EHB-Auswertung zur Mobilität von Lernenden in der dualen beruflichen Grundbildung
Sprachgrenzen schränken die Lehrstellenauswahl ein
Die Sprachgrenzen innerhalb der Schweiz schränken die Mobilität von jugendlichen Lernenden in der dualen beruflichen Grundbildung ein. Eine Datenauswertung der EHB zeigt, dass die prognostizierte Häufigkeit, dass Jugendliche zwischen zwei Gemeinden pendeln, im Durchschnitt um rund 75% tiefer ist, wenn sie dabei eine Sprachgrenze überqueren müssen. Dieser negative Effekt hat ungefähr dieselbe Grössenordnung wie wenn der Pendelweg eines Jugendlichen um rund 50% erhöht würde.
Das Beherrschen der lokalen Sprache ist sowohl für das Absolvieren von Ausbildungen als auch für die Stellensuche und das Ausüben beruflicher Tätigkeiten wichtig. So finden empirische Studien unter anderem, dass Personen mit besseren (Fremd-)Sprachkenntnissen auf dem Arbeitsmarkt besser abschneiden (Hahm und Gazzola 2022, Stöhr 2015). Unterschiede in Sprachkenntnissen können zudem miterklären, warum zugewanderte und einheimische Arbeitskräfte in unterschiedlichen Berufen arbeiten (Peri und Sparber 2009) und warum sie nicht eins zu eins miteinander austauschbar sind (Hoehn 2020, Gatti et al. 2022, Gentili and Mazzona 2024). Auf eine ähnliche Weise lässt sich teilweise erklären, warum sich Frauen – die im Durchschnitt bessere sprachliche Fähigkeiten aufweisen als Männer – tendenziell in Berufe mit einer höheren Bedeutung von Sprachkenntnissen selektieren (Breda und Napp 2019, Kuhn und Wolter 2022).
Für solche und ähnliche Fragestellungen zur Bedeutung der Sprache ist die Schweiz aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit besonders interessant. Während in den meisten Ländern die Sprachgrenzen mit den Landesgrenzen zusammenfallen, weist die Schweiz aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit verschiedene Sprachgrenzen innerhalb ihrer Landesgrenzen auf, die zudem zu einem wesentlichen Teil durch die drei zweisprachigen Kantone Bern, Freiburg und Wallis verläuft. Dies erlaubt es, die Rolle der Sprache unabhängig von anderen, insbesondere institutionellen Faktoren zu bestimmen (vgl. dazu auch Aepli et al. 2021).
Von besonderem Interesse ist insbesondere die deutsch-französische Sprachgrenze, weil diese Sprachgrenze – im Unterschied zur deutsch-italienischen Sprachgrenze – nicht entlang der geografischen Barriere des Alpenhauptkamms verläuft und weil sie grösstenteils durch die zweisprachigen Kantone und nicht entlang kantonaler Grenzen verläuft (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Sprachregionen und -grenzen der Schweiz
Wir gehen im vorliegenden Beitrag der Frage nach, ob der Suchradius von Lernenden in der dualen beruflichen Grundbildung durch die vorhandenen Sprachgrenzen beeinflusst wird. Aufgrund der bestehenden Literatur erwarten wir, dass sich Sprachgrenzen dämpfend auf die Mobilität von Lernenden auswirken. Unsere Auswertungen ergänzen Arbeiten, die sich mit den Pendelzeiten und dem sich daraus ergebenden räumlichen Suchradius von Lernenden in der beruflichen Grundbildung beschäftigt haben (Kuhn 2022, Kuhn und Schweri 2024).
Daten und Methodik
Wir verwenden als primäre Datenquelle einen vollständigen Auszug aus der Statistik der beruflichen Grundbildung (SBG), der mit Angaben aus dem Betriebs- und Unternehmensregister (BUR) ergänzt wurde (im Folgenden kurz als SBG-BUR bezeichnet). Diese Daten enthalten Informationen zu allen laufenden dualen Lehrverträgen in der Schweiz für das Lehrjahr 2021/22. Wir fokussieren im Folgenden auf jugendliche Lernende (d.h. Lernende, die bei Beginn des Lehrverhältnisses nicht älter als 25 Jahre sind) sowie auf Lehrverträge, für die sowohl Wohn- als auch Ausbildungsort des Lernenden vorliegen (rund 175’000 individuelle Lehrverträge erfüllen alle diese Kriterien gleichzeitig).
Die Variable von zentralem Interesse ist die absolute Häufigkeit, mit der jede spezifische Kombination von Wohngemeinden (aus der SBG) und Ausbildungsgemeinden (aus dem BUR) in den Lehrverträgen vorkommt, da diese Kombinationen sämtliche möglichen Pendlerströme zwischen Schweizer Gemeinden beschreiben.
Wir verknüpfen diese Pendel-Häufigkeiten mit einer vollständigen Matrix der Reisezeiten zwischen den Schweizer Gemeinden, die durch das Bundesamt für Raumentwicklung zur Verfügung gestellt wird. Diese Matrix enthält für jede Kombination von jeweils zwei Gemeinden in der Schweiz die durchschnittlich benötigte Zeit, um via öffentliche Verkehrsmittel von der einen zur anderen Gemeinde zu gelangen (inklusive durchschnittliche Reisezeiten innerhalb einer Gemeinde, also wenn Wohn- und Ausbildungsgemeinde zusammenfallen). Falls für eine bestimmte Kombination an Gemeinden keine Lernenden beobachtet werden, setzen wir die Häufigkeit entsprechend auf den Wert 0.
Nicht ganz offensichtlich ist, ob für die Auswertungen Rätoromanisch als separate Sprachregion definiert werden soll oder nicht. Wir kodieren im Folgenden die Gemeinden, in denen Rätoromanisch als häufigste Sprache angegeben wird, auf deutschsprachig um (die Ergebnisse verändern sich allerdings nur geringfügig, wenn wir diese Kodierung nicht vornehmen).
Die Relevanz von geografischen Faktoren in diesem Kontext lässt sich einfach anhand der Reisezeiten illustrieren (vgl. Abbildung 2). Die blau gefärbte Verteilung zeigt die Reisezeiten zwischen zwei beliebigen Gemeinden in der Schweiz. Die durchschnittliche Reisezeit via öV zwischen zwei Gemeinden beträgt über alle möglichen Kombinationen hinweg rund 3,4 Stunden. Gleichzeitig finden sich auch sehr viel kürzere wie auch deutlich längere Reisezeiten. Die grün gefärbte Verteilung zeigt demgegenüber die Reisezeiten zwischen denjenigen Gemeinden, die eine positive Anzahl an pendelnden Lernenden aufweisen. Offensichtlich sind die tatsächlichen Pendelströme von Lernenden auf diejenigen Kombinationen von Gemeinden beschränkt, die eine unterdurchschnittlich lange Reisdauer (von ungefähr einer Stunde im Mittel) aufweisen – ein klarer Hinweis auf den Einfluss der Reisedistanz auf die Wahl eines Ausbildungsortes. Die orange gefärbte Verteilung zeigt schliesslich die mit der Anzahl der individuellen Lehrverträge gewichteten Reisezeiten, die im Durchschnitt rund 40 Minuten betragen (vgl. Kuhn und Schweri 2024). Dies wiederum lässt sich primär auf die Restriktion zurückführen, dass ein Tag nie mehr als 24 Stunden für die verschiedenen Tätigkeiten (Schlaf, Arbeit, Freizeit, etc.) zur Verfügung stellt.
Abbildung 2: Histogramm Reisezeiten

Die blau gefärbte Verteilung zeigt die Reisezeiten zwischen zwei beliebigen Gemeinden in der Schweiz. Die durchschnittliche Reisezeit via öV zwischen zwei Gemeinden beträgt über alle möglichen Kombinationen hinweg rund 3,4 Stunden. Die grün gefärbte Verteilung zeigt die Reisezeiten zwischen denjenigen Gemeinden, die eine positive Anzahl an pendelnden Lernenden aufweisen. Die orange gefärbte Verteilung zeigt die mit der Anzahl der individuellen Lehrverträge gewichteten Reisezeiten, die im Durchschnitt rund 40 Minuten betragen.
Bei der weiterführenden multivariaten Analyse gilt es zu beachten, dass die abhängige Variable (Anzahl Pendelbewegungen zwischen zwei Gemeinden) eine sogenannte «Zählvariable» ist, die nur ganzzahlige, nicht-negative Werte annehmen kann. Wir verwenden deshalb ein sogenanntes Poisson-Regressionsmodell, das diesen Spezifika gerecht wird (Wooldridge 2010). Wir modellieren damit die Häufigkeit, mit der eine bestimmte Kombination aus Wohn- und Ausbildungsgemeinde in der Gesamtheit der Lehrverträge beobachtet wird, unter Berücksichtigung von verschiedenen Einflussfaktoren.
Bei der Auswahl der Kontrollvariablen orientieren wir uns an bisherigen Ergebnissen zur Modellierung von Pendlerströmen (z.B. Spadon et al. 2019). Neben der Reisezeit zwischen zwei Gemeinden dürften insbesondere die Grösse sowohl der Wohn- wie auch der Ausbildungsgemeinde für die Pendelhäufigkeit relevant sein. Wir fügen den Daten deshalb je ein Mass für die Grösse der Wohngemeinde (die Anzahl der Jugendlichen mit Wohnsitz in einer Gemeinde) wie auch für die Ausbildungsgemeinde (die Anzahl der abgeschlossenen Lehrverträge) hinzu.
Zusätzlich zu den erwähnten Informationen aus den SBG-BUR-Daten verknüpfen wir vereinzelt weitere Variablen, die vom BFS zur Verfügung gestellt werden. Sie beschreiben die Topografie der Gemeinden, beispielsweise ihre geografischen Koordinaten oder ihre durchschnittliche Höhenlage.
Von zentralem Interesse ist eine binäre Variable, die anzeigt, ob eine spezifische Kombination von Wohn- und Ausbildungsort das Übertreten einer Sprachgrenze einschliesst oder nicht. Mithilfe dieser Variable lässt sich relativ einfach bestimmen, ob die Sprachgrenzen innerhalb der Schweiz auf die Mobilität der Lernenden Einfluss haben oder nicht. Gleichzeitig wird auch die Sprachregion selbst als erklärende Grösse berücksichtigt, da sich die Popularität der beruflichen Grundbildung zwischen den Sprachregionen unterscheidet (Aepli et al. 2021).
Die Sprachgrenzen beeinflussen die Mobilität der Jugendlichen
Ein erstes Ergebnis unserer statistischen Auswertungen ist, dass die Grösse der Ausgangs- und Zielgemeinden sowie die Reisezeit zwischen ihnen alleine bereits einen sehr grossen Anteil an der beobachteten Variation in den Pendelhäufigkeiten zwischen zwei Gemeinden erklären können. Dies äussert sich in einer hohen Modellgüte, d.h. die vom Modell prognostizierten Häufigkeiten korrelieren sehr stark mit den tatsächlich beobachteten Häufigkeiten (das Gütemass Pseudo-R-Quadrat beträgt mindestens 0,81 über alle betrachteten Modelle hinweg).
In einem weiteren Schritt fügen wir die topografischen Variablen, die Sprachregion und die Variable, die den Übertritt einer Sprachgrenze anzeigt, zusätzlich in das Modell ein. Der mit der Sprachgrenzen-Variable verbundene Regressionskoeffizient zeigt Folgendes: Die prognostizierte Häufigkeit, dass Jugendliche zwischen zwei Gemeinden pendeln, ist im Durchschnitt um rund 75% tiefer, wenn sie dabei eine Sprachgrenze überqueren müssen. Dieser Effekt gilt bei ansonsten vergleichbaren Kombinationen von Wohn- und Ausbildungsgemeinde («ceteris paribus») und ist sowohl quantitativ bedeutsam als auch statistisch signifikant (die Punktschätzung beträgt -76,2%, mit einem Standardfehler von 1,87%; das entsprechende 95%-Vertrauensintervall liegt folglich zwischen -78,4% und -74,0%).
Zur Illustration der Grössenordnung dieses Effekts bietet sich zudem der Vergleich mit dem Effekt der Reisezeit, dem stärksten Prädiktor in unseren Auswertungen, auf die Pendlerhäufigkeit an. Gemäss den Regressionsergebnissen hat die Sprachgrenze nämlich einen ähnlich starken Effekt wie eine Erhöhung der Reisezeit um circa 20 Minuten. Hierbei ist zu beachten, dass jugendliche Lernende im Durchschnitt rund 40 Minuten pro Weg von ihrem Wohn- zum Ausbildungsort pendeln (Kuhn und Schweri 2024); d.h. der geschätzte Effekt hat ungefähr dieselbe Grössenordnung wie wenn der Pendelweg eines Jugendlichen hypothetisch um rund 50% erhöht würde.
Da die Sprachgrenzen allerdings nicht exakt sind (es wohnen beispielsweise auch deutschsprachige Personen in mehrheitlich französischsprechenden Gemeinden), könnte der tatsächliche Effekt der Sprachgrenze noch stärker sein als von uns hier ausgewiesen.
Weitere Modellspezifikationen zeigen, dass ein sehr ähnlicher Effekt der Sprachgrenze resultiert, wenn zusätzliche Kontrollvariablen (beispielsweise der Anteil an weiblichen Lernenden oder der Wohnkanton der Jugendlichen) in das Modell aufgenommen werden, wenn nur auf die deutsch-französische Sprachgrenze fokussiert wird oder wenn Rätoromanisch als separate, vierte Sprachregion berücksichtigt wird. Diese zusätzlichen Ergebnisse unterstreichen, dass der negative Effekt der Sprachgrenzen auf die beobachteten Pendelhäufigkeiten robust ist. Vertiefend haben wir untersucht, ob sich Unterschiede ergeben, wenn die Ausgangsgemeinde in der Deutschschweiz und die Zielgemeinde in der Romandie liegt, und umgekehrt. Hier zeigt sich jedoch kein statistisch signifikanter Unterschied in der Wirkung der Sprachgrenze.
Fazit
Unsere Auswertungen zeigen, dass die Sprachgrenzen innerhalb der Schweiz einen eindeutigen, negativen Effekt auf die Mobilität von jugendlichen Lernenden in der dualen beruflichen Grundbildung aufweisen. Da in der statistischen Auswertung ansonsten vergleichbare Pendelstrecken miteinander verglichen werden, lässt sich anhand dieses Ergebnisses darauf zurückschliessen, dass der Effekt durch sprachliche Barrieren erzeugt wird.
Die SBG-BUR Daten enthalten allerdings keine direkten Informationen zu den individuellen Sprachkompetenzen (weder der Lernenden noch der Verantwortlichen in den Betrieben). Deshalb lässt sich nicht beurteilen, in welchem Umfang der beobachtete Effekt durch Lernende getrieben ist, die sich nicht auf Lehrstellen bewerben, weil die Ausbildung teilweise oder mehrheitlich nicht in ihrer Muttersprache stattfinden würde; oder durch Lehrbetriebe, die bei der Besetzung von Lehrstellen denjenigen Jugendlichen den Vorzug geben, die dieselbe Sprache wie die Ausbildungsverantwortlichen im Betrieb sprechen.
Literatur
- Aepli, Manuel, Andreas Kuhn, and Jürg Schweri (2021). Culture, norms, and the provision of training by employers: Evidence from the Swiss language border. Labour Economics, 73, 102057.
- Breda, Thomas, and Clotilde Napp (2019). Girls’ comparative advantage in reading can largely explain the gender gap in math-related fields. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116(31), 15435-15440.
- Gatti, Nicolò, Fabrizio Mazzonna, Raphaël Parchet, and Giovanni Pica (2022). Opening the Labor Market to Qualified Immigrants in Absence of Linguistic Barriers. IZA Discussion Paper No. 15631.
- Gentili, Elena, and Fabrizio Mazzonna (2024). What drives the substitutability of native and foreign workers? Evidence about the role of language. Economica, 91(361), 210-237.
- Hahm, Sabrina, and Michele Gazzola (2022). The Value of Foreign Language Skills in the German Labor Market. Labour Economics, 76, 102150.
- Hoen, Maria Forthun (2020). Immigration and the Tower of Babel: Using language barriers to identify individual labor market effects of immigration. Labour Economics, 65, 101834.
- Kuhn, Andreas (2022). The Geography of Occupational Choice: Evidence from the Swiss Apprenticeship Market. IZA Discussion Paper No. 15679.
- Kuhn, Andreas, und Jürg Schweri (2024). Mobilitätsmuster von Lernenden in der dualen beruflichen Grundbildung. OBS EHB Trend im Fokus Nr. 13. Zollikofen: Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung EHB.
- Kuhn, Andreas und Stefan C. Wolter (2022). Things versus People: Gender Differences in Vocational Interests and in Occupational Preferences. Journal of Economic Behavior & Organization, 203, 210-234.
- Peri, Giovanni, and Chad Sparber (2009). Task Specialization, Immigration, and Wages. American Economic Journal: Applied Economics, 1(3), 135-169.
- Spadon, Gabriel, Andre C. P. L. F. de Carvalho, Jose F. Rodrigues-Jr, and Luiz G. A. Alves (2019). Reconstructing commuters network using machine learning and urban indicators. Scientific Reports, 9(1), 11801.
- Stöhr, Tobias (2015). The returns to occupational foreign language use: Evidence from Germany. Labour Economics, 32, 86-98.
- Wooldridge, Jeffrey M. (2010). Econometric Analysis of Cross Section and Panel Data. MIT Press.
Zitiervorschlag
Kuhn, A., & Schweri, J. (2025). Sprachgrenzen schränken die Lehrstellenauswahl ein. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 10(5).