Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Neun Thesen zum Thema Klimaschutz in der beruflichen Grundbildung

Die Berufsbildung neu denken

Der Klimawandel beunruhigt die Jugend. In den laufenden Projekten «Berufsbildung 2030» wird er jedoch kaum sichtbar. Die Berufsbildung könnte ein Scharnier sein, um die Wirtschaft im Hinblick auf mehr Ökologie und weniger Energieverbrauch weiterzuentwickeln. Der vorliegende Beitrag zeigt auf, wie die Berufsbildung diesen Herausforderungen begegnen kann. Die Lernenden sollten über die Ursachen und Folgen des Klimawandels besser informiert werden und könnten im Rahmen ihrer beruflichen Grundbildung einen aktiven Beitrag zu deren Bewältigung leisten. Damit würde die berufliche Grundbildung für die Jugendlichen noch attraktiver.


Der Klimawandel und seine Folgen

Die Schweiz als eines der reichsten Länder der Welt mit einer starken Wirtschaftsleistung ist mitverantwortlich für den exponentiellen Anstieg der Emissionen.

Der Klimawandel beschäftigt die Bevölkerung, die Politik und die Wissenschaft. In der Sotomo-Umfrage zum Wahlbarometer der SRG vom Juli 2023 wurden die grössten Herausforderungen für die Stimmbeteiligten erhoben. Der Klimawandel rangiert in der Schweiz mit 40 Prozent der Befragten an erster Stelle – noch vor den Krankenkassenprämien und der Zuwanderung. Wir erleben die Klimaerwärmung täglich: Hitzetage mit neuen Temperaturrekorden, Trockenheit und Waldbrände in der Schweiz. Dazu kommen Sturzregen, Tornados, Überschwemmungen und Murgänge in den Alpen, der Permafrost taut auf. Seit das Eis in der Arktis schmilzt, haben sich die Jetstreams verändert und bewirken mehr statische Wetterzonen.

Der Klimawandel wird heute in Politik und Wirtschaft als teilweise menschengemacht anerkannt. Die Berichte des UNO Weltklimarats IPPC dokumentieren den Anstieg der Treibhausgase auf der Erde in den letzten 50 Jahren. Verantwortlich für den Anstieg sind in erster Linie die industrialisierten Länder auf der Nordhalbkugel der Erde und innerhalb dieser Länder die zehn Prozent der reichsten Bewohner, die durch ihren Lebensstil und Konsum 49 Prozent der Emissionen verursachen. Die Schweiz als eines der reichsten Länder der Welt mit einer starken Wirtschaftsleistung ist mitverantwortlich für den exponentiellen Anstieg der Emissionen.

Die wissen­schaftlichen und politischen Artikel zum Klimawandel sind heute lesefreundlich für junge Menschen aufbereitet[1]. Das Klima hat in der ganzen Menschheitsgeschichte das Verhalten der Menschen schon immer beeinflusst[2]. Heute geht es jedoch darum, dass das Verhalten des Menschen das Klima verändert hat. Die Wissenschaft nennt diese Zeitenwende das Anthropozän, eine Klimaveränderung, die durch unsere Lebensweise und unser Wirtschaften verursacht wird.

2015 wurde auf der Klimakonferenz COP21 das «Übereinkommen von Paris» verabschiedet. 197 Vertragsparteien haben das Abkommen beschlossen, fast alle haben den Vertrag ratifiziert, auch die Schweiz. Das Abkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). Es hat zum Ziel, die Erderwärmung auf möglichst 1,5°C und deutlich unter 2°C Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau von 1850 zu begrenzen. Das Klima- und Innovationsgesetz der Schweiz vom 18. Juni 2023 gibt für die Erreichung der Zielsetzung bis 2050 politische und wirtschaftliche Vorgaben. Ob damit die Ziele erreicht werden können, ist jedoch fraglich. Die Unternehmen der Solar-, Sanitär- und der Gebäudesanierungsbranche sind überlastet. Es fehlen sowohl die Produkte wie die Facharbeiter und Facharbeiterinnen; zudem mangelt es – angesichts der Dringlichkeit der Herausforderung – am politischen Willen, die Realisierung der Klimaziele bis 2050 zu erreichen.

Bewältigungsstrategien von Experten und Expertinnen

Wissenschafter und Wissenschafterinnen beurteilen die Strategien zur Bewältigung des Klimawandels kontrovers. Der Physikprofessor Gerd Ganteför nennt drei Strategien:

  1. Eine globale Strategie: Ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum in den armen Ländern des Südens hebt den Lebensstandard. Damit werden weniger Kinder geboren und das Bevölkerungswachstum nimmt ab. Wenn dazu die Wirtschaft klimafreundlich gestaltet wird, reduziert sich der CO2-Ausstoss automatisch.
  2. Eine lokale Strategie: Eine Umstellung der Kohlekraftwerke auf Gas. Das eliminiert wenigstens 50 Prozent des Treibhausgase bis 2050. Die Ziele des Pariser Abkommens werden dadurch jedoch nicht erreicht.
  3. Eine neue klimafreundliche Technik: Als Naturwissenschafter setzt Ganteför auf die Förderung der Nanotechnik und der Energieproduktion mittels Kernfusion. Die Forschung soll staatlich vorangetrieben werden. Jedoch gibt es bis heute keinen Kernfusionsreaktor, der produktionsreif und sicher ist.[3]

Welzer kritisiert, dass der gegenwärtig praktizierte Lebensstil unserer Gesellschaft durch hypertrophes Wachstum seine eigenen Voraussetzungen konsumiere.

Der Sozialpsychologe Harald Welzer möchte Handlungsspielräume für einzelne Gruppen eröffnen. Welzer plädiert in Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand[4] für einen reduktiven Lebensstil im Gegensatz zum – nicht nur in der westlichen Welt vorherrschenden – «alles immer». Es gehe nicht um Wachstum, Effizienz und Konsum, sondern um Glück und Zukunftstauglichkeit. Weder das Glück noch die Zukunftstauglichkeit hänge aber im Wesentlichen vom Besitz ab. Welzer kritisiert, dass der gegenwärtig praktizierte Lebensstil unserer Gesellschaft durch hypertrophes Wachstum seine eigenen Voraussetzungen konsumiere. Er stellt verschiedene erfolgreiche Formen des Selbstdenkens und -handelns vor, die sich am Gemeinwohl statt dem individuellen Profit orientieren, und animiert dazu, die eigenen Handlungsspielräume zu nutzen.

Die Philosophin Ulrike Herrmann schliesslich plädiert für einen kurzfristigen und zeitlich beschränkten Systemwechsel[5]. Das alternative Wirtschaftsmodell entnimmt sie der englischen Kriegswirtschaft während des zweiten Weltkriegs. Wird das Modell auf die Begrenzung des Klimawandels übertragen, bedeutet das: Der Staat als der verfassungsmässige Verantwortliche für den Schutz der Bevölkerung übernimmt per Gesetz die Steuerung eines Teils der privaten Wirtschaft. Er beauftragt mit quantitativen und qualitativen Vorgaben die Wirtschaft zur Produktion der wichtigsten Güter für eine klimafreundliche Produktion wie Solartechnik, Windkraftwerke, Wärmepumpen und Energiespeicher und garantiert den Absatz. Die Rekrutierung der notwendigen Fachkräfte sowie deren Aus- und Weiterbildung werden mit finanziellen Anreizen gefördert. Angehörige des Militärs und Zivildienstleistende werden als Hilfskräfte für die Montage und Installation eingesetzt.

2018 hat der Wirtschaftsverband Swiss Cleantec das Papier Der Weg in eine klimafreundliche Zukunft vorgelegt; entlang von zwölf umweltrelevanten Themen zeigt es, wie die Technik bis 2050 auf das Pariser Übereinkommen ausgerichtet werden kann. Die Themen sind:

#1 Gebäude auf Effizienz trimmen
#2 Wärme ohne
CO2 produzieren
#3 Verkehr elektrifizieren
#4 Mobilitätsketten bilden und die Arbeit flexibilisieren
#5 Nachhaltige Stromproduktion steigern
#6 Neue Anreize im Strommarkt setzen
#7 In Stromnetze und Speicher investieren
#8 Die billigste Energie ist die nicht verbrauchte
#9 Power-to-X: Mit Solarenergie Wasser spalten
#10 Kreislaufwirtschaft fördern
#11 CO2 braucht weltweit einen Preis
#12 Vorteile der Digitalisierung nutzen
(Swiss Cleantec, 2018)

Damit besteht eine erste Grundlage, auf welche Themen sich die berufliche Grundbildung zumindest in den technischen Berufen ausrichten soll.

Notwendigkeit des Themas für die Berufsbildungsreform

Die zehn Leitlinien des Projekts Berufsbildung 2030 des SBFI mit Expertinnen und Vertretern der Kantone, der Berufsverbände und Organisationen der Arbeitswelt weisen allerdings nichts zum Klimawandel aus.

Für die Berufsbildung sind die dargelegten Vorschläge der Experten und der Expertin sinnvoll. Pusterla, Schweri u.a. (2023) haben in der Berufsbildung die Tendenz beschrieben, dass Berufsverbände und die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) Mühe haben, Innovationen in der Arbeitswelt genügend schnell in die Bildungserlasse zu integrieren. Dies liegt schon mal an der grundsätzlichen Belastung durch die Revision der Bildungspläne alle fünf Jahre und vor allem an den komplexen Aushandlungsprozessen zwischen den verschiedenen Partnern der OdA. Ähnliches gilt für das Thema Klimaschutz, so dass die vorgegebenen Ziele des Klimaschutzes eigentlich nur mit staatlichen Eingriffen in die Autonomie der OdA zu erreichen sind.

Mit staatlichen Vorgaben für die Produktion einzelner klimafreundlicher Güter wie Solarpanels, Windräder oder Wärmepumpen lösen wir das Versprechen einer Reduktion der Treibhausgase bis 2050 ein. Neue Technologien und die Digitalisierung können als Katalysatoren wirken, wenn klimafreundlichere Technologien erfunden werden. So könnte zum Beispiel die Forschung zur besseren Speicherung von Energie im Verbund interessierter Staaten staatlich gefördert werden. Die Handlungsweise im Beruf der Lernenden, die in der Zukunft Arbeitnehmende sein werden, und das Überdenken des persönlichen Lebensstils können allenfalls zur Zielerreichung beitragen.

Die zehn Leitlinien des Projekts Berufsbildung 2030 des SBFI mit Expertinnen und Vertretern der Kantone, der Berufsverbände und Organisationen der Arbeitswelt weisen allerdings nichts zum Klimawandel aus. Einzig das Wort «nachhaltig» weist auf die Problematik hin: «Die Berufsbildung befähigt Menschen nachhaltig für den Arbeitsmarkt.» (Leitlinie 1). Der Begriff der Nachhaltigkeit wird jedoch nicht erläutert.

Damit befinden sich die Berufsfachschulen heute in der gleichen Situation wie in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts, als Georg Kerschensteiner für die Berufsschule eine staatsbürgerliche Erziehung forderte[6], um soziale Unruhen, besonders unter den Jugendlichen, zu verhindern. Die jugendlichen Klimaaktivisten sind heute als «Letzte Generation», als Bewegung «Fridays for future» oder als Gruppe «Renovate Switzerland» organisiert. Das sind Indikatoren, dass Bildungsinhalte und Klimapolitik auseinanderklaffen. Der Glaube, dass sich mit einer Politik der kleinen Schritte der Ausstoss von Treibhausgasen wie CO2 verhindern lasse, schwindet und weicht zum Teil einer existentiellen Angst der Jugend, die Klimaerwärmung nicht mehr überleben zu können. Mit dem Motto «Die Erde brennt, die Schule pennt» kündigten Klimaaktivistinnen im Juni 2023 die Besetzung von Universitäten und Schulen an. Der Übergang vom Protest zu gewaltfreien Aktionen von Klebern auf Strassen ist heute Realität. Zu einer neuen Jugendrevolte mit sozialem Aufruhr und Gewalt sollte es jedoch nicht kommen. In dieser Situation hat die Berufsbildung die Aufgabe, aktiv die begründeten Anliegen der jüngeren Generationen aufzunehmen und zur Lösung der drängenden Fragen des Klimawandels und seinen Folgen für die Wirtschaft beizutragen.

Philipp Gonon (2023) fordert eine grüne, hybride, durchlässige und inklusive Berufsbildung. Seine Überlegungen finden sich in Kurzform ebenfalls in dieser Zeitschrift. Die grüne Berufsbildung umfasst:

  • «Richtlinien für eine grüne Berufsbildung, die Greenwashing vermeidet
  • Explizite Benennung nachhaltiger Ziele in den Bildungsverordnungen und Bildungsplänen
  • Grüne Qualitätszirkel in den Betrieben, geleitet von Lernenden
  • Kombination von fachlich-akademischen, digitalen Fertigkeiten und beruflich-praktischen Fähigkeiten in der beruflichen Bildungspraxis konsequenter fördern und die drei Bereiche aufeinander beziehen
  • Projektorientiertes und selbstorganisiertes Lernen in Betrieb und Schule fördern»[7]

Neben der Umsetzung dieser Bildungsziele braucht es in der beruflichen Bildung grundlegende Änderungen. Philipp Gonon spricht von einer «hybriden Berufsbildung», die das studierte Wissen und praktisches Handwerk kombiniert[8]. Die Lernenden verfügen über berufsspezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in der Praxis von Hand ausgeübt werden. Die Entwicklung einer berufsspezifischen Haptik ist dabei grundlegend. Wer alle Schweissverfahren kennt und «in-der-Hand-hat», ist in der Lage, über Weiterentwicklung oder Alternativen nachzudenken. Das berufliche Können kann für die Gestaltung von Produkten und Prozessen im Sinne von Innovationen genutzt werden. Kombiniert mit dem erarbeiteten Wissen über den Klimawandel und seinen Folgen für die Wirtschaft entsteht ein Gesamt an beruflichen Kompetenzen, das neben der produzierenden Arbeitsweise auch eine kreative und dynamisch zukunftsorientierte Perspektive von neuen Möglichkeiten enthält. Deshalb hat das Handwerk – als traditionelle berufliche Fähigkeit und Fertigkeit – noch ein zweites, kraftvolles Standbein: Die Berufsbildung kann zu einer alternativen und klimaverträglichen Produktion in der Wirtschaft beitragen, in dem das Neudenken und Innovieren des Handelns zum Bestandteil der Ausbildung werden.

Methodisch lohnt sich hierzu die Orientierung am Wissen und Vorgehen der Designerinnen, deren Auftrag im Wesentlichen in der Gestaltung von Neuem besteht. Das Modell des Design Thinking, das in Wirtschaft und Hochschulen verbreitet ist[9], unterstützt Innovations- und Lernsettings, die die geforderten Komponenten einer hybriden Berufsbildung zu vereinen vermögen.

Mit neuen – staatlich genehmigten Bildungserlassen – kann ein Schwerpunkt der Berufsbildung auf den Klimawandel und seine Folgen gesetzt werden.

Mit neuen – staatlich genehmigten Bildungserlassen – kann ein Schwerpunkt der Berufsbildung auf den Klimawandel und seine Folgen gesetzt werden. Das Erforschen und Einüben von neuen klimafreundlichen Technologien bekommt dadurch einen zentralen Stellenwert. Im allgemeinbildenden Unterricht sollen das notwendige Wissen über die Entstehung und die Folgen des Klimawandels erarbeitet und die persönliche Lebensweise im Hinblick auf den Klimawandel reflektiert werden. Die Struktur der beruflichen Grundbildung mit den drei Lernorten Betrieb, überfachlichen Kursen (üK) und Berufsfachschule bleibt unangetastet. Es muss jedoch darüber nachgedacht werden, ob vermehrt lernortübergreifend ausgebildet werden könnte. Der Design Thinking Prozess als Methode bietet einen Rahmen für projekt- und handlungsorientiertes Lernen auf der Suche nach neuen Lösungen.

Was tut die Berufsbildung heute? Ein gutes Beispiel liefert der Bildungsplan Schreiner/in EFZ des VSSM – Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten aus dem Jahr 2013. Er benennt Methodenkompetenzen, die eine grüne Berufsbildung konkretisieren:

M5 Kreatives und lösungsorientiertes Handeln
Schreinerinnen/Schreiner sind offen für Neues und für unkonventionelle Vorgehensweisen. Sie sind fähig, herkömmliche Denkmuster zu verlassen und innovative Ideen aus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten und können auf unvorhergesehene Situationen flexibel reagieren.

M6 Ökologisches Verhalten
Schreinerinnen/Schreiner verhalten sich umweltbewusst und befolgen die entsprechenden Vorschriften. Sie

    • verwenden Energie, Güter, Arbeits- und Verbrauchsmaterial sparsam;
    • gehen mit Einrichtungen sorgfältig um;
    • vermeiden, vermindern, recyceln und entsorgen Abfälle umweltgerecht;
    • vermeiden beim Arbeiten schädlichen oder lästigen Lärm;
    • erkennen Verbesserungsmöglichkeiten»

Diese Kompetenzen werden im Verbund der drei Lernorte vermittelt. Zum Vergleich: Im Bildungsplan betreffend berufliche Grundbildung der Floristin (EBA Abschluss) wird erst in einem Nachtrag von 2015 und auf Empfehlung des Bundesamts für Umwelt (BAFU) das Thema Ökologie und Nachhaltigkeit in den Bildungsplan aufgenommen. Wie und wo das geschehen soll, wird nicht ausgeführt.

Betrachten wir die Bildungspläne der Ausbildungsberufe der Schweiz, so werden Ökologie, Recycling sowie Sparmassnahme betreffend Energieverbrauch praktisch überall als methodische Arbeitsweise genannt, jedoch wenig ausgeführt und zeitlich in der beruflichen Grundbildung nicht umrissen. In dieser Situation sind drei Strategien denkbar.

  1. In den Bildungsplänen werden übergeordnet drei Querschnittsthemen genannt, die im Verbund der Lernorte ausgebildet werden können: Klimawandel und seine Folgen, Kreislaufwirtschaft mit einem geringeren Energieverbrauch und nachhaltige, klimafreundliche Produktion.
  2. In jedem Beruf werden Kompetenzen für eine ressourcenschonende und ökologisch verträgliche Produktion formuliert. Im allgemeinbildenden Unterricht werden Grundlagen zum Klimawandel erarbeitet und eine ökologische Lebensweise reflektiert.
  3. Methodisch lernen Berufslernende in wiederholten berufsübergreifenden Projekten zum Beispiel mit Design Thinking reale Herausforderungen der Betriebe oder des Berufsverbandes in Bezug auf den Klimawandel zu bearbeiten und neue Lösungen zu entwickeln.

Beim Leitthema Klimawandel geht es um alle Projekte, die sich der Verringerung des CO2-Ausstosses zum Thema machen. Beim Thema Kreislaufwirtschaft werden auf energiesparende Verfahren der Produktion geachtet. Der Verbrauch an Ressourcen soll nach Möglichkeit durch Recycling der Produkte minimiert werden. Eine nachhaltige Produktion entsteht, wenn die Lernenden in einem iterativen Design Thinking Prozess das zu bearbeitende Produkt, das Produktionsverfahren oder den untersuchten Ablauf in der Organisation klimafreundlicher gestalten.

Design Thinking als Haltung und Methode

Zwischen Design Thinking und der «Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung BNE» bestehen Zusammenhänge, aber auch Unterschiede. Müller und Schmidberger (2022) haben die Literatur dazu aufgearbeitet. Schon im Brundsland Report von 1987 wurde BNE definiert als eine «Entwicklung, die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen können.» 2015 hat sich die Staatengemeinschaft in einer «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» der UNESCO zu 17 globalen Zielen für eine nachhaltige Entwicklung verpflichtet. Ziel 13 ruft die teilnehmenden Staaten auf, «umgehend Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen zu ergreifen». Die Agenda blieb jedoch ohne Quantifizierung dieser Zielsetzung.

Wer in der Berufsbildung projektorientiert und an konkreten Fragen mit Design Thinking arbeitet, vermittelt nicht nur Prozesswissen für Lösungsentwicklung und Innovation. Gleichzeitig werden auch future skills geschult.

Im Unterschied dazu verlangt die aktuelle Bedrohung durch den Klimawandel mit einem exponentiellen Anstieg des CO2-Ausstosses in den letzten 20 Jahren konkretere Massnahmen, die das «Pariser Übereinkommen» vorgibt. Der in der BNE inhärente Gedanke des fortwährenden Wachstums der Wirtschaft muss heute in Frage gestellt werden. Müller und Schmidberger (2022) übernehmen deshalb von der BNE den Orientierungsrahmen der Ökologie, empfehlen aber für die Umsetzung der Bildungsziele in den Curricula in Lehrerinnenbildung und Schule das Design Thinking. Sie liefern zahlreiche Beispiele auf allen Stufen des Bildungswesens für den erfolgreichen Einsatz des Design Thinking in der Schule.

Design Thinking ist Haltung und Vorgehensmodell zugleich. Entstanden im Umkreis der Tech-Firmen des Silicon Valley, wurde das agile Framework mit Hilfe des SAP-Mitbegründers Hasso Plattner 2003 und dem Gründer der Designfirma Ideo David Kelley an der Stanford D.School der Stanford University zu einem geführten Innovationsprozess entwickelt. Die Design-Haltung heisst Offenheit, Neugier, Mut, Lust am Ausprobieren, Kritik- und Scheiterungsfähigkeit, Optimismus und Beharrlichkeit. In der Handlung nutzt Design Thinking das prozesshafte Arbeiten und Know How der Designer, die das Neue schrittweise im typisch agilen Zyklus von «Ausprobieren mit Prototypen – Feedback holen – Weiterentwickeln» («iteratives Vorgehen») erarbeiten. Hier wird nicht nur «gedacht» sowie kritisch hinterfragt, hier wird auch «gemacht» und das beruflich handwerkliche Können gefordert. Merkmale des Design Thinking sind:

  1. Die Bedürfnisse der Menschen stehen im Zentrum (human centered). Im vorliegenden Kontext sind diese in Einklang zu bringen mit Klimawandel, Kreislaufwirtschaft und klimafreundlicher Produktion.
  2. Keiner denkt für sich allein. Das Arbeiten in interdisziplinären, heterogenen Teams bildet die fachliche und kreative Ressource für Innovation.
  3. Design Thinking Lösungen müssen folgende Kriterien erfüllen: sie sind wünschbar/sinnvoll, machbar und wirtschaftlich bzw. wirkungsvoll (Letzteres z.B. im öffentlichen Sektor, wo es nicht um Gewinn geht, oder in der Bildung, wo Lernprozesse im Vordergrund stehen).
  4. Der Design Thinking Prozess unterscheidet zwei Bereiche mit unterschiedlichen Phasen:
    • Problemraum erforschen und die Design Herausforderung formulieren. Wer das eigentliche Problem und die Bedürfnisse der Menschen erkennt, dem erschliesst sich die Richtung der Lösung – (nicht an Symptomen arbeiten!).
    • Lösungsraum erkunden, Ideen generieren und Lösungen schrittweise über Feedbackschleifen testen, entwickeln und schliesslich verwirklichen. Man beachte: Eine Innovation ist erst dann eine Innovation, wenn sie auch realisiert ist. In der beruflichen Grundbildung kann jedoch nicht erwartet werden, dass die Lösungen von Lernenden direkt in die Produktion eingearbeitet werden können, obwohl dies im Einzelfall möglich sein kann. Primär geht es um reale Probleme des Berufs resp. des Berufsverbands und um das wiederholte Training des kreativen Bearbeitens.

Wer in der Berufsbildung projektorientiert und an konkreten Fragen mit Design Thinking arbeitet, vermittelt nicht nur Prozesswissen für Lösungsentwicklung und Innovation. Gleichzeitig werden auch future skills geschult: Problemanalyse, Empathie, Synthese der Erkenntnisse und Verdichtung auf eigentliche Herausforderungen, Brainstorming und Ideengenerierung, Umsetzen, Ausprobieren und Verfeinern von Ideen über Prototypen, die das Produkt diskutierbar und entwicklungsfähig machen. Prominent werden dadurch auch die sogenannten learning and innovations skills geübt: kritisches Denken, Kreativität, Kommunikation und Kooperation. Diese 4Ks ordnen Sterel u.a. (2008) als «Bildungsschritt in die Zukunft» ein.

Konkrete Schritte hat das Bildungszentrum Limmattal ZH unternommen. Die Weiterbildung des Lehrerteams hat Ledergerber (2021) in ihrer Masterarbeit designtheoretisch begründet, vorbereitet und als «Produkt» durchgeführt. Ein Jahr später hat die Berufsfachschule mit allen Lernenden ein Design Thinking Projekt durchgeführt[10].

Es gibt Design Thinking Handreichungen für Lehrpersonen u.a. des Hoppe Instituts in Potsdam und der Deutschen Telekom. Meinel & Krohn (2022) haben ihre Erfahrungen mit Prozess Thinking Prozessen in der Bildung dokumentiert.

Schlussfolgerungen

Die Berufsbildung neu denken – dies gelingt nur, wenn sich die Haltung aller Akteure, der Ausbilderinnen, der Berufsfachschullehrpersonen und der Lernenden ändert und auf die Herausforderungen der Zukunft ausgerichtet wird.

Eine neue, auf die Herausforderungen durch den Klimawandel ausgerichtete Berufsbildung benötigt in der beruflichen Grundbildung naturwissenschaftliche Theorie und – je nach Beruf – spezifisches Wissen. Gonon 2023 nennt die Verknüpfung der Berufsbildung mit wissenschaftlicher Theorie eine «Hybridisierung der Berufsbildung», die den Anschluss in die Höhere Berufsbildung sicherstellt. Demzufolge müsste die Zeit für den Berufsfachschulunterricht oder die überfachlichen Kurse besonders in den für den Klimawandel relevanten Berufen neu verhandelt werden. Sowohl der allgemeinbildende Unterricht ABU wie auch der berufskundliche Fachunterricht müssten einbezogen werden, damit das notwenige Wissen erworben und die gestalterischen Kompetenzen ausgebildet werden könnten. Zusätzlich sind Lerngewinne für alle Beteiligten möglich, wenn verstärkt lernortübergreifend gearbeitet wird.

Wir fassen die Empfehlungen in neun Thesen zusammen.

  1. Die Berufsbildung nimmt den Klimawandel und seine Folgen in den Bildungserlassen als berufsübergreifendes Querschnittsthema im Verbund der Lernorte auf.
  2. Die Querschnittsthemen sind: Klimawandel und seine Folgen für Mensch und Wirtschaft, Kreislaufwirtschaft und Energieverbrauch, klimafreundliche und nachhaltige Produktion respektive Prozesse. Diese werden in den Bildungsplänen definiert und begründet.
  3. In den Bildungsplänen wird die Möglichkeit der kreativen und auf den Klimawandel ausgerichteten Lernsettings wie die Durchführung von Design Thinking Prozessen formuliert und zeitlich ausgewiesen.
  4. In der Berufsfachschule werden im allgemeinbildenden Unterricht das notwendige Wissen über den Klimawandel und seiner Folgen für die Wirtschaft erarbeitet und der Lebensstil und die persönlichen Handlungsmöglichkeiten reflektiert.
  5. Die Leitthemen Klimawandel, Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Produktion sind für die Berufslernenden inhaltlich offen. Mit Prozessmodellen wie Design Thinking werden die Probleme in kleinen Teams selbständig bearbeitet und sinnvolle neue Lösungen erarbeitet. Es wird Wert auf Kreativität und die effektiven Bedürfnisse der Endkonsumentinnen gelegt.
  6. In der beruflichen Bildung werden die handwerklichen Kompetenzen mit der Gestaltung der Produktion (Design der Produkte) oder der Prozesse (Design der Abläufe) verknüpft. Prototypen werden «anschaulich» und dreidimensional produziert und dienen der kontinuierlichen Verbesserung über Feedbackschleifen.
  7. Die Lernenden leisten in Projektwochen einen aktiven Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels. Es wird eine Lernkultur des selbständigen und kreativen Lernens und Machens in kleinen – möglichst interdisziplinären – Gruppen eingeübt und gepflegt.
  8. Um eine ökologische und klimafreundliche Grundbildung in allen Berufen zu gewährleisten, müssten die Anteile an Schule, überfachlichen Kursen oder Ausbildung im Betrieb neu ausgehandelt werden.
  9. Die Lernenden weisen mit dem Abschluss eines EFZ eine ökologische Grundbildung aus und sind damit anschlussfähig an die Höhere Berufsbildung, die den Klimaschutz ebenfalls bedenken wird.

Mit Blick auf berufliche Grundbildungen mit Berufsattest wird vorgeschlagen, die Anforderung an den Berufsfachschulunterricht anzupassen. Indessen ist es für alle Lernenden wichtig zu erfahren, dass neue Lösungen nicht einfach aus dem Bauch heraus entstehen, sondern in Prozessschritten erarbeitet werden können – wie dies beispielweise das Framework von Design Thinking ermöglicht.

Eine Weiterbildung der Berufsfachschullehrerinnen und der Ausbildner ist zwar notwendig, jedoch überschaubar. Die vorliegenden Thesen bewegen sich in einem fachdidaktischen Rahmen, der bereits vorhanden ist. Dazu gehören das selbständige Arbeiten, die Kommunikation und Kooperation in der Gruppe oder die Analyse der Arbeitsergebnisse. Viele berufskundliche Lehrpersonen sind im Nebenamt tätig. Sie haben den Vorteil, dass sie ebenso im Betrieb arbeiten und die realen Herausforderungen des branchenspezifischen Wirtschaftens kennen.

Die Berufsbildung neu denken – dies gelingt nur, wenn sich die Haltung aller Akteure, der Ausbilderinnen, der Berufsfachschullehrpersonen und der Lernenden ändert und auf die Herausforderungen der Zukunft ausgerichtet wird. Wenn sich die Lernenden in der beruflichen Grundbildung aktiv mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen befassen können, werden sie auf dem Weg in eine klimafreundlichere Zukunft mitgenommen und erfahren sich als mitverantwortliche Gestalterinnen und Gestalter.

Kontaktadresse: martin.straumann@bluewin.ch

[1] (Thunberg, Hrsg. 2022)
[2] (Frankopan, 2023)
[3] (Ganteför et al., 2022)
[4] (Welzer, 2014)
[5] (Herrmann, 2022)
[6] (Gonon, 2023, 133ff.)
[7] Gonon, 2023, 198f.
[8] Gonon, 2023, 33ff.
[9] Zum Beispiel Swisscom oder ETH Zürich
[10] Video des Bildungszentrums Limmattal
 

Quellen

  • Frankopan, Peter. Zwischen Erde und Himmel: Klima – eine Menschheitsgeschichte. Übersetzt von Henning Thies und Jürgen Neubauer. Deutsche Erstausgabe. Berlin: Rowohlt Berlin, 2023.
  • Ganteför, Gerd, Hermann Hess, und Manfred Irsch. Zielführender Klimaschutz. «Netto Null ist nicht gleich absolut Null.» Thurgauer Freisinn Nr. 4 (11. November 2022): 4–6.
  • Gonon, Philipp. Ein Handwerk studieren oder die Revision der Berufsbildung. Bern: hep Verlag, 2023.
  • Herrmann, Ulrike. Das Ende des Kapitalismus: warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind-und wie wir in Zukunft leben werden. 2. Auflage. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2022.
  • Hoppe Foundation, Hrsg. Design Thinking und Schule. Ein Handbuch für den Schulalltag. Weinheim, 2018.
  • Ledergerber, Beatrice: Design-orientiertes Lernen für das 21. Jahrhundert. Grundlagen und Entwurf für eine Weiterbildung von Lehrpersonen an Berufsfachschulen. Unveröffentlichte Masterthese der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW Basel, 2021
  • Meinel Christoph und Timm Krohn (Hrsg.): Design Thinking in der Bildung: Innovation kann man lernen. Weinheim, Wiley-VCH GmbH, 2022
  • Müller, Ulrich, und Iris Schmidberger. Design Thinking und Bildung für nachhaltige Entwicklung: Auf kreativen Pfaden lernen eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. In Design Thinking Im Bildungsmanagement, herausgegeben von Iris Schmidbauer, Sven Wippermann, Tobias Stricker, Ulrich Müller. Wiesbaden: Springer VS, 2022, 79-96.
  • Pusterla Filippo, Schweri Jürg, Strebel Alexandra und Zbinden André: Berufsfeldentwicklung vor dem Hintergrund aktueller Entwicklung und des Strukturwandels. EHB – Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung, 2023
  • Sterel, Saskia, Manfred Pfiffner, Claudio Caduff, und Rita Süssmuth. Ausbilden nach 4K: ein Bildungsschritt in die Zukunft. Bern: hep Verlag, 2018.
  • Thunberg, Greta, Hrsg. Das Klima Buch. Übersetzt von Michael Bischoff und Ulrike Bischoff. Deutsche Erstausgabe. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2022.
  • Welzer, Harald. Selbst denken: eine Anleitung zum Widerstand. 6. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer, 2014.
Zitiervorschlag

Straumann, M., & Ledergerber, B. (2023). Die Berufsbildung neu denken. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(10).

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