Fragebogen zur Qualität der dualen Lehre
Wie man die Qualität der beruflichen Bildung messen kann
Was macht die Qualität der beruflichen Grundbildung aus? Vier Jahre lang haben sich Forscherinnen und Forscher im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projekts mit dieser Frage befasst. Dabei wurde ein Instrument entwickelt, das sich aus 13 Dimensionen zusammensetzt; mit ihm können die Lernenden die Qualität ihrer Ausbildung bewerten. Dieser «Fragebogen zur Qualität der dualen Lehre» kann sowohl von Lehrkräften an Berufsfachschulen als auch von Berufsbildenden in Betrieben genutzt werden. Er ist über Internet leicht zugänglich und auf die jeweiligen Adressaten zugeschnitten. Vorerst gibt es ihn allerdings nur in französischer Sprache.
Der Fragebogen ist als Instrument für das Gespräch und den Austausch zwischen der lernenden und der betreuenden Person konzipiert.
Ziel des vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Projekts[1] war es zu untersuchen, was die beteiligten Akteure unter Qualität in der dualen beruflichen Grundbildung verstehen und wie sich diese Qualität auf das Engagement und die Zufriedenheit der Lernenden auswirkt.[2] In einer ersten, explorativen Phase wurden Gruppen von Lernenden, Lehrern und Berufsbildnerinnen aus vier Berufsbranchen befragt (Coiffure und Schönheitspflege, Baugewerbe, Detailhandel sowie Kaufleute). In vierzehn Gruppengesprächen wurde dann eine Reihe von Themen herausgearbeitet, die Merkmale der wahrgenommenen Qualität in der dualen beruflichen Grundbildung abbilden (Berger et al., 2020). Ausgehend von diesen Themen wurde ein Fragebogen für Berufsfachschulklassen entwickelt und statistisch validiert, aus dem sich 13 Dimensionen zur Beschreibung der wahrgenommenen Qualität in der Berufsfachschule und im Lehrbetrieb ergaben. Schliesslich konnte anhand dieser 13 Dimensionen ein Instrument zur formativen Evaluation entwickelt werden: der «Fragebogen zur Qualität der dualen Lehre» (im Folgenden «Fragebogen»).[3]
Auch andere Arbeiten in der Schweiz und im Ausland haben sich mit der Thematik der Qualität der Berufsbildung befasst und Instrumente entwickelt. Ein Beispiel ist die QualiCarte der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK) (Velten & Schnitzler, 2012). Diese Arbeiten sind jedoch häufig wenig informativ (so thematisieren sie nur die betriebliche Ausbildung) oder nicht wissenschaftlich fundiert. Demgegenüber basieren Relevanz und Aussagekraft des vorliegenden Fragebogens auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage.
Von der Feststellung bis zur Umsetzung der Qualitätsmerkmale
Der Fragebogen wurde entwickelt, um den Lernenden und den sie betreuenden Personen in der Schule und im Betrieb zu ermöglichen, Stärken und Schwächen der Ausbildungsqualität sichtbar zu machen (Berger et al., 2022). Die 13 im Laufe des Forschungsprojekts ermittelten Dimensionen lassen sich in drei grosse Kategorien einteilen: Abstimmung zwischen den Lernorten (drei Dimensionen), Berufsfachschule (fünf Dimensionen) und Lehrbetrieb (fünf Dimensionen). Tabelle 1 gibt einen Überblick darüber.
Anhand der Antworten einer grossen Zahl von Lernenden (N = 1238) aus den vier genannten Berufsbranchen, die stichprobenartig befragt wurden, wurden statistische Referenzwerte für jede der 13 Dimensionen errechnet. Somit können Personen, die auf den Fragebogen zurückgreifen, die Lernenden im Vergleich zu anderen Lernenden einordnen, die das Instrument zur formativen Evaluation verwendet haben. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel für ein Ergebnis aus der Dimension Betreuung und Beziehungen im Unternehmen; hier nimmt die Lernende ihre Betreuung im Unternehmen im Vergleich zu den anderen Lernenden als relativ positiv wahr.
Fragebogen sichert die Qualität
Der Fragebogen wurde so einfach wie möglich gestaltet: Die Betreuungspersonen – Lehrerinnen oder Berufsbildner – leiten die Einladung zum Ausfüllen des Fragebogens über die französischsprachige Website an eine oder mehrere lernende Personen weiter. Diese gehen auf die Website und beantworten in 10 bis 15 Minuten etwa 50 Fragen zur Qualität der dualen beruflichen Grundbildung (Beispiel pro Dimension in Tabelle 1). Anschliessend erhalten sie und die Betreuungspersonen, die den Fragebogen angefordert haben, die Ergebnisse per E-Mail. Es kann dann ein Gesprächstermin vereinbart werden, um gemeinsam auf die Wahrnehmungen des oder der Lernenden einzugehen.
Der Fragebogen ist als Instrument für das Gespräch und den Austausch zwischen der lernenden und der betreuenden Person konzipiert und soll Aufschluss darüber geben, ob bestimmte Aspekte der Ausbildungsqualität als problematisch oder – im Gegenteil – als positiv wahrgenommen werden. Lehrkräfte und Berufsbildende werden ermutigt, mit der Lernenden über diese Aspekte zu sprechen. Für ein besseres Verständnis jedes der 13 Aspekte der Ausbildungsqualität wurden Kurzbeschreibungen gestaltet: Sie beschreiben den Qualitätsaspekt, die Art und Weise, wie die einzelnen Dimensionen gemessen wurden und bieten weiterführende Erläuterungen sowie praktische Anregungen für das Gespräch mit den Lernenden.
Wie häufig der Fragebogen eingesetzt werden soll, wird nicht vorgeschrieben, da diese Frage von den spezifischen Zwecken abhängt, für die er verwendet wird. Er könnte einmal in der Mitte des Schuljahres Anwendung finden, um eventuelle Kritikpunkte auszuloten und die Praxis im Zuge der Ausbildung anzupassen. Er kann aber auch gezielt bei bestimmten Problemen oder mehrmals in verschiedenen Phasen der Ausbildung eingesetzt werden.
Schliesslich haben Beobachtungen bei der Verwendung des Fragebogens, die bei Berufsbildnern in Unternehmen und Lehrerinnen in Berufsfachschulen durchgeführt wurden, zu folgenden Ergebnissen geführt:
- Sowohl die Lernenden als auch die Betreuungspersonen schätzten den Austausch und sind der Meinung, dass dieser regelmässig stattfinden sollte.
- Die Dimensionen des Fragebogens spiegeln die Realität der Erfahrungen in der Lehre angemessen wider (offensichtliche Stichhaltigkeit).
- Die vorgestellten Dimensionen geben Anlass zu Gesprächen, die über die spezifisch mit dem Instrument gemessene Fragestellung hinausgehen.
- Anhand der Rückmeldungen können die betreuenden Personen Einblick in den jeweils anderen Lernort bekommen, wodurch deren Zusammenarbeit gefördert wird.
Ein Beispiel zur Illustration der Nutzung des Fragebogens
Dominique ist im zweiten Lehrjahr ihrer dualen Ausbildung zur Forstwartin. Seit einigen Wochen bemerkt ihr Berufsbildner Thierry, dass es für Dominique im Betrieb nicht rund läuft. Deshalb schlägt ihr Thierry vor, den Fragebogen auszufüllen. Zudem kontaktiert er Gilbert, den für Dominique zuständigen Lehrer in der Berufsfachschule, und schlägt ihm einen gemeinsamen Austausch über Dominiques Ergebnisse vor.
In Bezug auf die Abstimmung zwischen den beiden Lernorten sind die Antworten von Dominique weitgehend positiv. Thierry und Gilbert beschliessen daher, auf diese Themen nicht eigens mit Dominique einzugehen.
Ebenso beurteilt Dominique die schulischen Dimensionen sehr positiv. Thierry und Gilbert stellen insbesondere fest, dass sie sich positiv über den Arbeitsaufwand in der Schule und den kontrollierenden Unterrichtsstil äussert – an sich eher negative Aspekte der Schule. Da Dominique die schulische Qualität positiv würdigt, äussern Thierry und Gilbert ihre Zufriedenheit mit dem guten Verlauf der Ausbildung in der Schule.
Dominiques Ergebnisse in Bezug auf die Themenbereiche der Ausbildung im Unternehmen weisen auf mehrere Punkte hin, die vermehrt beachtet werden sollten. Dominique nimmt die Betreuung und die Beziehungen im Unternehmen sowie die Vielfalt der Arbeitsaufgaben als relativ negativ wahr: Die Ergebnisse liegen im unteren Bereich der Referenzwerte. Parallel dazu weisen auch die hohen Werte bei ihrer Wahrnehmung, unliebsame Aufgaben übertragen zu bekommen und wie eine Angestellte behandelt zu werden, auf ein negatives Gefühl in diesen Bereichen hin. Da Dominique keinen direkten Kontakt mit Kundschaft hat, ist diese Dimension für ihre Ausbildung nicht relevant.
Aus dem Gespräch geht hervor, dass nach Dominiques Wahrnehmung Thierry häufig abwesend ist und ihr somit nicht genügend Zeit widmen kann. Die Aufgaben, die sie bei der Arbeit zu erledigen hat, sind repetitiv und erscheinen ihr nicht ihrem Status als Lernende angemessen. Denn oft muss sie ohne Aufsicht der Kollegen mit Motorsägen hantieren und nicht nur ihre eigenen Werkzeuge, sondern auch die des gesamten Teams aufräumen und reinigen. So erkennt Thierry, dass seine regelmässige Abwesenheit vom Arbeitsplatz bei den Kolleginnen eine gewisse Unklarheit über die Dominique zugewiesenen Aufgaben verursacht. Er verspricht daher, bei Ausseneinsätzen vermehrt präsent zu sein und bietet Dominique ein zweiwöchentliches Feedback-Gespräch an. Darüber hinaus organisiert er ein Meeting mit den anderen Kolleginnen und Kollegen, um Dominiques‘ Status und Aufgaben im Unternehmen zu klären.
Der Fragebogen, den Dominique ausfüllte, ermöglichte es ihr, ihre Wahrnehmung der Qualität der verschiedenen Lernorte zu schildern. Gilbert konnte feststellen, dass die schulischen Aspekte gut funktionieren, während Thierry die Möglichkeit bekam, seine Betreuungspraxis anzupassen. Die drei hatten auch die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Gespräch.
Fazit
Im Rahmen des vorliegenden, vom Schweizerische Nationalfonds (SNF) unterstützten Forschungsprojekts (2018-2022) wurde die Wahrnehmung der Qualität in der dualen beruflichen Grundbildung aus der Sicht der Lernenden, der Lehrerinnen und der Berufsbildnern in Betrieben untersucht. Das Projekt führte zur Entwicklung eines Instruments für eine formative Qualitätsbeurteilung anhand der Wahrnehmungen der Lernenden. Es handelt sich um einen Fragebogen zu 13 Dimensionen in Bezug auf die Qualität der Lehre. Die wissenschaftliche Validität dieses Erhebungsinstruments wurde mit einer grossen Stichprobe von Lernenden untersucht. Es wurden auch Wege für eine optimale Nutzung des Instruments in der Praxis aufgezeigt.
Der Fragebogen ist nützliches Instrument für eine formative Evaluation der Qualität der dualen Berufsbildung. Da er auf einem wissenschaftlichen Ansatz beruht, garantiert er ausserdem genaue, valide Ergebnisse und ermöglicht den Austausch zwischen dem oder der Lernenden und den betreuenden Personen. Auf diese Weise kann die wahrgenommene Qualität der dualen beruflichen Grundbildung von den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren vor Ort hinterfragt und verbessert werden.
Literatur
- Berger, J.-L., Wenger, M., & Sauli, F. (2020). La qualité de la formation professionnelle duale en Suisse. Education Permanente, 223, 91-100.
- Berger, J.-L., Wenger, M., & Sauli, F. (2022). Inventaire Qualité de l’Apprentissage Dual (IQAD). https://iqad.ch
- CSFO (2012). QualiCarte. https://www.berufsbildung.ch/dyn/4742.aspx
- Sauli, F. (2022). Perceptions de la qualité de la formation professionnelle initiale duale par le terrain et les responsables institutionnel-le-s [Thèse de doctorat]. Université de Lausanne.
- Velten, S., & Schnitzler, A. (2012). Inventar zur betrieblichen Ausbildungsqualität (IBAQ). Zeitschrift für Berufs-und Wirtschaftspädagogik, 108(4), 511-527.
- Wenger, M. (2022). Tensions de rôle chez les apprenti-e-s et qualité perçue de la formation professionnelle duale en Suisse [Thèse de doctorat]. Université de Lausanne.
[1] Das Projekt trägt den Titel «La qualité de la formation professionnelle initiale : comment les acteurs et actrices de la formation la conçoivent-ils et elles ? Comment module-t-elle l’engagement des apprenti.e.s ? Analyse inter-lieux de formation et développement d’un instrument scientifique» (Wie beurteilen die Akteurinnen und Akteure die Qualität der beruflichen Grundbildung? Und wie beeinflusst die Ausbildungsqualität das Engagement der Lernenden? Analyse an den Lernorten und Entwicklung eines wissenschaftlich fundierten Instruments).
[2] Im Rahmen dieses Projekts wurden auch zwei Dissertationen erstellt (Sauli, 2022; Wenger, 2022).
[3] Im französischen Original Inventaire Qualité de l’Apprentissage Dual IQAD
Zitiervorschlag
Wenger, M., Sauli, F., & Berger, J. (2022). Wie man die Qualität der beruflichen Bildung messen kann. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 7(3).