Berufsbildung in Forschung und Praxis
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Interview mit Roberta Besozzi

Berufsbildner: Trotz Schlüsselrolle zu wenig wertgeschätzt

Wer Jugendliche in einer Lehre ausbildet, agiert an einer Schlüsselstelle im Bildungssystem: An keinem anderen Lernort als im Betrieb verbringen die Lernenden mehr Zeit. Trotzdem braucht es für die Tätigkeit nur eine pädagogische Schnellbleiche. Das ist schlecht, findet Forscherin Roberta Besozzi, die während einiger Jahre an der EHB zu diesem Thema geforscht hat.


Roberta Besozzi ist Lehrerin an einer Berufsmaturitätsschule im Kanton Tessin und Kadermitarbeiterin in der Abteilung Berufsbildung des kantonalen Erziehungsdepartements.

Roberta Besozzi, Sie haben die Arbeit von Berufsbildnerinnen und Berufsbildnern in Betrieben untersucht. Woher dieses Interesse?

Man weiss recht viel über Jugendliche in der Lehre, aber nur sehr wenig über die Leute, die sie ausbilden – die Berufbildnerinnen und Berufsbildner. Dabei sind diese Personen für den Erfolg in der Lehre zentral wichtig. Jugendliche verbringen drei bis vier Tage pro Woche im Betrieb, zwei bis vier Jahre lang. Berufsbildner operieren an einer Schlüsselstelle im System.

Wie wichtig sind die Berufsbildner für die Motivation der jungen Leute?

Zentral wichtig: Berufsbildnerinnen zeigen den Jugendlichen die wichtigsten beruflichen Skills, sozialisieren sie im Team mit anderen Erwachsenen, vermitteln Freude am Lernen, machen stolz auf den Beruf. Ein Berufsbildner, den ich befragte, beschrieb seine Rolle als einer, der den Jugendlichen die Saiten auf die Gitarre legt. Das Bild beschreibt auch gut die Grenzen dieser Rolle: Wenn die Ausbildungsbedingungen nicht stimmen oder es an der richtigen Einstellung hapert, kommt das Instrument nicht zum Klingen.

Und das scheint oft der Fall zu sein: Eine Studie hat ergeben, dass 56% aller Lernenden mit der Qualität der betrieblichen Ausbildung unzufrieden sind.

Ich sehe viele Gründe, die Rolle der Berufsbildner klarer zu definieren und besser zu anerkennen. Indem wir die Situation der Berufsbildenden verbessern, verbessern wir die der Lernenden.

Die Berufslehre stellt viele Jugendliche vor eine grosse Aufgabe. Neben den Entwicklungsaufgaben, die sich ihnen als Heranwachsende stellen, wachsen sie in neue Rollen hinein: In der Berufsfachschule sind sie Schüler, im Betrieb Teammitglieder mit Pflichten und Verantwortung. Ich kann nicht beurteilen, welchen Anteil Berufsbildende daran haben, dass sich viele Jugendliche so unzufrieden äussern wie Sie zitieren. Dennoch sehe ich viele Gründe, die Rolle der Berufsbildner klarer zu definieren und besser zu anerkennen. Indem wir die Situation der Berufsbildenden verbessern, verbessern wir die der Lernenden.

Sie haben untersucht, wie Berufsbildende ihre Rolle sehen und wie zufrieden sie sind. Welches sind die Hauptergebnisse?

Wenn man fragt, wie zufrieden die Personen mit ihrer Funktion sind und wie stark sie die jungen Leute als Arbeitskräfte oder Lernende sehen, bekommt man unterschiedliche Auskünfte. Aber man kann sie typologisieren. Ich unterscheide Selbstunternehmer, Garantinnen des Berufs, Umsteiger und Resignierte. Ganz kurz: Selbstunternehmerinnen betrachten ihre Funktion als Berufsbildende nicht als Priorität; ihre Lernenden müssen möglichst schnell eigenständig werden. Sie sind zufrieden mit ihrer Funktion und dem Umfeld. Die Garanten des Berufs lieben ihren Beruf und begleiten die Lernenden sorgfältig; auch sie sind mit dem Umfeld zufrieden. Die Umsteigerinnen sind oft nach unbefriedigenden Berufserfahrungen in die Berufsbildung umgestiegen, in der sie sich viel Zeit für die Lernenden nehmen; aber glücklich werden sie nicht, weil Zeitdruck und andere Faktoren einer guten Ausbildung entgegenstehen. Die Resignierten schliesslich sind enttäuscht darüber, dass ihre Tätigkeit wenig gilt; sie begleiten die Lernenden nur noch wenig.

Da ist nicht alles ideal. Ihr Fazit?

Die berufliche Grundbildung vollzieht sich immer im Spannungsfeld zwischen Bildung und Produktion. Je nach Beruf und Betrieb ergeben sich daraus sehr unterschiedliche Bedingungen für die Berufsbildenden. Vielerorts steht genügend Zeit zur Ausbildung zur Verfügung und die Berufsbildenden erfahren Wertschätzung. Sie berichten über eine grosse Befriedigung in ihrer Tätigkeit, in der Interaktion mit den jungen Menschen oder wenn sie miterleben, wie sich die von ihnen betreuten Lernenden weiterentwickeln. An vielen Orten aber liegt das Primat auf der Produktion. Hier ist zu wenig Zeit, auszubilden. Das führt zu Frustrationen.

Wie kann man die Situation dieser Leute verbessern?

Die Rolle von Berufsbildenden ist weder auf gesetzlicher Ebene noch in meisten Betrieben richtig definiert. Es fehlen Pflichtenhefte oder zeitliche Entlastung, finanzielle Honorierung oder Formen der symbolischen Wertschätzung.

Die Rolle von Berufsbildenden ist weder auf gesetzlicher Ebene noch in meisten Betrieben richtig definiert. Es fehlen Pflichtenhefte oder zeitliche Entlastung, finanzielle Honorierung oder Formen der symbolischen Wertschätzung – etwa über die Gewährung von bezahlten Weiterbildungen. Die Ausbildung von Lernenden sollte Teil einer Firmenstrategie sein – und damit von allen Mitarbeitern mitgetragen werden. Die Ausbildung von Lernenden ist dann nicht Sache einer einzelnen Person, sondern Aufgabe aller. Lernende auszubilden darf kein Profit Center sein, sondern ein Beitrag zur Berufsbiografie von jungen Menschen und zur Sicherung des beruflichen Nachwuchses.

Kürzlich haben die Rektoren der Berufsfachschulen gefordert, dass die Profile der Berufsbildner mehr pädagogische und didaktische Kompetenzen erhalten sollen, da sie zunehmend die Rolle von Lernbegleitern übernehmen. Finden Sie das plausibel?

Ja, eine bessere Ausbildung der Berufsbildenden tut not. Wer heute Lernende ausbildet, muss dafür einen Kurs von nur 40 Stunden besuchen, oft sind gar Personen ohne jede Ausbildung für die Lernenden verantwortlich. Viele, die diese Ausbildung besuchen, kritisieren sie. Sie nennen drei Gründe. Sie ist zu kurz, sie bietet zu wenig Raum, um die pädagogischen Werkzeuge anzusprechen und zu vertiefen, die professionelle Berufsbildnerinnnen verwenden sollten, und sie führt bloss zu einem Kurszertifikat. Eine bessere Grundausbildung und Pflicht-Weiterbildungen würden die Qualität der Berufsbildung steigern – auch wenn sie keine Garantie dafür sind. Zu beachten wäre, dass die Ausbildung nicht standardisiert wird, sondern den spezifischen Kulturen in den Berufsfeldern Rechnung trägt. Eine stärkere pädagogische Bildung könnte auch dazu führen, dass Lehrbetriebe, überfachliche Kurse und Berufsfachschulen endlich enger zusammenarbeiten – weil sie dem gleichen pädagogischen Grundverständnis folgen.

Das vorliegende Interview ist zuerscht erschienen in «Alpha», Tages-Anzeiger.

Zitiervorschlag

Fleischmann, D. (2023). Berufsbildner: Trotz Schlüsselrolle zu wenig wertgeschätzt. Transfer. Berufsbildung in Forschung und Praxis 8(13).

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