitalen Medien besseren Unterricht zu gestalten. Diese Faktoren führen dazu, dass digitale Medien nicht nur häufiger, sondern auch höherstufiger, das heisst eher konstruktiv und interaktiv im Unterricht eingesetzt werden. Das reine Anwendungswissen und die Qualität der verfügbaren technischen Infrastruktur spielen demgegenüber heute eine untergeordnete Rolle. Ob digitale Technologien im Unterricht anspruchsvoll eingesetzt werden hängt davon ab, ob Lehrpersonen die fachspezifischen Einsatzmöglichkeiten kennen. Digitale Transformation ist somit von Fach zu Fach unterschiedlich.

Digitale Transformation fordert die ganze Schule

Vertiefende Analysen bei zwölf Schulen, die gemäss unseren Befragungen hinsichtlich digitaler Transformation weit fortgeschritten sind, haben gezeigt, dass es zudem auch gesamtschulische Aspekte sind, die für digitale Transformation entscheidend sind. In allen fortgeschrittenen Schulen konnten ähnliche Muster beobachtet werden:

  • Initiative und digital affine Lehrpersonen haben zusammen mit der Schulleitung den Lead übernommen.
  • Es wurden Konzepte entwickelt, die die digitale Transformation mit genuin pädagogischen Zielen verbinden.
  • Der Prozess der digitalen Transformation wurde von den Schulleitungen aktiv unterstützt, wobei gleichzeitig bottom-up-Aktivitäten von einzelnen Fächern oder Fachgruppen gefördert wurden.

Damit eine digitale Transformation gelingt, sollten digitale Technologien darum umfassender, das heisst unter Einbezug konstruktiven und interaktiven Lernens eingesetzt werden, etwa unter Einbezug anderer Lernorte (Betrieb und überbetriebliche Kurse).

In den Interviews signalisierten die Schulleitungen aber auch, dass die digitale Transformation oft nicht ohne Konflikte vonstatten ging. Einerseits sind nicht alle Lehrpersonen bereit und willens, ihren Unterricht zu digitalisieren, andererseits erfordert die digitale Transformation oft ein neues Lehr-Lernarrangement. Dieses basiert nicht selten auf einem Lernmanagementsystem, das die Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen, eine veränderte Kommunikation mit den Lernenden und einen anderen Zugriff auf Lernmaterialien inklusive neuer Leistungsüberprüfungen mit sich bringt. Auch die Lernenden sind nicht alle gleich enthusiastisch bezüglich des Lernens mit neuen Technologien. Damit eine digitale Transformation gelingt, sollten digitale Technologien darum umfassender, das heisst unter Einbezug konstruktiven und interaktiven Lernens eingesetzt werden, etwa unter Einbezug anderer Lernorte (Betrieb und überbetriebliche Kurse).

Schlussfolgerungen

Die digitale Transformation verändert das Lernen und das Unterrichten. Einige Berufsfachschulen und Gymnasien haben diese Entwicklung schon seit längerem eingeleitet. Bei allen technologischen Veränderungen bleiben die Lehrpersonen die Schlüsselakteure, damit diese Transformation gelingt. Ihre fachdidaktischen Fähigkeiten und Überzeugungen sind entscheidend dafür, dass digitale Technologien nicht nur für Beamer-Präsentationen und die Ablage von Dateien eingesetzt werden, sondern dass mit ihrer Hilfe Schülerinnen und Schüler aktiviert werden, ihr Wissen anzuwenden oder sich Wissen selbst zu erarbeiten. Ein weiteres wichtiges Element ist die Autonomie der Lehrpersonen, die durch ein digitales Committment der Schulleitung gefordert und gefördert wird. Mit solchen Ansätzen wird es möglich sein, auch die nächsten Herausforderungen der digitalen Transformation, die durch generative KI bereits in Schulen angekommen sind, zu bewältigen.

[1] Dieser Beitrag beruht auf Forschungsergebnissen aus dem Projekt DigiTraS 2 (SNF Projektnummer 407740_187277) unter der Leitung von Alberto Cattaneo (SFUVET), Philipp Gonon (UZH) und Dominik Petko (UZH): An diesem SNF-Projekt im Rahmen des Nationalen Forschungsprogrammes NFP 77, sind ausserdem drei Doktorandinnen beteiligt: Chiara Antonietti, Tessa Consoli und Maria-Luisa Schmitz.

Literatur

  • Antonietti, C., Schmitz, M. L., Consoli, T., Cattaneo, A., Gonon, P., & Petko, D. (2023). Development and validation of the ICAP Technology Scale to measure how teachers integrate technology into learning activities. Computers & Education, 192, 104648.
  • Knezek, G., & Christensen, R. (2016). Extending the will, skill, tool model of technology integration: Adding pedagogy as a new model construct. Journal of Computing in Higher Education, 28(3), 307-325.
  • Petko, D., Antonietti, C., Schmitz, M. L., Consoli, T., Gonon, P., & Cattaneo, A. (2022). Digitale Transformation der Sekundarstufe II: erste Ergebnisse einer repräsentativen Bestandsaufnahme in der Schweiz. Gymnasium Helveticum, 76(5), 20-21.
  • Petko, D., Döbeli Honegger, B., & Prasse, D. (2018). Digitale Transformation in Bildung und Schule: Facetten, Entwicklungslinien und Herausforderungen für die Lehrerinnen-und Lehrerbildung. Beiträge zur Lehrerinnen-und Lehrerbildung, 36(2), 157-174.
Zitiervorschlag

Gonon, P., Schmitz, M. L., Petko, D., & Consoli, T. (2024). Von der Digitalisierung zur digitalen Transformation. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(1).

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