Zur Anrechnung von Bildungsleistungen an höheren Fachschulen
Empfehlungen zur Förderung der Anrechnung von Bildungsleistungen
Die Anrechnung von Bildungsleistungen ist in der Schweiz ein bildungspolitisches Ziel, die Anrechnungspraxis ist insbesondere auf der Tertiärstufe jedoch wenig transparent. Die vorliegende, national angelegte Studie untersuchte, wie die Anrechnung von Bildungsleistungen an höheren Fachschulen umgesetzt und begründet wird. Ein besonderer Fokus lag auf der Anrechnung von Weiterbildung und informeller Bildung, da diese schwieriger zu validieren sind als formale Bildung. Zusammen mit Stakeholdern aus der Praxis wurden Empfehlungen zur Förderung der Anrechnung von Bildungsleistung entwickelt.
Durch Anrechnungsverfahren sollen die soziale und wirtschaftliche Integration erleichtert und Chancen für weitere Bildungskarrieren und berufliche Mobilität eröffnet werden.
Die Ausrichtung der Berufsbildung auf das lebenslange Lernen und die Entwicklung von Modellen zur Anrechnung bereits erworbener Fähigkeiten und Kompetenzen (sogenannten Bildungsleistungen) an formale Bildungsangebote sind gemeinsame bildungspolitische Ziele von Bund und Kantonen (WBF & EDK, 2019). Durch Anrechnungsverfahren sollen die soziale und wirtschaftliche Integration erleichtert und Chancen für weitere Bildungskarrieren und berufliche Mobilität eröffnet werden. Zugleich trägt die Berücksichtigung bereits erworbener Kompetenzen zu einer besseren Nutzung der Potenziale im Bildungssystem bei und dient damit der Entschärfung des Fachkräftemangels. Neben formal erworbenen Abschlüssen sollen auch nichtformal (in Weiterbildungen) und informell (z.B. am Arbeitsplatz oder in der Freizeit) erworbene Bildungsleistungen berücksichtigt werden. Die gesetzlichen Grundlagen dafür sind in der Schweiz vorhanden.[1]
Während Möglichkeiten zur Anrechnung von Bildungsleistungen im Bereich der beruflichen Grundbildung beschrieben sind (SBFI, 2018), gab es im Bereich der höheren Berufsbildung, insbesondere an höheren Fachschulen (HF), bezüglich Anrechnungsgrundlagen und -praktiken bisher wenig Transparenz.
In einer national angelegten Studie untersuchte die Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung EHB im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI von 2020 bis 2022, wie die Anrechnung von Bildungsleistungen an HF umgesetzt und begründet wird. Dabei lag der Fokus auf der Frage, welche Rolle die Anrechnung von Weiterbildung und informeller Bildung spielt, da diese schwieriger zu validieren sind als formale Bildung. Weiter wurde untersucht, welche Massnahmen HF zur Förderung der Anrechnung von Bildungsleistungen bereits umsetzen.
Abbildung 1 zeigt, welche formalen, nichtformalen und informellen Bildungsleistungen in dieser Studie berücksichtigt wurden.
Formen der Anrechnung von Bildungsleistungen
«Anrechnung von Bildungsleistungen» wurde in der Studie als übergeordneter Begriff verwendet. Es wurden zwei Formen der Anrechnung unterschieden, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt diese stattfindet.
- Anerkennung von Bildungsleistungen findet bei der Zulassung zum HF-Studium statt. Anerkennung führt zu einer Zulassung von Personen, die die regulären Zulassungsbedingungen nicht erfüllen oder zur Befreiung von Teilen der Eignungsabklärung.
- Durch Anrechnung von Bildungsleistungen an den Bildungsgang können die Studiendauer verkürzt und/oder Teile der Ausbildung erlassen werden (Abbildung 2).
Methode und Stichprobe
Das Studiendesign umfasste eine Analyse nationaler Vorgaben und schulinterner Reglemente zur Anrechnung von Bildungsleistungen, qualitative Interviews mit Schulleitungen und Verantwortlichen ausgewählter Bildungsgänge HF sowie eine schweizweite Befragung mittels Online-Fragebogen. Die Ergebnisse wurden in Workshops mit Verantwortlichen an höheren Fachschulen, Anbietern berufsorientierter Weiterbildung und Weiterbildung auf Tertiärstufe sowie Vertreterinnen des SBFI diskutiert; daraus wurden Empfehlungen zur Förderung der Anrechnung von Bildungsleistungen abgeleitet.
Die Grundgesamtheit für die Online-Befragung bildeten alle 480 vom SBFI anerkannten Bildungsgänge HF in der Schweiz (Stand April 2021). In einem ersten Schritt wurden die Schul- resp. Standortleitenden HF angeschrieben, um das Einverständnis zur Teilnahme einzuholen und die Kontaktdaten der Bildungsgangverantwortlichen zu erfragen. Der Online-Fragebogen wurde an 272 Bildungsgangverantwortliche versendet. Davon konnten 221 Fragebogen ausgewertet werden. In der Stichprobe sind 46% der anerkannten Bildungsgänge HF aus den drei Sprachregionen der Schweiz sowie aus allen Fachbereichen enthalten.
Gegenwärtige Anrechnungspraxis an HF
Die Ergebnisse der schweizweiten Online-Befragung zeigen, dass die untersuchten HF die Anrechnung von Bildungsleistungen nur teilweise etabliert haben.
Die Ergebnisse der schweizweiten Online-Befragung zeigen, dass die untersuchten HF die Anrechnung von Bildungsleistungen nur teilweise etabliert haben. Nur bei 50% der untersuchten Bildungsgänge kommt es vor, dass Personen, die die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllen, aufgrund einer Anerkennung bereits erworbener Fähigkeiten und Kompetenzen zugelassen werden. Bei 60% werden Bildungsleistungen an das Studium angerechnet. Bildungsgangverantwortliche, die Bildungsleistungen anerkennen und anrechnen, tun dies jedoch mehrheitlich nur selten oder gelegentlich.
Sowohl bei der Zulassung als auch bei der Anrechnung an das Studium werden in erster Linie formale Abschlüsse der Sekundarstufe II und der Tertiärstufe sowie für das Studium relevante Berufserfahrung angerechnet. Dabei wenden die Verantwortlichen am häufigsten Einzelfallbeurteilungen sur dossier an. Weiterbildungen sowie im Familienkreis oder in der Freizeit erworbene Kompetenzen finden dagegen kaum Beachtung.
Die Bildungsgangverantwortlichen wurden gefragt, welche Massnahmen aus ihrer Sicht wichtig wären, damit Weiterbildungszertifikate in Zukunft vermehrt angerechnet werden. Für hilfreich erachten sie detailliertere Informationen auf den Weiterbildungszertifikaten in Bezug auf den Umfang, die Inhalte und das Kompetenzniveau. Ein einheitlicher Referenzrahmen für Weiterbildungszertifikate könnte zudem die Äquivalenzbeurteilung erleichtern.
Stand der Umsetzung von Massnahmen zur Anrechnung von Bildungsleistungen an HF
Die Bildungsgangverantwortlichen wurden gebeten, verschiedene Massnahmen zur Anrechnung an ihrer HF danach einzuordnen, inwiefern sie bereits umgesetzt oder in Planung sind. Die Mehrheit gab an, dass Prozesse und Dienstleistungen zur Anrechnung von Bildungsleistungen an ihrer HF bereits umgesetzt werden. So sind Verantwortlichkeiten geregelt und Anrechnungsverfahren festgelegt; Anrechnungsentscheide werden dokumentiert und Studierende mit Fragen zu Anrechnungsmöglichkeiten beraten.
Knapp ein Drittel der Befragten gab an, dass an ihrer HF Kommunikationsmassnahmen umgesetzt sind, die die Anrechnungsverfahren erleichtern und transparenter machen – so über die Veröffentlichung schulinterner Reglemente oder den Erfahrungsaustausch mit anderen Bildungsgangverantwortlichen. Bislang betreibt aber nur eine Minderheit von knapp 20% aktiv öffentliche Kommunikation und Werbung bezüglich Anrechnungsmöglichkeiten an ihrer HF. Das beutet, dass sich potenzielle Studierende in der Regel selbst über Optionen der Anrechnung informieren müssen.
Gründe für und gegen die Anrechnung von Bildungsleistungen
Das wichtigste Motiv für die Anrechnung von Bildungsleistungen ist die Dienstleistungsorientierung gegenüber Studierenden, die geforderte Kompetenzen bereits mitbringen.
Die Anrechnungspraxis ist durch unterschiedliche Gründe motiviert. Das wichtigste Motiv für die Anrechnung von Bildungsleistungen ist die Dienstleistungsorientierung gegenüber Studierenden, die geforderte Kompetenzen bereits mitbringen. Ihnen sollen eine kürzere Studiendauer ermöglicht oder Teile der Ausbildung erlassen werden. Durch einen erleichterten Zugang und die Anrechnung von Bildungsleistungen an das Studium soll darüber hinaus der Fachkräftemangel reduziert werden.
Die Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass Anerkennung und Anrechnung bereits erworbener Kompetenzen ein wichtiges Thema ist, das sie in Zukunft noch stärker beschäftigen wird. Wichtig ist aus ihrer Sicht, dass die Anrechnung nichtformal und informell erworbener Kompetenzen gefördert und Hindernisse beseitigt werden. Im Hinblick darauf erachten sie verbindlichere Regelungen auf nationaler Ebene als hilfreich.
Die Bildungsgangverantwortlichen äusserten aber auch Bedenken, dass durch die Anrechnung von Bildungsleistungen Lücken im Kompetenzerwerb der Studierenden entstehen und die Ausbildungsqualität sinkt. Zudem ist die Bearbeitung von Anrechnungsanträgen mit erheblichem administrativem und finanziellem Aufwand verbunden.
Empfehlungen zur Förderung der Anrechnung von Bildungsleistungen
Die Empfehlungen in Abbildung 3 sind das Ergebnis der Reflexionen zur Anrechnungspraxis an HF und beinhalten mögliche Massnahmen auf der Ebene der nationalen Steuerung, der HF und der Weiterbildungsanbieter. Sie wurden in Workshops mit Vertreterinnen der HF, des SBFI und von Weiterbildungsanbietern erarbeitet.
Steuerung auf nationaler Ebene: Die Workshopteilnehmenden waren sich einig, dass verbindlichere Regelungen in den Rahmenlehrplänen hilfreich wären, um die Anrechnung von Bildungsleistungen an HF zu fördern. Eine «one-size-fits-all-Lösung» für alle HF erachten sie jedoch als wenig zielführend, da sich die Kompetenzprofile der Bildungsgänge und damit verbunden die Möglichkeiten zur Anrechnung von Bildungsleistungen stark unterscheiden. Vielmehr wünschen sie sich, dass das SBFI die Trägerschaften darauf aufmerksam macht, die Anrechnungsmöglichkeiten in den Rahmenlehrplänen zu konkretisieren.
Die Workshopteilnehmenden waren sich einig, dass verbindlichere Regelungen in den Rahmenlehrplänen hilfreich wären, um die Anrechnung von Bildungsleistungen an HF zu fördern.
Zudem soll das SBFI prüfen, wie die Vorgaben für das schriftliche Konzept zur Anrechnung von Bildungsleistungen konkretisiert werden kann. Dieses Konzept müssen HF dem SBFI im Rahmen der nationalen Anerkennungsverfahren ihrer Bildungsgänge vorlegen. Es wurde vorgeschlagen, darin Anrechnung von Bildungsleistungen zu definieren, sowie anrechenbare Bildungsleistungen, interne Prozesse und die Kommunikation gegenüber Studierenden festzulegen. Damit würden ein einheitliches Verständnis der Anrechnung von Bildungsleistungen geschaffen und deren Umsetzung gefördert.
Ebene der HF: Auf Ebene der HF wurde empfohlen, dass die Schweizerische Konferenz der Höheren Fachschulen K-HF als politische Dachorganisation die HF für Anrechnungsfragen sensibilisiert, Best Practice-Beispiele der Anrechnung formaler, nichtformaler und informeller Bildungsleistungen an HF identifiziert und diese ihren Mitgliedern zur Verfügung stellt. Damit unterstützt die K-HF den HF-übergreifenden Austausch zu Fragen, wie Prozesse optimiert werden können, um den Aufwand in Anrechnungsverfahren gering zu halten. Auch ein Austausch unter HF zu pädagogisch-organisatorischen Konzepten, die Anrechnung ermöglichen, ohne dass Lücken im Kompetenzerwerb der Studierenden entstehen oder die Ausbildungsqualität sinkt, könnte dadurch angeregt werden. Zudem wurde vorgeschlagen, dass die K-HF eine Anrechnungskommission einsetzt, die HF in Anrechnungsfragen berät. Eine weitere Empfehlung lautet, dass die HF Anrechnungsmöglichkeiten sowohl bei der Zulassung als auch an den Bildungsgang auf ihren Webseiten transparent kommunizieren.
Ebene der Weiterbildungsanbieter: Eine Schwierigkeit bei der Anrechnung nichtformaler Bildungsleistungen besteht darin, dass die Weiterbildungslandschaft unübersichtlich und Weiterbildungszertifikate sehr heterogen sind. Dies erschwert die Beurteilung der Wertigkeit von Abschlüssen und die Vergleichbarkeit mit Studieninhalten der HF. Um grössere Transparenz zu schaffen und die Anrechnung von Weiterbildung zu fördern, wurde deshalb empfohlen, auf Weiterbildungszertifikaten die Inhalte, erworbene Kompetenzen, das Kompetenzniveau und die Anzahl Lernstunden detaillierter zu dokumentieren.
Die Studienresultate und Empfehlungen werden vom SBFI im Projekt Berufsbildung 2030 «Anrechnung von Bildungsleistungen in der höheren Berufsbildung: Bildungsgänge HF» weiterbearbeitet (SBFI, 2023).
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie in den Projektberichten (Salzmann et al., 2021, 2022) und auf der Projekt-Webseite.
Zusammenfassung
Die Ausrichtung der Berufsbildung auf das lebenslange Lernen und die Entwicklung von Modellen zur Anrechnung von bereits erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen («Bildungsleistungen») an die formalen Berufsbildungsangebote sind wichtige bildungspolitische Ziele von Bund und Kantonen. Dabei sollen sowohl formal und nichtformal als auch informell erworbene Kompetenzen berücksichtigt werden. Die Anrechnungspraxis ist insbesondere auf der Tertiärstufe jedoch wenig transparent.
In einer national angelegten Studie untersuchte die Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung EHB im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI von 2020 bis 2022, wie die Anrechnung von Bildungsleistungen an HF umgesetzt und begründet wird. Ein besonderer Fokus lag auf der Anrechnung von Weiterbildung und informeller Bildung, da diese schwieriger zu validieren sind als formale Bildung.
Es wurde eine schweizweite Online-Befragung von Bildungsgangverantwortlichen zur gegenwärtigen Anrechnungspraxis an HF und deren Begründung durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in Workshops mit Verantwortlichen an HF, Weiterbildungsanbietern und Vertreterinnen des SBFI diskutiert und daraus Empfehlungen zur Förderung der Anrechnung von Bildungsleistungen abgeleitet. Diese umfassen die Steuerung auf nationaler Ebene und Massnahmen auf der Ebene der HF und der Weiterbildungsanbieter.
[1] Art. 9, Abs. 2 Berufsbildungsgesetz BBG Art. 7 Weiterbildungsgesetz WeBiG.Zitiervorschlag
Hämmerli, C. A., Salzmann, P., Neumann, J., Baumeler, C., & Engelage, S. (2023). Empfehlungen zur Förderung der Anrechnung von Bildungsleistungen. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(12).