Martin J. Tomasik ist Professor für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Universität Witten/Herdecke und wissenschaftlicher Leiter am Institut für Bildungsevaluation.
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Urs Moser
Urs Moser ist Geschäftsleiter des Instituts für Bildungsevaluation Zürich und Mitglied der nationalen Projektleitung PISA.
Einem Grossteil der Schülerinnen und Schüler, die das Zürcher Bildungssystem durchlaufen haben, gelingt der Übertritt in die nachobligatorische Ausbildung reibungslos. Eine signifikante Minderheit, die vor allem aus den Abteilungen B und C kommt, benötigt für den Übertritt aber mehr Zeit und verschiedene Zwischenlösungen. Aus der Sicht der Betroffenen sind neben fehlenden Möglichkeiten, eine Ausbildung zu machen, vor allem eine fehlende berufliche Orientierung die wichtigsten Gründe für eine Verzögerung. Zieht man Leistungsindikatoren heran, dann sieht man, dass bereits die Schulleistungen und Schulnoten am Ende der Primarschulzeit prädiktiv für einen verzögerten Übertritt sind. Diese Erkenntnis der Studie «Von der Schule in den Beruf» ermöglicht es, die Zielgruppe für präventive Massnahmen frühzeitig zu identifizieren.
Der Übertritt von der obligatorischen in die nachobligatorische Ausbildung ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Aus einer theoretischen Perspektive stellen solche Transitionen wichtige Wendepunkte in der Entwicklung dar, weil bisher vertraute Handlungsmuster obsolet werden, alte Rollen abgelegt und neue Rollen aufgenommen werden, Entwicklungskontexte sich verändern und das Individuum darauf entsprechend reagieren muss.
Die Kombination aus Selbstberichten und objektiven Daten macht den grossen Wert dieser Studie aus.
Aus einer angewandten Perspektive möchte man aber zunächst wissen, welche Übertrittsmuster zu beobachten sind und welche Merkmale einen erfolgreichen Übertritt vorhersagen. Insgesamt geht es darum, herauszufinden, welche Bedeutung unterschiedliche Schullaufbahnen und individuelle Merkmale wie Geschlecht oder soziale Herkunft für den erfolgreichen Übertritt in die nachobligatorische Ausbildung haben.
In diesem Beitrag sollen einige zentrale Befunde einer Studie1 vorgestellt werden, welche diesen Weg von der Kindheit über das Jugendalter bis in das junge Erwachsenenalter begleitet hat. Nach einem kurzen Überblick über die Datengrundlage werden typische Übertrittsmuster vorgestellt. Dabei wird deutlich, dass nicht jedem Jugendlichen dieser Übertritt auf Anhieb gelingt. Deswegen werden anschliessend Verzögerungen beim Übertritt betrachtet und subjektive Gründe für diese Verzögerungen untersucht. Zum Schluss soll die Dauer dieser Verzögerung durch einige Faktoren vorhergesagt werden, wobei deutlich werden wird, dass diese Faktoren eine längere Geschichte haben.
Datengrundlage
Die Zürcher Lernstandserhebung als Datengrundlage dieses Beitrags ist eine Längsschnittstudie, die im Jahr 2003 begonnen wurde. Ziel dieser Studie war es, die Schülerinnen und Schüler während der gesamten obligatorischen Schulzeit zu begleiten und den Lernstand in den Kernfächern Mathematik und Deutsch in regelmässigen Abständen zu erheben, mit den Zielen des Lernplans zu vergleichen und den Lernzuwachs in Abhängigkeit von individuellen Merkmalen wie dem Geschlecht, der Erstsprache und der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler zu beschreiben. Zudem wurde eine Auswahl von überfachlichen Kompetenzen erfasst, um so die Entwicklung der schulbezogenen Motivationen und deren Einfluss auf die Schulleistungen aufzuzeigen. Die Zürcher Lernstandserhebung wurde vom Institut für Bildungsevaluation (IBE), assoziiertem Institut der Universität Zürich, im Auftrag der Bildungsdirektion des Kantons Zürich konzipiert, durchgeführt und ausgewertet.
Die Zürcher Lernstandserhebung wurde im Jahr 2003 mit einer Zufallsstichprobe von rund 2000 Schülerinnen und Schülern aus 120 Klassen des Kantons Zürich begonnen. Das erste Mal wurden die Schülerinnen und Schüler in den ersten Wochen nach dem Schuleintritt getestet und befragt. Folgeerhebungen fanden drei, sechs und neun Jahre nach der Einschulung statt, und zwar unabhängig davon, welche Schulform oder Schulstufe die Kinder bzw. Jugendlichen im Kanton Zürich tatsächlich besuchten. Im Kern wurden dabei die Schulleistungen in den Fächern Deutsch und Mathematik erfasst und mittels der probabilistischen Testtheorie so skaliert, dass man die Leistungsentwicklung während der Schulzeit auf einer einheitlichen metrischen Skala abbilden konnte.
Im Herbst 2016 fand mehr als 13 Jahre nach der ersten Messung die fünfte und vorläufig letzte Erhebung im Rahmen der Zürcher Lernstandserhebung statt. Weil die mittlerweile jungen Erwachsenen in den meisten Fällen die Schule verlassen und häufig auch schon eine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen haben, konnte die Erhebung nicht wie bislang im Schulkontext stattfinden. Vielmehr hat das IBE die aktuellen Adressen der jungen Erwachsenen recherchiert und sie zur Teilnahme an einer Onlinebefragung eingeladen. Mehr als die Hälfte der Angeschriebenen hat der Einladung entsprochen, sodass die Ausschöpfungsquote dieser freiwilligen Befragung ausgesprochen hoch ist. Neben den Selbstauskünften zur aktuellen Lebenssituation und zur Zufriedenheit mit dem eigenen Ausbildungsweg wurden, wo das möglich war, die Bildungslaufbahnen der Schülerinnen und Schüler anhand der Bildungsstatistik des Kantons Zürich rekonstruiert. Damit liegen gleichzeitig objektive Daten zu Bildungsübergängen für einen grossen Teil der ursprünglichen Stichprobe vor. Die Kombination aus Selbstberichten und objektiven Daten macht den grossen Wert dieser Studie aus.
Blick auf die verschiedenen Übertrittsmuster
Die Schule, welche die Schülerinnen und Schüler in der der obligatorischen Schulzeit besucht haben, ist ein ganz zentraler Prädiktor ist für die Dauer des Übertritts.
Zunächst kann man sich fragen, welche Übertrittsmuster sich beobachten lassen und welche typisch oder weniger typisch sind. Die Übertrittsmuster sind in Abbildung 1 dargestellt. Etwa die Hälfte (50 Prozent) der ehemaligen Schülerinnen und Schüler beendete ihre obligatorische Ausbildung in der Abteilung A einer Sekundarschule. Von diesen begann jeweils etwa ein Drittel eine berufliche Ausbildung mit einer Programmdauer von drei (32 Prozent) oder vier (30 Prozent) Jahren. Die zweite grosse Gruppe unter diesen Schülerinnen und Schülern landen dagegen in einer Zwischenlösung, die entweder institutionalisiert ist (14 Prozent) oder nicht (6 Prozent). Die institutionalisierten Zwischenlösungen umfassen dabei verschiedene schulische und ausserschulische Angebote, während die nicht institutionalisierten Zwischenlösungen eine Restkategorie darstellen, in der sich häufig Arbeitslosigkeit aber auch eine Weltreise findet. Die dritte grosse Gruppe sind mit 19 Prozent Sekundarschülerinnen und -schüler, die auf eine gymnasiale Maturitätsschule wechseln.
Ein gutes Drittel (39 Prozent) der Schülerinnen und Schüler beendet seine obligatorische Ausbildung in der Abteilung B oder C einer Sekundarschule. Die meisten aus dieser Gruppe beginnen im nächsten Schuljahr eine berufliche Ausbildung, wobei das in der Regel eine dreijährige Ausbildung ohne Berufsmaturität ist (40 Prozent). Hinzu kommen solche, die eine vierjährige Ausbildung oder eine mit Berufsmaturität beginnen (11 Prozent), und solche, die eine Attestausbildung machen (6 Prozent). Mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Schülerinnen und Schüler aus den Abteilungen B und C beginnt also als gleich im ersten nachobligatorischen Schuljahr eine berufliche Ausbildung. Die zweite grosse Gruppe stellen jedoch Schülerinnen und Schüler, die aus den Abteilungen B und C kommen und eine Zwischenlösung finden, die entweder institutionalisiert (27 Prozent) oder nicht institutionalisiert (16 Prozent) ist. Erwartungsgemäss kommt es nahezu nicht vor, dass ein Schüler oder eine Schülerin von der Abteilung B oder C direkt auf eine gymnasiale Maturitätsschule wechselt.
Mit 13 Prozent eines Jahrgangs ist die Gruppe der Schülerinnen und Schüler, die von einem Langgymnasium kommen, die kleinste unter den dreien. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich wird, wechselten ausnahmslos alle Lernenden aus dieser Gruppe auf die gymnasiale Maturitätsschule.
Verzögerungen beim Übertritt
Zitiervorschlag
Tomasik, M. J., & Moser, U. (2019). Warum so viele Jugendliche ein Zwischenjahr benötigen. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 4(3).
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