Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Berufsbildung
Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft
Im Kontext der aktuellen ökologischen und sozialen Herausforderungen rückt die Notwendigkeit einer Bildung für nachhaltige Entwicklung immer stärker in den Fokus von Wirtschaft und Gesellschaft. Gerade in ressourcenintensiven Berufsfeldern wie Bau, Elektrotechnik, sowie Chemie und Physik ist es von grosser Bedeutung, Lernende für Bildung für nachhaltige Entwicklung zu sensibilisieren und ihnen entsprechende Kompetenzen zu vermitteln. Die im Rahmen des Projekts «Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE) in der beruflichen Grundbildung» von der Pädagogischen Hochschule Luzern (PHLU) und éducation21 erarbeiteten Handreichungen unterstützen Berufsfachschullehrpersonen, bereits vorhandene BNE-Kompetenzen im Bildungsplan zu erkennen und diese in den Unterricht zu integrieren.
Ausgangslage und Relevanz von Bildung für nachhaltige Entwicklung
Kompetenzen für nachhaltige Entwicklung sind bisher in der Berufsbildung nur unzureichend modelliert.
Herausforderungen wie die Klimakrise verdeutlichen, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) für unsere Gesellschaft wichtiger wird. Dies zeigt sich auch in politischen Initiativen wie der UN Agenda 2030 mit ihren 17 «Sustainable Development Goals», an welchen sich die Schweiz beteiligt. Die Berufsbildung ist aufgrund ihrer Nähe zur Wirtschaft von diesen Herausforderungen besonders betroffen. So hat auch das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) nachhaltige Entwicklung als wichtiges Thema für die Berufsbildung deklariert (Infras, 2020).
Kompetenzen für nachhaltige Entwicklung sind bisher in der Berufsbildung nur unzureichend modelliert (Rebmann & Schlömer, 2019) und daher meist implizit in Bildungsplänen integriert. Deshalb ist es wichtig, Berufsbildungsverantwortliche für das Thema zu sensibilisieren und Berufsfachschullehrpersonen bei der Entwicklung und Gestaltung des Unterrichts zu unterstützen. Im Projekt «BNE in der beruflichen Grundbildung», welches in Zusammenarbeit der PHLU mit éducation21 durchgeführt wurde, wurden Bildungspläne von sechs beruflichen Grundbildungen mit EFZ (Gebäudetechnikplaner/in Heizung, Elektroniker/in, Geomatiker/in, Physiklaborant/in, Verkehrswegebauer/in, Chemie- und Pharmatechnolog/in) systematisch nach impliziten und expliziten BNE-Themen und -Kompetenzen analysiert.
Was ist Bildung für nachhaltige Entwicklung?
Eine allgemeingültige Begriffsdefinition von BNE gibt es bisher nicht. Das BNE-Verständnis ist vielmehr Gegenstand laufender wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Diskussionen. Wie der Aspekt der Entwicklung im Namen andeutet, kann BNE als dynamischer Prozess verstanden werden (Sinakou et al., 2019), dessen Ziele und Ansprüche sich im Laufe der Zeit verändern und sich auch räumlich unterscheiden. Eine profunde Definition, wie nachhaltige Entwicklung als Bestandteil von BNE verstanden werden kann, liefert die «Brundtland-Definition» der UN, welche auch die Basis für das BNE-Verständnis des SBFI darstellt. Nachhaltige Entwicklung bedeutet demnach, dass die aktuelle Generation ihre Bedürfnisse befriedigen kann, ohne dabei die Bedürfnisbefriedigung von künftigen Generationen einzuschränken (United Nations, 1987). Ein mögliches Verständnis von BNE liefert éducation21, welches auch die Basis für das hier vorgestellte Projekt bildet. BNE kann demnach als Bildung verstanden werden, die sich an der Nachhaltigkeit orientiert und die zur nachhaltigen Entwicklung beitragen will. Diese ist jedoch in einem sich verändernden, komplexen globalen Kontext mit zahlreichen Akteurinnen und Akteuren eingebettet und steht unter dem Einfluss von Trends und Neuerungen in der Wissenschaft (z. B. Erkenntnisse zur globalen Erwärmung), der Politik (z. B. Definition des Auftrags des Bildungssystems) sowie von pädagogischen Innovationen (éducation21, 2023).
Was sind BNE-Kompetenzen und wie können sie gefördert werden?
Wenn man sich mit der Frage beschäftigt, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung definiert wird, schliessen daran im Ausbildungskontext der Berufsbildung die Fragestellungen an, was BNE-Kompetenzen sind und wie diese bei Berufslernenden gefördert werden können. Es gibt verschiedene Schlüsselkompetenzen, die durch BNE gefördert werden sollen, wie beispielsweise der Ansatz der Gestaltungskompetenz mit zwölf Teilkompetenzen nach De Haan (2008), der primär in Deutschland und Österreich zur Anwendung kommt. In der Schweiz werden vor allem die zehn BNE-Kompetenzen von éducation21 (2016) benutzt. Die im Rahmen des hier vorgestellten Projekts verwendeten und für ein besseres Verständnis leicht angepassten BNE-Kompetenzen von éducation21 werden im Folgenden genannt:
BNE-Kompetenzen (vgl. éducation21, 2016)
- Eigenverantwortung: Sich als Teil der Welt erfahren
- Werte nachhaltiger Entwicklung: Eigene und fremde Werte reflektieren
- Antizipieren: Zukunftsorientiertes Handeln
- Vernetztes Denken: Umgang mit zunehmender Komplexität und Abhängigkeiten
- Kooperation: Kooperatives Arbeiten
- Partizipation: Gesellschaftliche Mitbestimmung
- Analytisches Denken: Fähigkeit zum Perspektivenwechsel
- Kritisch-konstruktives Denken: Alternative, kreative Denkweise entwickeln
- Nachhaltigkeitsrelevantes Handeln: Handlungsspielräume erkennen und nutzen
- Nachhaltigkeitsrelevantes Wissen: Wissen im Umgang mit Interdisziplinarität, Widersprüchlichkeiten und Komplexität
Sowohl die BNE-Kompetenzen als auch die Gestaltungskompetenzen bauen auf den Schlüsselkompetenzen der OECD im Definition and Selection of Competencies (DeSeCo)-Projekt auf.
BNE-Kompetenzen und -Themen in den Bildungsplänen
Für das Projekt «BNE in der beruflichen Grundbildung» wurde in den Bildungsplänen der sechs erwähnten beruflichen Grundbildungen nach BNE-Kompetenzen, -Dimensionen und -Themen gesucht.
Für das Projekt «BNE in der beruflichen Grundbildung» wurde in den Bildungsplänen der sechs erwähnten beruflichen Grundbildungen nach BNE-Kompetenzen, -Dimensionen und -Themen gesucht. Die BNE-Kompetenzen lassen sich in fachliche, methodische, soziale und personale Kompetenzen unterteilen. Beispiele für BNE-Kompetenzen sind Kooperation (Nachhaltigkeitsrelevante Fragestellungen gemeinsam bearbeiten), Partizipation (gesellschaftliche Prozesse mitgestalten) und Werte nachhaltiger Entwicklung (eigene und fremde Werte reflektieren). Die BNE-Themen sind in den drei BNE-Dimensionen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt verortet. Ein Thema in der Dimension Umwelt ist z.B. Biodiversität, natürliche Ressourcen und Materialien. Die Kombination von BNE-Dimensionen, -Themen und -Kompetenzen ermöglichte es einerseits, an den Lehrplan21 der obligatorischen Schulzeit anzuknüpfen und bietet andererseits Berufsbildungsverantwortlichen die Möglichkeit, aus mehreren Perspektiven BNE im Bildungsplan zu identifizieren.
Heterogene Ergebnisse
Die Bildungspläne der sechs analysierten beruflichen Grundbildungen wurden von drei unabhängigen Personen systematisch nach impliziten und expliziten BNE-Dimensionen, -Themen sowie -Kompetenzen durchsucht. Die Ergebnisse zeigen, dass alle untersuchten Berufe Bezüge zu BNE-Dimensionen, -Themen sowie -Kompetenzen aufweisen. Jedoch bestehen grosse Unterschiede bei der Schwerpunktsetzung in den Bildungsplänen. Die Tabelle 1 zeigt die Verteilung der am häufigsten vorkommenden BNE-Kompetenzen in den jeweiligen Berufen auf (kommt eine BNE-Kompetenz häufiger vor, ist sie in der Tabelle weiter oben). Die drei BNE-Kompetenzen Eigenverantwortung, Vernetztes Denken und Nachhaltigkeitsrelevantes Handeln kommen über alle Berufe hinweg am häufigsten vor und sind in der Tabelle 1 blau hervorgehoben.
Ferner zeigen die Ergebnisse der Untersuchung, dass die in den Bildungsplänen identifizierten BNE-Kompetenzen vor allem Themen der Dimension Umwelt zugeordnet werden können. Die Themen Wirtschaftlichkeit und Wertschöpfung (Wirtschaft), Umweltbelastung und Abfall (Umwelt) und Gesundheit und Wohlbefinden (Gesellschaft) konnten am häufigsten identifiziert werden. Tabelle 2 zeigt auf, welche Themen und Dimensionen (grün: Umwelt, blau: Wirtschaft und gelb: Gesellschaft) in den jeweiligen Berufen am häufigsten vorkommen (kommt ein BNE-Thema häufiger vor, ist es in der Tabelle weiter oben).
Learnings aus dem Projekt
Es konnte festgestellt werden, dass die zu erlernenden BNE-Kompetenzen der verschiedenen Berufe äusserst heterogen sind, auch wenn fünf der sechs Berufe den Berufsfeldern Bau, Elektrotechnik sowie Chemie und Physik (Zihlmann, 2023) zugeordnet werden können. Wie die Analyse zeigt, kommen Themen der Dimension Umwelt am häufigsten vor. Dies könnte möglicherweise daran liegen, dass BNE traditionell mit Themen dieser Dimension in Verbindung gebracht werden. Für künftige Anpassungen und Überarbeitungen von Bildungsplänen könnte daher die Förderung von BNE-Kompetenzen der Dimension Wirtschaft und Gesellschaft in Betracht gezogen werden. Erfreulich ist, dass in allen Berufen BNE-Kompetenzen identifiziert werden konnten. Um allgemeingültigere Aussagen treffen zu können, ist die Analyse von weiteren Bildungsplänen notwendig.
Handreichungen für Berufsbildungsverantwortliche
Für Organisationen der Arbeitswelt können die Handreichungen als Unterstützung dienen, um bei der Überarbeitung von Bildungsplänen zu erkennen, wo BNE bereits gestärkt wird und wo noch Potenzial vorhanden ist.
Die gewonnenen Erkenntnisse wurden in berufsspezifische Handreichungen für Berufsfachschullehrpersonen, Schulleitungen und Organisationen der Arbeitswelt überführt. Diese sollen Berufsfachschullehrpersonen mit konkreten Beispielen für den eigenen Unterricht unterstützen.
Die Handreichungen beginnen jeweils mit einer allgemeinen Begriffsklärung zu BNE. Anschliessend zeigen sie eine Übersicht der im Bildungsplan vorhandenen BNE-Themen und -Kompetenzen des jeweiligen Berufs. Am Schluss werden mehrere didaktische Beispiele aufgeführt, wie die im Bildungsplan identifizierten BNE-Kompetenzen im Unterricht gefördert werden können. Bei den Chemie- und Pharmatechnologinnen EFZ wird beispielsweise die spielerische Lernmethode «Mystery» vorgestellt. Bei dieser Methode werden die Lernenden dazu angeregt, komplexe Zusammenhänge aufzudecken, Verbindungen aufzuspüren und knifflige Fragen zu lösen.
Für Organisationen der Arbeitswelt können die Handreichungen als Unterstützung dienen, um bei der Überarbeitung von Bildungsplänen zu erkennen, wo BNE bereits gestärkt wird und wo noch Potenzial vorhanden ist. Das Analyseraster, welches für das Projekt erstellt wurde, kann verwendet werden, um weitere Bildungspläne zu analysieren.
Weitere Informationen zu den Handreichungen und dem Analyseraster befinden sich auf der Projektwebsite.
Literatur
- De Haan, G. (2008): Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung. In I. Bormann & G. De Haan (Hrsg.). Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Operationalisierung, Messung, Rahmenbedingungen, Befunde, 23-43. Wiesbaden.
- éducation21 (2023). BNE-Verständnis. Eine Arbeitsdefinition für éducation21. Bern: éducati-on21.
- éducation21 (2016). Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Ein Verständnis von BNE und ein Beitrag zum Diskurs. Bern: éducation21.
- Infras (2020). Orientierungshilfe Nachhaltige Entwicklung in der Berufsbildung. Bern: Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).
- Rebmann, K., & Schlömer, T, (2019). Bildung für nachhaltige Entwicklung. Handbuch Berufsbildung. Wiesbaden: Springer.
- Sinakou, E., Boeve-de Pauw, J. & Van Petegem, P. (2019). Exploring the Concept of Sustainable Development within Education for Sustainable Development. Implications for ESD Research and Practice. Environment, Development, and Society, 21. 1–10. https://doi.org/10.1007/s10668-017-0032-8
- United Nations (1987). Our Common Future. Report of the World Commission on Environment and Development. Genf: UN-Dokument.
- Zihlmann, R. (2023). Grundbildungen, höhere Berufsbildungen und Hochschulbildungen nach den 22 Berufsfeldern von René Zihlmann. Zollikofen: SDBB Vertrieb.
Zitiervorschlag
Käslin, F., Gardiol, I. D., & Fischer, S. (2023). Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(11).