Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Analyse von Rekrutierungsvideos

Wie Berufsverbände Berufe vermitteln

Viele Organisationen der Arbeitswelt präsentieren ihre Berufe auf der Suche nach Lernenden in Videos. Dabei wird durch die gewählten Inhalte und die Art der Vermittlung das Berufsbild mitkonstruiert und ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben. Berufsverbände haben ein Interesse daran, ihre Berufe und damit sich selbst am Leben zu erhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, entwickeln sie Strategien, die es ihnen erlauben, die Berufs- und Arbeitswelten aktiv mitzugestalten. Die vorliegende Analyse fokussiert diese Vermittlungsstrategien und welche Berufsbilder sie transportieren.


Es wurden 15 Rekrutierungsvideos inhaltsanalytisch untersucht. Diese präsentieren Berufe aus den Berufsfeldern Elektrotechnik und Nahrung.

Berufsverbände greifen bei der Rekrutierung von Nachwuchs auf adressatengerechte Strategien zurück; sie nutzen benutzerfreundliche Webseiten mit Spielen, schriftlichen Kurzbeschrieben und meist einem oder mehreren Videos, um ihre Berufe vorzustellen. In diesen Rekrutierungsvideos, die der vorliegende Artikel[1] analysiert, wird sprachlich und mithilfe von Musik, Schnitttechnik und videographischen Effekten ein an neue Medien gewohntes Publikum angesprochen. Dieses Vorgehen ist für die jungen Erwachsenen sehr relevant, wie Studien zum Berufsorientierungsprozess aufzeigen: Internet und neue Medien sind einer der wichtigsten Orientierungspunkte bei der Berufswahl (vgl. Kamm et al. 2019).

Während bisherige Forschung insbesondere Vermittlungsstrategien der Berufsberatung untersuchte, nimmt dieser Artikel mit dem Fokus auf Berufsverbände eine weitere Sichtweise ein und ergänzt die zahlreichen Untersuchungen zu subjektiven Berufskonstruktionen um die Perspektive kollektiver Akteure. Basierend auf bestehender Forschung zu den Funktionen und der Vermittlung von Berufen wird davon ausgegangen, dass die Darstellung der Berufe spezifische Vermittlungsstrategien und vor allem bestimmte Verhaltensweisen, Denkmatrizen und Identitätsmerkmale aufweisen.

Es wurden 15 Rekrutierungsvideos inhaltsanalytisch untersucht. Diese präsentieren Berufe aus den Berufsfeldern Elektrotechnik und Nahrung. In beiden sind sowohl Betriebe zu finden, die technologisch weit fortgeschritten sind und sich vornehmlich am internationalen Markt orientieren als auch kleine, eher traditionelle und regional ausgerichtete Firmen (Roth 2007; Keller und Kurzen 2012). Zudem repräsentieren die beiden Berufsfelder eine Vielfalt an Ausbildungsformen und -anforderungen sowie unterschiedliche Berufsgrössen (Stalder 2011). Die Elektrotechnik ist zwar beliebt, die Branche zeigt jedoch einen zunehmenden Bedarf an ausgelernten Fachkräften. Die Lehrberufe der Nahrungsmittelbranche haben mit Imageproblemen zu kämpfen (frühes Aufstehen im Beruf der Bäckerin[2] oder das «Schlächter»-Bild im Metzgerberuf, vgl. Berner 2018). Insofern sind in beiden Berufsfeldern die Rekrutierungsbestrebungen der Verbände hoch relevant.

Die Videos wurden hinsichtlich mehrerer Dimensionen – der Akteure, der Kontexte und der Inhalte – analysiert. Wir beschränken uns hier auf die Analysekategorien «positiver Duktus» sowie das «Verhältnis von Persönlichkeit und Beruf», um die Vermittlungs- und Konstruktionsleistung von Berufsverbänden zu analysieren. Weitere Analysedimensionen und ein ausführlicherer Beschrieb des Vorgehens finden sich in Bürgi und Kamm (2022).

Positiver Duktus – Scheitern als Ausnahme

Die Videos sind auf visueller, sprachlicher und auditiver Ebene insgesamt durch einen positiven Duktus geprägt. Das Paradebeispiel ist das Video über Netzelektrikerinnen, die mitten in der Nacht durch einen Alarm zur Arbeit gerufen werden. Über visuelle und auditive Effekte entsteht der «Kick» einer Extremsituation, der nächtliche Einsatz wird zu einem Krimi stilisiert. Das Problem kann in gelingender Teamarbeit behoben werden und der gemeinsame Blick der Darsteller über die beleuchtete Stadt betont den gesellschaftlichen Wert des Berufs (Abbildung 1).

Abbildung 1. Netzelektriker und Netzelektrikerinnen nach getaner Arbeit.

Kritische Stimmen werden einzig in zwei Videos im Nahrungsbereich laut, dies jedoch nur, um sie zu entkräften. So legitimiert die Anfangspassage des Fleischfach-Videos den Konsum von Fleisch. Die Off-Stimme erklärt:

Fleisch ist wohl das emotionellste aller Lebensmittel. Es ist mit viel Genuss verbunden, Tiere geben dafür ihr Leben. Das gefällt nicht allen. Schlagzeilen zu Vegetarismus oder gar Veganismus prägen das mediale Bild. Immer wieder wird den Berufen im Fleischfach das Image eines Schlächters mit der blutigen Schürze angehängt. Dabei ist gerade die professionelle Fleischfachfrau Garantin eines respektvollen und guten Umgangs mit Fleisch.

Für das Metzgereigewerbe stellt das Entkräften des Schlächterbildes ein Topos dar (Zinn 2016). Gerade Berufe, die mit Rufproblemen kämpfen, sprechen das negative Image explizit an und stellen alternative Deutungsmöglichkeiten dar, die den Beruf in ein positives Licht rücken.

Schwierigkeiten werden in den Videos kaum oder dann als zu meisternde Herausforderungen thematisiert. So beschreibt die Bäckerin-Konditorin-Confiseurin EFZ, dass stressvolle Situationen entstehen können, wenn am Morgen sehr viele Bestellungen gleichzeitig eingehen. Scheitern wird nur in zwei Videos erwähnt. Interessanterweise handelt es sich in der Elektrotechnik um das Video zur dreijährigen Lehre (Montage-Elektriker), die auch in einer anspruchsvolleren vierjährigen Form existiert, sowie einer zweijährigen Grundbildung (Bäcker-Konditor-Confiseur EBA). Im ersten Fall gelingt es dem Lernenden nicht, ein Kabel durchzuschneiden, im zweiten Fall erzählt die Protagonistin von einem Misserfolg am Anfang ihrer Ausbildung. Scheitern scheint in den Lehrgängen mit geringeren Ansprüchen ein akzeptiertes Verhalten darzustellen, während es in den anspruchsvolleren Ausbildungen nicht zur Sprache kommt.

Herstellen von Berufsidentität und Ansprechen der Persönlichkeit

Es fällt auf, dass die Videos an Schweizerdeutsch Sprechende adressiert sind.

Berufsidentitätsstiftende Elemente werden auf sprachlicher Ebene erzeugt, indem über die Lernenden gesagt wird, sie seien «stolz» (bspw. Fleischfachfrau) auf ihren Beruf. Auch mit Possessivpronomen wird gearbeitet: «In meinem Beruf gibt es verschiedene Anforderungen» (Lebensmitteltechnologe). Berufsidentität wird ebenso evoziert, indem auf den gesellschaftlichen Nutzen der beruflichen Tätigkeiten hingewiesen wird: «Ohne Automatikerinnen und Automatiker EFZ funktioniert nichts automatisch […]». Schliesslich könnten Berufe mittels Arbeitskleidung ein bestimmtes Selbstbild kommunizieren (Rennes et al. 2019). So unterstreichen die Fleischfachfrau im Kettenhemd und der Bäcker in seiner Hygienekleidung ihre Berufszugehörigkeit.

Obwohl in den Videos der Fokus auf die Praxis und die Fachlichkeit gerichtet ist, stellt das Ansprechen der Persönlichkeit – und damit die Verbindung von Beruf und Persönlichkeit (Bachem 2013) – in allen sprachlich unterlegten Videos eine bedeutende Strategie dar. Eindringlichstes Beispiel ist die durchgängige Personalisierung: Die Protagonistinnen werden mit Namen vorgestellt oder es werden ihre Namensschilder eingeblendet. Dadurch werden sie zu Identifikationsfiguren stilisiert. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die Videos an Schweizerdeutsch Sprechende adressiert sind. Obgleich einzelne standardsprachliche Sequenzen durch die Off-Stimmen oder durch das Einblenden schriftlicher Information enthalten sind, sprechen die Hauptdarstellenden durchgehend Dialekt. Eine vertiefte Kenntnis des Schweizerdeutschen stellt daher eine implizite Berufsvoraussetzung dar. Dadurch werden Personen, die keinen Dialekt sprechen, als Zielgruppe ausgeschlossen bzw. sie können sich nur an der visuellen Darstellung orientieren.

Freude und Leidenschaft bei der Arbeit sind zwei Allgemeinplätze, die in verschiedenen Videos verwendet werden. Im Video Milchtechnologin geht der Ausbildner gar noch einen Schritt weiter, indem er die Freude nicht nur auf den Arbeitskontext bezieht, sondern auf das Leben der Lernenden insgesamt. Im Hinblick auf den Besuch von Schnupperlehrlingen unterscheidet er zwischen potentiell engagierten und weniger engagierten Kandidaten: «Also man sieht den Jungen die Begeisterung meist an. Wie sie durchs Leben gehen, ob sie ein Lächeln aufgesetzt haben». In verschiedenen Videos werden auch private Kontexte illustriert und Beruf und Persönlichkeit verknüpft. Diese zeigen die Hauptdarsteller in Umgebungen, die vom eigenen Auto über die Küche bis ins Schlafzimmer reichen. 

Zusammenfassung und Fazit

Die untersuchten Rekrutierungsvideos geben einen adressatengerechten und niederschwelligen Einblick in die Ausbildungsinhalte und transportieren ein positives Bild verschiedener Berufsidentitäten. Dies dient den jungen Erwachsenen dazu, einen Einblick in Ausbildungsberufe und Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu erhalten, was bei der Vielfalt von potentiellen Ausbildungsberufen eine wichtige Unterstützung darstellt. Die Analyse von Videos aus den Berufsfeldern Elektrotechnik und Nahrung zeigt, dass die Berufsdarstellungen spezifischen Vermittlungsstrategien dienen und dadurch selektiv ausfallen. Zudem werden im Zuge dieser Strategien unterschiedliche und insbesondere persistierende Zuschreibungen bzw. Denkmatrizen sichtbar, die als spezifische Berufsbilder kulturell verankert werden.

Berufen kommt eine doppelte Vermittlerrolle (zwischen Individuum und Gesellschaft und zwischen Ausbildung und Beschäftigung) zu. Sie stellen aber auch exklusive Institutionen dar, die soziale Ungleichheit reproduzieren (Demszky und Voss 2018). Dies zeigt sich vorliegend in der dominierenden Verwendung des Schweizer Dialekts, welche die Rekrutierung herkunftsspezifisch eingrenzt. Ebenso werden leistungsspezifische Gruppen hergestellt: Scheitern wird tendenziell ausgespart, aber ausgerechnet im einzigen Video zur niederschwelligen zweijährigen Grundbildung sehr deutlich angesprochen. Die im EBA-Video erkennbaren Einprägungen des Nicht-Könnens und der angeleiteten Arbeit wirken im Vergleich zu den anderen Videos, die Ausbildungen auf der Stufe des Eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses (EFZ) mehrheitlich in einem positivem Licht präsentieren, geradezu als eine Entwertung und weisen auf mögliche Limitationen des veranschlagten Erfolges hin.

Berufsidentität wird über Personalisierung, der Betonung des gesellschaftlichen Werts des Berufes und der Entgrenzung von Privatem und Beruflichem erreicht. Während im Nahrungsfeld das Berufliche in den privaten Bereich hineinwirkt, werden im Bereich Elektrotechnik die Vorteile geringer Formalität im Arbeitsprozess hervorgehoben.

[1] Dieser Artikel basiert auf einer Kurzfassung des Textes von Bürgi & Kamm (2022) unter der Mitwirkung (Codierung des Datenmaterials) von Romina Bertschinger und Katrin Gutwein.

[2] Entsprechend der Vorgaben des Verlags wird abwechslungsweise das weibliche und männliche Geschlecht verwendet, die Geschlechtervielfalt ist dabei mitzudenken.

Literatur

  • Bachem, Malte. 2013. Beruf und Persönlichkeit: Zuordnungsroutinen der Berufsberatung in der Schweiz um 1920. Geschichte und Gesellschaft 39(1): 69–85.
  • Berner, Thomas. 14.05.2018. «Unbeliebte» Lehrberufe: Image-Offensiven von Branchenverbänden zahlen sich aus. In Organisator. Das Magazin für KMU
  • Bürgi, Regula und Chantal Kamm. 2022. Konstruktionen von Berufen. Wie Berufsverbände Berufe vermitteln. Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 48 (1): 215–239.
  • Demsky A. und Günter G. Voss. 2018. Beruf und Profession. S. 477–538 in Handbuch Arbeitssoziologie, hrsg. von Fritz Böhle, Günter G. Voss und Günther Wachtler. Wiesbaden: Springer VS.
  • Kamm, Chantal, Anja Gebhardt, Philipp Gonon, Christian Brühwiler und Stefanie Dernbach-Stolz. 2019. Learners’ Perceptions of a Career Guidance Curriculum in Different School-based Support Systems in Switzerland. Journal for Vocational Education and Training 72(3): 375–395.
  • Keller, Martin und Hans Peter Kurzen. 2012. Intakte Zukunftschancen für die Schweizer Lebensmittelproduktion. Die Volkswirtschaft. Das Magazin für Wirtschaftspolitik 4: 32–33.
  • Rennes, Juliette, Clotilde Lemarchant und Lisa Bernard. 2019. Habits de travail. La Découverte 41: 23–28.
  • Roth, Urban. 2007. Gute Perspektiven für die Schweizer Elektro-, Feinmechanik- und Uhrenindustrie. Die Volkswirtschaft. Das Magazin für Wirtschaftspolitik 10: 39–43.
  • Schweizerisches Dienstleistungszentrum Berufsbildung / Berufs-, Studien und Laufbahnberatung SDBB. 2018. Die 22 Berufsfelder nach Zihlmann.
  • Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). 2016. Fachkräftemangel in der Schweiz. Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage. Bern.
  • Stalder, Barbara E. 2011. Das intellektuelle Anforderungsniveau beruflicher Grundbildungen in der Schweiz. Ratings der Jahre 1999– 2005. Basel: Institut für Soziologie der Universität Basel
  • Zinn, Isabelle V. 2016. La formation professionnelle au service de la division sexuelle du travail. L’exemple du métier de la viande en Suisse. Formation emploi 133: 199–214.
Zitiervorschlag

Kamm, C. (2022). Wie Berufsverbände Berufe vermitteln. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 7(1).

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