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Work-ID dokumentiert, was Arbeitnehmende alles können

«Wir stossen die Tür in eine neue Ära auf»

Er ist eine der profiliertesten Gründer von digitalen Lösungen im HR-Bereich: Cornel Müller. In diesen Tagen ist Work-ID, seine jüngste Firma, an den Start gegangen. Diese Jobplattform läuft nicht mehr über Berufsbezeichnungen oder Diplomtitel, sondern über Skills. Hier erhalten alle Fähigkeiten, die Menschen besitzen, das ihnen zustehende Gewicht – egal, auf welchem Weg sie erworben wurden. Work-ID fragt zunächst nach dem aktuellen Job und stellt dann immer genauere Anschlussfragen, die man bejahen oder verneinen kann. Die technische Basis ist dafür ist die Datenbank von x28.


Cornel Müller hat Unternehmen wie x28, jobchannel oder People-Analytix gegründet. Jetzt lancierte er Work-ID.

Mit Work-ID erhalten alle Skills das ihnen zustehende Gewicht – egal, auf welchem Weg sie erworben wurden.

Cornel Müller, Sie haben Work-ID lanciert, eine neue Jobplattform. Gibt es nicht schon genug solche Plattformen?

Ja, aber viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber finden sich trotzdem nicht. Warum? Weil die Suche meist über Berufsbezeichnungen oder Bildungsabschlüsse läuft. Bei Work-ID erfassen die Leute drei Dinge: Das was sie tun und können, welche Werte ihnen wichtig sind und welche Rahmenbedingungen sie brauchen. Dabei werden sie vom Programm geführt. Es fragt zunächst nach dem aktuellen Job und stellt dann immer genauere Anschlussfragen, die man bejahen oder verneinen kann. Das ist gratis und anonym. Die Basis der Abfrage bildet die Datenbank von x28. Dieser Webcrawler erfasste in den letzten zwölf Jahren über zwanzig Millionen vakante Stellen für rund 600’000 stellensuchende Menschen. Wir wissen von rund 3000 Berufen sehr genau, welche Qualifikationen sie verlangen – entlang von 145’000 Jobtitel-Synonymen und über 120’000 Skills.

Sie sagen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber finden sich nicht. Wie kommen Sie darauf?

Ich entwickle seit über 30 Jahren digitale Lösungen für das HR und habe Unternehmen wie x28, jobchannel oder People-Analytix gegründet. Ich sehe, dass die Beschreibungen auf den Jobplattformen zu vage sind. Viele Intermediäre – Headhunter wie Egon Zehnder oder Firmen wie LinkedIn – verdienen Geld damit, dass die Suche nach Jobs oder Mitarbeitenden nicht richtig funktioniert, denn das hält die Dinge am Laufen. Aber es darf nicht sein, dass man 50’000 Franken bezahlt, um einen neuen Verkaufsleiter zu finden.

Wie finden die Arbeitgeber bei Work-ID neue Mitarbeiterinnen?

Aber es darf nicht sein, dass man 50’000 Franken bezahlt, um einen neuen Verkaufsleiter zu finden.

Sie nutzen den Skills-Manager von Work-ID und laden die Mitarbeitenden ein, ihre Qualifikationen zu erfassen. Die Unternehmen erhalten so einen detaillierten Überblick über die Potenziale ihrer eigenen Teams; schon dies alleine ist für viele Firmen ein Gewinn. Bei Vakanzen suchen sie, wieder vom Programm geführt, nach Skills und Qualifikationen, im eigenen Haus, aber auch im Pool von Work-ID. Je differenzierter die Suche wird, desto geringer ist die Zahl von Treffern. Auch das ist gratis.

Und wie verdient Work-ID Geld?

Dann, wenn ein Arbeitgeber eine Auswahl von Kandidaten getroffen, angeschrieben und eine Antwort erhalten hat. Eine solche Antwort kostet 200 Franken. Die Arbeitnehmenden, die auf Jobsuche sind, sehen alle offenen Stellen, die zu ihrem Profil passen. Sie können in den Einstellungen definieren, ob sie angeschrieben werden möchten. Und sie sich können ihrerseits – wenn die Ausschreibung diese Option anbietet – auf eine Stelle bewerben, auch wenn sie nicht direkt angesprochen wurden.

Wird die Personalsuche dadurch billiger?

Auf konventionellen Plattformen kostet ein Stelleninserat 500 bis 1000 Franken. Noch teurer ist die anschliessende Selektion der Bewerbungen und der Aufwand bei der Absage – oder eine erneute Suche. Bei Work-ID können die Firmen den Kommunikationsaufwand viel besser steuern.

Sie betonen auf ihrer Website, dass Work-ID zu weniger Diskriminierungen im Bewerbungsprozess führe. Wie geht das?

In der Schweiz werden pro Jahr rund 12 Millionen Bewerbungen verschickt. Wir wissen, dass die erste Selektion sieben bis fünfzehn Sekunden dauert. Und wir wissen auch, dass die weibliche, dunkelhäutige Frau über 50, die Rüya heisst, rausfällt. Bei uns muss Rüya kein einziges dieser Attribute nennen. Wichtig ist nur, was sie kann und will. Erst in der persönlichen Begegnung kann es wieder zu Diskriminierungen kommen.

Und wenn eine Firma eine Frau sucht, um die Teambalance zu halten?

Dann kann sie diesen Wunsch in ihrem ersten persönlichen Anschreiben notieren.

Was unterscheidet Work-ID von Karriereplattformen wie Xing oder LinkedIn?

Xing und LinkedIn ist für White Collars. Auf Work-ID sind alle unterwegs, auch Fachkräfte des Handwerks etwa. Zudem gehören die Daten bei uns den Leuten; die Mobilenummer ist das einzige, individuelle Merkmal, das wir erfassen. Das ist bei Xing und LinkedIn anders.

Vor vier Jahren startete die Weiterbildungsplattform Evrlearn. Inzwischen hat sie aufgegeben, Work-ID hat sie übernommen. Was ist passiert?

Dann erhalten die Firmen nicht nur einen Überblick über den Kompetenzenmix ihrer Leute, sondern auch – wenn sie dies wünschen – passgenaue Hinweise auf denkbare Weiterbildungen. Wir werden dafür sämtliche rund 200’000 Weiterbildungen aller Bildungsstufen in der Schweiz erfassen und ordnen.

Evrlearn ermöglichte es den Nutzerinnen, ihre Kompetenzen detailliert zu erfassen und Hinweise auf passende Weiterbildungen zu erhalten. Das Problem war, dass die Bildungsanbieter dafür bezahlen mussten; das taten zu wenige. Trotzdem war die Idee von Evrlearn richtig, und wir werden 2026 den Skills-Manager entsprechend erweitern. Dann erhalten die Firmen nicht nur einen Überblick über den Kompetenzenmix ihrer Leute, sondern auch – wenn sie dies wünschen – passgenaue Hinweise auf denkbare Weiterbildungen. Wir werden dafür sämtliche rund 200’000 Weiterbildungen aller Bildungsstufen in der Schweiz erfassen und ordnen. Hinter dieser Idee steckt der Gedanke, dass es schlau ist, den eigenen Mitarbeitenden Sorge zu tragen und ihnen mit Up- und Re-Skillings Entwicklungsperspektiven zu bieten. Das passiert heute in vielen Firmen zu wenig.

Bisher waren Diplome oder akademische Titel der Schlüssel, um einen Job zu bekommen. Das ist bei Work-ID anders, richtig?

Es wird auch in Zukunft Bereiche geben, wo das Berufsprinzip tragfähig ist: Bei Rechtsanwälten zum Beispiel, Chirurginnen, Architekten. Zudem sind die Firmen in ihren Entscheidungen frei, wie stark sie formal erworbene Skills oder Bildungen gewichten. Aber wir stossen tatsächlich die Tür in eine neue Ära auf. In den 90er-Jahren musste ein HR-Manager meist einen Jus-Abschluss besitzen – bis man merkte, dass diese Bedingung Unsinn ist. Heute stehen wir mit sehr vielen Jobs am gleichen Punkt. Abschlüsse sind zwar eine gute Währung, um Kompetenzen zu zeigen; aber sie sind ungenau. Braucht ein Informatiker für seine Arbeit wirklich einen ETH-Master? Ich kenne viele junge Informatiker, die leisten ebenso viel, und sie lernen ständig weiter. Mit Work-ID erhalten alle Skills das ihnen zustehende Gewicht – egal, auf welchem Weg sie erworben wurden. Das ist ein Gewinn für die Menschen, die Firmen, die Volkswirtschaft.

Der vorliegende Beitrag erschien zuerst in Alpha, Tagesanzeiger.

Zitiervorschlag

Fleischmann, D. (2025). «Wir stossen die Tür in eine neue Ära auf». Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 10 (12).

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