Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Wie beeinflusst der Selbststudien-Anteil den Erfolg in Lehrgängen zur Berufsmaturität II?

Chancen und Herausforderungen des Selbststudiums

Ein höherer Anteil Selbststudium in einem Lehrgang zur Berufsmaturität II senkt die Abschlusswahrscheinlichkeit. Dies ergab eine Untersuchung der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETHZ anhand von vergleichenden Daten des AKAD College. Das Ergebnis zeigt, dass ein hoher Anteil Selbststudium mehr Disziplin erfordert, da sich die Studierenden weniger in einem Klassenverband eingebunden fühlen. Lehrganganbieter sollten die Studierenden darum vermehrt unterstützen und Gefässe schaffen, mit den Lehrpersonen und anderen Studierenden zu interagieren. Damit kann die Gefahr eines Isolationsgefühls gemindert werden. Dass sich das lohnen könnte, zeigt ein weiteres Ergebnis der Studie: Ein höheres Mass an Selbststudium führt nicht zu schlechteren Abschlussnoten.


Das Konzept des Selbststudiums, in welchem kein physisches Zusammenkommen von Lehrperson und Studierenden stattfindet, existiert schon lange. Der früheste dokumentierte Selbststudiumslehrgang wurde 1728 im Boston Gazette publiziert (Holmberg, 2005). Im Artikel offerierte ein Lehrer, den Interessenten jede Woche eine Lektion per Post zuzusenden. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde die schriftliche Version vom Selbststudium durch den Versand oder Ausstrahlung von Audio- und Videomaterial ergänzt. Mit dem Computer und dem Internet haben sich die technologischen Möglichkeiten für das Selbststudium noch einmal vervielfältigt. Als Folge davon gewinnen auch integrierte Lernmethoden, welche traditionelles Kontaktstudium mit Selbststudium verknüpfen, an Bedeutung. In diesen integrierten Lehrgängen sollen die technologischen Hilfsmittel die Lerneffektivität erhöhen.

Beim Selbststudium liegt der Anteil der Studierenden, welche die Berufsmaturität abschliessen, um einiges tiefer. Lediglich 38% dieser Studierenden beendet den Lehrgang erfolgreich.

Es stellt sich die Frage, wie effektiv diese verschiedenen Lernformen sind. In Renold, Bolli, Hulfed & Oswald-Egg (2019) ist die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich dieser Frage nachgegangen, indem die Abschlusswahrscheinlichkeit und Abschlussnoten in Lehrgängen für Berufsmaturitäten II analysiert werden. In diesen Lehrgängen wird nach Abschluss eines Eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses eine Berufsmaturität erworben. Dabei beruht die Analyse darauf, das AKAD College drei Möglichkeiten anbietet, um die Berufsmaturität II zu erlangen.

  • Die erste Möglichkeit dauert zwei Jahre und besteht aus einem reinen Selbststudium, bei welchem die Studierenden den Stoff selbständig zuhause erarbeiten.
  • Die zweite Möglichkeit – ein langer, 18-monatiger integrierter Lehrgang – kombiniert eigenständiges Selbststudium mit einem Tag Unterricht im Klassenverband pro Woche. Der Anteil Selbststudium in diesem Lehrgang beträgt rund 70%.
  • Die dritte Möglichkeit – ein kurzer, 12-monatiger integrierter Lehrgang – ist die kürzeste. Dabei verbringen Studierende zwei Tage pro Woche im Klassenzimmer und der Anteil Selbststudium beträgt knapp 50%.

Unterschiede kommen im ersten Semester zustande

Die Lehrgänge unterscheiden sich also substanziell in Bezug auf den Anteil Selbststudium. Das wirft die Frage auf, ob ein hoher Anteil Selbststudium zielführend ist – das heisst, die Studierenden so vorbereitet, dass sie die Berufsmaturität erwerben können. Dieser Fragestellung gehen Forschende anhand von administrativen Daten des AKAD College nach. Die Daten umfassen alle Studierende, welche zwischen 2007 und 2018 beim AKAD College die Berufsmaturität II begonnen haben, wobei die Daten der Studierenden im Selbststudium nur bis ins Jahr 2012 zurückreichen.

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Die linke Seite der Grafik 1 zeigt, dass im kurzen, integrierten Lehrgang 78% der Studierenden ihre Berufsmaturität abschliessen. Beim langen, integrierten Lehrgang liegt der Anteil der erfolgreichen Abschlüsse leicht tiefer, bei 73%. Dieser Unterschied kommt im ersten Semester zustande, während es danach keinen Unterschied zwischen den Abschlusswahrscheinlichkeiten mehr gibt. Beim Selbststudium liegt der Anteil der Studierenden, welche die Berufsmaturität abschliessen, um einiges tiefer. Lediglich 38% dieser Studierenden beendet den Lehrgang erfolgreich.

Isolation von Studierenden

Ein Blick in die Literatur zeigt, dass der Abbruch bei reinem Selbststudium eine weit verbreitet ist. Als Grund wird insbesondere die Gefahr angeführt, dass sich die Studierenden isoliert fühlen und ihre Motivation, den Lehrgang abzuschliessen, abnimmt. Deshalb zielen viele Diskussionen zur Verbesserung der Abschlussquote auf Massnahmen, welche die neuen technologischen Möglichkeiten nutzen, um die Einbindung der Studierenden verbessern (siehe z.B. Bernard et al. 2014). Diese Massnahmen können unterteilt werden in solche, welche den Studierenden direkt Unterstützung anbieten und Massnahmen, welche die Interaktion von Studierenden mit Lehrpersonen oder Mitstudierenden verbessern.

Zusätzliche Unterstützung kann allgemeine Unterstützung sein – zum Beispiel eine Informationsveranstaltung oder Hilfestellung bei administrativen Fragen. An Bedeutung gewinnt aber auch technologische Unterstützung. Sie ist besonders für Lehrgänge im Selbststudium wichtig, da hier technologische Hilfsmittel zum Lernen ohnehin eine zentrale Rolle spielen. Technologische Unterstützung reduziert die Berührungsangst mit diesen Technologien, denn auch die Computerfähigkeiten der Studierenden spielen eine wichtige Rolle. Daneben ist aber auch die Computer-Selbstwirksamkeit, also das Vertrauen, mit Computern umgehen zu können, wichtig.

So kann die Interaktion mit anderen Studierenden den vorzeitigen Abbruch eines Lehrgangs verhindern. Ein Beispiel hierfür ist die Möglichkeit für kollaboratives und kooperatives Lernen im Selbststudium.

Die Daten zur Verwendungshäufigkeit der technologischen Möglichkeiten sind umgekehrt auch eine Informationsquelle, Studierende zu identifizieren, welche gefährdet sind (siehe z.B. Sandoval, et al., 2018). Erstens ist die Verwendungshäufigkeit ein Indikator für technologisch versierte Nutzer. Zweitens steigt die Verwendungshäufigkeit mit der Motivation der Studierenden und kann deshalb als Indikator für die Motivation betrachtet werden. Diese Überlegungen zeigen, dass die neu entstehenden Technologien nicht nur dazu dienen, die Lerneffektivität zu verbessern, sondern auch helfen können, die Studierende zu unterstützen, zum Beispiel indem ihnen eine Erklärung der technologischen Möglichkeiten angeboten wird.

Schliesslich determiniert auch die Qualität der möglichen Interaktionen die Wirksamkeit des Selbststudiums. Dabei spielen insbesondere die Interaktion von Studierenden mit den Lehrpersonen, wie zum Beispiel der Möglichkeit, ein Feedback zu bekommen, eine zentrale Rolle. So kann die Interaktion mit anderen Studierenden den vorzeitigen Abbruch eines Lehrgangs verhindern. Ein Beispiel hierfür ist die Möglichkeit für kollaboratives und kooperatives Lernen im Selbststudium. Diese Interaktionsmöglichkeiten bieten kognitive, fachliche und emotionale Unterstützung. Dadurch können sie die Lerneffektivität erhöhen und wirken zudem einer möglichen Isolation entgegen.

In der wissenschaftlichen Literatur werden die Interaktionsformen dahingehend kategorisiert, ob Interaktionsformen den Studierenden entweder zeitgleich oder zeitlich getrennt zu interagieren erlauben. Zur synchronen Interaktion zählen Video- oder Audiokonferenzen, Chatrooms, virtuelle Klassenzimmer, in welchen Studierende untereinander oder mit einer Lehrperson interagieren können, oder Interaktionen von Angesicht zu Angesicht in einem physischen Klassenzimmer. Beispiele für die asynchrone Interaktion sind Aufgaben, welche gelöst und korrigiert werden, Emailversand oder andere Foren. Die Ergebnisse der Literatur zur Effektivität von synchroner und asynchroner Interaktion deuten darauf hin, dass asynchrone Interaktion mindestens gleich effektiv ist wie synchrone Interaktion (siehe z.B. Lou et al., 2006). Eine mögliche Erklärung für dieses Resultat ist, dass asynchrone Interaktion den Studierenden mehr Autonomie gewährt und die Studierenden stärker dazu animiert, den Ausbildungsstoff selbstständig zu verarbeiten und Zusammenhänge zu verstehen.

Literatur

  • Bernard, R. M. et al., 2014. A meta-analysis of blended learning and technology use in higher education: From the general to the applied. Journal of Computing in Higher Education, 26(1), pp. 87-122.
  • BFS, 2018. Berufsmaturitäten: Basistabellen.
  • Holmberg, B., 2005. The Evolution, Principles and Practices of Distance Education. s.l.:Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg.
  • Lou, Y., Bernard, R. M. & Abrami, P. C., 2006. Media and pedagogy in undergraduate distance education: A theory-based meta-analysis of empirical literature. Educational Technology Research and Development, 54(2), pp. 141-176.
  • Renold, U., T. Bolli, F. Hulfeld, und M.E Oswald-Egg (2019). Erster Bericht zum AKAD-Bildungsangebot zur Berufsmaturität II: Wirksamkeit von Präsenzunterricht und Frühwarnsystem, KOF Studies, 136.
  • Sandoval, A., Gonzalez, C., Alarcon, R., Pichara, K., & Montenegro, M. (2018). Centralized student performance prediction in large courses based on low-cost variables in an institutional context. The Internet and Higher Education, 37, 76-89.
Zitiervorschlag

Renold, U., Bolli, T., Hulfeld, F., & Oswald-Egg, M. E. (2019). Chancen und Herausforderungen des Selbststudiums. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 4(3).

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