Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Pilotstudie der login Berufsbildung AG und der Hochschule für Angewandten Psychologie (FHNW)

Virtual Reality in der Berufsbildung

Noch werden virtuelle Simulationen in der Berufsbildung selten eingesetzt. Eine entscheidende Anforderung an das Instrument bildet neben dem didaktischen Mehrwert gegenüber konventionellen Lernformen auch die Frage, welche Auswirkungen die Übertragung bestimmter Lernparadigmen in den virtuellen Raum auf die Einstellung, Motivation und die Leistung von Auszubildenden hat. Diese Frage untersuchte login Berufsbildung AG zusammen mit der Hochschule für Angewandte Psychologie der FHNW. Die Studie kommt zum Schluss, dass beim Erlernen eines Arbeitsprozesses eine feste Anzahl von Wiederholungen einer Teilaufgabe in der virtuellen Welt einen Lernvorteil bietet. Auf der anderen Seite zeigt das zufällige Wiederholen von unterschiedlichen Teilaufgaben weniger Lernerfolg im Erwerb von Prozesswissen. Während die Auszubildenden Virtual Reality als «virtuellen Blick» in ihre berufliche Zukunft als zusätzlichen Mehrwert erleben, wirkt sich die Art der Gestaltung des VR-Trainings massgeblich auf die Motivation aus.


Der Einsatz von virtueller Realität (VR) nimmt in der industriellen Produktion einen immer grösseren Stellenwert ein und beeinflusst die Gestaltung von Arbeitsplätzen, Produkten und Schulungssystemen. So gehen Grosskonzerne wie Volkswagen Joint Ventures mit führenden VR-Hardwareherstellern (HTC) ein. Dabei werden auf Ebene der Ausbildung, der Planung oder des Vertriebes virtuelle Räume geschaffen, die den auf der ganzen Welt verteilten Konzern wieder zusammenbringen; das ist effizient und ökologisch sinnvoll. Auch in der Berufsbildung dürften in Zukunft vermehrt virtuelle Anteile zu finden sein; heute sind sie etwa schon am Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrum St. Gallen (GBS) zu finden, wie ein Beitrag in Panorama zeigt. Allerdings kann das motorische und sensorische Feingefühl des Handwerks im virtuellen Raum noch nicht trainiert werden. Ebenso gibt es bezüglich des Einsatzes von Aufgaben aus der analogen Lernwelt im virtuellen Raum noch offene Fragen. VR sollte nicht nur der Technik wegen eingesetzt werden; vielmehr muss auch ein Lernmehrwert herausgearbeitet werden. Tatsächlich aber zeigen Untersuchungen, dass nicht alle Virtualisierungen auch eine verbesserte Lernleistung erzielen (Ziegler et al. 2020). Um dem Mangel an didaktischer Information über die Gestaltung von virtuellen Räumen in der Berufsbildung zu begegnen, führte die login AG mit der Hochschule für Angewandte Psychologie der FHNW eine Pilotstudie durch. In dieser hier beschriebenen Untersuchung wurde erforscht, welche Auswirkung die Übertragung eines etablierten Lernparadigmas in den virtuellen Raum auf die Einstellung, Motivation und die Leistung von Auszubildenden hat.

Lernparadigma und virtueller Raum

Wenn man das Einüben und Verstehen von Prozessen betrachtet, so können abwechselnde Übungsreihenfolgen erhöhte Lern- und Transferleistungen zur Folge haben. Dieses Lernparadigma heisst «Kontext Interferenz Effekt» (CIE).

Die Art und Weise, wie man Lernenden etwas beibringt, ist vielschichtig. Wie gut ist die Kommunikation zwischen Auszubildendem und Berufsbildnerin? Sind die gestellten Aufgaben fordernd, aber nicht demotivierend? Wie oft muss eine lernende Person das Gleiche hintereinander tun? Welche Fehlerkultur gibt es im Lehrbetrieb? Kein Lernparadigma kann gleichermassen alles berücksichtigen. Wissenschaftlich gut dokumentiert ist, dass die Unterstützung der Lernenden und das direkte Feedback an sie wichtige Erfolgsfaktoren sind. Wenn man das Einüben und Verstehen von Prozessen betrachtet, so können abwechselnde Übungsreihenfolgen erhöhte Lern- und Transferleistungen zur Folge haben. Dieses Lernparadigma heisst «Kontext Interferenz Effekt» (CIE); es erlaubt, «Flexibilität» zu lernen. So konnte gezeigt werden (z.B. beim Bewegungslernen im Sport), dass eine Übungsreihenfolge mit variierenden Bedingungen und wechselnden Aufgaben (CIE-Bedingung) bessere Ergebnisse bewirkt als eine sich wiederholende und in gleichen Bedingungen vollziehende Übungsreihenfolge (Blocked-Bedingung). Hinsichtlich des Erlernens von Arbeitsprozessen ist die Wirkung von CIE auf die spätere Leistung jedoch nicht eindeutig, da es auch Studien zum Vorteil von Blocked-Bedingungen gibt. Das Lernparadigma des CIE passt gut zur Virtual Reality, weil sich in der virtuellen Welt die Bedingungen, in denen man sich befindet, schnell verändern lassen. Man kann es regnen oder die Sonne scheinen lassen oder für schlechte Sichtbedingungen durch Nebel sorgen. Auch die Montage und die Demontage einer Maschine kann bei schlechten oder guten Bedingungen erfolgen (Lärm, Schmutz etc.). Ebenso lässt sich im VR eine Maschine in rascher Folge zusammen- und wieder auseinanderbauen, was bei einem realen Wartungsvorgang keinen Sinn machen würde. Dennoch stellen sich zwei Fragen: Ist ein nach CIE gestaltetes Lernarrangement in der virtuellen Realität sinnvoll? Und bringt es tatsächlich bessere Ergebnisse als geblocktes Üben?

Maschinenwartung und Trainingsaufgaben

Die Studie begann mit Interviews mit Berufsbildenden der SBB und der login Lehrwerkstatt Trimbach. Dabei wurden die im Tagesgeschäft auftretenden Schwierigkeiten, Notwendigkeiten und Bedürfnisse diskutiert. Anschliessend wurde in mehreren Workshops ein zu trainierender Wartungsvorgang (Verdichterwechsel der Zug-Klimaanlage) unter Berücksichtigung arbeitspsychologischer, technischer und zeitlicher Bedingungen erarbeitet. Dabei musste der Vorgang (der in der echten Welt einen ganzen Tag dauern kann) erheblich vereinfacht und in sieben Unteraufgaben unterteilt werden. Teile der echten Maschine wurden modelliert und das Training (CIE und Blocked) programmiert (Abbildung 1).

In Interviews wurden die Teilnehmenden zudem vor und nach dem Training zu ihren Erwartungen respektive Urteilen befragt; ebenso wurden mehrere Tests für die Einteilung der Gruppen von Lernenden vor dem Training und zur Überprüfung der Leistung nach dem Training durchgeführt. Im Training der Blocked-Gruppe wurde eine der sieben Aufgaben für den Verdichterwechsel drei Mal hintereinander unter gleichen Bedingungen (mittlerer Werkstattlärm, gute Helligkeit, Unterstützung durch leitende Objekte und einer Tafel mit Aufgabenanweisung) geübt, bevor die nächste, logisch folgende kam. Im CIE Training war eine zufällig ausgewählte Aufgabe mit zufällig ausgewählten Bedingungen (laut/mittel/leise; hell/dunkel; sauer/schmutzig, Unterstützung vs. keine Unterstützung) zu bewältigen, bevor die nächste zufällig ausgewählte Aufgabe kam. Die Kontrollgruppe wurde nicht trainiert. Jeder der 16 Trainierenden führte das Training zehn Mal durch (Abbildung 2).

Ergebnisse

Die Resultate der Messung nach dem Training lassen sich auf mehreren Ebenen beschreiben:

  1. Dass VR-Training hat die Erwartung der Lernenden insgesamt erfüllt. Sie waren teilweise überrascht, wie gut das Training im VR dargestellt wurde. Einige hätten sich jedoch eine anspruchsvollere grafische Umsetzung gewünscht. Weiter wurde angegeben, dass die vielen Wiederholungen der gleichen Aufgaben mit der Zeit nerven. Im Training selbst wurde von einigen mehr Abwechslung (z.B. durch Wettbewerbe) gefordert. Positiv wurde von den Auszubildenden hervorgehoben, dass die Orientierung im Training sehr gut war. Die Instruktionen und die Aufgaben waren klar und verständlich formuliert. Auch die Unterstützung (durch leitende Objekte und Tafeln) wurde von den Lernenden als hilfreich empfunden.
  2. Die Testergebnisse zeigen überzufällige Unterschiede zwischen VR-Blocked und VR-CIE gestalteten Trainings im Fragebogen zur Motivation. Das Blocked Training wurde als angenehmer, die CIE-Bedingung als unangenehmer wahrgenommen. In der Prozesswissenaufgabe schnitten die Auszubildenden der VR-Blocked Gruppe um 19% besser als die Kontrollgruppe ab, während die VR-CIE Gruppe nur 10% besser als die Kontrollgruppe waren.
  3. Eine Transferleistung an einem echten greifbaren Modell konnte wegen Corona leider nicht mehr überprüft werden.
  4. Insgesamt hat das VR-Training die Auszubildenden für weitere Einsatzmöglichkeiten inspiriert. Dabei wurden u.a. Ideen für folgende Themengebiete geäussert: Pneumatik, Messen und Prüfen von elektronischen Bauteilen, ein Multiplayer VR Raum für Auszubildende unterschiedlicher Fächer als Übung für die Swiss-Skills, Drehmaschine und Mechanik & Steuerungstechnik.

Fazit

Das bedeutet, dass man nicht einfach ein Lernparadigma übernehmen sollte, nur weil es schon vorher positive Ergebnisse geliefert hat und vielleicht besonders gut zur Technik passt.

Die vorliegende Pilotstudie sollte untersuchen, welche Auswirkung die Übertragung von etablierten Lernparadigmas (CIE und Blocked) in den virtuellen Raum auf die Einstellung, Motivation und Leistung von Auszubildenden hat. Wir konnten zeigen, dass die Motivation in der Blocked Bedingung höher war und auch im Wissenstest ein besseres Resultat erzielt wurde. Das bedeutet, dass man nicht einfach ein Lernparadigma übernehmen sollte, nur weil es schon vorher positive Ergebnisse geliefert hat und vielleicht besonders gut zur Technik passt. Dies kann zu falschen Schlussfolgerungen und einem schlechterem Lernfortschritt führen. Ebenso ist der Einsatz nur um der Technik willen fragwürdig. Jedoch wurde von allen Auszubildenden der virtuelle Blick in ihre berufliche Zukunft als grosser Mehrwert in der Ausbildung beschrieben. Leider war eine Überprüfung des Lern-Transfers auf die echte Welt wegen Corona nicht möglich. Unser Eindruck war jedoch, dass die Auszubildenden uns gute Hinweise liefern konnten, wann und wo virtuelle Realität in ihrer Ausbildung Sinn macht und wann es Unsinn ist. Auch wenn man über den didaktischen Mehrwert von VR-Trainings streiten kann, ist die virtuelle Realität gerade für Unternehmen interessant, deren Produkte auf Basis von 3D-Modellen entwickelt werden. Dies, da ein einmalig gestaltetes Training sowohl z.B. für Assessments, Messauftritte und Schulungen von Servicemitarbeitenden und Sales verwendet werden kann.

Zitiervorschlag

Christ, O., & Hirschi, M. (2021). Virtual Reality in der Berufsbildung. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 6(1).

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