Studie des Leading House GOVPET
Welchen Wert haben alternative Abschlüsse auf dem Arbeitsmarkt?
Das Thema der Validierung von Bildungsleistungen sowie alternativer Verfahren zur Anerkennung von Kompetenzen gewinnt wieder an Bedeutung – der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ist gross. Mit «Validierung von Bildungsleistungen» ist die Zertifizierung von Arbeitserfahrung sowie die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse gemeint. Im Rahmen des Leading House GOVPET untersuchten wir, wie Arbeitgeber diese alternativen Qualifikationen im Bereich der Kindertagesbetreuung wahrnehmen. Die Ergebnisse zeigen, dass alternative Qualifikationen ein gutes Image bei den Arbeitgebern haben, aber immer noch etwas weniger angesehen sind als Standardabschlüsse.
Einführung
Der Bundesrat vertritt in seinem Bericht die Ansicht, dass Qualifikationen, die durch Verfahren zur Validierung von Bildungsleistungen erworben wurden, weniger wert sind als Qualifikationen, die auf dem regulären Weg erworben wurden.
Kompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt geschätzt werden, sind bekanntermassen eine Voraussetzung für den Zugang zu hochwertigen Arbeitsplätzen, und sie bieten einen guten Schutz vor den meisten sozialen Risiken. Über Kompetenzen zu verfügen reicht aber möglicherweise nicht aus, wenn diese nicht in einer von den Arbeitgebern anerkannten Weise zertifiziert sind. Insbesondere Personen, die ihre Fertigkeiten durch Erfahrung erworben haben oder einen ausländischen Abschluss besitzen, werden tendenziell benachteiligt, einfach weil ihre Kompetenzen für Arbeitgeber nicht leicht erkennbar sind.
Aus diesem Grund haben die meisten europäischen Länder Verfahren zur Qualifizierung und Zertifizierung von Kompetenzen entwickelt, die als Alternativen zu den herkömmlichen Standardverfahren gelten. Im Wesentlichen kann ein Diplom ohne Absolvierung des entsprechenden Ausbildungsprogramms auf zwei Arten erworben werden:
- durch die Anerkennung von Kompetenzen, die in informellen und non-formalen Kontexten erworben wurden sowie
- durch die Anerkennung eines ausländischen Abschlusses.
Diese Verfahren werden in der Fachliteratur als vielversprechende Instrumente zur Verbesserung der Inklusion von Bildungssystemen angesehen (Andersson et al., 2013; Bohlinger, 2017).
Auch in der Schweiz stellen wir ein wachsendes Interesse an diesen Anerkennungs- und Anrechnungsverfahren und den Möglichkeiten fest, die sie vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels bieten (Maurer, 2022) – insbesondere im Gesundheits- und Sozialwesen. So hat der Bundesrat jüngst einen Bericht veröffentlicht, der einen Überblick über die Praxis in der Schweiz bietet (Schweizerische Eidgenossenschaft. Der Bundesrat, 2023). Dabei weist er auch darauf hin, dass es diesen Verfahren in den Augen der Arbeitgeber an Legitimität mangeln könnte. Ein alternatives Diplom hätte in den Augen der Arbeitgeber dementsprechend einen geringeren Wert als ein herkömmliches. Dies könnte insbesondere der Fall sein, wenn die Verfahren von den Behörden ohne die Beteiligung der Arbeitgeber vorgegeben werden. Die Perspektive der Arbeitgeber ist daher von entscheidender Bedeutung.
Obwohl es eine wachsende Literatur über alternative Qualifikationsverfahren gibt, verfügen wir nur über wenige empirische Erkenntnisse darüber, was Arbeitgeber über die auf diesen Wegen erworbenen Titel denken; die uns bekannten Studien konzentrieren sich ausschliesslich auf die Anerkennung ausländischer Abschlüsse (Brücker et al., 2021; Damelang & Abraham, 2016; Damelang et al., 2020; Tibajev & Hellgren, 2019). Haben diese Titel für Arbeitgeber denselben Wert wie Titel, die durch herkömmliche zertifizierende Bildungsprogramme erworben wurden? Oder werden sie als minderwertig betrachtet? Wenn ja, weshalb? Der Bundesrat vertritt in seinem Bericht die Ansicht, dass Qualifikationen, die durch Verfahren zur Validierung von Bildungsleistungen erworben wurden, weniger wert sind als Qualifikationen, die auf dem regulären Weg erworben wurden (Schweizerische Eidgenossenschaft. Der Bundesrat, 2023, p. 45). Aber ist das richtig?
Bewertung fiktiver Profile
In unserer Studie haben wir Arbeitgeber gebeten, eine Reihe von fiktiven Bewerbungen zu bewerten. Diese Bewerbungsprofile variierten hinsichtlich mehrerer Merkmale, etwa auf welchem Weg ein Berufsabschluss erlangt wird. Wir erstellten (faktorielles Survey, Auspurg & Hinz, 2015) 285 Profile, die verschiedene Merkmale (Geschlecht, Nationalität, Familienstand, Erfahrung im Beruf, Hobbys und eben die Art des Abschlusses) zufällig kombinierten. Diese Methode eignet sich besonders gut, um die Verzerrung der sozialen Erwünschtheit der Antworten zu minimieren. Im Fokus war eine Branche, in der die Arbeitgeber alternative Qualifikationsverfahren kennen und nutzen: die Tagesbetreuung im Kanton Waadt. Arbeitgeber bewerteten also fiktive Profile von Bewerberinnen und Bewerbern für eine Stelle in der Kinderbetreuung, die auf der Ebene «Fachfrau/Fachmann Betreuung» (FaBe) angesiedelt war[1].
Jeder Arbeitgeber musste fünf zufällig ausgewählte Profile bewerten. Wir erhielten Bewertungen von 359 Arbeitgebern, in der Regel von Leiterinnen und Leitern von Kinderbetreuungseinrichtungen.
In Bezug auf die Art des Abschlusses haben wir sechs verschiedene Situationen verglichen:
- ein EFZ, das auf dem regulären Weg erworben wurde (duale Ausbildung)
- ein EFZ, das durch die Validierung von Bildungsleistungen erworben wurde
- ein EFZ, das durch Bestehen der Prüfungen, jedoch ohne Absolvierung der Ausbildung erworben wurde (Art. 32 der BBV)
- ein vom SBFI anerkanntes ausländisches Diplom
- ein ausländisches Diplom ohne Anerkennung durch das SBFI
- kein Diplom
Die Art des Diploms wichtigste Variable
In Grafik 1 sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Sie zeigt, dass die Art des Diploms (= Berufsabschluss) die bei weitem wichtigste Variable bei der Bewertung der fiktiven Profile ist. Von den anderen Variablen hat nur die Erfahrung eindeutig Einfluss auf die Bewertung – und zwar in der erwarteten Richtung (zehn Jahre Erfahrung werden fünf Jahren vorgezogen).
Die untersuchten alternativen Qualifikationsverfahren haben aus Sicht der Arbeitgeber hohe Bedeutung: Im Vergleich zu identischen Bewerberinnen ohne anerkannten Abschluss fällt die Bewertung deutlich besser aus. Umgekehrt haben die drei durch alternative Verfahren erworbenen Abschlüsse nicht denselben Wert wie ein auf regulärem Weg (duale Ausbildung) erworbenes EFZ. Zwischen den drei alternativen Qualifizierungen gibt es kaum einen Unterschied.
Es wurde in Expertengesprächen deutlich, dass die alternativen Verfahren in den Augen der Arbeitgeber strikt genug sind und nicht zu minderwertigen Abschlüssen führen.
In einem zweiten Schritt haben wir rund 16 Leiterinnen und Leiter von Kinderbetreuungseinrichtungen interviewt, um mehr über die Gründe für diese unterschiedlichen Beurteilungen zu erfahren. Es wurde deutlich, dass die Verfahren ihrer Meinung nach strikt genug sind und nicht zu minderwertigen Abschlüssen führen. Die unterschiedliche Bewertung der Diploma reflektiert bestimmte Fähigkeiten, die in der dualen Ausbildung besser abgedeckt sind. Insbesondere die Fähigkeit, theoretisches Wissen auf eine praktische Situation zu übertragen, ist bei Bewerbenden, die ein alternatives Qualifikationsverfahren absolviert haben, weniger ausgeprägt. Dieser Aspekt ist vor allem in der Kommunikation mit den Eltern besonders wichtig. Dazu sagte eine Person: «Also nein, eine Hilfskraft, die fünf Jahre gearbeitet hat, hat zwar die Erfahrung, es fehlt ihr aber das theoretische Wissen. […] eine Situation zusammenfassen können, sie einbringen, analysieren, unterbreiten können».
Fazit: Alternative Qualifikationsverfahren bieten einen echten Mehrwert
Unsere Studie zeigt, dass alternative Qualifikationsverfahren die Chancen von Bewerbenden, die ansonsten das gleiche Erfahrungsniveau haben, stark erhöhen. Das Fehlen eines Abschlusses benachteiligt Bewerbende mit gleichen Fähigkeiten. Trotz des Arbeitskräftemangels in Kindertagesbetreuung und der Tatsache, dass die Betreuungseinrichtungen gewohnt sind, Personal ohne Abschluss durch Qualifikationsverfahren zu begleiten, bleibt ein formales Diplom ein wichtiges Einstellungskriterium.
Weil die Studie in einer speziellen Branche durchgeführt wurde, ist hinsichtlich ihrer Verallgemeinerung Vorsicht geboten. Die Ergebnisse legen jedoch nahe, dass sich alternative Qualifikationsverfahren wesentlich auf die Beschäftigungschancen von Bewerbenden ohne formale Qualifikationen auswirken können.
Alternative Qualifikationsverfahren decken gewisse spezifische Fähigkeiten, die in der traditionellen dualen Berufsbildung stärkeres Gewicht haben, weniger ab.
Alternative Qualifikationen werden nicht als vollkommen gleichwertig mit der Standardqualifikation (EFZ) angesehen. Das hat aber nicht mit zu wenig strikten Qualifikationsverfahren zu tun. Die von den Arbeitgebern identifizierte Schwachstelle betrifft spezifische Fähigkeiten, die durch alternative Qualifikationsverfahren weniger abgedeckt werden, wie beispielsweise der Transfer von theoretischem Wissen auf praktische Situationen, der in der dualen Ausbildung stärkeres Gewicht hat als bei der Validierung von Erfahrung.
Alternative Qualifikationsverfahren sollten gestärkt werden, um einerseits Personen ohne Bildungsabschluss mit den gleichen Fähigkeiten bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu bieten und um andererseits dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Der Nutzen alternativer Qualifikationsverfahren ist durch die wesentlich bessere Bewertung im Vergleich zu Personen ohne formale Qualifikationen hinreichend belegt.
Literatur
- Andersson, P., Fejes, A., & Sandberg, F. (2013). Introducing research on recognition of prior learning. International Journal of Lifelong Education, 32(4), 405-411.
- Auspurg, K., & Hinz, T. (2015). Factorial Survey Experiments (Vol. 175). Sage Publications.
- Bohlinger, S. (2017). Comparing Recognition of Prior Learning (RPL) across Countries. In M. Mulder (Ed.), Competence-based Vocational and Professional Education, Technical and Vocational Education and Training: Issues, Concerns and Prospects (Vol. 23, pp. 589-606). Springer.
- Brücker, H., Glitz, A., Lerche, A., & Romiti, A. (2021). Occupational Recognition and Immigrant Labor Market Outcomes. Journal of Labor Economics, 39(2).
- Damelang, A., & Abraham, M. (2016). You Can Take Some of It with You! Vignette Study on the Acceptance of Foreign Vocational Certificates and Ethnic Inequality in the German Labor Market. Zeitschrift für Soziologie, 45(2), 91-106.
- Damelang, A., Ebensperger, S., & Stumpf, F. (2020). Foreign Credential Recognition and Immigrants‘ Chances of Being Hired for Skilled Jobs – Evidence from a Survey Experiment among Employers. Social Forces, 99(2), 648-671.
- Maurer, M. (2022). The Credibility of Vocational Qualifications as a Barrier to Increasing the Flexibility of Collective Skill Formation Systems. An Analysis of the Slow Expansion of Recognition of Prior Learning (RPL) in Switzerland. In G. Bonoli & P. Emmenegger (Eds.), Collective skill formation in the knowledge economy. Oxford University Press.
- Schweizerische Eidgenossenschaft. Der Bundesrat. (2023). Validierung von Bildungsleistungen und Qualifizierungsmöglichkeiten für Erwachsene ohne Berufsabschluss. Bern: Schweizerische Eidgenossenschaft. Der Bundesrat
- Tibajev, A., & Hellgren, C. (2019). The Effects of Recognition of Foreign Education for Newly Arrived Immigrants. European Sociological Review, 35(4), 506-521.
Zitiervorschlag
Aerne, A., & Bonoli, G. (2024). Welchen Wert haben alternative Abschlüsse auf dem Arbeitsmarkt?. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(7).