Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Dieter Euler

Stützen, nicht stürzen: Dual(isiert)e Berufslehre in der Entwicklungszusammenarbeit

Entwicklungszusammenarbeit muss weiterhin auch die dualisierte Berufsbildung von jungen Menschen stützen und entwickeln. Eine Abkehr von dieser Zielsetzung, wie sie Markus Maurer in einem Diskussionsbeitrag in Transfer forderte, wäre für die betroffenen Ländern fatal. Die DEZA tut darum gut daran, durch Reformen der zumeist schulbasierten Berufsausbildung auf der Sekundarstufe die Ausbildung näher an die Bedarfe des Arbeitsmarkts zu führen und zudem einen Beitrag zur Armutsreduktion zu leisten.


Es ist wohl immer problematisch, aus den Erfahrungen in einigen Ländern auf eine Strategie für 40 Länder zu schliessen.

Warum wird die duale Berufslehre der Schweiz weltweit gelobt, aber nicht von anderen Ländern übernommen? – Die Antwort ist einfach: Weil Bildungsmodelle nicht kopiert werden können, sondern auf die jeweiligen Bedingungen eines Landes angepasst werden müssen. Insofern ist nachvollziehbar, dass auch die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit in der Berufsbildung mit seinen über 90 Projekten in 40 Ländern keinen Nachweis einer erfolgreichen Kopie der dualen Berufslehre beibringen kann. Wobei in den Projekten auch keineswegs ein «Copy-Paste-Ansatz» verfolgt wird: In vielen der von der DEZA unterstützten Projekte besteht das Ziel darin, durch Reformen der zumeist schulbasierten Berufsausbildung auf der Sekundarstufe die Ausbildung näher an die Bedarfe des Arbeitsmarkts zu führen und zudem einen Beitrag zur Armutsreduktion zu leisten.

Nun stellt Markus Maurer diese Zielausrichtung in einem Beitrag für Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis in Frage (Maurer 2024). Er vertritt die These, die am dualen Modell angelehnte Förderung der Ausbildungsgänge auf der Sekundarstufe liefen an den Bedarfen der Arbeitsmärkte vorbei. Dies zum einen, weil Jobs in den meisten Branchen der Zielländer auch ohne Berufsabschluss ausgeführt werden können, zum anderen, weil die Jugendlichen die schulische Berufsausbildung nur wählen, um mit dem Abschluss den Übergang in ein Studium vorzubereiten. Dies ist prinzipiell möglich, weil in vielen Ländern die berufliche Ausbildung auch auf die Hochschulen vorbereitet.

Markus Maurer besitzt im Feld der Entwicklungszusammenarbeit einige Erfahrungen. Er hat Projekte in Ländern wie Bangladesh, Kambodscha, Laos oder Nord-Mazedonien begleitet und beobachtete dabei die Wirkungen der jeweiligen Interventionen. Ausgehend von seiner These schlägt er der DEZA eine Strategierevision vor: Keine Förderung der Berufslehre auf der Sekundarstufe, stattdessen Fokussierung auf die berufliche Bildung nach der Sekundarstufe und im tertiären Sektor. Dabei sollte eine Begrenzung auf die unmittelbaren Arbeitsmarktbedarfe in ausgewählten Sektoren erfolgen. Des Weiteren plädiert er für eine Stärkung der Weiterbildung für erwerbstätige Arbeitskräfte.

Es ist wohl immer problematisch, aus den Erfahrungen in einigen Ländern auf eine Strategie für 40 Länder zu schliessen. Das Besondere an der beruflichen Bildung besteht auch darin, dass aufgrund der Vielfalt der Berufe und unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Herausforderungen jeder Vorschlag zumeist richtig und falsch ist. Schon in der Schweiz unterscheidet sich die Berufslehre zwischen Bäckern und Bankerinnen in vielerlei Hinsicht, umso diverser sind die Rahmenbedingungen beispielsweise zwischen Laos und Albanien. Insofern gelten auch meine Einwände gegenüber den Empfehlungen von Markus Maurer für einige Länder, aber vermutlich ebenfalls nicht für alle.

Die Vorschläge von Maurer greifen aus zwei Gründen zu kurz:

  • Nur weil nach der Ausbildung auf der Sekundarstufe viele Absolventinnen nicht in eine Beschäftigung münden, sollte man sie nicht in der Entwicklungszusammenarbeit ignorieren, sondern die Ausbildungsgänge fokussierter fördern.
  • Die unterlegte normative Ausrichtung der Berufsbildung auf die Bedarfe des Arbeitsmarkts ist richtig, aber unvollständig. Nicht nur in der Schweiz ist die Berufslehre immer auch als ein Mittel zur Förderung der gesellschaftlichen Integration an – ein Ziel, das sich in den meisten Ländern bedeutsamer denn je darstellt.

Die Berufsausbildung auf der Sekundarstufe in der Entwicklungszusammenarbeit zu ignorieren statt zu innovieren hätte fatale Folgen für die strukturelle (Weiter-)Entwicklung der Berufsbildung in dem Land.

Aus meiner Sicht ist die Berufsausbildung auf der Sekundarstufe eine zentrale Schaltstelle für die berufliche Entwicklung der jungen Menschen. Sie steht in einzelnen Ländern in scharfer Konkurrenz zu den akademischen Bildungsgängen – zum Teil insbesondere auch deshalb, weil sie keine attraktiven Anschlussperspektiven bietet. Sie in der Entwicklungszusammenarbeit zu ignorieren statt zu innovieren hätte fatale Folgen für die strukturelle (Weiter-)Entwicklung der Berufsbildung in dem Land. Die Bedeutung der Berufsausbildung bemisst sich nicht nur an der kurzfristigen Deckung aktueller Arbeitsmarktbedarfe, sondern auch daran, wie sie strukturell die sozialen und ökonomischen Transformationsprozesse in einem Land unterstützen kann. Kurzfristige Bedarfsdeckung und mittelfristige Strukturentwicklung ist wie das Gehen auf zwei Beinen – das eine Bein stützt jeweils das andere. In diesem Prozess ist die innovative Entwicklung der Berufsausbildung insbesondere auf der Sekundarstufe grundlegend.

Einige Länder (z.B. Albanien) haben diese strukturelle Dimension der Berufsausbildung erkannt. Sie leiten – mit Unterstützung der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit – Prozesse auf der Sekundarstufe ein, in denen die schulischen Ausbildungsgänge näher an die betriebliche Realität herangeführt und betriebliche Qualifikationsbedarfe bereits in die Ausbildung integriert werden. Dieser Weg wird in vielen Ländern zunächst nicht die Einführung einer dualen Berufslehre schweizerischer Prägung sein, sondern eine dualisierte Ausbildung, in der betriebliche Praxis über unterschiedliche Formate in die Schule einfliesst und zudem Schüler phasenweise in Betrieben lernen (Euler 2023). Die Perspektive der Lernenden wird dabei früh auf eine qualifizierte Berufstätigkeit nach der Ausbildung gerichtet, und aufgrund der engeren Anlehnung an betriebliche Bedarfe sind sie gut auf eine anschliessende Beschäftigung vorbereitet.

Solche Reformansätze hin zu einer dual(isiert)en Berufsausbildung sind weiter zu stützen, ohne die Implementierung zu überstürzen – darin besteht eine herausfordernde, aber vorausschauende Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit in der Berufsbildung.

Literatur

Zitiervorschlag

Euler, D. (2024). Stützen, nicht stürzen: Dual(isiert)e Berufslehre in der Entwicklungszusammenarbeit. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(15).

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