Worauf junge Leute achten, wenn sie eine (Lehr-) Stelle wählen
Geld, Sicherheit oder regelmässige Arbeitszeit?
Beim Übergang von der obligatorischen Schule in die Berufsausbildung und dann in den Arbeitsmarkt treffen Jugendliche folgenschwere Entscheidungen. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit zwei solchen Entscheidungen: der Wahl einer Lehrstelle sowie der Wahl der ersten Arbeitsstelle nach der Lehre. Mit zwei Experimenten zeigen wir, dass die inhaltliche Passung der (Lehr-)Stelle mit der gewünschten beruflichen Spezialisierung das wichtigste Kriterium für die Wahl einer (Lehr-)Stelle ist. Reguläre Arbeitszeiten ohne Wochenend- und Abenddienst sowie die Möglichkeit, nach der Lehre vom Betrieb übernommen zu werden, sind weitere Kriterien. Zudem zeigt sich, dass junge Erwachsene bereit sind, Einbussen im Gehalt ihrer ersten Anstellung hinzunehmen, wenn ihnen ein unbefristeter Vertrag angeboten wird oder das Unternehmen Weiterbildungswünsche unterstützt.
Einleitung
Im Rahmen der Choice-Experimente wurde den Teilnehmenden der DAB-Panelstudie eine Reihe von hypothetischen (Lehr-) Stellenangeboten vorgelegt.
Die Entscheidungen, die beim Übergang von der Schule in den Beruf getroffen werden, sind von zentraler Bedeutung im Leben junger Erwachsener und bestimmen deren weiteres (Berufs-)Leben massgeblich. Nach der Entscheidung für eine duale berufliche Ausbildung, anstelle des Besuchs einer allgemeinbildenden Schule (Glauser 2015; Becker und Glauser 2018), und der Wahl eines spezifischen Lehrberufes (Becker und Glauser 2015), beginnt die Suche nach einer Lehrstelle in einem passenden Betrieb. Dabei stehen Jugendliche allenfalls vor der Situation, dass ihnen mehrere mögliche Lehrstellenangeboten vorliegen und sie sich für ein bestimmtes Angebot entscheiden müssen. Nach Abschluss der Berufslehre beginnt die Stellensuche in der Regel erneut, so dass die Entscheidung, wo und unter welchen Bedingungen ein Arbeitsverhältnis eingegangen wird, erneut zu treffen ist. Die Entscheidung zwischen Stellenangeboten ist jedoch nicht nur aus Sicht der (angehenden) Lernenden von Bedeutung. Auch Betriebe konkurrieren um motivierte und qualifizierte Bewerbende. Die Kenntnis der Präferenzen von Stellensuchenden hilft (Lehr-)Betrieben bei der Rekrutierung geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten.
Entscheidungsprozesse bei Bildungsübergängen und beim Erwerbseintritt stehen im Vordergrund der DAB-Panelstudie (Determinanten der Ausbildungswahl und der Berufsbildungschancen), in welcher Bildungs- und Erwerbsverläufe von rund 3000 jungen Erwachsenen der Deutschschweiz untersucht werden. Um herauszufinden, welche Aspekte bei der Entscheidung für eine (Lehr-)Stelle der (zukünftigen) Lernenden wichtig sind, wurden in der zweiten und fünften Erhebung der DAB-Panelstudie sogenannte Choice-Experimente durchgeführt. Die Ergebnisse, welche wir hier zusammenfassen, sind inzwischen im Journal of Choice Modelling publiziert und online open access verfügbar.1
Methodisches Vorgehen
Im Rahmen der Choice-Experimente wurde den Teilnehmenden der DAB-Panelstudie eine Reihe von hypothetischen (Lehr-)Stellenangeboten vorgelegt. Im Anschluss wurden die Befragten gebeten, anzugeben, für welche Stellenangebote sie sich entscheiden würden. Indem die Arbeitsbedingungen der vorgelegten Angebote systematisch variiert werden, lässt sich feststellen, welche Bedeutung die Teilnehmenden einzelnen Merkmalen der Stellenangebote zuschreiben (Auspurg und Liebe 2011).
Das erste Experiment befasst sich mit der Entscheidung für eine Lehrstelle und wurde während der zweiten Welle der DAB-Panelstudie im Jahre 2012 durchgeführt. Schülerinnen und Schüler, die sich zum Zeitpunkt der Befragung am Anfang der neunten Klasse befanden und sich bereits für einen Lehrberuf entschieden hatten, wurden aufgefordert, sich die folgende Entscheidungssituation vorzustellen:
Du hast dich bei verschiedenen Ausbildungsbetrieben beworben und zwei Angebote für eine Lehrstelle erhalten. Die Lehrstellenangebote unterscheiden sich in verschiedenen Punkten:
• Wie viel du im 1. Ausbildungsjahr verdienst (400 – 700 CHF).
• Ob du nach der Berufsausbildung im Lehrbetrieb eine feste Anstellung bekommen kannst (ja oder nein).
• Wie lange du für den Arbeitsweg zwischen deinem Wohnort und dem Lehrbetrieb am Morgen brauchst (in Minuten).
• Wie deine Arbeitszeiten sind (tagsüber, von Mo. bis Fr. oder teilweise auch am Abend und am Wochenende).
• Ob du das, was dich an dieser Ausbildung am meisten interessiert, im Lehrbetrieb auch machen kannst (eher ja – eher nein). Beispielsweise möchtest du am liebsten Schreiner/in werden und lernen, wie Möbel hergestellt werden. Der Ausbildungsbetrieb stellt aber nur Türen her.
Du hast nun die Aufgabe zu entscheiden, welches Lehrstellenangebot du annehmen möchtest. Du kannst jeweils auch beide Angebote ablehnen.
Den Befragten wurden anschliessend jeweils zwei Lehrstellenangebote in tabellarischer Form vorgelegt (siehe Abbildung 1). Allen 1500 Teilnehmenden wurden sechs solcher Tabellen nacheinander präsentiert, so dass insgesamt 9000 Entscheidungen erhoben werden konnten.
Im zweiten Choice-Experiment wurde der Übergang von der Berufsausbildung in die erste reguläre Beschäftigung untersucht. Das Experiment wurde 2016 in der fünften Welle der DAB-Panelstudie implementiert und ist analog zum ersten Experiment aufgebaut: Alle Auszubildenden, die nach Abschluss ihrer Berufslehre eine Erwerbstätigkeit anstrebten, wurden gebeten, sich in die folgende Entscheidungssituation hineinzuversetzen:
Sie haben sich auf verschiedene Stellenangebote beworben und 2 Arbeitgeber bieten Ihnen eine Stelle an. Die beiden Stellenangebote unterscheiden sich in verschiedenen Punkten:
- Der Lohn entspricht Ihren Vorstellungen oder der Lohn ist höher oder tiefer als erwartet.
- Wie lange Sie für den Arbeitsweg zwischen Ihrem Zuhause und dem Arbeitsort am Morgen brauchen (in Minuten).
- Ob Sie das, was Sie an einem Beruf am meisten interessiert, tatsächlich machen können (eher ja – eher nein). Beispielsweise sind Sie Schreiner und möchten Möbel herstellen. Der Betrieb stellt aber ausschliesslich Türen her.
- Ob sich Ihr zukünftiger Arbeitgeber finanziell an Ihrer beruflichen Weiterbildung beteiligen würde.
- Ob die Stelle befristet (zum Beispiel für 6 Monate) oder unbefristet ist.
- Ob es sich um eine Vollzeitstelle (100%) oder eine Teilzeitstelle (80%) handelt.
Nun haben Sie die Aufgabe zu entscheiden, welche Stellenangebote Sie annehmen möchten. Sie können jeweils auch beide Stellenangebote ablehnen.
Den 420 Befragten wurden jeweils vier Entscheidungssituationen mit jeweils zwei Optionen tabellarisch präsentiert (Abbildung 2), so dass 1662 Entscheidungen erhoben werden konnten.
Die Bedeutung, welche die Personen den einzelnen Stellenmerkmalen zuschreiben, kann anhand der so generierten Informationen mit konditionalen logistischen Regressionsmodellen2geschätzt werden. In den verwendeten Regressionsmodellen wird geschätzt, wie stark sich ein Merkmal (Attribut) eines (Lehr-)Stellenangebots auf die Entscheidung für eine der beiden Alternativen auswirkt. Erhöht sich beispielsweise die Chance, dass eine Arbeitsstelle gewählt wird, wenn bei gleichen Arbeitsbedingungen ein befristeter anstelle eines unbefristeten Vertrags angeboten wird? Eine weitere Besonderheit dieser Methode besteht darin, dass die sogenannte Willingness to Pay (Auspurg und Liebe 2011) berechnet werden kann, d.h. inwieweit Personen bereit sind, auf Lohn zu verzichten, wenn sie dadurch von anderen vorteilhaften Arbeitsbedingungen profitieren können.
Ergebnisse
Die Analysen bestätigen unsere theoretischen Erwartungen weitgehend: Alle im Experiment aufgenommenen monetären und nicht-monetären (Lehr-)Stellenmerkmale beeinflussen die Wahl der Lehrstelle bzw. die Wahl der ersten Stelle nach Beendigung der Berufsausbildung.
Ein höheres Einkommen, ein kürzerer Arbeitsweg, die Möglichkeit vom Unternehmen übernommen zu werden und reguläre Arbeitszeiten erhöhen die Attraktivität eines Lehrstellenangebots. Das wichtigste Merkmal ist jedoch, ob die Lehre der gewünschten beruflichen Spezialisierung entspricht. Die Berechnung der Willingness to Pay (in Tabelle 1 dargestellt) zeigt, dass ein Ausbildungsbetrieb monatlich zusätzliche 395 CHF offerieren muss, um dafür auszugleichen, wenn die ausgeschriebene Stelle nicht der gewünschten Spezialisierung entspricht. Falls die Lehrstelle mit Arbeitseinsätzen am Abend und am Wochenende einhergeht, ist dies durch zusätzliche 269 CHF zu kompensieren. Zudem ist den angehenden Lernenden die von ihrer Lehrstelle gebotene Zukunftsperspektive wichtig. Stellt der Betrieb eine Übernahme nach erfolgreichem Lehrabschluss in Aussicht, sind Jugendliche bereit, einen um 265 CHF tieferen Lehrlingslohn zu akzeptieren.
Auch für die Wahl der ersten Beschäftigung nach der Ausbildung gilt, dass die inhaltliche Passung der Arbeitsstelle das wichtigste Kriterium bei der Entscheidung zwischen alternativen Stellenangeboten ist. Ein zusätzliches Monatseinkommen von 1’162 CHF ist nötig, um eine fehlende Übereinstimmung von gewünschter Spezialisierung und Stellenprofil zu kompensieren. Zusätzlich zeigen unsere Ergebnisse, dass eine Teilzeitbeschäftigung im Allgemeinen bevorzugt wird. In allen Branchen präferieren sowohl Männer als auch Frauen eine 80%-Stelle, solange diese nicht mit einer deutlichen Lohneinbusse einhergeht. Dabei sind Männer bereit, ein niedrigeres Gehalt von durchschnittlich 550 CHF in Kauf zu nehmen. Bei Frauen liegt dieser Betrag mit durchschnittlich 630 CHF leicht höher, wobei dieser Unterschied statistisch nicht signifikant ist. Des Weiteren zeigt sich, dass Auszubildende bereit sind, tiefere Löhne zu akzeptieren, wenn ein Unternehmen zusichert, sich finanziell an deren Weiterbildung zu beteiligen. Dies zeigt sich sogar für jene Befragten, die in der näheren Zukunft keine Weiterbildung aufnehmen möchten. Darüber hinaus erhöhen eine kürzere Pendelzeit und ein unbefristeter Vertrag die Attraktivität eines Stellenangebots und können ein geringeres Lohnniveau kompensieren.
Fazit
Ein höheres Einkommen, ein kürzerer Arbeitsweg, die Möglichkeit vom Unternehmen übernommen zu werden und reguläre Arbeitszeiten erhöhen die Attraktivität eines Lehrstellenangebots. Das wichtigste Merkmal ist jedoch, ob die Lehre der gewünschten beruflichen Spezialisierung entspricht.
Die Ergebnisse unserer Studie verdeutlichen, dass (zukünftige) Lernende bei der Entscheidung zwischen (Lehr-)Stellenangeboten verschiedene monetäre und nicht-monetäre Merkmale berücksichtigen. Dabei zeigt sich eine eher geringe Relevanz der Ausbildungsvergütung bei der Wahl einer Lehrstelle. Wichtiger als ein hohes Einkommen sind den Jugendlichen gute Arbeitsbedingungen, die Möglichkeit, nach der Ausbildung vom Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden, und dass die Lehre inhaltlich ihren Interessen entspricht. Auch bezüglich der ersten Erwerbstätigkeit nach Beendigung der Berufslehre ist die inhaltliche Passung der Arbeitsstelle das wichtigste Entscheidungskriterium der Stellensuchenden.
(Lehr-)Betriebe, welche mit begrenzten finanziellen Ressourcen Lernende und Mitarbeitende anwerben wollen, sollten daher in ihren Stellenausschreibungen positive nicht-monetäre Arbeitsbedingungen hervorheben. Eine Übernahme nach Beendigung der Ausbildung in Aussicht zu stellen, Unterstützung bei Weiterbildungsvorhaben anzubieten oder ein unbefristeter Arbeitsvertrag können ein vergleichsweise niedriges Lohnniveau kompensieren, und somit einen kostenneutralen Anreiz darstellen, motivierte und qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber zu gewinnen.
1 Möser, S., Glauser, D. & Becker, R. (2019). Valuation of Labour Market Entrance Positions among (future) Apprentices – Results from two Discrete Choice Experiments. Journal of Choice Modelling.2 Eine ausführliche Erklärung der angewandten statistischen Verfahren und deren theoretischen Grundlagen wird in der Publikation Möser, Glauser und Becker (2019) gegeben.
3 Als Reservation Wage bezeichnet man den niedrigsten Lohn, für den Personen bereit sind, zu arbeiten.
Literatur
- Auspurg, K. & Liebe, U. (2011). Choice-Experimente und die Messung von Handlungsentscheidungen in der Soziologie. KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 63 (2): 301-314.
- Becker, R. & Glauser, D. (2015). Geschlechtsspezifische Berufswünsche und Ausbildungsentscheidungen. In Haefeli, K., Neuenschwander, M. und Schumann, S. (Hg.): Berufliche Passagen im Lebenslauf. Befunde zu beruflichen Übergängen und Verläufen in der Schweiz. Wiesbaden: Springer VS.
- Becker, R., & Glauser, D. (2018). Berufsausbildung, Berufsmaturität oder Mittelschule? Soziale Selektivität beim Übergang in die Sekundarstufe II in der Deutschschweiz. Swiss Journal of Sociology. 44 (1): 9–33.
- Glauser, D. (2015). Berufsausbildung oder Allgemeinbildung. Soziale Ungleichheiten beim Übergang in die Sekundarstufe II in der Schweiz. Wiesbaden: Springer VS.
- Hole, A. R. (2007). A comparison of approaches to estimating confidence intervals for willingness to pay measures. Health Economics. 16 (8): 827–840.
Zitiervorschlag
Becker, R., Glauser, D., & Möser, S. (2019). Geld, Sicherheit oder regelmässige Arbeitszeit?. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 4(3).