Berufsbildung in Forschung und Praxis
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suissetec reagiert auf den Fachkräftemangel mit einem Coaching für Lehrbetriebe

«Dieses Coaching ist ein Meilenstein für die Berufsbildung»

Jede dritte Lehrstelle in der Baubranche bleibt derzeit unbesetzt. Viele vorzeitige Lehrabbrüche und eine hohe Durchfallquote bei Lehrabschluss belasten diese Berufe zusätzlich. Jetzt sucht suissetec, der Verband für die Gebäudetechnik, nach neuen Lösungswegen. Kosten: Über eine Million pro Jahr.


Markus Lisebach: «Unser Verband übernimmt die Verantwortung für ein Problem, das im Grunde seit Jahrzehnten besteht.»

Markus Lisebach, suissetec startet ein Coaching für Ausbildende in der Lehre. Warum?

Vorbild ist ein Projekt von suissetec Aargau, das wir nun auf möglichst alle 22 Sektionen in der ganzen Schweiz übertragen wollen. Wir haben in unseren Berufen der Gebäudetechnik – neun 3- oder 4-jährige Lehren und vier 2-jährige – einige offene Probleme. Wir verlieren 28% der Lernenden durch Lehrabbruch und 21% bei Lehrabschluss, weil sie die Prüfung nicht bestehen. Dazu kommt, dass viele Betriebe keine geeigneten Lernenden finden. Derzeit bleibt jede dritte Lehrstelle in der Baubranche unbesetzt.

Wie funktioniert das Coaching?

Derzeit bilden rund 1500 Betriebe Lernende aus. Viele von ihnen sind motiviert, manche aber haben Schwierigkeiten. Die Sektionen stellen Coaches an, die die Lehrbetriebe einmal im Jahr besuchen, den Kontakt zur Ausbildungsberatung der Kantone pflegen und auch übers Jahr für Fragen der betrieblichen Ausbildenden zur Verfügung stehen. Die Basis für das Gespräch bildet ein Leitfaden; Themen, die die Bildungsverantwortlichen besonders interessieren, werden vertieft. Ein Ergebnis kann ein Massnahmenplan sein, nach dessen Umsetzung sich der Coach zu gegebener Zeit erkundigt. Die Bildungscoaches erstellen Protokolle ihrer Gespräche und legen gegenüber ihrer Sektion Rechenschaft ab.

Was sind wichtige Coachingthemen?

«Im Kanton Aargau hat man mit Erfolg viele gefährdete Lehrverhältnisse gerettet, indem die Lernenden in die weniger anspruchsvolle zweijährige Grundbildung wechselten.»

Bildungscoaches sollen die Qualität der betrieblichen Bildung steigern. Ein wichtiger Hebel dafür sind betriebliche Ausbildungspläne, die zwar nicht vorgeschrieben, aber sehr hilfreich sind. Sie zeigen auf, wann welche Themen anstehen. Um einen solchen Plan zu erstellen, braucht es Zeit; aber die Investition lohnt sich. Eine gute Ausbildung erfordert zweitens eine Auseinandersetzung mit den Jugendlichen; sie mögen schwierig sein, aber wir waren das auch. Drittens gilt es in etlichen Betrieben noch einmal auf die Rekrutierung der Jugendlichen zu blicken; im Kanton Aargau hat man mit Erfolg viele gefährdete Lehrverhältnisse gerettet, indem die Lernenden in die weniger anspruchsvolle zweijährige Grundbildung wechselten.

Viele Berufe der Baubranche haben Mühe, Nachwuchs zu finden, sagten Sie. Wie erleben Sie das?

Handwerk hat goldenen Boden, und doch ist es für viele Jugendliche nicht mehr erste Wahl. Früher folgten manche Kinder ihren Eltern in den Beruf, heute hat kaum einer der Lernenden handwerkliche Erfahrungen gemacht. Aber wir beklagen uns nicht. Es gilt, die jungen Leute so zu nehmen, wie sie sind. Nützlich sind klare Instruktionen: Etwas mehr Zeit, um einen Auftrag zu erklären, entlang dem Modell ARIVA (ankommen und einstimmen, reaktivieren, informieren, verarbeiten, auswerten). Schliesslich sollte man auch mal danke sagen für eine geleistete Arbeit. Das sind einfache Dinge, aber sie sind sehr wirkungsvoll.

Wie gut finden die Betriebe das Coaching?

Der Coach im Kanton Aargau berichtet, dass er die Zahl der Betriebe, die bisher keinen Besuch wünschten, an einer Hand abzählen könne. Sie sind dankbar dafür, dass Leute aus dem eigenen Verband konkrete Unterstützung anbieten. Einer der Betriebe sagte zunächst, er habe nur zwanzig Minuten Zeit; daraus wurden zwei Stunden. Unser Coaching erfolgt in Form eines offenen Gesprächs und nicht als «Kontrollbesuch».

Und welche Verbesserungen erwarten Sie?

«In sieben Jahren wollen wir bei 10% Lehrabbrüchen sein.»

Wir verlieren wie erwähnt fast die Hälfte der Jugendlichen, die eine suissetec-Lehre angefangen haben. Diese Quote wollen wir massiv senken; im Rahmen der vom SBFI genehmigten Dokumente sprechen wir von 10% Lehrabbrüchen, auf die wir innerhalb von sieben Jahren kommen wollen.

Wieviel Geld wendet Ihr Verband dafür auf?

Das Bildungscoaching umfasst gesamtschweizerisch rund 1200 Stellenprozente und Gesamtaufwendungen von 1,32 Mio. Franken im Jahr. Das ist viel Geld. Aber wenn wir den wirtschaftlichen Schaden in Rechnung stellen, der durch den Ausfall von Lernenden entsteht, lohnt sich das Projekt finanziell, wenn wir die 10% erreichen.

Welchen Stellenwert hat Ihr Projekt für den Verband?

Mit dem Bildungscoaching setzen wir einen Meilenstein für die Berufsbildung. Kein anderer nationaler Verband kennt ein solches Angebot. Unser Verband übernimmt die Verantwortung für ein Problem, das im Grunde seit Jahrzehnten besteht. Ich bin enorm motiviert dafür, und ich merke, dass das Projekt auch in den Sektionen schwungvoll aufgenommen wird.

Ist die Sicherung der Qualität der betrieblichen Bildung nicht eigentlich eine Aufgabe der kantonalen Ämter?

«Gemessen an der Wirkung, die die Lehrbetriebe auf die Erfolgsquote von Lernenden haben, sind die Anstrengungen der Kantone für die Steigerung der Qualität sehr bescheiden.»

Die Berufsbildung ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt. In der Frage der Qualitätssicherung der betrieblichen Bildung ist das Gesetz mehrdeutig: Während Artikel 8 des Berufsbildungsgesetzes die Qualitätsentwicklung als eine Aufgabe der Anbieter von Berufsbildung definiert, sagt Artikel 24, dass die Aufsicht über die Qualität der Bildung in beruflicher Praxis kantonale Sache sei. Fakt ist, dass die Ämter kaum Ressourcen haben, um die betriebliche Ausbildungsqualität zu kontrollieren oder zu verbessern. Aber statt zu streiten, nehmen wir die Sache jetzt selber in die Hand.

Sie könnten die Kantone um Mitfinanzierung angehen.

Der Bund unterstützt uns im Rahmen seiner Projektfinanzierung, darüber freuen wir uns. Aber Sie haben schon recht: Gemessen an der Wirkung, die die Lehrbetriebe auf die Erfolgsquote von Lernenden haben, sind die Anstrengungen der Kantone für die Steigerung der Qualität sehr bescheiden.

Markus Lisebach ist Leiter Qualitätssicherung Bildung beim Schweizerisch-Liechtensteinischen Gebäudetechnikverband (suissetec); ein Teil der Antworten im Interview steuerte Daniel Stamm bei (Leiter Bildung bei suissetec). Dieser Beitrag erschien zuerst in «Alpha», Tages-Anzeiger.

Zitiervorschlag

Fleischmann, D. (2024). «Dieses Coaching ist ein Meilenstein für die Berufsbildung». Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 9(10).

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