Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Reden zur Emeritierung von Philipp Gonon

Freund und Brückenbauer

Philipp Gonon wurde auf Ende 2020 als Lehrstuhlinhaber für Berufsbildung an der Universität Zürich emeritiert. Anlässlich einer Abschiedsveranstaltung vom 22. Januar 2021 würdigten unter anderem André Schläfli und Thomas Deißinger das Wirken Gonons. Schläfli war langjähriger Direktor des SVEB (Schweizerischer Verband für Weiterbildung), Thomas Deißinger ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik I an der Universität Konstanz. Eine Zusammenfassung der Abschiedsrede von Philipp Gonon mit dem Titel «Robinsonaden des Lernens» findet sich ebenfalls in Transfer (Link unten).


Lieber Philipp, liebe virtuelle Festgemeinde
Von Dr. André Schläfli

Die beruflichen Wege von Philipp und mir kreuzten sich vor 40 Jahren. Ich hatte das Vergnügen, mit ihm zusammenzuarbeiten, als er an der Universität Bern tätig war. Wir forschten im Berufsbildungsprogramm «Education et Vie active» (EVA) und schlossen unsere Dissertationen ab. In diesem Kontext entstand auch die Schweizerische Gesellschaft für angewandte Berufsbildungsforschung (SGAB), deren Anliegen der Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis ist, ein gemeinsames Anliegen von uns beiden. Mit vielen weiteren Kollegen blieben wir in dann über die SGAB in Kontakt, Emil Wettstein etwa, mit dem du Bücher zur Berufsbildung geschrieben hast. Wir sind seit fünf Jahren im Vorstand und Ausschuss tätig, Philipp als Vizepräsident.

Aus diesem gemeinsam Wirken hat sich zudem eine langjährige Freundschaft entwickelt. Darum freut es mich sehr, einige Reflexionen zur Person von Philipp zu erötern. Ich werde dies als ehemaliger Direktor der Dachorganisation für Weiterbildung SVEB auch aus der Optik der Erwachsenenbildung machen.

Von der Höheren Berufsbildung verlangte er, sich noch mit mehr theoretischen Inputs auseinanderzusetzen.

Was habe ich bei Philipp immer geschätzt und bewundert? Ich kann diese Frage auf vier Punkte konzentrieren: Er ist und war ein Brückenbauer zwischen Theorie und Praxis, ein Förderer und Unterstüzter von uns allen, offen für Reformen und schliesslich auch ein stiller Revolutionär.

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Philipp hat sich über seine ganze Karriere hinweg für die Brücke zwischen Theorie und Praxis eingesetzt. Diesen Einsatz zeigte er auch, als er von gewissen Kollegen kritisiert wurde, zu wenig «wissenschaftlich» zu sein (was natürlich nicht stimmt). Diese Kritik stammte vielfach aus Kreisen der quantitativen Forschung; Philipp konzentrierte sich demgegenüber auf die qualitative Forschung, ich konnte da viel von ihm profitieren. Seit er in Zürich als Professor arbeitete, fand er die Zeit und engagierte er sich in der Zeitschrift des SVEB (Education Permanente) mit spannenden historischen Artikeln, die uns auch die Entwicklung der Erwachsenenbildung aufzeigte.

Philipp engagierte sich auch seit Beginn in der SGAB (das sind etwa 40 Jahre) und konnte damit an unzähligen Tagungen die Theorie mit der Praxis verbinden. Viele Praktiker/innen hörten ihm sehr gerne zu. Er war sich nicht zu schade, komplexe Phänomene auch in einer einfachen Sprache zu formulieren.

Auch in unserem gemeinsamen Projekt KMU und Weiterbildung leiteten wir eine Verbindung zur Praxis ein. Aufgrund dieser Studie konnte wir zB eine weiterbildungsbezogene Unterstützung für KMU entwickeln, darunter einen kostenlosen Leitfaden, der es KMU erleichtert, ihren Weiterbildungsbedarf zu eruieren und Massnahmen zu planen.

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Ich lernte Philipp zudem als Förderer und Unterstützer kennen. Philipp erkannte den Entwicklungsbedarf in der Berufs- und Weiterbildungsforschung und engagierte sich deshalb für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Dieses Engagement zeigte er in verschiedenen Funktionen: als Forscher, aber auch als Förderer von Assistentinnen und Assistenten, die heute die schweizerische Berufs- und Weiterbildungslandschaft mitprägen. So hat er aus Deutschland spannende Leute eingeschleust – Markus Weil, Katrin Kraus, dann Stefanie Stolz, sie alle sind auch mit der Weiterbildung verbunden. In der Schweiz fehlen oder fehlten Forschende, die sich mit der Weiterbildung beschäftigen. Als Chef war er sehr geschätzt, er forderte viel, war aber immer bereit, sich mit den Problemen und der Förderung seiner Mitarbeiter/innen zu widmen.

Prof. Dr. Katrin Kraus leitet heute das Institut für Weiterbildung und Beratung an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW); sie begann ihre wissenschaftliche Laufbahn in der Weiterbildungsforschung als Assistentin von Philipp Gonon. Nun wird sie erfreulicherweise seine Nachfolge übernehmen, und der wird Berufs- und Weiterbildung heissen – auch dies ist ein Verdienst von Philipp.

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Philipp war offen für Reformen und neue Ansätze. So war es immer ein grosses Anliegen des SVEB und von mir, ein Weiterbildungsgesetz zu etablieren. Bei seiner Entwicklung hat Philipp schon früh mitgewirkt. Zu beachten ist, dass dieser Prozess zwanzig Jahre dauerte. Philipp unterstützte uns tatkräfig mit Artikeln, Aufmunterungen und Engagement. Mitgewirkt hast du da im Forum Weiterbildung, um Kontakte zu Sozialpartnern, Bundesämtern und Kantonen zu schliessen. Philipp übernahm auch die Bibliothek der Erwachsenenbildung des SVEB und pflegte diese weiter.

Seiner Zeit voraus war Gonon bezüglich der Höheren Berufsbildung. So erkannte er früh, dass die Niveaus der Abschlüsse sehr unterschiedlich sind und zeigte dies in einer vom BBT bestellten Studie auf.

Von der Höheren Berufsbildung verlangte er, sich noch mit mehr theoretischen Inputs auseinanderzusetzen, um den Anschluss auch international nicht zu verpassen. In seiner Publikationsliste taucht zum Beispiel die Studie «Statistische Klassifizierung der Höheren Berufsbildung in der Schweiz» von 2008. Dieses Thema ist in der Schweiz höchst politisch. Erst seit 2015 werden die Abschlüsse der Höheren Berufsbildung systematisch evaluiert und den Niveaus des NQR zugeordnet. Da war Philipp wieder mal der Entwicklung voraus.

An einer kürzlich durchgeführten Tagung mit der SGAB engagierte er sich auch für die Titel Professional Bachelor und Professional Master. Offen und reformorientiert zeigte er sich auch zu Themen wie Modularisierung, Qualitätsentwicklung und Anerkennung früher erworbener Kompetenzen.

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Obwohl Philipp immer ein sehr genauer Wissenschaftler war und sein wird (er wird weiter in einem Projekt aktiv sein), verbarg er mit seinem freundlichen Wesen die Seite eines «verdeckten oder stillen Revolutionärs» oder Reformers.Was meine ich damit?

Ich habe einen Blick in seine vielfältigen Publikationen geworfen, da erscheint regelmässig der Begriff Reform. Vor kurzem schrieb er einen Artikel über die «Renaissance der dualen Berufsbildung durch Modernisierung», ein sehr diplomatisch ausgedrückter Titel für dringend notwendige Entwicklungen und Reformen. Obwohl er ein engagierter Befürworter der dualen Berufsbildung ist, trug er gerne mit kritischen Reflexionen zu ihrer Entwicklung bei. Er befürwortete früh den Begriff «Kein Abschluss ohne Anschluss» – kompetente Personen aus der Berufsbildung sollten den Anschluss in die tertiäre Bildung finden. Auch die Verbindung zwischen Erwachsenenbildung und Berufsbildung war ihm immer ein wichtiges Anliegen. So könnten Module sowohl von Erwachsenen wie auch von Lernenden besucht werden. Lernende können, wenn sie engagiert sind, die Lehre in zwei Jahren statt in drei Jahren absolvieren. Die Universitäten können eine Brücke zur Berufsbildung bauen, wie er in seiner Abschiedsvorlesung betonte, denn Handwerk und Wissen bilden letztlich etwas Gemeinsames. Er nennt es: The complete craftsman. So sollen neben dem Handwerk auch Sprachen gelernt werden.

Philipp brachte immer Ideen ein und war ein offener Geist, kein Elfenbeinturm-Wissenschaftler. Er war dabei ein verdeckter Revolutionär, weil er immer auch den Kompromiss suchte, vermittelnd wirkte und positive Gedanken in Diskussionen einbrachte.

(…)

Jetzt wirst du in den Projekten, in denen du noch aktiv bist, frei von der Verantwortung als Professor eines Lehrstuhles dein Wissen und dein Engagement mit jungen Wissennschaftler/innen weitergeben können. Dabei und bei all deinen weiteren Aktivitäten wünsche ich dir alles Gute!


Lieber Philipp
Von Prof. Dr. Thomas Deißinger

Mich freut es sehr, dass unsere Verbundenheit und damit auch die daraus hervorgehende Verbundenheit der Konstanzer Wirtschaftspädagogik mit dem Züricher Institut für Erziehungswissenschaft nun schon mehr als zwanzig Jahre Bestand hat und hoffentlich weiterhin haben wird. Mein Gruß zu deiner Emeritierung kommt grenznah und sowohl mit einer persönlichen als auch einer fachlich-wissenschaftlichen Akzentuierung.

Erstmal zum Persönlichen

Ich schätze dich aus einem persönlichen Grund sehr. Ich zähle die vielen Zusammenkünfte an internationalen und nationalen Tagungen (inklusive unserer deutschprachigen BWP-Tagung) oder bei gemeinsamen Vorträgen (wie in Darwin und in Ballarat, aber auch anlässlich der JVET-Konferenz in Oxford [Journal of Vocational Education and Training]) und die damit assoziierten Reisen zu meinen schönsten, dienstlich motivierten Reise- und Konferenzerfahrungen. Deine Unterstützung und Mitarbeit in unseren EU-Projekten reichen bis in die heutige Zeit. Deine vielfältigen Hilfen in den (schwierigen) Berufungskommissionen in Konstanz waren für mich sehr wichtig, auch wenn nicht alles von Erfolg gekrönt war. Ich habe die Verankerung der Berufspädagogik in Zürich immer bewundert, auch wenn wir mittlerweile auch in Konstanz dieser wichtigen Disziplin einen soliden Weg weisen konnten.

Unser fast synchron verlaufener Weg auf eine Professur soll hier nicht unerwähnt bleiben, aber natürlich auch nicht dein Humor und deine vielfältigen wissenschaftlichen und kulturellen Interessen, die neben dem Wissenschaftlichen deines Profils und deiner Persönlichkeit immer beeindruckend waren. So war es quasi selbstverändlich, dass die wissenschaflichen Reisen auch in irgendeiner Form mit Kultur angereichert waren. Beeindruckend für mich sind und waren zudem deine unglaublich vielen und vielfältigen Kontakte in alle Länder und Kontinente dieser Erde, die weit über das hinausgehen, was ich selber international erschlossen habe. 

Jetzt zum Fachlich-Wissenschaftlichen

Philipp Gonon hat die allgemeinde und berufliche Bildung nicht als Gegensätze betrachtet.

Dieser Aspekt unserer kollegialen Verbundenheit hat mehrere Ausprägungen.

  • Auch wenn du einen Lehrstuhl für Berufsbildung geleitet hast, waren und sind die Fragestellungen und Perspektiven deiner Forschung ausgesprochen vielseitig, was sicherlich auch mit deiner multidisziplinären Sozialisation und deiner Verbundenheit mit der Allgemeinen Erziehungswissenschaft zu tun hat. Genau dies ist es aber, was ich schätze und was in unserer heutigen Disziplin leider nicht mehr oft vorkommt.
  • Deine interessanten und facettenreichen Vorträge haben mich immer beeindruckt, und sie waren eben auch Ausdruck genau dieser vielseitigen Interessenslage und Spiegelbild deiner Publikationen, die sich vor allem auch mit historischen und bildungstheoretischen Fragen befassen.
  • Deine Aktivitäten in der international vergleichenden Berufsbildungsforschung verbinden uns natürlich besonders. Ich verweise nochmals auf die JVET-Konferenzen, bei denen man sich diesen Fragen intensiv widmet, ohne Randthemen aus den einzelnen Ländern zu vernachlässigen.
  • Deine Fokussierung auf «klassische» Themen der Pädagogik haben auch damit zu tun, dass du allgemeine und berufliche Bildung nicht als Gegensätze betrachtest. Hierbei baut vieles natürlich auf deiner Beschäftigung mit Georg Kerschensteiner und anderen Klassikern wie deinem Landsmann Heinrich Pestalozzi auf.
  • Deine Perspektiven auf sowohl historisch-bildungstheoretische wie auch aktuelle Themen sowie auf aktuelle Entwicklungen in der Bildungs- und Berufsbildungspolitik sind ebenfalls etwas, was uns verbindet. Ich erinnere hier an das EU-Leonardo-Projekt über Hybrid Qualifications, an dem du mitgewirkt und in das du das Schweizer Beispiel der Berufsmaturität eingebracht hast.
  • Zuletzt freue ich mich über die gemeinsamen Publikationen; aktuell steht ja ein von uns gemeinsam editiertes Sonderheft des JVET zur Veröffentlichung an, das sich mit der History of Vocational Education in komparativer Sicht befasst.

Summa summarum bist du für mich der Berufsbildungsexperte der Schweiz und ein wichtiger Kollege, mit dem mich eben auch persönlich vieles verbindet. Ich möchte zum Schluss die Bandbreite deiner Publikationen und Projektaktivitäten benennen. Sie reichen von der Geschichte der beruflichen Bildung und der klassischen Berufsbildungstheorie (Kerschensteiner) über die international vergleichende Berufsbildungsforschung, die Politik und Strukturen der schweizerischen Berufsbildung (vor allem die Berufsmaturität und ihre Relevanz für die vergleichende Forschung) bis hin zur beruflichen Weiterbildung, die dich vor allem während deiner ersten Professur in Trier beschäftigt hat.

Ich wünsche dir, dass du uns weiterhin mit deinen Vorträgen und Publikationen erfreust und dass du der Berufs- und Wirtschaftspädagogik wie auch der international vergleichenden und der historischen Berufsbildungsforschung noch lange erhalten bleibst!

Herzliche Grüße, Thomas

Reden gehalten an der wegen Corona virtuell durchgeführten Emeritierungsfeier von Philipp Gonon am Freitag, 22. Januar 2021.

Die Zusammenfassung der Abschiedsvorlesung von Phlipp Gonon vom 17. Dezember 2020 findet sich in Transfer 2/2021.

Zur Professur von Philipp Gonon

2004 hat die Universität Zürich einen Lehrstuhl für Berufsbildung geschaffen und ihn mit Philipp Gonon besetzt. Gonon war zum damaligen Zeitpunkt als Professor für berufliche, betriebliche Weiterbildung an der Universität Trier tätig und konnte seine Eignung auch mit Hinweis auf seine Habilitation (eine vergleichende Studie zu bildungspolitischen Diskursen in England und der Schweiz), seine Dissertation (Arbeitsschule) und seine Lizenziatsarbeit (Lehrwerkstätten) belegen. Seinen Forschungsschwerpunkt bildet heute – wie es sich schon in den erwähnten Arbeiten Gonons abgezeichnet hatte – die Auseinandersetzung mit der Genese beruflicher Bildung in der Schweiz. Weitere Aktivitäten Gonons sind international vergleichende Arbeiten im Bereich Qualitätssicherung und Evaluation. Bildungspolitische Verdienste erwarb sich Philipp Gonon mit der Auseinandersetzung mit der informellen Weiterbildung zu einem Zeitpunkt, als dieser Bereich weder gesetzlich geregelt war noch von den Trägern der Berufsbildung in ihrer Bedeutung wahrgenommen wurde. Gonon verfasste gleich mehrere Studien zu diesem Thema. So ist es wohl kein Zufall, dass an der Emeritierungsfeier am 22. Januar 2021 unter anderem André Schläfli sprach. Schläfli war langjähriger Direktor des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung (SVEB). Die Nachfolge von Philipp Gonon tritt Katrin Kraus am 1. Mai 2021 an. Ihr Lehrstuhl heisst dann «Berufs- und Weiterbildung».

Daniel Fleischmann, Transfer

Zitiervorschlag

Schläfli, A., & Deißinger, T. (2021). Freund und Brückenbauer. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 6(2).

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