Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Bewährtes Verfahren der datengestützten Unterrichtentwicklung der PH FHNW

Mit Luuise mehr Erfolg im Unterricht

Nicht immer gelingt der Unterricht gleich gut. Oft scheint die Zeit für den dichten Lernstoff zu knapp zu sein, und wenn die Lernenden dann auch noch die Hausaufgaben liegen lassen, wird es gänzlich unerfreulich. Wie können Lehrpersonen solche Situationen meistern? Eine mögliche Antwort: Indem sie die Lernenden in die Verantwortung für ihren Lernprozess einbinden. Wie das gehen kann, zeigt der vorliegende Beitrag. Dank eines Verfahrens namens Luuise gelingt es Lehrpersonen mit selbst erhobenen Daten, in ihrem Unterricht das Lernen zielgerichtet zu fördern. Luuise ist auch ein Instrument, wie Schulleitende – im Zusammenspiel mit unterrichtsbezogenen Evaluationen – Schulqualität voranbringen können.


Unterrichtsentwicklung mit Luuise – ein Praxisbeispiel

Nach kurzer Zeit bearbeiten die Lernenden ihre Hausaufgaben grossmehrheitlich termingerecht. Sie formulieren präzisere Gedanken zu Wissenslücken und Unsicherheiten. Sie gewinnen Sicherheit beim Stellen und Beantworten von Fragen.

Der Informatikunterricht im ersten Lehrjahr an der Technischen Berufsschule Zürich findet einmal pro Woche im Präsenzunterricht statt. Der Lernstoff ist dicht, die Kontaktstunden sind gering dosiert. Andreas Corsten, ein erfahrener Berufsschullehrer stellt fest, dass seine Lernenden die Hausaufgaben wiederholt oberflächlich bearbeiten. Von der knapp bemessenen Präsenzzeit muss sie viel für die nachträgliche Aufarbeitung der Hausaufgaben einsetzen. Zudem beklagen die Lernenden, dass die Vorbereitung für die Prüfungen viel Zeit in Anspruch nehme. Die erfahrene Lehrperson nimmt an, dass wiederholtes Liegenlassen von Hausaufgaben zu einer Lernblockade führt. Sie möchte dies innert den folgenden Wochen ändern und eine höhere Lerneffektivität ermöglichen. In der ersten Woche der Umsetzung schlägt sie der Klasse zwei Ziele vor:

  1. Bis 18:00 Uhr am Vortag des berufskundlichen Unterrichts tragen die Lernenden mindestens eine schriftliche «Muddiest Point»-Frage zu den Hausaufgaben auf einer digitalen Pinnwand ein. Mindestens 80% der Lernenden sollen dies tun. Eine «Muddiest-Point»-Frage wird zu demjenigen Aspekt des Lerninhalts gestellt, der einem «am wenigsten klar» ist. So sind alle Lernenden auf ihren individuellen Verständnisniveaus angesprochen. Es werden «echte Fragen» gestellt.
  2. In der Lektion sollen dann von der Lehrperson zufällig den Lernenden zur Beantwortung zugeteilte Fragen zu mindestens 60% korrekt beantwortet werden.

Die Lernenden steigen auf den Vorschlag ein. Auch sie erkennen in ihrer verschleppenden Hausaufgabenbearbeitung eine der Ursachen für die wenig fruchtbaren Aufgabenbesprechungen und für ihren «Lernstau» vor Prüfungen. In der ersten Lektion starten sie die Hausaufgabenbearbeitung gemäss der neuen Anleitung. Die «muddiest-point»-Fragen werden vereinbarungsgemäss auf der digitalen Pinnwand eingetragen. Die Lernenden priorisieren diejenigen Fragen mit aus ihrer Sicht hohem Klärungsbedarf. Am Vorabend der zweiten Lektion sichtet die Lehrperson die Fragen und die Priorisierung der Lernenden. Im Unterricht projiziert sie dann die Fragen. Nach Zufall weist sie die priorisierten Fragen den Lernenden zu und bittet um eine mündliche Beantwortung; sie ergänzt und korrigiert nach Bedarf. Zu den nicht bearbeiteten Fragen formuliert sie auf der Pinnwand eine schriftliche Antwort, die nach der Lektion nachgelesen werden kann. Dieses Vorgehen wiederholt sie über weitere Wochen hinweg.

Mit Einträgen in einer Tabellenkalkulation hält die Lehrperson in jeder Lektion anonymisiert fest, (1) wie viele Lernende den Vorbereitungsauftrag rechtzeitig bearbeitet haben und (2) wie viele Lernende in der Lektion eine zufällig zugeteilte Frage korrekt beantwortet haben. Abbildung 1 zeigt die Anzahl der von den Lernenden korrekt beantworten Fragen in Prozenten (Ziel 2):

Abbildung 1: Prozentzahlen der korrekt beantworteten «Muddiest -Point»-Fragen. (Quelle: Andreas Corsten, TBZ Zürich)

Diese Daten werden von der Lehrperson und den Lernenden jeweils zum Abschluss der Lektion gemeinsam ausgewertet. Die visualisierten ersten Erfolge motivieren Klasse, die bisher umgesetzten Massnahmen weiterzuverfolgen. Die unterrichtsintegrierte Datenerhebung bringt zudem an den Tag, dass die Instruktionen oder der Hausaufgabenauftrag nicht immer für alle Lernenden klar sind. Die Lehrperson überarbeitet in der Folge ihr Angebot: Sie verdeutlicht die Intention der Aufträge und verbindet diese enger mit den Lernzielen. Beides wird im Präsenzunterricht detaillierter erklärt. Für die Hausaufgabenbearbeitung stellt sie weitere schriftliche Anleitungen mit Hinweisen zu Lernstrategien bereit.

Im Laufe der Umsetzung zeigen die gemeinsam getragenen Massnahmen und die dialogische Auswertung der visualisierten Daten schnell Wirkung. Nach kurzer Zeit bearbeiten die Lernenden ihre Hausaufgaben grossmehrheitlich termingerecht. Sie formulieren präzisere Gedanken zu Wissenslücken und Unsicherheiten. Sie gewinnen Sicherheit beim Stellen und Beantworten von Fragen. In den Besprechungen möchten die Lernenden ihr Hausaufgabenmangament besser im Griff haben. Mit Hilfe der Lehrperson erarbeiten sie individuelle Lernpläne, die sie bei der Zeiteinteilung und der vertieften Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsstoff unterstützen. Mit diesen Instrumenten lösen sie den eingangs beklagten «Lernstau». Die Lernenden erkennen in der wiederholt durchgeführten Hausaufgabenbesprechungen, wie sie von den Massnahmen profitieren. Sie zeigen nachhaltig mehr Sicherheit bei der Bearbeitung und Besprechung der Hausaufgaben. Klagen über zu viel Lernstoff vor Prüfungen gibt es kaum mehr. Nach mehreren Wochen schliesst die Lehrperson mit den Lernenden das Luuise-Projekt ab. Sie beobachtet in der Folge, dass die Projektergebnisse bis zum Ende des Schuljahrs stabil bleiben.

Belege aus der Bildungsforschung

Der renommierte Bildungsforscher John Hattie, mit dem das Luuise-Team seit vielen Jahren zusammenarbeitet, postuliert in seinem Standardwerk «Visible Learning for teachers» (2014) «evaluatives Denken» der Lehrpersonen als Schlüssel zum Lernerfolg der Lernenden.

Der Berufsfachschullehrer im Beispiel hat das Luuise-Verfahren genutzt: «Lehrpersonen unterrichten und untersuchen integriert, sichtbar und effektiv». In den 1990er-Jahren im deutschen Hochschulkontext der Sozialen Arbeit erstmals eingesetzt, ist das Verfahren seither von Wolfgang Beywl und seinem Team an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz für den Einsatz auf allen Bildungsstufen weiterentwickelt worden. Ein erster Einsatz in der Primarstufe fand 2011 statt, die Sekundarstufen I und II folgten ab 2013. In der Hochschule Luzern wurde das Verfahren in der Hochschuldidaktik 2017 eingeführt, im Kindergarten ab 2019. Seit 2013 haben etwa 1’500 Lehrpersonen Luuise meist erfolgreich eingesetzt.

Seine Wirksamkeit ist durch Ergebnisse der internationalen Bildungsforschung belegt. Der renommierte Bildungsforscher John Hattie, mit dem das Luuise-Team seit vielen Jahren zusammenarbeitet, postuliert in seinem Standardwerk «Visible Learning for teachers» (2014) «evaluatives Denken» der Lehrpersonen als Schlüssel zum Lernerfolg der Lernenden. Im Nachfolgewerk zu «Visible Learning» (2015) erweiterte Hattie (2023) die Forschungsbasis auf über 360 Einflussfaktoren auf das Lernen. Die unter der Überschrift «Teaching with Intent» zusammengefassten Faktoren bilden den Kern seines Modells des effektiven Unterrichtens. Das Luuise-Verfahren setzt dieses konsequent in die Unterrichtspraxis um (vgl. ausführlich Beywl et al., 2023). Im Praxisbuch für das Luuise-Verfahren (vgl. Beywl et al. 2023) werden 36 von Lehrpersonen bereitgestellte Praxisbeispiele mit 35 Einflussfaktoren aus John Hatties (2023) Meta-Studie verbunden. Mit den vielen Praxisbeispielen, Verweisen auf Wirkfaktoren aus Hatties Forschung, Anleitungen und Planungshilfen unterstützt dieses Selbstlernbuch Lehrpersonen bei der Optimierung ihres Unterrichts.

Das Luuise-Verfahren – so funktonierts

Das Luuise-Verfahren wird über fünf Schritte geplant und durchgeführt. Die Abbildung veranschaulicht die Schritte der zwei Handlungsstränge «professionelles unterrichten» und «systematisches untersuchen» wie sie bei der Planung und Umsetzung eines Luuise-Projekts miteinander verbunden sind:

Abbildung 2: Die fünf Luuise-Schritte (Quelle: PH FHNW).

  1. Lehrpersonen starten ihre Luuise-Planung bei einer wiederholt als Herausforderung erlebten Situation des eigenen Unterrichts (Knacknuss). Sie formulieren Annahmen, was vermutlich zu dieser Knacknuss geführt hat.
  2. Sie setzen attraktive Ziele, die sich auf das zu fördernde Lernen der Schülerinnen und Schüler beziehen. Im Idealfall legen sie die Ziele gemeinsam mit den Lernenden fest.
  3. Sie legen fest, mit welchen Handlungen und Massnahmen (Unterrichtsintervention) sie die Zielerreichung erreichen wollen. Während der Durchführung sind sie dazu mit den Lernenden im konstruktiven Dialog.
  4. Mit einem geeigneten Datenerhebungsinstrument erzeugen sie möglichst integriert in den Unterricht fortlaufend Daten zum Lernfortschritt der Lernenden. Sie dokumentieren mit den Daten auch, wie sie mit ihrem Unterrichtsangebot zum Lernfortschritt beitragen.
  5. Die visualisierten Projektergebnisse werden im Dialog mit den Lernenden ausgewertet. Lehrperson und Lernende nutzen die Erkenntnisse für die Stärkung von effektivem Unterrichten und erfolgreichem Lernen.

Was kennzeichnet Knacknüsse, die mit dem Luuise-Verfahren bearbeitet werden? Es sind wiederholt erlebte Vorkommnisse, welche die Lehrperson bei einer Mehrzahl von Lernenden beobachtet. In der professionellen Einschätzung der Lehrperson schwächen, verzögern oder behindern sie die Lernprozesse, wirken störend – für die Lernenden selber, für andere Lernende oder für die Lehrperson. Deren Beseitigung oder Verminderung versprechen konzentrierteres und vertiefteres Lernen, reibungsloseren Unterricht, gestärkte Beziehungen, usw. Luuise-Knacknüsse finden sich auf folgenden drei Ebenen:

  • Lernstart bei Lernenden: z.B. keine oder Verspätung, nicht (vollständig) vorhandene Lernmittel und Materialien, wenig unterstützendes Lernklima, etc.
  • Lernhandeln der Lernenden: z.B. verzögerter Start bei Selbstlernphasen, ungleich verteilte Aufgaben bei Gruppenarbeiten, wenig oder fehlende Beteiligung im mündlichen Unterricht, etc.
  • Lernresultate: z.B. gering ausfallende Lernresultate, Lerninhalte gehen schnell wieder vergessen, ungleich verteiltes Erreichen der Lernziele, etc.

Luuise an beruflichen Schulen

In der Schweiz wurde Luuise an folgenden beruflichen Schulen eingeführt: KV Zürich Business School (2016-2017), Bildungszentrum Zürichsee (2016) sowie Technische Berufsschule Zürich (2018).

2013 leitete das Luuise-Team der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz zusammen mit der EDK-Fachagentur ZEM CES (Schweizerisches Zentrum für die Mittelschule und für Schulevaluation auf der Sekundarstufe II) die Einführung von Luuise auf der Sekundarstufe II ein. Berufsfachschullehrende aus verschiedenen Berufen setzen das Luuise-Verfahren seit 2016 um. In Baden-Württemberg ist eine grössere Gruppe von zertifizierten Luuise-Coachs seither im Einsatz. Sie leiten im Auftrag des Kultusministeriums Berufsschullehrpersonen in der Anwendung des Luuise-Verfahrens an. Die Weiterbildungen werden vom Landesfachteam datengestützte Unterrichtsentwicklung landesweit koordiniert. In der Schweiz wurde Luuise an folgenden beruflichen Schulen eingeführt: KV Zürich Business School (2016-2017), Bildungszentrum Zürichsee (2016) sowie Technische Berufsschule Zürich (2018).

Fazit

Lehrpersonen vermögen mit Luuise-Vorhaben die Lernerfolge der Lernenden zu steigern. Inhalte werden besser verstanden; nachhaltiges Wissen wird aufgebaut. Lernende übernehmen zunehmend Verantwortung für ihren Lernprozess. Der Dialog über das Lernen fördert die Beziehung zwischen den Lernenden und der Lehrperson. Dies kann dazu beitragen, dass Lernende sich aufgehoben fühlen, was sich positiv auf ihre Lernmotivation und ihre Bereitschaft auswirkt, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen. Da Luuise-Projekte oft in Lehrpersonenteams geplant werden, wird zudem deren Wirksamkeitserwartung positiv beeinflusst.

Weiterführende Informationen zum Luuise-Verfahren sind auf der Website der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) abrufbar, weitere Praxisbeispiele aus verschiedenen Unterrichtskontexten hier. Lehrpersonen, die das Luuise-Verfahren anwenden wollen, können das Know-How dazu in Weiterbildungen der PH FHNW erlernen. Schulen holen sich dieses Angebot auch als schulinterne Weiterbildung ins Haus. Zudem ist im Oktober ein Praxishandbuch erschienen, das Sie hier kostenpflichtig bestellen können.

Angebote des ZEM CES bringen Schulen voran

ZEM CES (Schweizerisches Zentrum für die Mittelschule und für Schulevaluation auf der Sekundarstufe II) hat in vielen Kantonen die Aufgabe, im Rahmen von externen Schulevaluationen die Funktionalität des Qualitätsmanagements der Schulen bzw. einzelne Elemente des Qualitätsmanagements aus externer Sicht zu beurteilen. ZEM CES stellt den Schulen und Kantonen mit den «Externen Schulevaluationen» und den «Standardisierten Abschlussklassenbefragungen» (SAB) zwei bewährte Instrumente zur Überprüfung und Weiterentwicklung der Schul- und Unterrichtsqualität zur Verfügung. In der aktuellen Ausprägung der Externen Schulevaluationen formulieren die Schulen selbst Evaluationsfragen, welche vom Evaluationsteam aufgrund verschiedener Datenerhebungen beantwortet werden. So erhält die Schule eine fundierte Aussensicht zu einem Themenbereich, der für die aktuelle Schul- und Unterrichtsentwicklung von besonderer Bedeutung ist.

Schulen, die beispielsweise seit zwei oder drei Jahren systematisch mit Luuise arbeiten, können den evaluatorischen Blick auf den Nutzen und Aufwand aus Sicht der Lernenden und Lehrpersonen richten und dem Evaluationsteam entsprechende Fragestellungen vorlegen.

Literatur

  • Beywl, Wolfgang, Pirani, Kathrin, Wyss, Monika, Mittag, Michael, & Hattie, John A. (2023). Lernen sichtbar machen – Das Praxisbuch. Erfolgreich unterrichten mit dem Luuise-Verfahren. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.
  • Beywl, Wolfgang. 2019. Vom Miteinander überzeugte Lehrpersonen steigern die Lernerfolge. Kollektive Wirksamkeitserwartung als Angelpunkt der Schulentwicklung. Journal für Schulentwicklung 23 (1): 50 – 53
  • Beywl, Wolfgang / Gaß, Brigitte. 2019. „Luuise bietet tiefen Einblick in den eigenen Unterricht“. In: Newsletter der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen 2017/2018, S. 17-19
  • Hattie, John. 2023. Visible Learning: The Sequel. A synthesis of over 2,100 Meta-Analyses relating to Achievement. London and New York: Routledge
Zitiervorschlag

Pirani, K., Beywl, W., & Schorn, I. (2023). Mit Luuise mehr Erfolg im Unterricht. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(12).

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