Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Zur Bedeutung von Berufswahl, Geschlechtstypik des Berufes und Feedback am Arbeitsplatz

Lob macht stark

Viele Jugendliche freuen sich auf die Lehre. Sie haben einen Beruf gefunden, der zu ihnen passt und glauben, dass sie die Anforderungen bewältigen können. Wie eine Studie nun nachweist, sind dies gute Voraussetzungen für einen Lehrbeginn mit einer tiefen Belastungswahrnehmung, die wiederum zu einem hohen beruflichen Commitment beiträgt. Ein positiver Start in die Lehre hängt jedoch nicht nur von einer guten Vorbereitung der Jugendlichen ab. Auch Berufsbildende können einen Beitrag leisten, indem sie den Lernenden häufig konstruktive Rückmeldungen geben. Gerade Jugendliche in geschlechtsuntypischen Berufen sind in besonderem Masse darauf angewiesen.


Beim Eintritt in die berufliche Grundbildung werden Jugendliche mit neuen Aufgaben und Rollen konfrontiert. Diese Änderungen sind begleitet von Unsicherheit und Druck, sich auf neue Situationen einstellen zu müssen, was sie belasten kann (Neuenschwander et al., 2012). Berufliche Belastungen reduzieren das berufliche Commitment, welches Jugendliche im Laufe ihrer Ausbildung entwickeln. Das berufliche Commitment bezeichnet die Bindung und das Engagement, das Lernende zu ihrem Beruf aufbauen. Frühere Studien berichten, dass sich ein ausgeprägtes berufliches Commitment in einer erhöhten Motivation zeigt und zu besseren Leistungen und erfolgreicheren Ausbildungsabschlüssen führt. Für die wirksame Begleitung von Jugendlichen beim Übergang in die berufliche Grundbildung ist es für die Berufsberatungen, aber auch für Lehrpersonen und Eltern wichtig, die Bedingungen von Arbeitsbelastungen und beruflichem Commitment von Lernenden zu kennen. Im vorliegenden Text steht daher die Frage im Zentrum, welche Faktoren zu geringen Belastungen und hohem beruflichem Commitment führen.

Wie wir vorgegangen sind

Zur Beantwortung dieser Frage haben wir ein Analysemodell entwickelt und mit Daten aus dem Projekt «WiSel – Wirkungen der Selektion» überprüft. Das noch laufende Projekt wird vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation gefördert und am Zentrum Lernen und Sozialisation der Pädagogischen Hochschule FHNW durchgeführt. In diesem Projekt wurden 2011 ca. 1800 Jugendliche im fünften Schuljahr mit ihren Eltern und Lehrpersonen aus den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern und Luzern für eine Studienteilnahme angefragt. Ein Teil dieser Jugendlichen wurde auch im 6., 7. und 9. Schuljahr sowie im ersten Jahr nach Schulaustritt befragt. Zudem wurden bei Schulübertritten zusätzliche Jugendliche in die Studie mitaufgenommen. Für die vorliegenden Analysen wurden die Daten von 553 männlichen und 713 weiblichen Jugendlichen im 9. Schuljahr sowie im ersten Lehrjahr ausgewertet.

Rolle der Berufsvorbereitung

Die Eingangsfrage wurde auf der Basis der sozial-kognitiven Laufbahntheorie von Lent und Brown (2008) bearbeitet. Diese geht davon aus, dass eine hohe Belastungswahrnehmung am Arbeitsplatz hauptsächlich daraus resultiert, dass der Fortschritt bei der Arbeitszielerreichung als gering bewertet wird. Wenn Jugendliche also meinen, die Ausbildungs- und Arbeitsziele nur teilweise zu erreichen, nimmt ihre Belastungswahrnehmung zu. Nach dem Modell hängt die wahrgenommene Belastung überdies von Erwartungen der Jugendlichen an den Arbeitsplatz sowie von ihrer Selbstwirksamkeit ab. Jugendliche, welche über eine hohe Selbstwirksamkeit verfügen und vor dem Übertritt positive Erwartungen an den Lehrbetrieb aufbauen, wissen besser, wie sie sich im Betrieb integrieren können. Sie nehmen die Arbeitssituation daher als weniger belastend wahr und entwickeln ein höheres berufliches Commitment. Ihre Erwartungen an den Arbeitsplatz und ihre Selbstwirksamkeit können Jugendliche zum Beispiel im Rahmen einer Schnupperlehre entwickeln, in welcher sie sowohl den Beruf als auch den Betrieb kennenlernen und ihre beruflichen Fähigkeiten unter Beweis stellen können.

Die Analysen bestätigten die Annahme, wonach die Selbstwirksamkeit und die Erwartungen an die Arbeitsbedingungen im 9. Schuljahr die Arbeitsbelastungen nach Lehreintritt vorhersagen.

Die im Rahmen des WiSel-Projekts durchgeführten Analysen (sogenannte. Strukturgleichungsmodelle) bestätigten die Annahme, wonach die Selbstwirksamkeit und die Erwartungen an die Arbeitsbedingungen im 9. Schuljahr die Arbeitsbelastungen nach Lehreintritt vorhersagen. Jugendliche, die von sich überzeugt waren, dass sie die (beruflichen) Herausforderungen meistern können und die ihre Lehre mit positiven Erwartungen in Angriff nahmen, fühlten sich weniger überfordert und nahmen ihre Arbeitssituation als weniger belastend wahr. Sie entwickelten in der Folge ein höheres Commitment.

Geschlechtersegregation und Feedback

Gemäss dem Modell von Lent und Brown (2008) beeinflussen auch die Rahmenbedingungen der Berufswahl die Belastungswahrnehmung im Betrieb und das berufliche Commitment. Eine wichtige solche Rahmenbedingung ist die Geschlechtstypik des gewählten Berufes. Zahlreiche Berufe werden vor allem von Personen des gleichen Geschlechts gewählt. In der Folge sind Erwerbstätige – je nach Geschlecht – in bestimmten Berufen in der Minderheit. So ist der Frauenanteil in handwerklichen Berufen im Jahr 2019 nach wie vor sehr klein (z. B. Elektroinstallateurin EFZ: 3%, Polymechanikerin EFZ: 4%; BFS, 2020). Umgekehrt ist der Männeranteil beispielsweise in pflegenden (z. B. Fachmann Gesundheit EFZ: 14%; BFS, 2020) oder pädagogischen Berufen (z. B. Fachmann Betreuung EFZ: 19%; BFS, 2020) gering. Daneben gibt es Berufe mit ausgeglichenen Geschlechterverhältnissen (z. B. Kaufmann/-frau EFZ E: 40% BFS, 2020).

Es gibt kaum wissenschaftliche Befunde, wie es Jugendlichen in geschlechtsuntypischen Ausbildungsberufen nach Eintritt in die berufliche Grundbildung ergeht. Damit Berufsberatung und Lehrpersonen Jugendliche angemessen beraten und die Jugendlichen sich optimal auf die Anforderungen im Ausbildungsbetrieb vorbereiten können, braucht es forschungsbasiertes Wissen zu den Konsequenzen einer geschlechtsuntypischen Berufswahl. Auch für Berufsbildenden und Berufsfachschullehrpersonen ist es wichtig zu wissen, ob Jugendliche in geschlechtsuntypischen Berufen mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sind. Bisherige Studien zeichneten diesbezüglich ein eher düsteres Bild.

Jugendliche in geschlechtsuntypischen Berufen werden häufiger von Mitarbeitenden im Betrieb gehänselt und mit Sprüchen blossgestellt als Jugendliche in geschlechtergemischten oder -typischen Berufen. In Folge zeigen Jugendliche in geschlechtsuntypischen Berufen öfters psychosomatische Symptome und sind häufiger von der Arbeit abwesend (Rottermann, 2017). Überdies wechseln Jugendliche in geschlechtsuntypischen Berufen häufiger nach Abschluss der beruflichen Grundbildung in einen Beruf, der mit dem eigenen Geschlecht übereinstimmt (Simpson, 2005; Leemann & Keck, 2005). Eine der Haupterkenntnisse einer Studie zu dieser Thematik war, dass die Sichtbarkeit von Frauen in Männerberufen bzw. von Männern in Frauenberufen sehr hoch ist und sie daher betriebsintern unter besonderer Beobachtung stehen (Kanter, 1977). Sie müssen aufgrund ihres Geschlechts stärker den Beweis erbringen, dass sie den Beruf gut ausüben können. Entsprechend hatten in einer anderen Studie weibliche Angestellte in männertypischen Berufen das Gefühl, weniger Unterstützung zu erhalten (Taylor, 2010). Im Unterschied dazu nahmen männliche Angestellte in frauentypischen Berufen ein etwa gleich hohes Unterstützungsangebot wie Männer in gemischtgeschlechtlichen oder männertypischen Berufen wahr. Es ist zu vermuten, dass weibliche Jugendliche in geschlechtsuntypischen Berufen das Gefühl haben, weniger positive Rückmeldungen zu erhalten, was sich in einer höheren wahrgenommenen Arbeitsbelastung niederschlagen könnte. Insbesondere für neu eintretende Lernende ist positives Feedback für die Belastungswahrnehmung, aber auch für das berufliche Commitment wichtig (Nägele & Neuenschwander, 2014).

Jugendliche in Lehrbetrieben mit einer hohen Rückmeldefrequenz seitens der Berufsbildenden gaben an, dass sie sich weniger stark überfordert fühlten. Die tieferen Belastungswahrnehmung ging mit einem positiven beruflichen Commitment einher.

Die im Rahmen des WiSel-Projekts gewonnenen Ergebnisse bestätigten die Vermutung, dass Jugendliche in geschlechtsuntypischen Berufen – zumindest aus Sicht der Jugendlichen selbst – seltener positive Rückmeldungen vom Betrieb erhalten. Dies gilt gemäss den Ergebnissen vor allem für weibliche Jugendliche. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung war, dass positives Feedback von Seiten des Betriebs und wahrgenommene Arbeitsbelastung bei den Jugendlichen miteinander zusammenhängen. Jugendliche in Lehrbetrieben mit einer hohen Rückmeldefrequenz seitens der Berufsbildenden gaben an, dass sie sich weniger stark überfordert fühlten. Die tieferen Belastungswahrnehmung ging mit einem positiven beruflichen Commitment einher.

Schlussfolgerungen

Eine tiefe Belastungswahrnehmung von Lernenden trägt zu einem hohen beruflichen Commitment bei. Die Belastungswahrnehmung von neu eingetretenen Lernenden in der beruflichen Grundbildung kann durch Ergebnisse des Berufswahlprozesses wie eine hohe Selbstwirksamkeit und den Aufbau von positiven Erwartungen an den Arbeitsplatz reduziert werden. Die durchgeführten Auswertungen brachten jedoch auch zu Tage, dass Jugendliche, die einen geschlechtsuntypischen Beruf wählen, eher das Gefühl haben, weniger positives Feedback von den Berufsbildenden zu erhalten. Dies schlägt sich in einer höher wahrgenommenen Arbeitsbelastung und tieferem beruflichem Commitment nieder.

Jugendliche können eine hohe Selbstwirksamkeit aufbauen, wenn sie Kompetenz und Autonomie erleben. Wenn sie beispielsweise die Erfahrung machen, selbständig herausfordernde Alltagsaufgaben lösen zu können, nimmt ihre Selbstwirksamkeit zu. Das Absolvieren von Schnupperlehren in geschlechtsuntypischen Berufen kann für die Jugendlichen eine Möglichkeit darstellen, ihre Selbstwirksamkeit zu stärken. Dabei ist wichtig, dass es dem Betrieb gelingt, den Lernenden Erfolgserlebnisse zu vermitteln.

Lehrpersonen und Eltern, aber auch die Berufsberatung können den Aufbau von positiven Erwartungen an den Ausbildungsbetrieb fördern, wenn sie Jugendliche ermutigen, Betriebe zu besuchen und sich mit den verschiedenen Betrieben auseinanderzusetzen. Wenn Jugendliche Betriebsbesuche absolvieren, sollten Bildungsverantwortliche die mit dem Beruf verbundenen Herausforderungen aufzeigen, aber auch die positiven und schönen Aspekte hervorheben.

Die schwierige Position von Lernenden in einem geschlechtsuntypischen beruflichen Umfeld hatte sich in den Auswertungen bestätigt. Insbesondere Frauen haben das Gefühl, in männertypischen Berufen weniger positive Rückmeldungen zu erhalten. Die Studienergebnisse des WiSel-Projekts legen nahe, dass Berufsverbände und Betriebe, insbesondere die Berufsbildenden, ihr Feedbackverhalten in regelmässigen Abständen differenziert reflektieren. In der Arbeitswelt ist das Geschlecht weiterhin eine Kategorie, die zu Diskriminierung von Mitarbeitenden führen kann (Rottermann, 2017). Entsprechend sollten sich Berufsbildenden die Zeit nehmen und den Lernenden – gerade in geschlechtsuntypischen Berufen – ehrliche und konstruktive Rückmeldungen geben. Dadurch können sie zu einem positiven Übergang der Jugendlichen von der Schule in die berufliche Grundbildung beitragen.

Zusammenfassung

Die Studienergebnisse des WiSel-Projekts legen nahe, dass Berufsverbände und Betriebe, insbesondere die Berufsbildenden, ihr Feedbackverhalten in regelmässigen Abständen differenziert reflektieren.

Der Übergang von der Sekundarstufe I in die berufliche Grundbildung ist mit einer grundlegenden Neuorganisation der Tagesstruktur und mit neuen Aufgaben und Rollen verbunden, was Jugendliche belasten und sich negativ auf ihr berufliches Commitment auswirken kann. Auf der Basis der sozial-kognitiven Theorie der Laufbahnentscheidung sowie unter Beizug von Längsschnittdaten der WiSel-Studie wurde in einem sogenannten Strukturgleichungsmodell überprüft, wie Belastungen und berufliches Commitment von Lernenden vorhergesagt werden können. Die durchgeführten Auswertungen führten zu folgenden Erkenntnissen:

  1. Jugendliche, die in Schule und Familie eine hohe Selbstwirksamkeit sowie positive Erwartungen an den Ausbildungsbetrieb aufbauen, erleben weniger Belastungen und entwickeln ein höheres berufliches Commitment. Diese Jugendlichen wissen, wie sie sich im Betrieb integrieren können.
  2. Weibliche Lernende in geschlechtsuntypischen Berufen (z. B. Frauen in handwerklich-technischen Berufen) berichten, weniger positives Feedback zu erhalten. Dadurch erhöht sich ihre Belastungswahrnehmung und das berufliche Commitment nimmt ab. Jugendliche in geschlechtsuntypischen Berufen fallen auf und müssen aufgrund ihres berufsuntypischen Geschlechts stärker beweisen, dass sie die Arbeitsziele erreichen können. Vermutlich verstärken Geschlechterstereotype von Mitarbeitenden im Betrieb diesen Effekt. Die Berufsverbände und die Betriebe, insbesondere die Bildungsverantwortlichen, sind aufgefordert, ihr Feedbackverhalten zu überprüfen. Lernenden in geschlechtsuntypischen Berufen sollte nicht nur eine Chance gegeben werden, eine Ausbildung zu beginnen, sondern sie brauchen – bei gleichen Leistungen – gleich viel positives Feedback, sodass sie im gewählten Beruf auch verbleiben.

Literatur

Zitiervorschlag

Neuenschwander, M. P., Hofmann, J., & Ramseier, L. (2021). Lob macht stark. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 6(2).

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