Berufsbildung in Forschung und Praxis
Herausgeberin SGAB Logo

Interview zur Evaluation der Integrationsvorlehre (Invol)

«Die Integrationsvorlehre ist ein Erfolg»

Vor fünf Jahren wurde die Integrationsvorlehre für geflüchtete und migrierte Personen lanciert. Sie ist ein Erfolg: Mehr als 80 % der Teilnehmenden schliessen das Programm erfolgreich ab, von diesen beginnen rund 70 Prozent im Anschluss eine ordentliche Lehre. Auch die Betriebe äussern sich positiv.


Tsewang Tsering ist Projektleiter des Bundesprogramms Integrationsvorlehre (Invol): «Einer der ehemaligen Invol-Teilnehmer wurde 2022 sogar Schweizer Meister in der Kategorie Boden-Parkettleger.»

Tsewang Tsering, seit 2018 gibt es die Integrationsvorlehre (Invol) für geflüchtete und in die Schweiz migrierte Personen. Was lernen sie hier?

Die Teilnehmenden kommen in der Regel gegen Ende oder nach der obligatorischen Schulzeit in die Schweiz. Viele haben zwar erste Berufserfahrungen gemacht, verfügen aber selten über eine formale, nachobligatorische Ausbildung. Die Invol hilft ihnen, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und einen Beruf kennenzulernen. Die Teilnehmenden arbeiten während drei Tagen pro Woche in einem Betrieb. Hier erlernen sie grundlegende Fertigkeiten eines Berufes und überfachliche Kompetenzen. Sie erhalten in der Regel einen Lohn, der leicht unter dem im ersten Lehrjahr in einer zweijährigen Grundbildung liegt. Zudem sind sie zwei Tage in der Berufsfachschule, wo der Spracherwerb, die Kommunikation in der Arbeitswelt und die grundlegenden Kenntnisse des Berufsfelds im Zentrum stehen. Das Berufsfeld wählen sie in der Regel im Rahmen einer Potenzialabklärung vor Beginn der Invol. Die Invol wird in den meisten wichtigen Berufsfeldern angeboten.

Die Invol soll die Teilnehmenden auf eine reguläre Berufslehre vorbereiten. Wie gut gelingt das?

Das Programm wurde soeben von der Pädagogischen Hochschule Bern evaluiert. In den ersten fünf Programmjahren haben rund 4000 Personen teilgenommen, drei Viertel sind Männer. Mehr als 80 % haben sie erfolgreich abgeschlossen; knapp drei Viertel erreichen im mündlichen und rund 90 % im schriftlichen Bereich das angestrebte Sprachniveau. Nach dem jüngsten Invol-Jahr sind rund 70 % der Absolventen in eine berufliche Grundbildung eingetreten – zwei Drittel in eine zweijährige Lehre, ein Drittel in eine drei- oder vierjährige Lehre. Von den übrigen 30 % haben die allermeisten eine andere sinnvolle Anschlusslösung gefunden – ein Praktikum oder eine Erwerbsarbeit etwa. Nur drei Prozent stehen ohne Anschlusslösung da.

Hat Sie das positive Ergebnis überrascht?

Nach dem jüngsten Invol-Jahr sind rund 70 % der Absolventen in eine berufliche Grundbildung eingetreten – zwei Drittel in eine zweijährige Lehre, ein Drittel in eine drei- oder vierjährige Lehre.

Dass sich das von Bund, Kantonen und Wirtschaft partnerschaftlich getragene Programm bewährt, freut uns. In den Kantonen sind auch die Berufsfachschulen als wichtiger Partner zu erwähnen. Gemeinsam möchten wir dazu beitragen, dass möglichst viele geflüchtete oder migrierte Personen eine Ausbildung abschliessen, bevor sie in den Arbeitsmarkt eintreten. Motto: Arbeit dank Bildung. Ein tolles Beispiel ist Habibollah Hashemi, der aus Afghanistan fliehen musste und als Jugendlicher in die Schweiz kam. Nach der Invol begann er eine Lehre als Boden-Parkettleger – und gewann an den Swiss Skills 2022 die Goldmedaille in dieser Kategorie.

Rund 20 % steigen aber vorzeitig aus der Invol aus. Warum?

Dieser Anteil und die Gründe sind ähnlich wie bei regulären Lehren. Manchmal stimmt die Passung nicht, manchmal das Umfeld. Neben der Lernkompetenz und den sprachlichen Fortschritten in der Schule und Betrieb bildet eine lernfördernde Umgebung eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. Lernende in einer kollektiven Unterkunft ohne Rückzugsmöglichkeit haben es schwerer.

Wie zufrieden sind die Betriebe mit der Invol?

Sie sehen das Programm als Möglichkeit, Nachwuchskräfte zu rekrutieren; in manchen Berufsfeldern herrscht ein Mangel an Lernenden. Inhaltlich äussert sich die grosse Mehrheit zufrieden oder sehr zufrieden über die Invol, auch wenn die Begleitung der Lernenden am Anfang anspruchsvoll ist. Es kommt aber auch viel zurück: Die meisten Betriebe erleben die Teilnehmenden als engagierte Personen. Sie seien meist gut bei der Sache, gäben sich Mühe, seien interessiert und sehr motiviert.

Und wie gut finden die Teilnehmenden die Invol?

Rund 80 % der Teilnehmenden finden ihre Arbeit oft oder sogar fast immer interessant.

Auch sie sind grossmehrheitlich zufrieden bis sehr zufrieden. Rund 80 % finden ihre Arbeit oft oder sogar fast immer interessant. Sie können im Betrieb viel Neues lernen und das, was sie schon wissen und können, anwenden. Auch das Lernen in der Berufsfachschule beurteilen rund 80 % positiv.

In vielen Ländern hat die berufliche Bildung keinen guten Ruf. Wie leicht ist es, jungen Leuten zu vermitteln, dass ihnen statt eines Studiums nur eine Lehre bleibt?

Das erfordert in der Tat viel Aufklärungsarbeit durch die beratenden und fallführenden Stellen. Wichtig ist, dass diese darauf hinweisen, dass die Berufsbildung in der Schweiz ausgezeichnete Perspektiven bietet; rund zwei Drittel der Menschen in der Schweiz beschreiten diesen Weg. Und dank der Durchlässigkeit des Bildungssystems kann bei entsprechender Motivation auch nach der Lehre noch eine Berufsmatura, eine Höhere Berufsbildung oder ein Studium angehängt werden. Für die Sensibilisierung hilft auch, dass die Jugendlichen während zwei Tagen an der Berufsfachschule sind – dort, wo viele gleichaltrige Schweizer verkehren.

Viele Teilnehmende sind geflüchtet; manche haben schlimme Erlebnisse hinter sich. Welche Rolle spielen Traumatisierungen, familiäre Sorgen, gesundheitliche Probleme?

Das kann bei einigen Personen belastend sein. Im Rahmen der Invol agieren Lehrpersonen oder Coaches als niederschwellige Ansprechperson für Alltagsfragen. Schwere Traumatisierungen erfordern aber fachliche professionelle Unterstützung.

Ab Sommer wird die Invol zum Regelangebot. Nur 17 Kantone machen mit. Warum?

Die Invol ist ein freiwilliges Programm. Manche Kantone verfügen nicht über das notwendige Mengengerüst und schliessen sich einem grösseren Nachbarn an – in der Zentralschweiz beispielsweise. Es sind nur ganz wenige Kantone, die nicht mitmachen. Wir freuen uns vor allem, dass die Invol in allen Sprachregionen angeboten wird.

Dieser Beitrag erschien zuerst in «Alpha», Tages-Anzeiger

Bericht zur Evaluation in Transfer.

Informationen zur Integrationsvorlehre (SEM).

Zitiervorschlag

Fleischmann, D. (2024). «Die Integrationsvorlehre ist ein Erfolg». Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(7).

Das vorliegende Werk ist urheberrechtlich geschützt. Erlaubt ist jegliche Nutzung ausser die kommerzielle Nutzung. Die Weitergabe unter der gleichen Lizenz ist möglich; sie erfordert die Nennung des Urhebers.