Berufsbildung in Forschung und Praxis
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«Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsleben» (TREE)

Der schwierige Weg von der Schule in den Beruf

Immer mehr Jugendliche absolvieren eine Allgemeinbildung, während der Anteil der Lernenden in einer beruflichen Grundbildung kleiner wird. Die soziale Herkunft und der besuchte Schultyp beeinflussen die Bildungslaufbahn in einem hohen Ausmass. Dies ist ein Ergebnis der Studie «Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsleben» (TREE).


Dr. Sandra Hupka-Brunner ist Ko-Projektleiterin der TREE-Studie am Institut für Soziologie der Universität Bern

Sandra Hupka-Brunner, seit 2016 befragt TREE2 junge Leute, die damals die Schule abgeschlossen haben. Was machen diese Leute jetzt?

Die meisten haben eine Lehre oder eine allgemeinbildende Schule abgeschlossen. Sie haben dabei auf beeindruckende Weise den pandemiebedingen Widrigkeiten widerstanden, wie sich in vielen Kommentaren zeigt. Die Mehrheit der Befragten wohnte mit rund 22 Jahren bei den Eltern. Viele zeigen eine positive Lebenseinstellung und freuen sich auf die Zukunft.

Laut Bildungsbericht nimmt die Zahl der Personen in einer beruflichen Grundbildung ab. Was sagen Ihre Zahlen?

TREE1 – die Studie, die 2000 gestartet ist – zählte rund 64% Jugendliche in einer Lehre und 26% in einer Allgemeinbildung. Jetzt liegen diese Werte bei 60% für die Berufsbildung und 32% für die Gymnasien und Fachmittelschulen (FMS). Zugelegt hat auch die Berufsmatura (BM); heute können gut 42% dank BM, Gymi oder FMS ein Studium anfangen.

Und wie viele beginnen tatsächlich ein Studium?

Gemäss Bundesamt für Statistik sind innerhalb von einem Jahr nach Abschluss der Ausbildung gut 25% der Personen mit BM in ein Studium eingetreten, 93% mit gymnasialer Matura und 85% mit Fachmatura. Aber das gehört zur Logik der beruflichen Bildung und ihrer Arbeitsmarktnähe; über einen längeren Zeitraum von zehn Jahren betrachtet steigt die BM-Übertrittsquote dann auf rund 70%.

10% der Jugendlichen von TREE1 erreichte keinen nachobligatorischen Abschluss. Die Erziehungsdirektoren wollen diese Quote auf 5% senken. Ist man heute am Ziel?

Die bildungspolitischen Herausforderungen liegen nicht nur am Übergang zwischen Schule und Lehre, sondern auch in der Zeit danach.

Wir haben das noch nicht berechnet. Aber wir sehen, dass die allermeisten Jugendlichen irgendwann in Berufs- oder Allgemeinbildung einsteigen, etliche aber abbrechen. Die bildungspolitischen Herausforderungen liegen nicht nur am Übergang zwischen Schule und Lehre, sondern auch in der Zeit danach.

22% der TREE2-Kohorte machte ein Zwischenjahr, dabei hat es genug Lehrstellen. Was ist da los?

In der ersten TREE-Kohorte waren es 25%, aber damals war die Lehrstellensituation angespannt. Dass heute die Zahl kaum tiefer ist, kann erstaunen; früher galt das Zwischenjahr oft als Notlösung für schulisch Schwache. Übersehen wurde oft, dass nicht nur die Anzahl der Lehrstellen wichtig ist, sondern auch, wo es welche Lehrstellen gibt und wie sie zu den jungen Leuten passen. Zudem erfordert unsere Zeit, die unübersichtlicher geworden ist, vermutlich mehr Orientierungshilfe.

Wie stark beeinflusst die Herkunft die Karriere?

Der Beruf der Eltern, ihre finanzielle Ausstattung, ihre Bildungsnähe, ein Migrationshintergrund (Zeitpunkt der Migration, Herkunftsland und zu Hause gesprochene Sprache) prägen Bildungs- und Berufslaufbahnen in der Schweiz stark. Sie beeinflussen z.B. die Lese- und Mathematikkompetenzen, die mit Pisa gemessen werden, aber unabhängig davon dann auch die Bildungsentscheidungen beim Übertritt in die Sekundarstufe 1 oder eine nachobligatorische Bildung. Jugendliche aus schlechter gestellten Familien befinden sich bei gleichen Kompetenzen häufiger in Zwischenlösungen, sind öfter von Dropouts betroffen und haben mehr Schwierigkeiten, die Lehre abzuschliessen.

Und wie wichtig ist das Geschlecht für den Ausbildungs- und Erwerbsverlauf?

Auch sehr wichtig. Es gibt Unterschiede in den Berufsfeldern oder Fächern, die Jugendliche wählen, aber auch in den Verlaufsmustern. So finden wir mehr Frauen in Zwischenlösungen und in der Allgemeinbildung. Auch das Erwerbsleben von Frauen und Männern ist schon früh unterschiedlich. Das ist deshalb problematisch, weil Frauenberufe oft weniger Aufstiegschancen bieten und häufig schlechter bezahlt sind. Wir finden bereits lange vor der Familienphase deutliche Lohnunterschiede.

TREE1 zeigte, dass die gegliederte Sekundarstufe I einen starken Einfluss auf die Laufbahn hat. Können Sie das erläutern?

Der Schultyp hat einen starken Einfluss auf die Bildungsverläufe der Jugendlichen, obwohl er kein trennscharfer Leistungsindikator ist.

Nach der Primarschule werden Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I in verschiedene Züge mit unterschiedlichem Anforderungsniveau eingeteilt. Man möchte sie so leistungsadäquat unterrichten. Allerdings erfolgt die Zuteilung schweizweit nicht nach einheitlichen Kriterien und auch nicht immer leistungsgerecht. Zudem sollen die Lehrerinnen und Lehrer ja auch eine Leistungsprognose erstellen, was extrem schwierig ist. Das Ergebnis sind, wie wir sehen können, massive Leistungsüberschneidungen zwischen den Leistungszügen. Diese Überschneidungen sind aber für Lehrbetriebe nicht ersichtlich; sie selektionieren ihre Lernenden häufig nach Schultyp. Der Schultyp hat also einen starken Einfluss auf die Bildungsverläufe der Jugendlichen, obwohl er kein trennscharfer Leistungsindikator ist. Eine von vielen Folgen: Abgängerinnen und Abgänger des Typs «Grundanforderungen» haben – bei gleichen Schulleistungen – eine sechsmal höhere Chance, in eine Lehre mit geringem schulischem Anteil selektioniert zu werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in «Alpha», Tages-Anzeiger

Die TREE-Studie: Zwei grosse Kohorten

Die Studie «Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsleben» (TREE) gehört zu den am meisten genutzten sozialwissenschaftlichen Datenquellen der Schweiz. TREE1 startete im Jahr 2000 mit 6343 Befragten, die seither zehn Mal befragt wurden. 2016 startete TREE2 mit einer zweiten Kohorte von rund 9000 Personen. TREE untersucht, wie junge Menschen in der Schweiz nach der obligatorischen Schule in eine nachobligatorische Ausbildung und dann ins Berufs- und Erwachsenenleben finden. Wie geht es ihnen, was für Pläne haben sie, welche Schwierigkeiten? TREE wird vom Nationalfonds als Infrastrukturprojekt finanziert. Die Forschungsdaten sind in anonymisierter Form auch für andere Forschende zugänglich.

Zitiervorschlag

Fleischmann, D. (2024). Der schwierige Weg von der Schule in den Beruf. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(2).

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