Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Der Kanton Waadt will die Berufsbildung stärken

Junior Team als Alternative zum klassischen dualen Modell

In den meisten europäischen Ländern hat die berufliche Grundbildung an Attraktivität eingebüsst. Das gilt auch für die Schweiz, besonders in der Westschweiz. Der Kanton Waadt versucht seit einigen Jahren, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Zu den innovativen Projekten gehört die Berufsbildung im Junior Team – Teams von Lernenden in den Betrieben, die denselben Beruf erlernen und von einem Vollzeitmitarbeiter betreut werden. Ziel sind die Erhöhung der Anzahl der Lehrstellen, die Förderung der Ausbildungsqualität und die Verbesserung des Images der beruflichen Grundbildung bei Jugendlichen und Eltern. Die ersten Ergebnisse dieses Projekts sind zwar vielversprechend. Aber die Herausforderungen für die beteiligten Unternehmen sind nicht zu unterschätzen.


Junior Teams bestehen aus fünf bis acht Lernenden, die den gleichen oder einen verwandten Beruf erlernen und gemeinsam an den selben Projekten arbeiten können.

In den meisten europäischen Ländern ist der Anteil der Jugendlichen, die sich für eine Berufsbildung entscheiden, in den letzten Jahren zugunsten der Allgemeinbildung zurückgegangen, auch in Deutschland, dessen duales System seit langem als Vorbild gilt (Kriesi et al., 2022). Die Schweiz bildet hier keine Ausnahme: Heute entschieden sich 4,6% weniger Jugendliche für eine Lehre als 2014 (Wolter in Fleischmann, 2023). Dabei gibt es starke kantonale Unterschiede, da einige Kantone entgegen dem allgemeinen Trend einen Anstieg an Lernenden verzeichnen.

Im Kanton Waadt, wo die berufliche Grundbildung seit vielen Jahren sinkende Zahlen verzeichnet, geht die Suche nach den Ursachen mit der Einführung politischer Massnahmen zur Förderung der Berufslehre einher. Zu den Faktoren, die als attraktivitätsmindernd erkannt wurden, gehört etwa die Befürchtung einiger Jugendlicher, direkt in die Arbeitswelt einzusteigen; andere zweifeln, ob sie den Anforderungen einer Lehre gerecht werden; dritte sind überzeugt, dass eine allgemeinbildende Ausbildung zu einer spannenderen und besser bezahlten Laufbahn führt; und vierte möchten die Vorzüge eines studentischen Lebens geniessen, die mit einer allgemeinbildenden Ausbildung verbunden sind.

Um auf all diese Ebenen einzuwirken, sind Innovationen nötig – ein Anspruch, der sich auch in den Grundzügen der nationalen Initiative «Berufsbildung 2030» wiederfindet. Wir behaupten nicht, dass das traditionelle duale Modell überholt sei; in vielen Unternehmen, z.B. in den kleinsten KMU, und für bestimmte Profiltypen von Jugendlichen und von Berufsbildenden behält das Modell seine Berechtigung. Aber wir finden, dass es notwendig ist, neben dem klassischen dualen Modell alternative Ausbildungsmodelle zu fördern, um Jugendliche für eine Berufslehre zu gewinnen. Zu diesen Modellen gehört das Junior Team.

Im Folgenden werden dieses pädagogische Modell und seine Stärken sowie die grössten Herausforderungen beschrieben. Wir ziehen dafür ein Monitoring heran, das dank der Unterstützung des SBFI im Rahmen des neuen, während der Pandemie lancierten Programms«Lehrstellen COVID-19» umgesetzt werden konnte[1]. Von den seit 2020 entstandenen acht Junior Teams[2] wurden fünf ausgewertet; die letzten drei Junior Teams starteten eben gerade im August 2023.

Aufbau und Ziele der «Junior Team»-Ausbildung

Manche Unternehmen setzen eine einzige Person zu 100 Prozent für die Betreuung des Junior Teams ein, in anderen teilt sich ein Zweierteam dieses Vollzeitäquivalent.

Junior Teams bestehen aus fünf bis acht Lernenden, die den gleichen oder einen verwandten Beruf erlernen (z. B. Carosseriespenglerin und Carosserielackierer) und gemeinsam an den selben Projekten arbeiten können. Das Modell verändert also die Bedingungen für die praktische Ausbildung im Betrieb; daneben besuchen die jungen Leute weiterhin wie alle anderen Lernenden den theoretischen Unterricht und die überbetrieblichen Kurse. Junior Teams stehen unter der Verantwortung eines betrieblichen Berufsbildners, dessen Arbeitszeit vollständig dieser Aufgabe gewidmet ist. Normalerweise wird die Ausbildung von Lernenden stillschweigend vereinbart; die Mitarbeitenden erledigen sie am Rande ihrer eigentlichen Arbeit. Demgegenüber ermöglicht die formale Festlegung der Aufgabe im Rahmen der Junior Teams eine klare Unterscheidung zwischen der Zeit, die der Ausbildung gewidmet wird und jener in der Produktion. Manche Unternehmen setzen eine einzige Person zu 100 Prozent für die Betreuung des Junior Teams ein, in anderen teilt sich ein Zweierteam dieses Vollzeitäquivalent. Dies hat den Vorteil, dass organisatorische Engpässe bei urlaubs- oder krankheitsbedingten Absenzen besser bewältigt werden können.

Die Teams setzen sich aus Lernenden zwischen dem ersten und dem letzten Ausbildungsjahr zusammen. Die Berufsbildnerin überträgt den älteren von ihnen die Aufgabe, bestimmte Fachkompetenzen an die neuen Lernenden weiterzugeben. Das Vorgehen fördert die Entwicklung von Autonomie und Zusammenarbeit unter den Jugendlichen. Die Aufsicht der verantwortlichen Person stellt sicher, dass die Lernenden die Fähigkeiten ausreichend beherrschen, die sie an ihre Peers weiterzugeben.

Ein weiterer grosser Vorteil des Modells ist, dass es für junge Menschen geeignet sein kann, die einen direkten Berufseintritt scheuen, weil sie Angst vor dem direkten Eintritt in die Arbeitswelt haben. Im Junior Team sind die meisten Kollegen Gleichaltrige, die tendenziell gemeinsame generationsspezifische Bezugspunkte und Interessen aufweisen und so mehr kollektive Sicherheit bieten. So wird eine schrittweise Steigerung der Kontakte mit älteren Kolleginnen und ein Herantasten an die Realitäten der Berufswelt ermöglicht.

Stärken des Modells

Zu den bedeutendsten Vorzügen gehört die Verbesserung der Leistungen der Lernenden in der Berufsfachschule und in den überbetrieblichen Kursen.

Neben einer Reihe von positiven Effekten zeitigten die Junior Teams auch weniger wünschenswerte Effekte. Diese offenbarten die Grenzen des Modells und gaben Anlass für Verbesserungen.

In qualitativer Hinsicht haben die  Junior Teams eine positive Wirkung. Sie erhöhen die Anzahl der Lehrstellen in den Unternehmen, die partizipieren – ein Kriterium für den Erhalt von Startsubventionen, die der Kanton auf der Grundlage der Finanzierungen des SBFI gewährt. Zudem stellten die beiden am Projekt beteiligten Unternehmen im Carosseriebau – einer Branche, die seit vielen Jahren Mühe hat, Lernende zu finden – einen Anstieg der Bewerbungen fest. Aus ihrer Sicht ist das Modell ein gutes Argument für die Jugendlichen und ihre Eltern.

Ebenso wichtig sind die qualitativen Fortschritte. Zu den bedeutendsten Vorzügen gehört die Verbesserung der Leistungen der Lernenden in der Berufsfachschule und in den überbetrieblichen Kursen. Sowohl die Jugendlichen, die bereits in Betrieben mit diesem Modell eine Lehre machten, als auch jene, die nach einer Auflösung ihres Lehrvertrags in einen solchen Betrieb wechselten, steigerten sich. Zudem haben alle Jugendlichen, die ihre Ausbildung in den fünf untersuchten Junior Teams abgeschlossen haben, das Qualifikationsverfahren bestanden. Diese Ergebnisse lassen sich durch die solide praktische Anleitung erklären, die diese Jugendlichen in den Betrieben erhalten, und durch das theoretische Wissen, das von den betrieblichen Berufsbildnerinnen vermittelt wird.

In einigen Unternehmen ist zudem die Fehlzeitenquote der Lernenden seit der Einführung des Modells rückläufig. Dabei handelt es sich vor allem um Abwesenheiten am Rande des Wochenendes oder von weniger als drei Tagen, für die in der Regel kein ärztliches Attest verlangt wird. Die Verbesserung der Ausbildungsbedingungen und die Solidarität innerhalb des Jugendteams scheinen Gründe für diese positive Entwicklung zu sein.

Grenzen des Modells

Die zweite Herausforderung betrifft das Erlernen des mit produktionsrelevanten Tätigkeiten verbundenen Arbeitstempos.

Dennoch ist die Umsetzung der Junior Teams herausfordernd. So gaben die fünf im Rahmen des Monitorings befragten Unternehmen an, sie hätten die Auswirkungen der Neuerung auf ihre interne Arbeitsorganisation und auf die Zeit, um ein reibungsloses Funktionieren des Teams zu gewährleisten, unterschätzt. Die Unternehmen berichteten von einer «Trial and Error»-Phase in den ersten sechs Monaten nach Projektbeginn. Sie war geprägt von der Kompromissfindung zwischen dem Junior Team und den Fachleute-Teams; gesucht war ein Gleichgewicht zwischen Ausbildungszeiten und produktiven Tätigkeiten. Der Erfolg dieses Anpassungsprozesses hängt davon ab, ob das neue Modell von den Mitarbeiterinnen akzeptiert wird und ob es auch nach Ablauf der zweijährigen Förderung noch tragbar ist. Einige Unternehmen haben im ersten Projektjahr ihre Personalabteilungen einbezogen, um die Berufsbildner zu unterstützen; dadurch entstanden ursprünglich nicht vorgesehene Kosten.

Die zweite Herausforderung betrifft das Erlernen des mit produktionsrelevanten Tätigkeiten verbundenen Arbeitstempos. Es besteht die Gefahr, dass Ausbildung und Praxis zu strikt voneinander getrennt sind. Die Fähigkeit, mit Zeitdruck umzugehen, ist jedoch entscheidend, um eine Ausbildung erfolgreich abzuschliessen und eine gute Fachkraft zu werden (Ruiz, 2021). Die Unternehmen haben Lösungen für diese Problematik gefunden, indem sie die Lernenden häufiger in die Produktion integrierten oder – wie es eine Carosseriewerkstatt getan hat – indem sie ein Praktikum in einem anderen Unternehmen organisierten.

Herausfordernd war schliesslich die Kommunikation. Nach Spannungen mit einigen kantonalen Berufsverbänden, die das Modell nicht vollständig zu verstehen schienen (es wurde manchmal fälschlicherweise mit einem neuen Zentrum für überbetriebliche Kurse in Verbindung gebracht), erschien es wesentlich, alle Akteure der betroffenen Branchen über die Umsetzung dieser Art von Projekten zu informieren.

Einige Hinweise zum Schluss

Das Modell Junior Team hat zwar viele Vorzüge, doch die Umsetzung im Alltag ist anspruchsvoll. Der Kommunikation rund um die Einführung des Modells in die Unternehmen und ihre Organisation muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Rolle der Mitarbeiter, die Junior Teams betreuen, unterscheidet sich von der der Berufsbildenden in gewöhnlichen Lehrbetrieben. Um die Bewältigung der neuen Aufgabe zu erleichtern, werden im Kanton Waadt derzeit Weiterbildungsmodule entwickelt; dadurch wird dieses neue Modell noch stärker institutionalisiert – offensichtlich wird es sich etablieren. Das Bildungsamt des Kantons Waadt hat kürzlich in seinem neuen Aktionsplan für die Berufsbildung[3] beschlossen, fünf neue Junior Teams finanziell zu unterstützen, von denen eines für Malerinnnen und Maler EFZ soeben gestartet ist. Bis 2027 werden vier weitere folgen, eines pro Jahr.

Bibliographie

  • Fleischmann, D. (2023). Die berufliche Grundbildung verliert an Terrain. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8 (2).
  • Kriesi, I., Bonoli, L., Grønning, M., Hänni, M., Neumann, J., & Schweri, J. (2022). Trendbericht 5: Spannungsfelder in der Berufsbildung international und in der Schweiz. Zollikofen, EHB
  • Ruiz, G. (2021). La socialisation temporelle des apprentis. Le cas des médiamaticiens et assistantes en soin et santé communautaire dans le canton de Vaud. Neuchâtel : Editions Alphil-Presses universitaires suisses.
[1] Mit der Förderung wird das Äquivalent einer Vollzeitstelle für den Posten der Berufsbildnerin des Junior Team in den ersten beiden Jahren finanziert. Um die Finanzierung zu erhalten, müssen die Unternehmen nachweisen, dass sie finanziell in der Lage sind, das Junior Team nach Ablauf der Förderung weiterzuführen.
[2] Die acht im Rahmen der Finanzierung durch das SBFI angeregten Junior Teams wurden in den folgenden Berufen gebildet: Carrosseriespengler EFZ, Carrosserielackiererin EFZ und Lackierassistent EBA (2 Junior Teams); Köchin EFZ (1 Junior Team); Fachmann Hauswirtschaft EFZ und Fachfrau Betriebsunterhalt EFZ (1 Junior Team); Fachmann Gesundheit EFZ, Fachfrau Betreuung EFZ und Assistentin Gesundheit und Soziales EBA (1 Junior Team); Gipser EFZ (1 Junior Team); Informatikerin EFZ (1 Junior Team) und Coiffeur EFZ und EBA (1 Junior Team).
[3] Massnahme Nr. 13 des Aktionsplans für die Berufsbildung hier (auf Französisch) nachzulesen.
Zitiervorschlag

Ruiz, G., & Munz, H. (2023). Junior Team als Alternative zum klassischen dualen Modell. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(9).

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