Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Bildungsverläufe nach der obligatorischen Schule

Der direkte und indirekte Einfluss von Leistung

Welchen Einfluss haben schulische Leistungen auf Bildungsentscheide und Bildungserfolg? Diese Frage lässt sich dank neuen Datenquellen genauer als bisher ermitteln. Eine erste Auswertung im Rahmen der SEATS-Studie zeigt, dass Leistungen im Fach Mathematik einen bedeutenden Einfluss auf folgende Bildungsereignisse haben: Unmittelbarer Übertritt in eine nachobligatorische Ausbildung, Eintritt ins Gymnasium, Bildungsabschluss ohne Unterbruch. Berücksichtigt man diese Leistungen nicht, überschätzt man die Bedeutung von Faktoren wie Geschlecht, Migrationshintergrund oder Elternhaus auf die genannten Bildungsereignisse.


Die Schweiz weist im OECD-Vergleich eine hohe Rate an jungen Erwachsenen auf, die einen Sek-II-Abschluss erlangt haben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle Jugendlichen ihren Abschluss auf geradem Weg und ohne Unterbrüche erreichen. Da die Schulabgänger/innen zum Zeitpunkt des Übertritts mit vielen Unsicherheiten konfrontiert sind – sowohl bezüglich ihrer Fähigkeiten als auch bezüglich der Anforderungen und Möglichkeiten in den verschiedenen Ausbildungen –, ist eine gewisse Anzahl von Ab- und Unterbrüchen unvermeidbar. Systematisches Verzögern oder das Wählen von Ausbildungen, die nicht zum Kompetenzprofil der Wählenden passen, führen jedoch zu Ineffizienzen; sie verursachen für den Staat und die Individuen vermeidbare Mehrkosten. In einem ersten Schritt ist es daher wichtig, die Stellen im Bildungsverlauf zu finden, an denen besonders viele Schüler/innen scheitern, und herauszufinden, welche von ihnen besonders gefährdet sind. Dazu braucht es Längsschnittdaten, die den Bildungsverlauf von Individuen vom Übertritt bis zum Abschluss der Ausbildung dokumentieren.

Längsschnittdatensatz

Dank einer Neuerung im Bundesstatistikgesetz und der Einführung der AHVN13-Nummer in der Lernendenstatistik kann das LABB-Programm (Längsschnittanalysen im Bildungsbereich) des Bundesamtes für Statistik Informationen zu Bildungsverläufen aus verschiedenen Quellen zusammenführen und so einen Längsschnittdatensatz erstellen; dieser erfasst die Bildungsverläufe aller Individuen, die seit 2011 in einer Bildungsinstitution in der Schweiz eingeschrieben sind. Erste Befunde, die auf diesen Daten basieren, finden sich z.B. im Bericht zum Übergang am Ende der obligatorischen Schule (BFS, 2016). Die Erkenntnisse, die sich mit den LABB-Daten gewinnen lassen, sind jedoch dadurch limitiert, dass die administrativen Daten nur wenige Hintergrundinformationen und keine Angaben zu den schulischen Leistungen der Schüler/innen enthalten.

Ein weiteres Projekt, das Daten zum Übergang in Ausbildungen auf Sek-II-Stufe erhoben hat, ist die TREE-Studie. Basierend auf der PISA-2000-Studie wurden die PISA-Teilnehmenden wiederholt zu ihrem Bildungsverlauf und Einstieg ins Berufsleben befragt. Der TREE-Längsschnittdatensatz enthält somit Informationen zu schulischen Leistungen aus dem PISA-Test und Hintergrundinformationen aus den Befragungen. Die wiederholte Befragung der Individuen ermöglicht es TREE, Änderungen in den Hintergrundvariablen zu verfolgen oder neue Konzepte in den Fragebogen aufzunehmen. Gleichzeitig bedeutet eine wiederholte Befragung von Individuen jedoch auch eine graduelle Verkleinerung der Stichprobe aufgrund von Antwortverweigerung. Dies ist speziell problematisch, wenn die Wahrscheinlichkeit zur Verweigerung mit den Variablen korreliert, die untersucht werden sollen. Rückschlüsse auf eine breitere Gesellschaft (ausserhalb der Stichprobe) sind dann nicht mehr möglich.

Da die schulischen Leistungen häufig sowohl mit den Zielvariablen als auch mit anderen Einflussfaktoren korrelieren, ist die statistische Kontrolle für die schulischen Leistungen bei der Analyse von Bildungswahl oder -erfolg besonders wichtig.

Die SEATS-Studie vereint die zwei Ansätze. Wie die TREE-Studie basiert SEATS auf einer PISA-Kohorte (2012), wodurch für alle Individuen in der Stichprobe standardisierte Leistungsauskünfte («Kompetenzmasse») in drei schulischen Bereichen (Mathematik, Sprache und Naturwissenschaften) erhältlich sind. Zudem enthalten die Antworten aus dem PISA-Schülerfragebogen Informationen zum Umfeld der Schüler/innen, ihren Haltungen und Präferenzen sowie ihren Plänen für die Zukunft. Diese Informationen werden nun jährlich durch administrative Daten aus dem LABB-Projekt ergänzt (zurzeit können wir vier Schuljahre nach Abschluss der obligatorischen Schule beobachten). Durch diese von den Schüler/innen unabhängige Informationsquelle bleibt die Stichprobengrösse unverändert bei den 13164 Individuen des Anfangsdatensatzes. Die administrativen Daten geben Aufschluss über den Bildungsverlauf, das Ausbildungsjahr und über die Anmeldung zu und das Bestehen von Abschlussprüfungen von Sek-II-Ausbildungen. Genauere Angaben zum Datensatz und erste Resultate zum Übertritt in Sek-II-Ausbildungen finden sich in Zumbuehl und Wolter (2017).

Wie wichtig sind schulische Leistungen?

Die Verknüpfung von Kompetenzmassen mit Bildungsverlaufsdaten ermöglicht Analysen, die einen Schritt weiter gehen als einfache Korrelationen. In multivariaten Regressionen untersuchen wir die Beziehung zwischen Bildungswahl oder -erfolg und verschiedenen Einflussfaktoren unter Einbezug von Leistungs- und Hintergrundfaktoren. Da die schulischen Leistungen häufig sowohl mit den Zielvariablen als auch mit anderen Einflussfaktoren korrelieren, ist die statistische Kontrolle für die schulischen Leistungen bei der Analyse von Bildungswahl oder -erfolg besonders wichtig.1

Dies lässt sich anhand der folgenden drei relevanten Kennzahlen zum Bildungsverlauf gut diskutieren. Die Zielvariablen sind

•  die Wahrscheinlichkeit, direkt nach dem 9. Schuljahr mit einer Ausbildung auf Sekundarstufe II anzufangen,

•  die Wahrscheinlichkeit, ins Gymnasium einzutreten und

•  die Wahrscheinlichkeit, die Ausbildung ohne Unterbruch zu durchlaufen (also 2015 entweder einen Abschluss erworben zu haben [für alle, die eine zwei- oder dreijährige Ausbildung gewählt haben] oder im vierten und letzten Schuljahr zu sein [bei einer vierjährigen Ausbildung]).

Lesebeispiel: Die Wahrscheinlichkeit eines direkten Übertritts in eine nachobligatorische Bildung ist bei Frauen rund acht Prozentpunkte geringer als bei Männern, wenn man die Schulleistungen (Kompetenzmasse) (Sprache, Mathematik, Naturwissenschaften, Pünktlichkeit) nicht berücksichtigt. Wenn man für sie kontrolliert, liegt die Differenz bei rund gut fünf Prozent.

Die Abbildungen zeigen für die drei Zielvariablen auf der linken Seite, wie die Zielvariable mit den Mathematikleistungen (L1 bis L6) zusammenhängt. Auf der rechten Seite sind die Effekte von ausgewählten Einflussfaktoren mit und ohne Einbezug der Kompetenzmasse als Kontrollvariablen abgebildet. Kompetenzmasse sind die PISA-Leistungen in Mathematik, Sprache und Naturwissenschaften sowie ein Mass für Pünktlichkeit als nicht-kognitive Kompetenz.2

Die Resultate zeigen den Unterschied in der Wahrscheinlichkeit der Zielvariable – zum Beispiel der Wahrscheinlichkeit des direkten Übertritts – zwischen zwei Individuen, die sich nur in einem Einflussfaktor unterscheiden (z.B. Mathematikleistungen [links], oder weiblich-männlich [rechts]; für alle anderen Variablen ist statistisch kontrolliert). In Eigenschaften, für welche nicht kontrolliert wird, können sich die zwei Individuen jedoch unterscheiden. Wenn diese aus der Analyse ausgeschlossenen Eigenschaften die wahren Einflussfaktoren sind und mit den anderen Einflussfaktoren korrelieren, kann der trügerische Eindruck entstehen, dass ein Einflussfaktor wichtig ist, obwohl die Beziehung in Wirklichkeit nur durch eine Korrelation mit einer wichtigen, aber nicht beobachteten Eigenschaft herbeigeführt wird. Schulische Fähigkeiten sind solche Eigenschaften, welche oft unbeobachtet bleiben.

Ohne Kontrolle für die schulischen Leistungen werden die Effekte von Geschlecht, Migrationsstatus und Bildung der Eltern überschätzt.

Die Wahrscheinlichkeiten, direkt mit einer Ausbildung anzufangen, ins Gymnasium zu gehen und ohne Unterbrüche die Ausbildung zu absolvieren, steigen alle mit zunehmenden Mathematikleistungen. So treten Schüler/innen mit sehr tiefem Mathe-Niveau (Level 1) mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 50% direkt nach der obligatorischen Schule in eine Ausbildung auf Sek-II Stufe über, während Schüler/innen mit dem gleichen Hintergrund, aber sehr hohem Mathe-Niveau (Level 6), eine Wahrscheinlichkeit von über 90% haben.

Wenn wir nicht für die schulischen Leistungen kontrollieren, finden wir hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, direkt mit einer Ausbildung anzufangen, grosse Unterschiede zwischen Männern und Frauen und zwischen Schweizer/innen und Ausländer/innen. Mit der Kontrolle für die Leistungen werden diese Effekte viel kleiner, bei Migrant/innen um mehr als die Hälfte. Ohne Kontrolle für die schulischen Leistungen werden die Effekte von Geschlecht, Migrationsstatus und Bildung der Eltern überschätzt.

Die Entscheidung, aufs Gymnasium zu gehen, wird in der zweiten Abbildung dargestellt. Während der Migrationshintergrund in der Analyse ohne Kontrolle für die Kompetenzen keinen Einfluss auf die Bildungswahl zu haben scheint, finden wir einen positiven Effekt, wenn wir Kompetenzen in die Analyse mit einschliessen. Jugendliche mit Migrationshintergrund gehen also eher aufs Gymnasium als Schweizer Jugendliche. Gleiches gilt auch für die Frauen sowie Jugendliche, deren Eltern (wenigstens ein Elternteil) tertiäre Bildung absolviert haben. Dieser Effekt ist auch nach Kontrolle für die Kompetenzen noch gross.

Jugendliche mit Migrationshintergrund gehen also bei gleichen Leistungen eher aufs Gymnasium als Schweizer Jugendliche. Gleiches gilt auch für die Frauen sowie Jugendliche, deren Eltern (wenigstens ein Elternteil) tertiäre Bildung absolviert haben.

Die Wahrscheinlichkeit, ohne Unterbruch eine Ausbildung auf Sekundarstufe II zu absolvieren, baut auf der ersten Zielvariable, dem direkten Übertritt, auf und integriert diese. Wir beobachten, dass sich der Geschlechterunterschied nach vier Jahren wieder schliesst, da Frauen, die direkt mit einer Ausbildung begonnen haben, bei gleichen Merkmalen weniger häufig repetieren oder die Ausbildung abbrechen als Männer. Wenn wir nicht für die schulischen Kompetenzen kontrollieren, ist der beobachtete Effekt für Frauen negativ.

Einen negativen Effekt finden wir für Migrant/innen. Dieser Effekt ist jedoch wesentlich kleiner, wenn wir Kompetenzen in die Analyse mit einschliessen. Er wäre noch kleiner, wenn wir in der Analyse auch für die Bildungswahl (häufige Wahl des Gymnasiums) kontrollieren würden (Wolter und Zumbuehl, 2017). Während wir ohne Kontrolle einen positiven Effekt von elterlicher Bildung finden, wird dieser Effekt negativ und statistisch insignifikant, wenn wir Schüler/innen mit gleichen Kompetenzen vergleichen.

Zusammenfassung

Schulische Leistungen haben, das zeigen diese Resultate, einen erheblichen Einfluss auf Bildungswege und -erfolg. Weiter zeigen die Resultate, wie wichtig der Einbezug dieser Leistungen in Analysen für die Schätzung von anderen Einflussfaktoren ist. Aber auch wenn man für die schulischen Leistungen kontrolliert, sind die Resultate nicht kausal zu interpretieren. Wir können nicht ausschliessen, dass es noch weitere wichtige, nicht beobachtete Faktoren gibt, welche die Resultate beeinflussen. Bei der Interpretation solcher Resultate ist es folglich wichtig, sich der Kontrollvariablen – und damit auch der Frage, wer mit wem verglichen wird – bewusst zu sein, damit die Resultate auch wirklich informativ sind.

Unsere Analysen zeigen, dass es signifikante Einflussfaktoren für alle drei Zielvariablen gibt; aber wenn man für die Kompetenzen kontrolliert, sind die Effekte in fast allen Fällen kleiner. Die Ausnahme bildet der Einfluss des Migrationshintergrunds und der Fremdsprachigkeit auf die Wahrscheinlichkeit, aufs Gymnasium zu gehen.

SEATS – Swiss Educational Attainment and Transition Study

Die SEAT Studie führt Daten aus der PISA 2012 Studie mit administrativen Daten zum weiteren Bildungsverlauf der Schüler/innen zusammen. Im Rahmen des Bildungsmonitorings und des Bildungsberichts der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF) wird der SEATS Datensatz jährlich aktualisiert und erweitert.

1 Wie die Korrelationen zwischen den Fähigkeiten und den anderen Einflussfaktoren (z.B. Migrations-Hintergrund) entstehen, ist zwar auch eine wichtige Frage im Bezug auf Chancengleichheit, kann aber im Rahmen dieses Forschungsprojekts zum Übertritt in die Sekundarstufe II nicht beantwortet werden.
2 Die drei schulischen Kompetenzmasse sind hoch korreliert miteinander, weshalb die Abbildungen zum Zusammenhang zwischen Kompetenzmass und Zielvariablen für sprachliche und naturwissenschaftliche Kompetenzen ähnlich aussehen. Schliessen wir alle drei Kompetenzmasse gleichzeitig in die Analyse ein, finden wir für die erste und dritte Zielvariable nur für mathematische Kompetenzen statistisch signifikante Effekte. Für die Wahrscheinlichkeit, ins Gymnasium zu gehen, sind alle drei Kompetenzmasse positiv und statistisch signifikant. Das Mass für Pünktlichkeit hängt positiv mit dem Übertritt und dem Fortschritt, jedoch negativ mit der Wahrscheinlichkeit, ins Gymnasium zu gehen, zusammen (siehe Zumbuehl und Wolter 2017).

Referenzen

  • Bundesamt für Statistik (2016). Der Übergang am Ende der obligatorischen Schule. FSO-Nr 1665-1600.
  • Wolter, Stefan C. and Zumbuehl, Maria (2017). The Native-Migrant Gap in the Progression into and through Upper-Secondary Education. IZA Discussion Papers 11217.
  • Zumbuehl, Maria, und Wolter, Stefan C. (2017). Wie weiter nach der obligatorischen Schule? Bildungsentscheidungen und -verläufe der PISA-Kohorte 2012 in der Schweiz. SKBF Staff Paper 20
Zitiervorschlag

Zumbuehl, M. (2018). Der direkte und indirekte Einfluss von Leistung. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 3(1).

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